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Full text of "Geschichte der U. S. P. D."

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GESCHICHTE 



DER 



U-S-P-D. 



Entstehung und Entwicklung 

der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei 

Deutschlands 



Von 



Bugen Prager 



192 



VERLAGSGENOSSENSCHAFT „FREIHEIT" e. G. m. b. H. 
ABTEILUNG BUCHHANDLUNG / BERLIN C. 2 / BREITE STRASSE 8-9 



CSfc»<30a«rtO2S^^ 



INHALT 

Vorwori / seite 7 

Deutsdiland bis zum Welikrieg / Sette 9-13 

Die zwei Epochen in der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. — 
Der Ausdehnungsdrang des deutschen Kapitals. — Die Veranderungen 
in der deutschen Auizenpolitik. — Die Gef ahren des Imperialismus. — 
Der Aufcenhandel der kapitalistischen Weltmarkte. — Die letzten IL> 
sachen des Weltkrieges. 

Die Sozialdemokraiie vor dem Weltkricg / sate 14-20 

Die Formen der Agitation. — Die praktiscihe Arbeit und der Reformist 
mus. — Umwandlung aus einer revolutipnaren zur reformistischen 
Partei. — Die Vermehrung der Waivistimmen. — Wachsende Bedeu* 
tung der Gewerksdhalten. — Die Parteibureaukratie. — Der letzte 
Parteitag vor dem Kriege. — Die Stellung zur aulzeren Politik. 

Der 4. August 1914 / sette 21-27 

Der Kriegsvorwand der dsterreichischen und deutschen Kriegstreiber. — 
Aufruf des Parteivorstandes gegen den Krieg. — Zusammentritt des 
internationalen sozialistischen Bureaus. — Schwenkung in der Partei. — 
Bewilligung der Kriegskredite. — Die Erklarung der sozialdemokrati* 
schen Reichstagsfraktion. — Die ersten Gegensafeze. 

Die heginnende Opposition • seite 23-35 

Die BescMixsse der Internationalen Sozialistenkongresse und der 
deutschen Parteitage. — Urteile des sozialistisohen Auslandes ixber die 
Kreditbewillog^ung. — Der erste WMerstand gegen die Kriegspolitik. — 
Erklarungen der 7 ,Vowart$"«Redakteure. — Gegen den parteigenossa* 
schen Kadfavergehorsam. — Der Umfall der PseuJdo~Marxisten. 

— Leichensdhandung an den Altmeistem des Sozialismus, 

Das wahre Gesidit des Krieges / seue 30-47 

Nicht mehr gegen die Kosakenknute T sondern gegen die englische 
Weltherrschaft. — 1st es noch derselbe Krieg? — Die Annexionisten 
enthullen ihre Plane. — Kriegsgewinne und Preissteigerungen. — 
Sudekum und Richard Fischer auf Reisen. — Karl Liebknecht in 
Belgien. — Die ersten Zusammenkunfte der Opposition. — Angriffe 
auf den ^Vorwarts". — Die Bewilligung der zweiten Kiiegskredite. 

Die erste Budgetbewilligung • sette 43-00 

llnteidruckungsmalzndhmen gegen die Opposition. — Sozialdemokra" 
tische Neujahrsgrulze nach England. — Scheidemanns Neujahrcwunsch. 

— Die Versammlung der Berliner Gewerkscaaltsfunktaonare. — Der 
Fall Liebknecht. — Rucktritt Ledebours aus dem Fraktionsvorstand. — 
Protest gegen b&rbarisohe Kriegfukrung. — Die Zustimmung zum Etat 



Das Gebof der Sfunde / settc 61-75 

Die Annexionswimische der llnternehinerorganisationen. — Die Wirkung 
der Zustimmung zum Budget. — Die Internationale Frauenkonferenz 
in Bern. — Die Zeitschrift ^Internationale". — Das Schreiben an den 
Parteivorstand. — Das Gebot der Stunde. 

Das Bekenninis der Annexionisien / $eiie i6-ss 

Die Wirkung des Gebot der Stunde. — Friedensaufruf des Parted 
vorstandes und Eingabe an den Reichskanzler. — Die Leitsatze zu den 
Kriegszielen. — Die Internationale Konferenz von Zimmerwald. — Das 
Annexionsbekenntnis der burigerlictien Parteien. 

Die Sozialdemokratische Arbeiisgemeinschaft / Seite 86-96 

Gewitterstimmung in der Reichstagsfraktion. — Erklarung der Minder^ 
heit zu den neuen Kriegskrediten. — Die Parteiinstanzen gegen die 
Minderheit. — Ausschlufz Karl Liebknechts aus der Fraktion. — Die 
Minderheit g*egen den Notetat. — Ausschlufz der Minderheit und 
Bildung der Sozialdemiokratischen Arbeitsgemeinschatft. 

Die Reichskonferenz / Seite 97-114 

Fortgang der Auseinandersetzungen. — Die Kurzsichtigkeit der 
Instanzenmehrheiten. — Gerwaltakte des Parteivorstandes. — Die 
Konferenz von Kienthal. — Differenzen zwiscihen Opposition und 
Spartakusbund. — Verhafrung Liebknechts — Die Reichskonferenz. — 
Keine Abscbwachung der Gegensatze. 

Die Zerreifiung der Partei / seite -1-15-13-1 

Das Programm des rechten Fliigels. — Der Gewaltstreich gegen den 
, r Vorwarts". — Das Urteil des Auslands. — Die Nachwahl in 
Oschatz^rimrna. — Das Hilfsdienstgesetz. — Das Friedensangebot 
der Kriegisregierung-. — Die Januarkonferenz der Opposition. — Ab« 
lehnung der Spaltung. — Die Zerreifzung der Partei durch die 
Instanzenmehriheiten. 

Die Grundung der Unabhangigen Sozialdemokratischen 
Partei Deutschlands / Seite 132-151 

Die Spaltungsarbeit wird fortgesetzt. — Zwei Nachwahlen in Berlin. — 
Ablehnung* des deutschen Frdedensvorschlages. — Verscharfter U~Boot~ 
Krieg. — Die Vereinigten Sfaaten von Amerika weriden in den Kriegs« 
strudel gerissen. — Neue Steuern und vermehrtes Blend. — Die 
Marzr evolution in Rufzland. — Das Aktionsprogramm der Sozialdemo~ 
kriatischen Arbeitsgemeinschaft. — Der Grundungsparteitag der 
U.S.P.D. 

Der Kampfum den Frieden / seite 152-164 

Die Zeit der Sammlung und des Zusammenschlusses. — Der Raub der 
?r Gleichheit" und der „Neuen Zeit". — Die Osterbotschaft Wilhelro. II. 
— Vergebliche Friedensbestrebunigen der Russen. — Das Manifest der 
II. S. P. D. f ur die Stockholmer Konferenz. — Die Fruhjahrsstreik** 
bewegung. — Die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917. — Stare 
Bethmann Hollwegs. — Gliick und Ende von Dr. Michaelis. 



Der Zusammenhruch / Seite les-ns 

Sozialdemokratischer Parteitag in Wurzburg. — Die foolschewistisohe 
Herrschaft in Rufzland. — Die Gewaltfriedensschrusse von Brest" 
Litowsik und Bukarest. — Streikbewegungen in Oesterreich und 
Deutschland. — Dittmann ward auf die Festung geschickt. — Der Zu« 
sammenbruch der Mittelmachte. — Die revolutionaren Forderungen 
der Unabhangigen Sozialdemokratie. 

Die Tage des November / Seite 179-195 

Der Zusammenbruch. — Unterschiede zwischen Deutsahland und Rufz« 
land. — Scbwierigkeiten rechts und links. — Die Antwort der Gegen- 
revolution. — Die 1. Konferenz der A.« und S.^Rate. — Austritt der Un* 
abhangigen aus der Regierung. — Die Wahlen zur Nationalversa,mm« 
lung. — Ermordung Kurt Eisners. — Der Marzparteitag der U. S. P. D. 

Das Leipzig er Aktionsprogramm / Seite 196-212 

Der Hohepunkt der Entwicklung — Ungarn und Bayern. — Der zweite 
Ratekongrefz. — Erfolgreioher Kampf fur Absablufz des Friedens. — 
Moskauer Spaltungsrezepte. — Die Frage der Internationale. — Die 
Reicbskonferenz der II. S. P. D. — Ermordung von Hugo Haase. — 
Der Parteitag von Leipzig. 

Das Werk von Moskau / Seiie 213 -22s 

Die Demonstration vor dem Reichstag. — Der Streit um die Betriebs* 
rate. — Der Kapp-Putsch. — Tod von Emanuel Wurm. — Grofzer 
Erfolg bei den Reichstagswahlen. — Das Antwortscbreiben aus 
Moskau. — Polnisch-russischer Krieg. — Die 21 Bedingungen. — Die 
Reicbskonferenz. — Der aufzerordentlidie Parteitag von Halle. — 
Rededuell Sinowjew~Hilferding. — Die Spaltung. 

AusbUck / Seite 229-232 

Register / Seite 233 u.ff. 



5 



©2»<0«S<0fc«^ 



Das Entstehen und die Entwicklung der Unabhangigen Sozialdemo- 
kratie Deutschlands ist so eng mit Krieg und Revolution verkniipft, 
dafe eine erschopfende Geschichte der Partei schreiben zugleich eine 
Darstellung der Ereignisse wahrend des Weitkriegs und des Zu- 
sammenbruchs erfordern wiirde. Das ware merit moglich gewesen, 
ohne den zur Verfugung stehenden Raum ganz ungebiihrlich zu 
iiberschreiten. Ich mufzte mir daher aufzerordentliche Beschrankungen 
auferlegen, manche Ereignisse konnte ich nur streifen, andere nur kurz 
darstellen. Die Auswirkungen des Krieges auf die Gewerkschafts- 
bewegung zu schildern, mufzte ich gans unteriassen. Die Zusammen- 
hange der Entwicklung in Deutschland mit der internationalen Be- 
wegung konnte ich nur gelegentlich erwahnen. Die Schiiderung 
lokaler Begebenheiten, die den daran beteiligt gewesenen Partei- 
genossen von erheblicher Bedeutung erscheinen mogen, mufzte 
unterbleiben, soweit sie nicht fiir das Ganze von besonderem Interesse 
waren. 

Mancher Leser, der die Zeit des Krieges und der Jahre danach 
kampfend mit durchlebt hat, wird noch andere Mangel entdecken. 
Es kam mir aber vor allem darauf an, eine im Leben der Partei und 
der gesamten Arbeiterbewegung schmerzlich empfundene Lucke aus- 
zufuiien und besonders den Parteigenossen eine geschichtliche Dar- 
stellung von dem Werden der USP. in die Hand zu geben, die erst 
in den letztvergangenen Jahren zu uns gestofzen sind. Und daneben, 
so hoffe ich, wird sie spateren berufeneren Geschichtsschreibern 
manches Material bieten, das sonst wenig bekannt oder inzwischen 
verioren gegangen ist 

Schlieizlich moge noch die Bemerkung gestattet sein, dafz dieses 
Buch mitten im Kampfe geschrieben wurde, neben der sonstigen 
Tagesarbeit, die dem Verfasser als Redakteur einer Parteizeitung 
obliegt Wenn es dazu beitragt, das Ringen der Arbeiterklasse um 
ihre Befreiung zu fordern, so wird es seinen Zweck erfuilt haben. 

Berlin, Oktober 1921. EugenPrager. 



<S&gne<S20^)<52gi<%<S2ffii%<5K^ 



Deutschland bis zum Weltkrieg. 

Die zwei Epochen in der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. — 
Der Ausdehnungsdrang des deutschen Kapitals. — Die Verande- 
rimgen in der deutschen Aufzenpolitik. — Die Gefahren des Imperialism 
mus. — Der Aufzenhandel der kapitalistischen Weltmachte. — Die 
letzten Ursachen des Weltkriegs. 

Viel spater als den anderen westeuropaischen Staaten haben sich 
Deutschland die Tore des kapitalistischen Zeitalters geoffnet. Eng- 
land und Frankreich hatten schon langst ihre burgerlichen Revolu- 
tionen hinter sich, sie waren zu Nationalstaaten geworden und konn- 
ten miteinander urn die Beherrschung des Weltmarktes, urn die Aus- 
beutung der noch nicht erschlossenen Erdteile ring en, als Deutsch- 
land noch mit der Beseitigung der innerwirtschaftlichen und inner- 
politischen Schranken und mit der Schaffung eines einheitlichen 
wirtschaftlichen und politischen Gebiets zu tun hatte. Auch Deutsch- 
land erlebte schliesslich seine burgerliche Revolution; aber sie kam 
nicht von unten, aus der Bourgeoisie selbst, sondern sie wurde von 
oben geboren. Blut und Eisen waren ihre Zeichen, Militarismus und 
Junkertum ihre Gevatter. So musste denn die burgerliche Revolu- 
tion in Deutschland ,ein zwiespaltiges Ergebnis haben: die Ueberreste 
der vergangenen Epochen ragten in die neue Zeit hinein, neben den 
Ritterburgen auf den Hohen standen die Faforiken in den Talern. 
Und so teilten sich denn auch Vergangenheit und Gegenwart in die 
Macht; Monarchie und Junkertum iibten die politische Gewalt aus, 
die Bourgeoisie aber ubernahm die Ausbeutung des Proletariats. 

In der wirtschaftlichen Ent wick lung Deutschlands 
seit dem deutsch-franzosischen Kriege lassen sich deutlich zwei 
Epochen unterscheiden. In den ersten zwei Jahrzehnten die Ver- 
drangung des Handwerks durch die Industrie, d^er Kampf des wer- 
denden Grofzkapitals gegen die ruckstandigen Produktionsmethoden, 
die Eroberung des inneren Marktes clurch das Kapital. Von etwa 
1890 nimmt diese Entwicklung schanfere Formen und ein eiligeres 
Tempo an. Das Grofzkapital zieht gegen das mittlere und kleinere 
Kapital zu Felde, die Konzentration der Betriebe vollzieht sich mit 
wachsender Schnelligkeit, die Aktiengesellschaft tritt an die Stelle 
des Einzelunternehmers, die Fuhrung in der Wirtschafft geht von 
den Produktionszv/eigen, die flir den unmittelbaren Lebensbedarf 
arbeiten, an die Schwerinclustrie, an die Erzeuger der Rohstoffe 
und der Produktionsmittel liber. Der innerdeutsche Markt wird zu 
klein, das Grofzkapital will an der Eroberung und Aufteilung der 
Welt teilhaben. 



Am deutlichsten erkennen wir den Ausdehnungsdrang des Kapi- 
tais, wenn wir die Entwicklung in der Uiproduktion Deutschlands 
vertfolgen und sie mit der Entwicklung der Urproduktion in England 
und Amerika vergleichen. Die Kohlen production betrug in 
1000 Tonnen: 

Im Jahre 1890 1900 1910 

Deutschland .... 89281 149788 222302 

England 184 529 228 795 ^ 268 007(1909) 

Vereinigte Staaten . 143127 244 653 397 000(1909) 

Die R o h e i s e n p r o d u k t i o n betrug in 1000 Tonnen: 

Im Jahre 1890 1900 1910 

Deutschland ... 4658 8521 14794 

England 8 031 9103 10 547 

Vereinigte Staaten . 9 350 14 011 27 737 

Wir sehen hier, wie es dem deutschen Kapital gelingt, in der 
Kohlenproduktion England fast einzuholen, in der Roheisenproduk- 
tion England sogar zu lubertreffen. Nur die Scbwerindustrie der Ver- 
einigten Staaten hat eine noch schnellere Entwicklung durchgemacht 
Aus diesen Zahlen darf aber nicht geschlossen werden, dafz England 
sich durch die Entwicklung der deutschen Wirtschaft besonders be- 
droht gefuhlt und deshalb zum Weltkrieg gedrangt hat, urn die 
deutsche Wirtschaft niedertzuweiifen. Vielmehr hat sich der englische 
Kapitalismus immer mehr der Fertig- und Vertfeinerungsindustrie 
zugeiwendet; er fand seine Absatzgebiete vornehmlich in ganz an- 
deren Gebieten als Deutschland und hatte deshalb die deutsche Kon~ 
kurrenz nicht zu furchten. Zudem hat England bis zum Kriege in 
standig steigendem Mafze Kapital an Stelle von Waren ausgefirhrt 
Ein viel starkerer wirtschaftlicher Gegner als Deutschland waren fur 
England die Vereinigten Staaten und doch haben England und Ame- 
rika den Weltkrieg gemeinsam durchgefuhrt. 

Hat die Entwidklung zum Grofzkapitalismus in England viele Jahr- 
zehnte gebraucht, so drangte sie sich in Deutschland in eine vie! 
kiirzere Zeit zusammen. Und so mufzte sie hier eine besondere Er~ 
scheinungsform annehmen. In keinem anderen Lande der Welt hat 
die Kartellierung der Industrie so schnelle Fortschritte 
gemacht wie in Deutschland, nirgends konnte sich das Bankwesen 
so konzentrieren, wie bei uns. Die Schwerindustrie und das Finanz- 
kapital wurden zum wahren Beberrscher der deutschen Wirtschaft 
Von diesen beiden Machten war alles abhangig: der Staat und die 
Industrie, das affentliche, das privatwirtschaftliche und das gesell- 
schaftliche Leben. Unnotig zu sagen, dafz sie die Politik des Landes 
nicht nur beeinflufzt, sondern entscheidend bestimmt haben. 

Gleichlauf end mit der wirtschaftlichen Entwicklung verlief d i e 
Linie der deutschen Politik. Bismarcks Regierung be- 
schrankte sich auf die Sicherung der Kriegserrungenschaften von 
1871, die vor allem die Konsolidierung des norddeutschen Wirt- 
schaftsgebiets gebracht, die Vorherrschaft Preufzens im neuen Deut- 
schen Reich sichergestellt und Oesterreich nach Sudost^Europa ab« 
gedrangt hatte. Deutschland war zur starksten Militarmacht ge~ 
worden und sein Interesse richtete sich vorlaufig darauf, auf dem 
europaischen Kontinent die Fuhrung zu behalten. Nur mit innerem 
Widerstreben erwarb Bismarcks Regierung die ersten Kolonien fur 

10 



Deutschland und gegeniiber dem Expansionsstrebert Oesterreichs 
nach dem Balkan pragte er das Wort, dafz ihm Bosnlen nicht die 
Knochen eines pommerschen Grenadiers wert seL Noch im Jahre 

1891 versuchte Bismarcks Nachfolger, General Caprivi, durch den 
englisch-deutschen Vertrag, der durch die Abtretirng von Sansibar 
das damals noch geringen militarischen und maritimen Wert vor- 
steilende Helgoland zu Deutschland brachte, gute Beziehungen zu 
England zu sichern. Auch die ostelbischen Junker wollten lange 
Zeit von der Weltpolitik nichts wissen; als die uferlosen Marine- 
plane Wilhelms II. auftauchten, fiel aus ihrem Munde das Wort von 
der „grafzlichen Flotte". 

Trotzderri war es klar, dafz der Krieg von 1870/71 noch auf Jahr- 
zehnte hinaus auf die Beziehungen zwischen Frankreich und Deutsch- 
land in ungunstigern Sinne nachwirken mufzte. Frankreich war wirt- 
schaftlich und politisch aufzerordentlich geschwacht worden r Deutsch- 
land dagegen -erlebte eine Periode sturmischer Auffwartsbewegung. 
Bismarck schlofz als Gegengewicht gegen die Revanchaplane der 
franzosischen Nationalisten mit Oesterreich und Italien den Drei- 
bundsvertrag, der die starkste Sicherung fur den europaischen Frie- 
den darstellen sollte, in Wirklichkeit aber Rufzland, das seine slid- 
westliche Flanke von Oesterreich bedroht fiihlte, in die Arme von 
Frankreich trieb. Als Folge der agressiven Flottenpolitik Deutsch- 
iands mufzte schliefzlich auch England zum Teilhaber dieser franko- 
russischen Allianz werden. 

Es ist freilich nicht so, dafz es erst des Auftretens Wilhelms II. be- 
durfte, um Deutschland in den weltpolitischen Strudel hineinzujagen, 
Dieser Herrscher von Gottesgnaden hatte nur gerade das Zeug dazu, 
um zum Diener des sich gewaltig regenden Groizkapitals zu werden. 
Nicht Wiihelm II. hat Deutschland auf den Weg des Imperialismus 
gedrangt, sondern die die innerwirtschaftlichen Schranken spren- 
gende deutsche Grolzindustrie hat den Kaiser zum Werkzeug ihrer 
Plane gemacht. x 

Die deutsche Bevolkerung war von 1870 bis 1890 um 
8,6 Millionen, von 1890 bis 1910 um 15,3 Millionen, gestiegen. 
Mufzten friiher jahraus, jahrein Hunderttausende von Deutschen in 
fremden Landern ihr Gliick versuchen, so sank die Ziffer der Aus- 
wanderer aus Deutschland mit dem Erstarken der kapitalistischen 
Wirtschaft auf ein ganz bescheidenes Mafz herab. Von 1882 bis 

1892 blieb der deutsche Aufzenhandel fast stabil; er erhohte sich 
nur von 6,4 auf 6,9 Milliarden. Im Jahre 1910 war er auf 16,4 
und im Jahre 1913 auf iiber 20 Milliarden Mark gestiegen. Alle 
diese Z if fern zeigen, dafc Deutschland in die grofzikapitalistische 
Aera eingetreten war. Auch das deutsche Grofzkapital suchte nun 
seinen Betatigungsdrang auf dem Weltmarkt zu befriedigen. An 
die Stelle des kleinbiirgerlichen Staatswesens, das seine Landes- 
kinder nicht ernahren konnte, war das grofzindustrielle Imperkim ge~ 
treten, das nur den einen Wunsch hatte, die Ausbeutungsmoglich« 
keiten standig zu erweitern. 

Den deutschen Weltmachtpoiitikern war es nunmehr nicht genug r 
dafz Deutschland die starkste Landmacht besafz, es sollte auch zur 
See die starksten Triimpfe ausspielen konnen. Die deutschen 
K o 1 o n i e n waren bisher nicht viel mehr als eine kostspielige Lieb- 

It 



haberei gewesen; nunmehr sollte Deutschland uberali dabei sein, wo 
es (iberhaupt noch Land aufzuteilen gab. Am 14. November 1897 
pachtete Deutschland den Hafen von Kiautschou, durch den man 
wertvolle Teile von China zu beherrschen und auszubeuten hoffte. 
Die Flottenvorlage von 1899 erklarte kurz und blindig: Deutschlands 
Schlachtflotte miisse so stark sein, dafz ein Krieg auch fiir den see- 
machtigsten Gegner mit derartigen Gefahren verbunden sei, dafz 
dessen eigene Machtstellung in Frage gestellt werde. 

Nach alien Gesetzen der imperialistischen Entwicklung mufzte 
diese Politik des , r Harisdampf in alien Gassen" England zum Feinde 
Deutschlands machen. In der Tat verscharfte sich der politische 
Gegensatz zwischen England und Deutschland immer mehr, je 
schneller die deutsche Regierung ihre Seeriistungsplane zu verwirk- 
lichen trachtete. Freilich bestand langere Zeit selbst in den imperiali- 
stischen Kreisen Englands die Neigung, mit Deutschland zu einer 
Verstandigung zu gelangen. Sowohl die Konservativen ium Chamber- 
lain, wie die Liberal en urn Grey ha'ben mancherlei in dieser Richtung 
unternommen. 

Dreimal wurde Europa durch die agressive Weltpolitik der deut- 
schen Regierung an den Rand des Weltkrieges gedrangt: in den 
Marokkokrisen von 1905 und 1911 und nach der Annexion Bos- 
niens durch Oesterreich 1909. Es kam in diesen drei Fallen noch 
nicht zum Ausbruch des Volkergemetzels, weil die eine oder die 
andere Macht zum Losschlagen noch nicht ffertig war; aber gerade 
durch die Verhinderung des Kriegsausbruchs glaubte der deutsche 
Imperialismus an der Durchfiihrung seiner mafzlosen Weltherrschafts- 
plane weiter arbeiten zu konnen. 

Der deutsch-englische Gegensatz begann, aber er hatte seine Wur- 
zeln nicht etwa in gegeneinander gerichteten w i r t s c h a f 1 1 i c h e n 
Interessen der beiden Lander, sondern in der unausgesetzt wachsen- 
den militarischen Bedrohung Englands und der ganzen Welt durch 
den deutschen Imperialismus. Vor dem Kriege hatte der A u fz e n - 
handel der vier wichtigsten kapitalistischen Lan- 
der der Welt folgende Entwicklung genommen. Der Anteil am 
Gesamtaufzenhandel der Erde betrug in Prozenten in 

1900 1902 1904 1906 1908 1910 



Deutschland . . . 


. 12 7 1 


11,4 


11,7 


12,5 


12,3 


12,0 


Frankreich . . . 


. 10,0 


9,4 


8,7 


8,9 


8,9 


9,4 


Grofzbritannien . . 


. 19,5 


18,6 


17,9 


17,5 


17,2 


16,9 


Vereinigte Staaten . 


. 10,3 


10,0 


9,8 


10,4 


10,3 


9,5 



Es ergibt sich aus dieser Aufstellung, dafz Englands Monopol- 
stellung auf dem Weltmarkt nicht allein von Deutschland bedroht 
worden war; man erkennt daraus aber auch die noch viel wichtigere 
Tatsache, dafz alle kapitalistischen Lander von demselben Schicksal 
ereilt werden: es kommt einmal der Tag, wo sie nicht mehr Waren, 
sondern Kapital exportieren und wo die Industriealisierung der jung- 
fraulichen Lander der Erde die Ausdehnung des eigenen Handels 
einschrankt. England hat seine Ausfuhr von Fertigiwaren in den 
letzten Jahren vor dem Kriege wesentlich mehr zu steigern ver- 
mocht als Deutschland, es hat also seine Industrie- und Handels- 

12 



interessen gegenuher Deutschland und den anderen hochkapitalisti- 
schen Staaten in anderer Beziehung zu wahren verstanden. Wesent- 
lich aber ist, dafz Deutschland und England ganzverschiedene 
A b s a t z g e b i e t e fur ihren Handel hatten. Im Jahre 1911 gingen 
von der deutschen Ausfuhr im Betrage von 8106,1 Millionen Mark 
6069,6 Millionen Mark oder 75 Prozent in europaische Lander, aliein 
nach Rufzland, Oesterreich, Ungarn und in die Schweiz 2025,5 Mil- 
lionen Mark oder 25 Prozent, die sich selbstverwaltenden englischen 
Kolonien Kanada, Australien, Neuseeland und Sudafrika erhielten 
damals von der deutschen Ausfuhr nur 178,8 Millionen Mark oder 
2,2 Prozent. Von der englischen Ausfuhr im Betrage von 
454 Millionen Pfund Sterling gingen im Jahre 1911 nach europai- 
schen Landern 163,6 Millionen Pfund oder 36 Prozent, nach Rufz- 
land, Oesterreich und der Schweiz 22,2 Millionen Pfund oder 
5 Prozent. Die Kolonien Kanada, Australien, Neuseeland und Siid- 
afrika erhielten von der englischen Ausfuhr 82,5 Millionen Pfund 
oder 18 Prozent. Wir sehen also, dafz England und Deutschland ihre 
Absatzmarkte schon so unter sich aufgeteilt hatten, dafz von einer 
Konkurrenz auf Leben und Tod keine Rede mehr sein konnte. 

Aber der Weltkrieg m u fz t e kommen, well die deutschen Impe- 
rialisten ihn haben wollten. Die Ermordung des Erzherzogs Franz 
Ferdinand in Serajewo bot nur den aufzeren Anlafz dazu; in Wirk- 
lichkeit war der deutsche Militarismus zum Losschlagen langst be- 
reit und im Juli und August 1914 sorgte er sich nur noch darum, 
dafz die Anstrengungen, den Ausbruch des Weltenbrandes auch 
diesmal noch zu verhindern, durchkreuzt wurden. 



13 



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Die Sozialdemokraiie vor dem Welikrieg. 

Die Formen der Agitation. — Die praktische Arbeit und der Reformist 
mus. — Umwandlung" axis einer revolutionaren zur reformistiscKesi 
Partei. — Die Vermehrung" der Wahlstimmen. — Wachsende Bedeu~ 
rung der Gewerkschaften. — Die Parteibureaukratie. — Der letzte 
Parteitag vor dem Kriege. — Die Stellung zur aulzeren Politik. 

Die deutsche Sozialdemokratie, wie sie sich uns foeim Ausbruch 
des Weltkrieges darstellte, war ein Kind i h r e s Zeitalters. 
Wir mogen ruckschauend noch so viele Fehler und Fleoken an ihr 
entdeoken, so hat sie doch ein unendliches Stuck Arbeit fur den Be~ 
freiungskampf des Proletariats geleistet Die revolutionaren Lirft- 
menschen von heute haben gut liber die Parteibureaukraten, uber 
die Funktionare und Bonzen von damals spotten; aber es war doch 
eine grofze Leistung des einzelnen wie der Gesamtorganisation, in 
nie ermudender Wdnksamkeit urn die Seele jedes Proletariers zu 
ringen, ihn in die Kaders der Arbeiterbewegung einzuordnen, aus 
dem klassenfixhlenden iden klassenbewufzten Arbeiter, aus dem Mit- 
laufer den Klassenkampfer zu formen. Wie leicht ist es heute, sich 
als Sozialist und als Revolutionar zu bekennen, wo selbst der an~ 
archistelnde Kommunasmus sozusagen zur Salonmode geworden ist; 
aber unendlich schwerer war es noch bis zum Kriegsausbruch, 
sozialdemokratische Flugfolatter in weltabgelegenen Dorfern zu ver» 
breiten, stets in Gefahr, mit Kniippeln und Hunden wieder hinaus~ 
gehetzt zu werden, oder in den Hinterhausern der Grolzstadte vier f 
funf Stockwerke hinauf und herab einen Sonmtag um den anderen 
Abonnenten fiir die Parteizeitungen zu werben. Achtung vor den 
Hunderttausenden von Sozialdemokraten, die Jahre- und jahrzehnte~ 
lang ihre Arbeit unverdrossen taten, namenlos und ohne auizere An- 
erkennung, trotzdem die Friichte ihrer Tatigkeit erst kommenden 
Generationen reifen zu sollen schienen! 

Gehen wir nicht leichthin uber diese Periode mit der Behauptung 
hinweg, sie sei eine Periode der Versumpfung, der Verbiirgerlichung 
der Partei gewesen. Wer erinnert sich nicht, was ihm die Partei in 
den langeren oder kiirzeren Zeiten seiner Mitgliedschaft bedeutet 

hat? Nicht nur die Hoffnung auf eine gKioklichere Zukunft, sondern 
schon die Erfuliung der Gegenwart: die Rettung aus der politischen 

Triibsal jener Tage, der Glaube an die Schopferkraft des Proletariats, 
die Brkenntnis von dem Werden einer neuen Welt An allem hatten 
wir gemeinschaftlichen Anteil: an der Arbeit im Kleinen, wie an dem 
Kampf im Grofzen; die Parteizeitung war ein Stuck unseres Ichs ? die 
Organisation bis zum kleinsten Bezirk und Zahlabend hinab eine' 

14 



lebendig gewordene Gemeinschaft Bebel, Singer, die grofeen und 
kleinen Manner, die fur die Partei sprachen: das war en keine Fiihrer, 
das waren die Massen, das waren wir selbst Ob es sich urn ein 
Zuchthausurteil gegen streikende Arbeiter, ob urn eine Aussperrung, 
ob urn eine parlamentarische Aktion, ob urn eine Wahl handelte: 
immer waren wir mit Herz und Seele dabei, denn es war doch un- 
sere Sache, die Sache der Partei, um die es hier ging. Eine Spal~ 
tung ware damals unausdenkbar gewesen. Wohl hat die Partei oft 
genug die heftigsten inneren Kampfe fiihren mussen, um Krankheits~ 
stofie wieder auszuscheiden; aber es waren nur Splitter und Fremd- 
korper, die entfernt werden mufzten, es schien, als ob das stoke 
Gebaude der Partei niemals zerfallen konnte. Der K r i e g erst mulzte 
kommen, um die Organisation der deutschen Arbeiter zu spalten 
und damit die Aktionskraft der deutschen Arfoeiterklasse zu lahmen. 
In seiner „Geschichte der deutschen Sozialdemokratie" wirft 
Franz M e h r i n g die Frage auf, wieso der Ref ormismus in der 
deutschen Sozialdemokratie habe entstehen konnen. Und er sagt 
dazu: „Diese Frage beantwortet sich durch die IXeberlastung der 
Partei mit praktischer Arbeit, die ihre Kraft im hohen Maize ver~ 
zehrte, durch ihr schnelles Wachstum, das die verschiedenartigsten 
Elemente aus den verschiedensten Schichten der iBevdlkerung zu~ 
fuhrte, durch die Bekehrung der burgerlichen Intelligenz, die immer 
lange zu ringen hat, ehe ihr die sozialistische Denkweise in alle 
Hirnfasern (ibergegangen ist, genug, aus einer Reihe von Umstanden, 
die zeitweise den groizen theoretischen Sinn verdunkelt haben, den 
einst Marx an dem deutschen Arbeiter ruhmte." In der Tat tragt 
die „praktische Arbeit" die Hauptschuld daran, dalz aus der Partei 
der proletarischen Revolution immer mehr eine Partei des sich radikal 
gebardenden Reformismus wurde. In der Theorie war die deutsche 
Sozialdemokratie revolutionar, sie verlangte den Sturz der bisherigen 
Gesellschaftsordnung und die Verwirklichung des Sozialismus; in der 
Praxis der taglichen Kleinanbeit aber nahm sie immer regeren Anteil 
an der Verfoesserung der augenblicklichen Zustande, an der Erleichte- 
rung der Lage der Arbeiter schon im Rahmen des kapitalistischen 
Staatswesens. Da die Zeit der gewaltsamen Revolutionen voiiiber 
zu sein schien, so war es erklarlich, dalz diese Kleinarbeit, diese re« 
formierende Tatigkeit immer mehr den alleinigen Inhalt des sozial- 
demokratischen Kampfes ausmachte, und dalz die Brwartung, der 
Sozialismus konnte auf revolutionarem Wege verwirklicht werden, 
nur noch bei feierlichen Gelegenheiten geaulzert wurde. Der badische 
Reformistenfiuhrer Kolb konnte denn auch in einer wahrend des 
Krieges erschienenen Schrift 77 Die Sozialdemokratie am Scheidewege" 
sagen: 

JDie Situation ist fur die Sozialdemokratie und fur die von ihr kiinftig 
zu betreibende Politik also vollig klar. Sie darf vor dem letzten Schritt 

ihrer Entwicklung von der sozialrevolutionaren Sekte zur politischen 
Partei nicht zuriickschreoken, sie imulz wagen, das zu scheinen, was sie ist: 
Eine sosialistisch-deinokratische Relormpartei^ 
deren politisbhe Mission es ist, die Geburtswehen der werdenden sozia« 
listischen Gesellschaft nach Moglichkeit zu mildern und -aibzukurzen." 

Dafz ^es dahin kommen konnte, dafz sich die alte Sozialdemokratie 
aus einer revolutionaren, den Klassenkampf gegen die Bourgeoisie 

15 



fiihrenden Parte! zu einer r e f o r m i s t i s c h e n P a r t e i, in eine die 
Arbeitsgemeinsahaft mit dem Kapitalismus anstrebende Bew<egung 
wandeln konnte, das lag nicht an ihren Fuhrern, sondern an der Ge~ 
staltung der wirtschaftlichen und politischen Verhaltnisse vor dem 
Kriege. Auch in der Geschichte der deutschen Sozialdemoikratie 
konnen wir z w e i P e r i o d e n unterscheiden. Die erste Periode, 
die bis zum Jahre 1890, dem Falle des Sozialistengesetzes reicht, 
fallt zusammen mit dem Karnpif der erstarkenden Industrie gegen die 
mckstandigen Produktionsmethoden. Bismarck glaubte durch die 
Anwendung brutaler Gewalt die zugleich mit dem Kapitalismus em- 
porkommende Sozialdemokratie so niederschlagen zu konnen, dafz 
sie unfahig wiirde, an der bisherigen Staatsverfassung zu riitteln. 
Das war fur die Sozialdemokratie die Zeit der blofzen Propa- 
ganda. Die Partei war schwach sowohl an Mitgliedern, wie an 
Vertretungen in den parlamentarischen Konperschaften. Die Orga- 
nisationen bildeten vorerst nur Stofztrupps, die Massen des Proleta- 
riats waren entweder politisch indifferent, oder sie segelten im Ge- 
folge des Liberalismus. Die Parteizeitungen waren damals nicht vie! 
mehr als periodisch erscheinende erweiterte Flugblatter. Im Reichs- 
tag wurden Reden zum Fenster hinaus gehalten, an die „praktische 
Arbeit" traute man sich noch nicht so recht her an. Aber die wirt- 
schaftliche Entwicklung, die em immer starker und selbstbewufzter 
auftretendes Proletariat schuf, sprengte die Fesseln des Sozialisten- 
gesetzes und stellte die Sozialdemoikratie vor neue, sofort zu losende 
Aufgaben. Je grofzer die Macht des llnternehmertums wurde, desto 
schneller mufzte die G e w e r k s c h a f t s b e w e g u n g sich aus~ 
breiten. Das Z i e 1 , die Verwirklichung des Sozialismus, trat in den 
Hintergrund, die Bewegung, der Kampf um solche Forderungen, 
die schon der Gegenwartsstaat erfiillen konnte, beanspruchte die 
grofzte Aufmerksamkeit. Die Stunde des Revisionismus, des Refor- 
mismus hatte geschlagen. 

Die Sozialdemokratie vermehrte sich unausgesetzt an Wahler- 
stimmen und an Mitgliedern; von Legislaturperiode zu Legislatur- 
periode wuchs die Zahl ihrer Reichtagsalbgeordneten und schliefz- 
lich, bei Beginn des Weltkrieges, zahlte die Partei im Reichstag 110 
Mandate, fast ein Drittel der ganzen Volksvertretung. Auch in den 
einzelstaatlichen Landtagen iwuchs der Einflufz der Partei trotz Drei- 
klassenwahl und Phiralstimmensystem; in die Stadtverordnetenver~ 
sammlungen und Gemeindevertretungen, selbst in die versteinerten 
Provinziallandtage drang immer stiirmischer der Wellenschlag unserer 
Bewegung. Noch viel schneller ging das Wachstum der Gewerk- 
schaften vor an; die Zeit war voruber, wo die Aiibeiter im Guerilla- 
krieg, bald hier, bald da vorstofzend, Teilerfolge zur Verbesserung 
ihrer wirtschaftlichen Lage erringen konnten. Auch die llnternehmer 
hatten sich gesammelt; die Arbeitgeber organisation en schossen 
wie Pilze aus dem Boden und an ihre Seite stellten sich noch be- 
sondere Antistreikversicherungen. So mufzte von selbst den Ar- 
beit ern die Erkenntnis von der Notwendigkeit grofzer, zentralisierter r 
vermogensstarker, jederzeit kampffahiger, aber auch verhandlungs- 
bereiter Organisationen eingehammert werden. Schliefzlich kam 
noch die K o n s u m v e r e i n s b e w e g u n g hinzu, die dem Ar- 
beiter als Verbraucher beistehen und ihn durch die Errichtung eige- 

16 



ner Produktionsstatten fur wichtige Lebensbediirfnisse vom Kapita- 
lismus vollstandig unabhSngig machen wollte. Dies£n drei Haupt- 
stromungen der deutschen Arbeiterbewegung reihten sich noch jene 
mannigfachen Organisationen an, die den Arbeiter auch auf den 
Gebieten der K u 1 1 u r , der Korperbildung, der Erholung selbstandig 
machen wollten. 

So rnufzte sich denn das Wesen der Soziaidemokratie im letzten 
Vierteljahrhundert vor dem Weltkriege vollstandig verandern. Die 
Form bestimmte immer mehr den I n h a 1 1 des Parteigefafzes, die 
praktische Arbeit fiir den Alltag verdrangte den Kampf fur die Zu- 
Icunft. In den Organisationen der Parte], der Gewerkschaften, der 
Konsumvereine, der Volksfursorge, der Krankenkassen, all der ande- 
ren Vereinigungen der Arbeiterbewegung safeen Tausend«e von An- 
gestellten, „Beamten", deren Sinn darauf gerichtet sein mufzte, das 
fhnen anvertraute Gut an Kassen und Sachen zu wahren und zu 
mehren. Es mag 'ttnter ihnen rnanchen gegeben haben, der aus 
Angst urn die eigene Existenz jede sprunghafte Veranderung, jedes 
Abweichen von dem Boden des einmal Gegebenen zu verhindem 
suchte. Aber das waren doch nur Ausnahmen; in der Regel waren 
und sind diese Angestellten, die die Parte!- und Gewerkschafts- 
bureaukratie vorstellen, lautere Charaktere, die sich im Laufe der Zeit 
trotz karglicher Bntlohnung ein ganz respektables Wissen auf ihren 
Spezialgebieten angeeigrtet haben. Urn so sohadlicher mufzte es aber 
auf die ganze Bewegung wirken, dafz diese Angestellten zurn grolzen 
Teil infolge ihrer Arbeitsbeschrankung in ihren besonderen Wissens- 
gebieten verknocherten oder von ihrer beruOiohen Tatigkeit so in 
Anspruch genommen wurden, dafe sie den Blick fiir die grolzen Zu- 
sammenhSnge verlieren muizten. Sie sorgten sich um die Bewaltigung 
ihres Tagespensums, vergafeen daruber aber den re volutionaren Kampf 
um die Verwirkiichung des Sozialismus. Die ihrer Leitung unter- 
stellten Organisationen muizten naturgemafe aus einem Mittel zum 
Zweck zum Selbstzweck werden. Aus den Verwaltern der Organi- 
sationen wurden Leiter und schwer kontrollierbare Fiihrer. 

Erkennt man die ZwangslHufigkeit dieser Entwicklung an, so wird 
man die Schuld damn, dafe der Ausbruch des Weltkrieges keine re« 
volutionare, sondern erne reformistische Sozialdemokratie vorfand, 
nicht bei den Fiihrern und bei der Parteibureaukratie suchen, son- 
dern sie aus der Gestaltung der allgemeinen wirtschaftlichen und 
politischen Verhaltnisse erklaren. Revisionisms, Reformismus, 
Opportunismus sind eben keine Kunstprodukte, sondern die Brgeb- 
nisse der jeweiligen Zustande der kapitalistischen Gesellschaft. Wenn 
seit 1918 der Glaube, nur durch brutale Mittel konne der Sozialis* 
mus verwirklicht werden, wieder starkeren Widerhall bei den Ar- 
beit ern fand, so 1st das nicht das Ergebnis der Gedankenarbeit von 
Einzelmenschen, sondern eine Folge des Weltkrieges. Es handelt 
sich also auch heute nur um den geistigen Ausdruck gegebener 
wirtschaftlicher und politischer Verha'ltnisse. Dem durch die Schule 
des wissenschaftlichen Sozialismus geschrittenen Arbeiter aber ziemt 
es, nicht vom Wind und den Wellen der Zeit sich umherschleudern 
zu lassen, heute nur an die mildere, morgen nur an die brutale Form 
der Revolution zu glaubeh r sondern von dem immer gegeibenen Boden 

2 17 



des Klassenkampfes ausgehend a 1 1 e Mitiel zu beniitzen, urn das 
Ziel, die Beseitigung der Lohnknechtschaft und die Umwalzung der 
kapitalistischen Produktionsweise in die sozi&listische Bedarfswirt- 
schaft, zu erreichen. 

Die weltwirtschaftliche Prosperdtat, an der seit 1890 auch Deutsche 
land erheblichen Anteil nahm, hatte die deutsche Arbeiterklasse 
zahlenmafzig gewaltig vermehrt, und trote aller Verfolgungen wuch- 
sen unausgesetzt ihre Qrganisationen. Karl Radek hat im Fe~ 
bruar 1919 in einem Artikel zum Gedachtnis von Karl Liebknecht 
in der Moskauer „Iswestija" zutreffend folgendes uber diese Zeit 
geschrieben: 

7r Es begann der 7/ neue Kurs", der Versuch, die Arbeiterklasse durch 
soziale Zugestandnisse zu gewinnen, und obwohl -er aufzerlich bald einem 
neuen scharfen Kvlvs. wich r so war doch der Sinn dieser Epoche der r dafz, 
wahrend der erstarkende Kapitalismus den Massen der qualifizierten Ar- 
beiter ertraglichere Lebensbedingungen gewahrte, er sie dadurch vom 
scharfen revolutionaren Kampfe zuriickhielt. Nach aufzen hin bekam der 
Sozialismus „rote Backen". Die Parteiorganisationen wuchsen, die Ge~ 
werkschaften bluhten auf. In den Zahlabenden und auf den Parteitagen 
wurden revolutionare Resolutionen angenommen. In der Praxis aber 
wurde der Kampf nur f u r kleine Verbesserungen der m a t e ~ 
riellen Lage der Arbeit er 7 nicht fiir die revolutio 
naren Umwalzungen gef iihrt. Und da Taten fiir den Charakter 
einer Parte! ebenso malzgebend sind, wie sie den Charakter eines Men* 
schen bestimmen r so wurde die Sozialdemokratie eine Partei der 
Reform und nicht der Revolution, mochte sie noch so revolutionaru 
Worte gebrauchen." / 

Den 1 e t z t -e n Partei tag vor dem Kriege hielt die Sozial- 
demokratie 1913 in Jena ab. Aeufzerlich gewahrte die Partei ein 
eindrucksvolles Bild. Die letete Reichtagswahl hatte ihr A% Mil- 
lionen Stimmen eingebracht, sie musterte eine Million Parteimit- 
glieder, sie verfugte liber 90 Tageszeitungen, 110 Abgeordnete 
safzen im Reichstag. Aber dieser Parteitag zeigte auch deutlich, dafz 
der Reformismus in der Sozialdemokratie gesiegt hatte. In der inne- 
ren Politiik hatte die Sozialdemokratie sich vollstandig den gegebenen 
Verhaltnissen angepafzt. Sie war zu einem auch von den Gegnern 
schon vielfach anerkannten Tell des Staatsgianzen geworden. Sie 
beteiligte sich lebhaft an dem Ausbau der Sozialgesetzgebung, sie 
forderte die Reform im Schulwesen, sie bewilligte in einigen Einzel- 
staaten die Budgets, auch wenn diese arheiterfeindiichen Charakter 
trugen, ja, es wurden schon Steuern auch fiir vofefeindliche Zwecke 
bewilligt r wenn dadurch scheinbar eine Belastung des Besitzes erzielt 
werden konnte. Die Fragen des Staatsrechts spielten in der Agita- 
tion fast ikeine Rolle meihn In dem zuletzt im Jahre 1911 erschiene- 
nen T9 H a n d b u c h I ii r s o z i a 1 d e m o k r a t i s c h e W a h 1 e r " 
heifit es tiber ^Revolution und Umstura": 

r J)ie Sozialdemokratie steht auf dem Bod en der Entwicklung; 
sie geht von der Ansicht aus r dalz kedn neuer politischer oder sozialer 
Zustand dauernd geschaffen werden kann / wenn nicht alle Bedingungen 
fiir seine Existenz vorhanden sind und zugleich der neue Zustand einem 
allgemeinen Bediirfnis groizer Ge , s^llschaftsschichten entspricht." 

IS 



Das Handbuch beruft sich claim auf Ausspriiche von Lassalie, 
Marx, Engels und Bhmtschli, urn zu folgendem Schlufz zu kommen: 

,J)ie Sozialdemokratie weifz, dafz sie ahren Feinden den grofzten Ge» 
fallen erwiese, wollte sie zur Gewalt a u f r e i z e n £ sie wird aber 
ihren Feinden diesen Gefallen nicht tun. Ihr Ziel 1st mcht, die Fauste 
auf ihre Seite zu bekommen, sondern die Kopfe, und gegen eine Mehr* 
heit einsichtiger Kopfe, die ein klares Ziel vor Augen haben, kann auf 
die Dauer keine Macht der Welt aufkommen/* 

60 mufzten die Arbeiter immer mehr der Auffass.ung zuneigen, dafz 
nur noch fried 1 i c h e V >e r a n d e r u n g e n rnoglich seien, 
dalz gewaltsame Umiwalzungeh nicht mehr kommen wiirdem Mit 
dem Stimmzettel wurde man die politische Macht erobern; daher sei 
es nur notwendig, sich an den Warden zu beteiligen und die Za'hl 
der sozialdemokratischen Wahler unausgesetzt zu steigern, urn von 
selbst in den sozialistischen Staat hineinzuwachsen. 

Nur in der aufzeren P o 1 i t i k trat die Partei radikaler auf. Auf 
den Parteitagen und in den grofzen Versammlungen wurden regel- 
mafzig Resolutionen gegen den Militarismus, gegen den Imperialism 
mus und die Kriegsg'efahr angenommen. Die Partei zeigte der herr- 
schenden Klasse, was ihrer harre, wenn sie die die ganze Welt be- 
drohenden Heeresrustungen unaufhorlich fortsetze. Wie prophe- 
tisch klingen doch die Worte, die August Bebel im Reichstag 
in der Marokko-Debatte des Jahres 1911 in die Welt geschleudert 
hat! Er zeigte erst, wie das Wettriisten dem unausbleiblichen Ende, 
dem Zusammenprall der kapitalistischen Machte zutreibe, und dann 
rief er aus: 

„Dann kommt die K a t a s t r o p h e. Alsdann ward in Europa der 
grofze Generalmarsch geschlagen, auf den hin 16 bis 18 Million 
nen Manner, die Brute der verschiedenen Nationen, ausgerustet mit den 
best en Mordwerkzeugen, gegen einander als Feir.d ins Feld rucken. Aber 
nach meiner Ueberzeugung steht hinter dem grolzen Generalmarsch der 
g r o iz e K 1 a d d e r a d a t s c h. Er kommt nicht durch uns, er kommt 
durch Sie selber. Sie treiben die Dinge auf die Spitze, Sie fiihren es zu 
einer Katastrophe, Sie werden erleben, was wir heute nur im allerkieinsten 
Malzstabe erlebt haben. Die Gotterdammerung der b u r g e r ~ 
lichen Welt ist im Anzuge. Sei en Sie sicher: sie ist im Anzugl 
Sie stehen heute auf dem Punkte, Ihre eigene Staats~ und Gesel!schafts« 
ordnung zu untergraben, Ihrer eigenen Staats« und Gesellschafisordnung 
das Totengl5cklein zu lauten. Was wird die Folge sein? H i n t e r 
diesem Kriege steht der Mas'senbankerott, steht das 
Massenelend, steht die Massenarheitslosigkeit, die 
^rofee Hungers n o t Das wollen Sie hestreiten? Jeder, der die 
Dinge objektiv ubersiehi, kann sich der Richtigkeit dessen nicht entziehem 
was ich hier ausfuhre. Was bat denn schon das bifzchen Marokkofrage 
in diesem Sommer erzeugt? Den bekan.nten Run auf die Sparkassen, den. 
Sturz aller Papiere ? die Aufregung in den Banken! Das war erst ein 
■kleiner Anfang ? es war gegen die Wirklichkeit nichtsl Wie wird das erst 
werden,, wenn der Ernstfall eintritt? Dann werden Zustande hervorge« 
rufen werden r die Sie allerdings nicht haben wollen, die aber mit Not« 
wendigkeit kommen — ich wiederhole: nicht durch unsere Schuld, durch 
Ihre Schuld, Lernt, Ihr seid gewarntl" 

Was Bebel hier vorausgesagt hat, ist wortlich eingetroffen, Aber 
nicht eriiillt hat sich seine Ueberzeugung, dalz die Sozialdemokratie 

2* 19 



sich deirt Sturm gewachsen geigen werde, Freilich, die vom Partem 
vorstand noch im Jahre 1912 nerausgegebene Broschiire r ,Impe« 
rialismus oder So^ialismus?" schlofe mit folgenden 
Worten: 

r JSo wachst sich der Kampf gegen den Imperialisms immer mehr zum 
Entscheidungskampf zwischen Kapital und Arbeit aus. Kriegsgefahr, 
Teurung und Kapitalismus — Friede, Wohlstand fiir alle, Soziafismus! 
So ist die Frage gestellt. Grolzen Entscheidungen geht die Geschichte 
entg-egen. Unablassig mulz das Proletariat an seiner welthistorischen 
Aufgabe arbeiten, die Macbt seiner Organisation, die Klarheit seiner Er« 
kenntnis schSrfen. Moge dann kommen, was da will, mag es seiner Kraft 
gelingen, die furchterlichen Greuel eines Weltkrieg-s der Menschheit zu 
ersparen, oder mag die kapitalistische Welt nicht anders in die Ge« 
schichte versinken, wie sie aus ihr geboren war, in Blut und in Gewalt: 
die historische Stunde wird die Arbeiterklassebereit 
find en und bereit sein, ist alles." 

Wir miissen heute bekennen: die historische Stunde hat die 
deutsche Arbeiteiiklasse und ihre Organisation, die Sozialdemokra* 
tische Partei, nicht bereit g e f u n d e n. Wie sie auf den Ge~ 
bieten der inneren Politik sich mit den bestehenden Verhaltnissen 
ausgesohnt hatte und nur noch die „Auswuchse" des Kapitalismus 
bekampfte, so dankte sie bei Kriegsausbruch auch in der aulzeren 
Politik an die berrschenden Gewalten ab. Die reformistische Rich- 
tung hatte auf der ganzen Linie gesiegt Die kapitalistisch-imperiali- 
stische Entwicklung schien auf ihrem Hohepunkt angekommen zu 
sein, indem die Sozialdemokratie sich in den allgemeinen Burgfrie* 
den einfitgte, den Klassenkampf aufsagte und sich als wahrhaft 
„nationale" Partei dem Heerbann der Bourgeoisie anschlolz. 



20 



<3B25^e©2^<S»S5e<S«B6<3SJ S55)QSaP&<SBS5)<eKi!St)<eK^) 



Der 4. August 1914. 



Der Kriegsvorwand der dsterreichischen und deutschen Kiiegstreiber. — 
Aufruf des Parteivorstands gegen den Krieg. — Zusammentritt des 
internationalen sozialistischen Bureaus. — Schwenkung in der Partei. — 
Bewilligung der Kriegskredite. — Die Erklarung der sozialdemokrati« 
schen Reichstagsfxaktion. — Die ersten Gegensatze, 

!m September 1914 sollte der Internationale So« 
zialistenkongreiz in Wien, etwas spater der Parteitag 
derdeutschen Sozialdemokratiein Wiirzburg stattf inden. 
Die friedlichen Vorbereitungen fur diese Tagungen wurden durch 
den wiiden Kriegslarm unterbrochen. Der osterreichischen Militar- 
clique war der Thronfolgermord sehr gelegen gekommen. Sie wollte 
den Krieg und verhinderte durch ihr hinterh&ltiges diplomatisches 
Trugspiel eine schiedliche Beilegung des neuen osterreichisch-serbi- 
schen Konfliktes. Die Wiener Regierung richtete am 23. Juli ihr 
Ultimatum an Serbien, das nichts anderes als die Niederknuppelung 
feden Versuchs war, den Kriegsausbruch zu verhindern. Selbst das 
Blatt der Zechenbarone, die „R h e i n i s c h ~ W e s t f a 1 i s c h e 
Z e i t u n g'\ erklarte: 

JDas dsterreichisch«ungarische Ultimatum ist nichts als ein 
Kriegsvorwand, aber diesmal ein gefahrlicher. Wie es scheint, 
stehen wir dicht vor einem 6sterreichisch~serbischen Kriege. Es ist mog« 
lich 7 daiz wir osteuropaische Brande mit Gewehren l5schen aus Ver« 
tragen oder aus dem Zwange des Tages. Aber es ist ein S k a n d a 1 , 
wenn die Reichsregierung nicht in Wien verlangt hatte, daiz solche End« 
gebote ihr vorher vorgelegt werden. Heute bleibt nur eines ubrig, zu 
erklaren: Fur Kriege der habsburgischen Eroberungs* 
politik sind wir nicht verpflichte t." 

Auch die sozialdemokratische Presse durchschaute selbstverstand- 
lich die Absichten der osterreichischen Kriegstreiber und sie machte 
gleichfalls die deutsche Regierung fur alle kunftigen Schritte Gester- 
reichs mitverantwortlich. Am 25. Juli erlielz der Parteivor- 
stand folgenden Aufruf: 

„Noch dampfen die Aecker auf dem Balkan von dem Blute der zu 
Tausenden Hingemordeten, noch rauchen die Triimmer verheerter St&dte, 
verwiisteter Dorfer, noch irren hungernd arbeitslose Manner, verwitwete 
Frauen und verwaiste Kinder durchs Land und schon wieder schickt sich 
die vom dsterreichischen Imperialismus entfesselte Kriegsfurie an, Tod 
und Verderben iiber ganz Europa zu bringen. Verurteilen wir auch das 
Treiben der groiz-serbischen Nationalisten, so fordert doch die frivole 
Kriegsprovokation der 6sterreichisch-ungarischen Regierung den sch&rf« 
stenrrotest heraus. Sind doch die Forderungen dieser Regierung so brutal, 

21 



wia sie in der Weltgeschichte noch nie an einen selbstandigen Staat 
ge&tellt sind und konnen sie dock nur darauf berechnet sein, den Krieg 
geradezu z u provozieren. Das klassenbewu&te Proletariat 
Deutschlands erhebt im Namen der Menschlichkeit und der Kul* 
tur flammenden Protest gegen dieses verbrecherische Treiben der 
Kriegshetzer. Es fordert gebieterisch von der deutschen Regierung,, dalz 
sie ihren Einflufz auf die osterreichische Regierung zur Aufrechterhaltung 
des Friedens ausube 7 und, falls der schandliche Krieg nicht zu verhdndern 
sein sollte, sich jeder kriegerischen Einmischung e n t « 
K a 1 1 e. Kein Tropf en Blut eines deutschen Soldaten darf dem Macht- 
kitzel der osterreichischen Gewalthaber, den imperialistischen Profit* 
interessen geopfert werden. Parteigenossen 7 wir fordern euch auf 7 sofort 
in Massenversammlungen den unerscbutterlichen Friedenswillen des 
ktessenbewufzten Proletariats zum Ausdruck zu bringen. Eine ernste 
Stunde ist gekommen 7 ernster als irgendeine der letzten Jahrzehnte. 
Gefahr ist im Verzugel Der Weltkrieg drohtl Die herrschenden 
Klassen 7 die euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch 
als Kanonenfutter milzbrauchen. Ueberall mufz den Gewalthabern in den 
Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg I Nieder mit dem 
Kriegl Hoch die international VSlkerverbruderun gV* 

Am 29. Juli trat in Brussel noch einmal, zum letzten Male, das 
inter n a tionale sozialistische Bureau zusammen, 
urn von den Vertretern aller durch den Weltkrieg bedrohten Nationen 
Brklarungen liber die politische Lage in ihren Landern entgegen- 
zunehmen. In einem einstimmig gefaizten Beschluiz forderte es die 
Proletarder aller beteiligten Nationen auf 7 die Kundgebungen fur den 
Frieden nicht nur fortzusetzen, sondern zu verstariken. Das deutsche 
und franzosische Proletariat sollte kraftvoller als je auf seine Re- 
gierungen in dem Sinne einwirken, dalz Deutschiand auf Oesterreich 
einen malzigenden Einflufz ausube und dalz Frankreich bei Rulzland 
bewirke 7 dalz es sich nicht in den Konflikt einmenge. Die Prole- 
tarier Groizbritanniens und Italiens sollten diese Bestrebungen aufs 
energischste unterstutzen. Die Sitzung des Bureaus beschloiz, sofort 
einen linternationalen Kongrelz nach Paris einzuberufen, der den 
entschlossenen Friedenswillen des ges&mten Proletariats der Welt 
zum entschiedenen Ausdruck bringen sollte. Wenige Tage spater 
brach der Krieg aus r der Kongrelz konnte nicht mehr abgehalten 
werden. Aber im Anschlulz an die Sitzung des internationalen Bu- 
reaus wurde in Brussel eine gewaltige Fried enskundgebung 
veranstaltet, an der viele Tausende von Arbeitern teilnahmen und 
den Rednern der Internationale sturmische Ovationen bereiteten. 

Der Kriegsausbruch «aber war nicht mehr aufzuhalten. So 
unfahig sich die deutsche Regierung zu ernster Friedens arbeit zeigte, 
so geschickt verstand sie es jetzt, den patriotischen Taumel zu wecken 
und auch die proletariischen Massen in den Wirbel zu ziehen. Die 
Regie der Kriegstreiber siegte iiber den Friedenswillen der Arbeiter- 
schaft Und in den letzten Tagen des Juli schon waren die reformi- 
stischen Staatsma'nner aus den Reihen der Sozialdemokratie bereit, 
der Regierung des Krieges durch den Ozean von -Blut und Tranen 
zu folgen. wahrend die Arbeiter noch Riesenkundgebungen gegen 
den Krieg veranstalteten, schrieb Friedrich Stampfer, der 
spa'tere Chefredakteur des 7r Vorwarts", in einem Korrespondenzartikel 
in der Parteipresse der Provinz: , 7 Wenn die verhMngnisvolle Stunde 



tschlagt, werden die Arbeiter das Wort einlosen, das von ihren Ver- 
tretern fur sie abgegeben worden ist. Die vaterlandslosen 
Gesellen werden ihre Pflicht e r f u 1 1 e n und sich darin 
von den Patrioten in keiner Weise iibertreffen lassen." 

Nach den bisherigen offentlichen Kundgebungen der Partei be- 
stand fur die Genossen lira Lande kein Zweifel daruber, dafz die sozial- 
demokratische Reichstagsfraktion die Kriegskredite ablehnen wiirde. 
Am 31. Juli war der Kriegszustand erklart worden, die Presse durfte 
nicht mehr frei reden, Versammhmgen konnten nicht mehr veran- 
staltet -werden, die brutale Faust der militarischen Machthaber hatte 
sich auf das offentliche Leben Deutschlands gelegt. Am 1. August 
kam die Meldung, dafz J a u r e s , der Fuhrer der franzosischen So- 
zialisten, der grolze Fried ensfreund, von einem Mordbuben m e u c h « 
lings g e t 6 t e t worden war. Eine Zeit der ungeheuersten- Span- 
nung und der tiefsten seelischen Depression! Alles blickt nach Ber- 
lin, wo am 3. August die entscheidende Fraktions- 
s & t z u n g stattfand. Die Verweigerung der Kredite fur den Krieg 
war nunmehr die eindge Gelegenheit, den herrschanden Kiassen zu 
zeigen, dalz das Proletariat .auch in dieser Stunde nichts mit ihrer 
Politik zu tun haben wolle. Aber es kam anders. Die Reichstags- 
fraktion beschloiz rait grolzer Mehrheit, die Kredite zu be« 
w i 1 1 i g e n, Es war, wie der Kriegspatriot Konrad Haenisch 
zwei Jahre spater schrieb, ein „in seiner Art schlechter dings beispiel- 
loser Prontwechsel". In dem Vorwort zu seinem Buch Ober die 
Reichstagsreden gegen die deutsche Kriegspolitik sagte Hugo 
Haase von jenen Stunden: „Verwirrt und enttauscht schauten die 
Wurzelfesten auf die Fuhrer, diese schwammen mit dem Strom/' 
Die Arbeiter in dem Lande wuizten in der Tat zuerst nicht, was sie 
mit diesem Ereignis beginnen sollten. Batten unsere Reichstags- 
abgeordneten besondere Iniformationen von der Regierung erhalten, 
die sie davon iiberzeugen mulzten, dalz die unbedingte Unterstiitzung 
der deutschen Kriegspolitik zur Verteidigung des von alien Seiten 
langegriffenen Vaterlandes geboten sei? Ach nein, die Fraktion an 
ihrer Gesamtheit hatte schon damals erkennen konnen, dalz es sich 
um den Beginn eines Eroberungskrieges handelte, fiir 
dessen Ausbruch die deutsche Regierung in vollem Umfange ver~ 
antwortlich zu machen war. Am 4. August legte die deutsche Re- 
gierung dem Reichstag ein Weiizbuch vor, aus dem fiir jeden, der 
sehen w o 1 1 1 e , die Kriegsschuld der deutschen Regierung klar vor 
Augen trat Aber die Mehrheit der Fraktion w o 1 1 1 e nicht sehen, 
sie glaubte an das MSrchen von dem ruchlos ixberfallenen Deutsche 
tend. Mit vollem Recht stellte Rosa Luxemburg in ihrer 
Juniusbroschure folgendes fest: 

,J)as Weifzbuch erklart uns kiipp und Mar: 1. dalz die osterreichi&che 
Regierung vor ihrem Schritt gegen Serbien Deutschlands Einverstandnis 
eingeholt hatte; 2. dalz die deutsche Regierung sich vollkommen bewufet 
war, dalz das Vorgehen Oesterreichs zum Kriege mit Serbien und im 
weiteren Verfolg zum europaischen Kriege f uhren wiirde; 8. dalz 
die deutsche Regierung Oestereich nicht zur Nachgiebigkeit net, sondern 
umgekehrt erklarte, dalz ein nachgiebiges, geschwachtes Oesterreich kein 
wurdiger Rundesgenosse mehr fiir Deutschland sein kdnnte; 4. dalz die 
deutsche Regierung Oesterreich vor dessen Vorgehen gegen Serbien auf 



alle Falle den Beistand im Kriege fest zugesichert hatte, und endlioh 5., 
daiz die deutsche Regierung sich bei all dem die Kontrolle iiber das ent« 
scheidende Ultimatum Oesterreichs an Serbien, an dem der Weltkrieg 
hing, nicht vorbehalte, sondern Oesterreich v 5 1 1 i g freie Hand 
g elassen h a 1 1 e." 

Das alles erfuhr unsere Reichstagsfraktion am 4.. August. Und noch 
eine neue Tatsache erfuhr sie aus dem Munde der Regierung am 
gleichen Tage: dalz die deutschen Heere bereits in Belgien e i n ~ 
marschiert waren. Aus alledem aber schloiz die Mehrheit der 
Fraktion, dalz es sich um einen Verteidigungskrieg Deutschlands 
gegen eine fremde Invasion, um die Existenz des Vaterlandes, um 
Kultur und einen Freiheitskrieg gegen den russischen Despotismus 
handelel Konnte der wirkliche Hintergrund des Krieges und die inn 
notdurftig verdeckende Kulisse, konnte das ganze diplomatische Spiel, 
das den Kriegsausbruch umrankte, das Geschrei von der Welt von 
Feinden, die alle Deutschland nach dem Leben trachteten, es 
schwachen, erniedrigen, unterjochen wollten, konnte das alles fur 
die deutsche Sozialdemokratie eine Ueberraschung sein, an ihr 
Urteilsvermdgen zu hohe Anforderungen stellen? Aber nur 
eine Minderheit von 14 Abgeordneten erkannte den 
wirklichen Sinn des Krieges und stimmte in der Fraktion gegen 
die Bewilligung der Kredite. In der Sitzung des Reichs« 
tages vom 4. August gab dann Hugo H a a s <e im Auftrage der 
Fraktion folgende Erklarung ab: 

„Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistic 
schen Politik, durch die eine A e r a des Wettrixstens herbeigefuhrt 
wurde, und die Gegensatze zwischen den Volkern sich verscharften, sind 
wie eine Sturmflut uber Europa hereingebrochen. Die Verantwortung 
hierfur fallt den Tragern dieser Politik zu, die wir ablehnen. Die Sozial** 
demokratie hat diese verhangnisvolle Entwicklung mit alien Kraften be- 
kampft und noch bis in die letzten Stunden hinein hat sie durch macht« 
voile Kundgebungen in alien Landern, namentlich in innigem Einverneh* 
men mit den franzosischen Briidern, fiir dieAufrechterhaltung 
des Friedens gewirkt. Ihre Anstrengimgen sind vergeblich ge« 
wesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. 
Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht fiir oder 
gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern iiber die Frage 
der fiir die Verteidigung* d^s Landes erforderlichen Mittel. Nun haben 
wir zu denken an die Millionen Volksgenossen, die ohne ihre Schuld in 
dieses Verhangnis hnieingerissen worden sind. Sie werden von den Ver« 
heerungen des Krieges am schwersten getroffen. Unsere heilzen Wiinsche 
begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Briider ohne Unterscbied der 
Partei. Wir denken auch an die Mutter, die ihre Sdhne hergeben miissen, 
an die Frauen und Kinder, die ihres Ernahrers beraubt sind, denen zu der 
Angst um ihre Lieben die Schrecken des Hungers drohen. Zu ihnen 
werden sich bald Zehntausende verwundeter und verstummelter Kampfer 
geselleh. Ihnen alien beizustehen, ihr Schicksal zu erleichtern, diese un« 
ermefzliche Not zu lindern, erachten wir als zwingende Pflicht. Fiir unser 
Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Sieg des russi« 
schen Despot ismus, der sich mit dem Blute der Besten des eige~ 
nen Volkes befleokt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt diese 
Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhangigkeit des eigenen 
Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer 
betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das Vaterknd 

24 



nicht Im Stick. Wir fuhlen uns dabei im Einklang mit der Internationale, 
die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbstandigkeit. und Selbstver* 
teidigung jederzeit anerkannt hat, wie wir in llebereinstimmung mit ihr 
jeden Eroberungskrieg verurteilen. Wir hoffen, daiz die grau- 
same Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem 
Kriege wecken und sie fur das Ideal des Sozialismus und des Volker« 
friedens gewinnen wird. Wir fordern, daiz dem Kriege, sobald das Ziel 
der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, em 
Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den 
Nachbarvolkern ermogiicht. Wir fordern dies im Interesse nicht nur der 
von uns stets verfochtenen Solidaritat, sondern auch in dem Interesse des 
deutschen Volkes. Von diesen Grundsatzen geleitet, bewilligen wir 
die geforderten Kredit e." 

In dieser Sitzung des Reichstages unterwarfen sich bis auf Ge~ 

nossen Fritz K u n e r t , der sich an der Abstimmung nicht be~ 

teiligte, alle Abgeordneten der Sozialdemokratie dem bisher ublichen 

Fraktionszwang, so daiz nach aufzen der Eindruck der einstimmigen 

Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion zu den Kriegskredi- 

ten hervorgeruf en wurde. Hugo Haase, der in der Fraktion s- 

sitzung vom 3. August die Bewilligung der Kredit e am heftigsten 

bekampfte, liefz sich aus Parteidisziplin dazu bewegen, in der Sitzung 

des Reichstages die Erklarung der Fraktion als ihr Vorsitzender und 

als Vorsitzender der Partei vorzulesen. 

In seinem schon erwahnten Buch schreibt Haase ixber jene Tage: 

, ? Die wenigen unter ihnen 7 (den Fiihrern) die den alten Grundsatzen die 

Treue bewahrten, trennten sich aus Solidaritatsgefuhl nicht von 

ihren Kampfgenossen. So entstand das Bild einer einzigen burgfried- 

lichen Sozialdemokratie. In Wahrheit off enbarten sich schon beim 

Ausbruch des Krieges starke Gegensatze innerhalb 

der Sozialdemokratie, die bis dahin latent geblieben waren. 

Mit 13 Fraktionsgenossen forderte ich am 4. August 1914 in der Fraktion 

die Ablehnung der Kriegskredite als Konsequenz unserer prinzipiellen 

Gegnerschaft gegen das herrschende System, dem die Verantwortung 

fiir den imperialistischen Krieg zuzuschreiben sei. Die Mehrheit der 

Fraktion bestritt, dafz die deutsche Regierung auf Eroberungen ausgehe 

und stimmte fiir die Bewilligung der Kriegskredite, bekundete aber den 

Entschluiz, dafz 77 Mls der Krieg den Charakter eines Eroberungskrieges 

annehmen sollte", der entschiedenste Widerstand geleistet werden miisse. 

Da nach einer festen Tradition die Fraktion ' im Reichstag e stets 

geschlossen auftrat, die Minderheit sich der Mehrheit fugte, so wurde in 

der Reichstagssitzung vom 4. August fur die gesamte Fraktion eine ein« 

heitliche Erklarung abgegeben." 

Karl Liehknecht hat die Tage urn den 4. August 1914 in 
einer wahrend des Krieges verbreiteten Sennit „Klassenkamp£ gegen 
den Krieg", folgendermalzen geschildert: 

„In der Fraktionssitzung ergriff David als erster das Wort. Er meinte, 
der Augenblick gebiete, sich von iiberkommenen Vorstellungen loszu~ 
sagen und umzulernen; die Sozialdemokratie werde in dieser Zeit 
noch in vielen Dingen umlernen miissen. Er beantragte im Namen der 
Mehrheit des Fraktionsvorstandes die Bewilligung der Kredite; sie moge 
mit einer Erklarung motiviert werden — • aber mit einer Erklarung, oie 
alle Polemik vermeide, die sich ohne Vorbehalt schlechthin mit der 
Regierung und alien burgerlichen Parteien solida* 
ri-s ch e r k 1 a r e — was dera Gigs der Bewilligungsfrexinde immerhin 



zu weit ging. Fur die Bewilligung wurden u. a. die angeblichen feind* 
lichen Invasionen von Ost und West ins Feld gefuhrt, Grenzgeplankel, 
denen wichtige deutsche Angriffshandlungen gegeniiberstanden (z. B. 
Besetzung des neutralen Luxemburg, Beschielzung von Libau 7 die Vor« 
bereitung zum Ueberfall auf Belgien, die freilich damals dem deutschen 
Volk noch verschwiegen wurde). Man horte die Parole: 7 ,Gegen den 
Zarismus", Bebels Flintenrede 7 die stereotyp gewordenen literarischen 
^Beweise". Es hielz weiter u. a.: „Der Volksstiminung diirfen und 
konnen wir uns nicht entgegenwerfen; Jaures Ermordung und die (damals 
lugenhaft gemeldetel) Ermordung Caillaux' zeigen den Hitzegrad der 
Kriegsstimmung in Frankreich; durch diesen Krieg wird Deutschland 
Frankreich vom Biindnis mit RuMand befreien; die russische Niederlage 
bedeutet den Sturz des Zarismus; die deutsche Sozialdemokratie kann 
sich in einem solchen Moment nicht ausschalten lassen; unsere Organi- 
sationen werden vernichtet, zertrummert, wenn wir die Kredite verweigern 

— das 77 J&" aber wird die Stellung der Sozialdemokratie gewaltig starken 

— die Regierung wird nicht mehr in der Lage sein, diese Partei als auizer* 
halb der Gesetze stehend zu behandeln; eine starke demokratische Welle 
wird nach dem Kriege kommen/' Kautsky, der die Konstruktion der 
Notstandskredite anregte, schlug vor: der Regierung die Zusicherung ah* 
zufordern, dalz sie keine Eroberungen wolle und bei Abgabe der Zu« 
'sicherung zu bewilligen, bei Verweigerung abzulehnen; der Vorschlag 
fand allgemeine Zuruckweisung. 

Die Mehrheit horte nur mit Ungeduld und Unruhe die Vertreter der Min* 
derheit an. Ein Schluizantrag machte der sehr erregten Debatte em 
ziemlich fruhes Ende. 

Nur 14 Genossen (aulzer dem fehlenden Bmmel, der sich spater in 
gleichem Sinne aussprach) stimmten gegen die Kreditbewilligung 
(Albrecht, Antrick 7 Bock, Geyer, Haase, Henke, Herzf eld, Ledebour 7 Lensch, 
Liebknecht, Peirotes 7 Rixhle, Vogtherr)* 78 stimmten dafur. Binige sollen 
sich der Stimme enthalten haben. ' 

Haase beantragte 7 die Erklarung durch Scheidemann verlesen zu 
lassen. Hoch und andere widersprachen und forderten die Verlestpg 
durch Haase 7 der nicht nur wie Scheidemann Vorsitzender der Fraktion, 
sondern auch des Parteivorstandes sei. Haase weigerte sich nachdriick" 
lich, lielz sich aber 7 von zahlreichen Fraktionsmitgliederci besturmt, 
schlielzlich dazu bewegen. 

Der Antrag 7 bei dem Hoch auf 77 Kaiser, Volk und Vaterland" mit auf« 
zustehen, wurde bekampft, aber unter Hinweis auf die in der Erwahnung 
von Volk und Vaterland liegende Konzession mit grolzer Mehrheit an* 
genommen. 

Eine Kommission zur Ausarbeitung der Erklarung wurde eingesetzt. 
Sie legte am Morgen des 4. August das Produkt ihres Schwedlzes vor 7 
das mit einigen kleinen Aenderungen Annahme fand. Stadthagen 
forderte vergeblich eine scharfe Wendung zur Kennzeichnung der inner* 
politischen Zustande Deutschlands. Liebknechts Antrag, unseren 
franzdsischen Freunden wenigstens noch ein Wort der Sympathie und 
Briideflichkeit zuzurufen 7 fuhrte — nachdem er von Frank bek&mpf t war 

— zur Einfuhrung einer nichtssagenden Floskel. Sein weiterer Antrag 7 
auch fur Oesterreich jede Eroberungspolitik abzulehnen, fiel; David be« 
merkte hierbei 7 dafe die Frage osterreichischer Eroberungen viel zu kom« 
pliziert liege, als dalz sie kurzweg schlechthin verneint werden konnte. 

In^ der ersten Plenarsitzung klatschten mehrere sozialdemo« 
kratische Abgeordnete (Siidekum, Heine, Frank, Wendel und andere) bei- 
fallrufend einigen Stellen der Reichskanzlerrede zu. Unmittelbar nach 



^0 



dieser und vor der zweiten, kurz danach erof fheten Plenarsitzung, fand eine 
kurze Fraktionssitzung* statt, in der es zunachst wegen dieser „patrioti« 
schen" Kundgebungen zu heftigen Zu<sammenst6izen kam; fur die zweite 
Sitzung wurden derartige Kundgebungen durch besonderen Fraktions« 
beschlulz verboten — urn am 2. Dezember dock wiederholt und in der 
Fraktion von Heine geruhmt zu werden. Es wurde welter mitgeteilt, daiz 
die Regierung eine Abschwachung des gegen Eroberungen gerichteten 
Passus der Erklarung witnsche, weil die drohende Gefahr des englischen 
Eingreifens durch diesen Passus verscharft werden konne. Dem Wunsche 
der Regierung wurde entsprochen. 

Versuche, eine abweichende Abstimmung der Vierzehn im Plenum zu 
erzielen, war en in der Uebersturzung der wenigen Stunden miMungen. 
Haase 7 selbst ein Vertreter der Kreditverweigerung, hatte sich zur Abgabe 
der Erklarung bestimmen lassen; audi die Minderheit rechnete noch da~ 
mit, daiz die Parte! im ubrigen dennoch eine oppositionelle Politik, eine 
Politik des Klassenkampfes auch wahrend des Krieges treiben werde 7 daiz 
die Kreditbewilligungen vom grolzten Teil der Mehrheit nur in dem re~ 
volutionaren Sinn des viel mifzbrauchten Engels-Artikels gemeint ®ei und 
schroffste Konflikte zwischen Partei und Staatsgewalt nicht ausbleiben 
wurden; man trug Bedenken, sich in dieser gefahrvollen Lage 7 in der man 
die Partei trotz alledem vermeinte 7 von der Mehrheit der Fraktion 6ffent« 
lich zu trennen. Aus diesen und zahlreichen anderen Griinden kam k e i n 
offentlichesMinderheitsvotum zustande, ' 

Alsbald nach dem 4. August zeigten sich in der Partei 7 besonders in 
ihrer Presse, die bedenklichsten Ersch ein un gen — Chau« 
vinismus, Annexionssucht, Harmonieduselei; besinnungslose Solidarisie* 
rung mat den Todfeinden des Proletariats von gestern und von morgen ? 
die plotzlich in einer truben Einigkeitsphrasen^Iiochflut zu Busenfreunden 
von heute umgewaschen warden." ' 

Aber es dauerte nicht lange, so begann sich im Lande die 
Opposition gegen die Ksriegspolitik der leitenden 
Parteiinstanzen zu regen. Erst tastend, vereinzelt und zerstreut er« 
hoben sich im Proletariat Stimmen, die die Abkehr von dem verderb- 
lichen Wege forderten; immer starker wuchs der Chor an 7 vergeblich 
waren alle Unterdruckungsversuche. Weder die Geiwaltstreiche des 
Parteivorstandes, noch die Brutalitaten der militarischen und zivilen 
Machthaber haben zu verhindern vermocht, daiz die Opposition in 
der Partei von Monat zu Monat wuchs und schlielzlich den Boden 
ebnete, auf dem drei Jahre spater die U n a b h a n g i g e S o z i a 1 ~ 
demokratische ParteiDeutsch lands sich bilden konnte. 



27 



Os3R5)QS2SS5><3^Sim&<Sfci3^>Q^^ 



Die beginnende Opposition. 

Die Beschlusse der Intemationalen Sozialistenkongresse und der 
deutschen Parteitage. — Urteile des sozialistischen Auslandes uber die 
Kreditbewilligung. — Der erste Widerstand gegen die Kriegspolitik. — 
Brklarungen der „Vorwarts"«Redakteiire. — Gegen den parteigenossi* 
schen Kadavergehorsam. — Der Umfall der Pseudo«Marxisten, 
— Leichenschandung an den Altmeistern des Sozialismus. 

Die Regie hatte glanzend gearbeitet; fast das ganze deutsche Volk 
war der Kriegspsy chose verf alien und auch die Mehrheit der sozial- 
demokratischen Parteifiihrer wurde von dem patriotischen Taumel 
ergriffen. Selbst solche Leute, von denen man sich nach ihrer Ver- 
gangenheit in der Arbeiterbewegung einer ernsteren Einsicht hatte 
versehen konnen, nahmen das unsinnigste Zeug glaubig bin. Man 
erinnere &ich ? welche Rolle selbst in amtlichen Dokumenten neben 
den Tausendeh von Spionen, den durch Deutschland rasenden Geld« 
automobilen, den Brunnenvergiftungen im Elsalz besonders die 
Fliegerbomben spielten, die auf bayerische Eisenbahnen und Stadte 
noch vor dem Kriegsausbruch abgeworfen worden sein sollen. In 
dieser Stimmung erregte es kaum Aufsehen, dafz die deutschen Heere 
in das neutrale Belgien einmarschierten, bevor noch der Krieg er- 
klart war. Es verschlug bei der Mehrheit der Reichstagsfraktion 
auch nichts, dalz ihre Haltung in Widerspruch mit den 
Beschliissen der deutschen Parteitage und der 
intemationalen Sozialistenkongresse stand. Noch 
der Friedenskongrefz von Basel vom 24. und 25. November 1Q12 hatte 
an die Entschliefzungen der intemationalen Kongresse von Kopen- 
hagen erinnert, worin es hielz: 

,£>roht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen 
und deren parlamentarische Vextretungen in den beteiligten Landern ver~ 
pflichtet, unterstiitzt durch die zusammenfassende Tatigkeit des Inter- 
nationalen Bureaus, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen 
am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges 
zu verhindern, die sich je nach Verscharfung des Klassenkampf es 
und der Verscharfung der allgemeinen politischen Situation naturgemafz 
andern. 

Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, fur 
dessen rasche Beendigung einzutreten und mit alien Kraften 
dahin zu streben 7 die durch den Krieg herbeigefuhrte wirtschaftliche und 
politische Krise zur Aufnittelung des Volkes auszunutzen und dadurch 
die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherr* 
s c h a f t zu beschleunigen. ' 

Der Baseler Kongrefz erinnerte an diese Resolution und verlangte ins- 
besondere von der Arbeiterklasse Deutschlands, Frankreichs und Bng- 



lands, sich jeder Einmischung in die Balkanwirren zu e'? thalten und es 
zu verhindern, dalz es wegen eines serbisch«5sterreichischen Streits 
zum Kriege zwischen den Kulturvoikern komme. Dem kapitalistischen 
Imperialismus miisse die Kraft der internationaien Solidaritat des 
Proletariats entgegengestellt werden. Kurz zuvor noch hatte der 
deutsche Parteitagin Chemnitz eine Entschliefzung ange- 
nommen, wofin es hiefz, dafz die Sozialdemokratie aufs Nacndriick- 
lichste alte imperialistischen und chauvinistischen Bestrebungen be- 
kampfe und alles daran setzen werde, um eine VerstSndigung zwi- 
schen den Nation-en herbeizufiihren. 

Alle diese Beschliisse und Kundgebungen war en am 4. August 1914 
vergessen. Im Ausland aber hatte man sie noch im Gedachtnis 
und man erwartete auch ganz allgemein, dalz die deutsche Sozial- 
demokratie sich aufs heftigste gegen die Regierung des Krieges wen- 
den und selbstverstandlich die Kriegskredite ablehnen wiirde. Des- 
halb stielzen die alarmierenden Meldungen, die iiber die Vorgange in 
„ dem nach Ausbruch des Krieges von der Aulzenwelt abgesperrten 
Deutschen Reich im Auslande umliefen, uherall auf Glaubien. Man er- 
zahlt sich dort, dalz die deutsche Miiitarbehorde Dutzende von sozial- 
demokratischen Abgeordneten und andere Fuhrer der Arbeiter- 
bewegung, an der Spitze Ledebour, Karl Liebknecht, Rosa Luxem- 
burg und Hugo Haase, ftisiliert habe, und dafz gegen die Partei die 
wiistesten Verfolgungen eingesetzt hStten. Umso grofzer war dort 
die Bnttauschung, als man von dem hurrapatriotischen Umfall der 
Parteiinstanzen erfuhr. So schrieb die „ N e w Yorker Voiles- 
*eitung" am 19. August 1914: 

?/ Nach den heute von uns an anderer Stelie veroffentlichten Nachrich« 
ten unterliegt es leider keinem Zweifel mehr, dalz die sozialdemokratische 
Fraktion des deutschen Reichstages die fiinf Millionen Kriegskredit be* 
willigte; die Regierung Wilhelms II. hatte also wirklich die ganze Volks~ 
vertretung hinter sich, als sie zu einem Kriege aufrief, dessen Konse* 
quenzen heute noch garnicht abzusehen sind. 

Wir haben bereits am 6. August — als die ersten Kabelmeldungen das 
Zustimxnungsvotum unserer deutschen Genossen ankimdigten — erkl&rt, 
dalz wir diese Stellungnahme nicht verstehen k 6 n n e n f 
und nun verleiht unser hollandisches Bruderblatt „Het Volk" genau dei 
gleichen Ansicht Ausdruck. Ja, wir miissen gestehen, dafz uns der Wort- 
laut der Haaseschen Rede diese Abstimmung der deutschen Reichstags^ 
abgeordneten nur noch unverstandlicher mabht, weil sie auch nicht das 
geringste Motiv fiir die Gesinnungsanderung, welche unzweifel* 
haft seit dem 25. und 29. Jul! — den Tagen der letzten Kriegsproteste — 
eingetreten war, erkennen l&fzt 

Denn es 1st einfach undenkbar, dafz sich unsere Genossen durch den 
Bugabo des russischen Despotismus in ihre unbegreifliche Haltung hii\« 
einjagen lielzen, Wufzten sie doch nur zu genau, wie geschickt diese 
deutsche Regierung noch immer ihre Vogelscheuchen aufzustellen ver« 
stand> wenn es sich darum handelte, das dumme Volk in nationale Be« 
geisterung zu versetzeru Die Septennatswahl von 1887, die Hottentotten- 
wahl, der Chinafeldzug und nicht zu vergessen die , r Bxnser Depeschen* 
Redigierung" sind einige der Beispiele r die nicht so leicht zu vergessen 
sind. Ein Krieg gegen Frankreich oder England ware im hochsten Maize 
unpopular gewesen, darum mu&te der Umweg uber Rulzland ge« 
nommfen werden." ' 

29 



F r i t z A d 1 e r hat den Bindruck, den die Haltung der Parteimehr*. 
heit damals im Auslande machte, in der osterreichisdhen Zeitschrift 
JDer Kampf" vom Jamjar 1915 in folgender Weise geschildert: 

,,Nur "wenn man ganz erfalzt, wie teuer die deutsche Sozialdemokratse 
den Genossen des Auslandes war, wie sie geradezu fur jeden einzelnen 
den hochsten Stolz undden Quell d e f Siege ssuversicht 
bildete, kann man die psychologische Wirkung der Ereignisse seit Kriegs« 
ausbruch verstehen. Schon allein die Tatsache. dafz die deutsche Sozial« 
demokratie Halt machen muiz, dalz nicht mehr ihr Klassenkampf, sondern 
der Krieg die Weltbuhne beherrscht, wirkte — so wenig vorher jemand 
theoretisch diese Moglichkeit bestritten hatte — plotzlich real geworden, 
erschutternd. Dafz die deutschen Proletarier als Soldaten ihre 
Pflicht tun werden, konnte man voraussehen, dafz aber die deutsche Ar« 
beiterklasse als Partei plotzlich und in aller Form mit den herrschenden 
Klassen \Vaffenstillstand schlielzen, sich mit ihnen zu gemeinsamer 
Aktion vereinigen werde, war fiir F r e u n d wie G e g n e r e i n e 
U e b e r r a s c h u n g. Wir haben an dieser Stelle nicht zu untersuchen, 
ob oder inwieweit dieser Schritt unausweichlich war, sondern nur seine 
psychologische Wirkung festzustellen. Sie ergriff die Sozialisten des 
Auslandes mit gleicher Wucht wie die Deutschlands, obwohl in fast alien 
Landern die Partei des Proletariats oder wenigstens Teile von ihr den 
gleichen Weg gegangen waren. Doch dalz dies auch in Deutschland ge~ 
schehen konnte, dafz auch diese groize unbeugsame Sozialdemokratie sach 
beug*en mufete, dafz auch die stolze Vorhut der Internationale dem Schick" 
sal nicht entging, das wurde fiir die Arbeiter der ganzen Welt zum wahren 
experimentum crucis ihrer Kraft und zum Symbol der historischen 
Situation." 

Nicht die ganze Partei hatte in diesen Tagen die Besinnung ver~ 
loren. Von Anfang an fanden sich Manner, die sich entschlosserv 
dem Kriegstaumel entgegenstemmten. Auch aufzerhalb der Reichs« 
tagsfraktion regte sich sofort der W i d e r s t a n d gegen die 
K r i e g s p o 1 i t i k der I.n $ t a n z e n. Besonders die wiirttem- 
bergischen Parteigenossen, an deren Spitze Crispien, West- 
m e y e r und C La r a Z e t k i n standen, wandten sich von Anfang 
an scharf gegen die Bewilligung der Kriegskredite und verlangten, 
dalz die Reichstagsfraktion die Beschlusse der internationalen Kon« 
gresse und der deutschen Parteitage respektiere. Wahrend man aber 
den Verfechtern der Kreditbeswilligung die weiteste Meinungsaufze- 
rung zugestand, hinderte der Kriegszustand die Gegner der sozial- 
demakratischen Kriegspolitik an der offentlichen Begrimdung ihrer 
Auiffassungen. 

Nachdem die Reichstagsfraktion am 3. August ihren Beschhife ge« 
fafet hatte, gaben die Redafeteure des „V o r w a r t s"% $es 
Zentralorgans der Partei dem Parteivorstand folgende Brklarua- 
g en ab, die wahrend des Krieges freilich niemals veroffentliclit 
worden sind: 

r ,Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion hat heute, nachdem gestern 
Hi einer Fraktionssitzung gegen 14 Stimmen der Beschlufz gefaizt worden 
war, der Regierung die geforderten Kriegskredite zu bewilligen, nicht nur 
fiir die Gesetzentwurfe betreffend die Aenderung des Bank* und Miinz« 
gesetzes, das Darlehnskassengesetz, die Zahlungsfristverlangerung fiir 
Wechsel und Schecks gestimmt, sondern auch fiir die von der 
Regierung zum ZweckederKriegsfuhrung v e r 1 a n g t e n 
5 Milliard en Kredite. Begnindet wird diese Haltung damit, dafz jetzt, 

30 



naehdem nun einmal der Krieg erklart sei, es sich nicht mehr urn die 
Entsoheidung fur oder gegen den Krieg handele, sondem um die 
Frage der fur die Verteidigung des Landes erforderlichen Mitt el." 

Ausschliefzlich die Rucksicht auf die jetzige gefahrliche Lage imserer 
Partei und die Erhaltung unserer Presse hindert uns, diese Bewilligung 
der Kriegskreditforderungen im „Vorwarts" einer offentlichen Kritik zu 
unterziehen; doch konnen wir nicht darauf verzichten, dem Parteivorstand 
und der Presskommission wissen zu lassen, dafz wir die Haltung der 
Fraktion fur inkonsequent und in ihren Folgen fur parteischadigend 
halten. ' 

Mit derselben Argumentation, mit der die Fraktionserklarung die Zu- 
stimmung zu den 5 Miiliardenkrediten motiviert, kSnnen fast alle Military 
forderungen begrundet werden. Fast immer kann gesagt werden, dafz, 
naehdem nun einmal von den anderen Parteien neue Heeres*« und Flotten- 
verstarkungen bewilligt sind, also nichts mehr an der Vermehrung zu 
andern sei, unbedingt die Sicherheit des Vaterlandes und das Eigen* 
interesse der Mannschaften erfordere, dafz sie moglichst gut ausgeriistet 
und nicht mit unzulanglichen Monturen, Gewehren, Kanonen usw. gegen 
den Feind geschickt wurden. Dazu kommt, dafz die Zustimmung einen 
schweren Schlag f u r die Internationale bedeutet, dafz er 
eine Lockerung des Zusammenhanges zwischen den verschiedenen 
Zweigen der internationalen Arbeiterbewegung bewirken mufo, und dalz er 
die Stellung der deutschen Sozialdemokratie innerhalb dieser Bewegung 
schadigt; vor allem aber, dalz mit der Bewilligung der Kriegskredite die 
deutsche Sozialdemokratie trotz der Ablehnung solcher Folgerung in der 
Fraktionserklarung eine gewisse Mitverantwortlichkeit fur den Krieg und 
die sich aus ihm ergebenden Folgen ubernimmt; eine Verantwortliohkeit, 
die sich in Zukunft schwer rachen kann. ' 

Berlin, den 4. August 1914. 

Die Redaktion des „Vorwarts". 

Ctinow, Hi Herding, Leid, John, Daumig, Strobel, 
Weber, Wermuth, Scholz. ' 

Die unterzeichneten Redakteure des „Vorwarts" kSnnen sich der Ei> 
klarung ihrer Kollegen nicht anschlielzen, da sie eine Ablehnung der 
Kriegskredite nicht h&ttengutheilzen konnen. Dagegen finden sie, dalz 
durch die bedingungslose Zustimmung die Interessen des Proletariats 
nicht genugend gewahrt wurden. Mindestens hatte in der begleitenden 
Erklfirung der sozialistische Standpunkt viel starker hervortreten mussen. 

N e s t r i e p k e , D o e s c h e r.' 

Stadthagen bemerkte hierzu: Richtiger als eine Ablehnung hielt 
und halte ich noch heute eine Bewilligung, falls die Begrundung derselben 
Mar betont, dalz die Arbeiter aller Lander sich nicht bekriegen, dafz die 
Entscheidungen uber Krieg und Frieden in Ruizland wie in Deutschland 
nicht dem Volk, sondern einigen Personen zusteht, die auf die Dauer dem 
Einflufz kapitalistischer Interessenklaquen und der Militarkamarilla nicht 
widerstehen konnen, dafz ferner die russischen Kriegshetzer dem russi-' 
schen Volk gegenuber dieselben Ziele der Vorenthaltung der politischen 
Gleichberechtigung und der dauernden wirtschaftlichen Unterdruckung 
verfolgen wie die Kriegshetzer in Deutschland. Ferner rnulzte in der Er« 
klarung scharf hervorgehoben werden, dalz wir die Verantwortung fiir 
den Krieg ablehnen, aber uns in einer Zwangslage befinden, weil der 
Zarism'us mit einer Invasion droht. Wir stimmen deshalb fiir die Kredite, 
urn gegen den Zarismus, nicht aber gegen die Arbeiter und urn fiir die 



Preiheit in Deutschiand und Rufzland, sowie fur erne Annaherung und Ver« 
briiderung der Volker, insbesondere des franzosischen zu wirken, dessen 
Vertreter Jaures wegen seines Eintretens fur den Frieden ermordet 1st. 
In der Fraktionssitzung erklarte ich r da ich and andere durch Dis« 
kussionsschlulz an der Darlegung meines Standpunktes gehindert war r 
zur GeschaTtsordnung im eigenen Namen und fur eine AnzaKl Frakrions" 
kollegen: wir k6nnten nur dann fur eine Annahme stimmen, wenn diesen 
Gesichtspunkten Rechnung getragen wurde. Dementsprechend e n t « 
Kielt ich mich der Stimme. Als am f olgenden Tage ein Br« 
klarungsentwurf von einer Kommission vorgelegt wurde, setzte ich mit 
grofzer Miihe durch, dafz liber Abanderungsvorschlage gestimmt wiirde. 
Fiir mich und eine Reihe anderer Kollegen erklarte ich die Erklarung fur 
unannehmbar r v/enn nicht mindestens 1. ausgesprochen \vird 7 wir lehnen 
die Verantwortung ab 7 2. Absatz 4 und 5 gestrichen wiirden, 3. im Absatz 
6 nach „befleckt hat" eingeschaltet wird: r7 und dieselben politischen 
Ziele dem eigenen Volke gegeniiber verfolgt r wie die Kriegshetzer bei uns 
unserem Volke gegeniiber." Es wurde aber nur der erste Antrag an* 
genommen, die beiden anderen abgelehnt. In der Fraktion stimmte ich 
g e g e n die so gestaltete im Plenum abgegebene Erklarung. Im Plenum 
stimmte ich trotzdem fiir die Bewilligung r weil Fraktionszwang ausge- 
sprochen war und unter den obwaltenden llmstanden eine Durchbrechung* 
dieses Zwanges die Partei schwer geschadigt hatte." 

Der Redaktion des „ H a m b u r g e r Echo", das fxiiher an der 
Spitze des radikalen Fliigels der Partei gestanden hatte, aber schon . 
vor Kriegsausbruch in eine wahre nationaiistische Raserei verfallen 
war, wurde am 13. August folgende Erklarung unterbreitet: 

JDer jetzige Weltkrieg ist nicht ein Krieg der Volker wider die Volker 
und nicht im Interesse der Volker r sondern ein Krieg im Interesse des 
internationalen Finanzkapitals. Er ist seiner Grundlage nach ein Krieg 
zwischen dem jungen r nach Ausdehnuni* drangenden deutschen und dem 
gefestigten, sich bedroht fuhlenden englischen Imperialismus. Die Vor« 
g&nge, die unmittelbar den Kriegsausbruch veranlalzt haben, sind nur 
aufzere Erscheinungsformen, die iiber das Wesen dieser Gegensatze nicht 
hinwegtauschen diirfen. Ebensowenig darf die Tatsache, dafz die von 
den fiihrenden Schichten der Grofzstaaten betriebene Politik zur Be« 
drohung unserer nationalen Existenz g-efwhrt hat, zur Verkennung der 
imperialistischen Ursachen und der imperialistischen Ziele dieses Krieges 
fuhren. 

Von diesen Gesichtspunkten au$gehend 7 legen wir Verwahrung ein 
gegen die Haltung des ^Hamburger Echo'", dessen Bewertung der Ereig- 
nisse sich von der burgerlichen Auffassung kaum unterscheidet. 

Hamburg, am Todestage August Bebels. 

Dr. Laufenberg,, Dr. Herz« Altona, Wolffhei m" 

Die Wortfuhrer der Instanzenmehrheit haben spater gegen die 
oppositionellen Kreise den Vorwurf erhoben, dafz sie durch ihre 
Di&ziplinlosigkeit die Grundlage der Arbeiterbewegung zerstort 
hatten. Allen Ernstes ist zuerst von alien Partei^enossen verlangt 
worden, dafz sie selbst in diesen grundsatzlicben Fragen den Mund 
halten und bedenkenlos alles hinnehmen sollten, was die auf uner« 
reichbaren und unerforschlichen Hohen thronenden Parteigotter be~ 
schlossen hatten. Gegeniiber dieser Theorie des parteigenossischen 
Kadaverg-ehorsams hat G u s t a v Eckstein am 8. Jamiar 1915 in 
der „Neuen Zeit" folgendes ausgefilhrt: 



rr Sicheiiich mulz jeder von mis danach streben, sicli in einer Frage, die 
unsere Lebensinteressen so entscheidend beruhrt, ein eigenes Urteil zu 
bilden, und vielen 1st das gewilz nach schwereren und leichteren inneren 
Kampf en gelungen. Sie haben nun ndcht nur das R e c h t , sondern 
auch die Pflicht, fur ihre Ueberzeugung einzustehen 
und sie nach Kraften in der Partei zur Geltung zu bringen. Wird doch 
diese Ueberzeugung nicht durch Rucksicht auf die eigene Person diktiert, 
sondern, sofern es eben Sozialdemokraten sind, durch das Interesse der 
Partei, d. h. das Interesse der proletarischen Gesamtbewegung. V/oHen 
sie diesem dienen, dann mussen sie bestrebt sein, die Masse der Partei- 
genossen von der Richtigkeit ihrer Ansichten zu uberzeugen. Das kann 
und darf aber nicht dadurch geschehen, dalz man den Verfechter anderer 
Auf fastsiung'en innerhalb der Partei mwndtot macht. Gewilz liegt es 
gerade in so schwierigen Zeiten nicht im Interesse der Partei, dafz alle 
Meinungsverschiedenheiten vor der breitesten Oeffentlichkeit ausgetragen 
werden, und ebenso erfordert es gerade der Ernst der Zeit, dafz an der 
Einheitlichkeit der Aktion festgehaiten werde, soweit es irgend geht. Aber 
das ist ja eben einer der Hauptvorteile der straffen Organisation, auf die 
die deutsche Sozialdemokratie nnit Recht so stolz ist, dalz unseren Partei* 
genossen Gelegenheit geboten ist, auch in kleinem und geschlossenejji 
Kreis zu beraten und zu besprechen, was fiir die Partei von Wichtigkeit 
ist; und diese Besprechung zu verhindern oder auch nur zu beschranken, 
das ware der schwerste, der verhangnisvollste Fehler, den eine Partei- 
leitung begehen konnte. ' 

Sind solche Methoden schon in ruhigen Zeiten verwerflich, so wiirde der- 
jenige, der sie heute zur Anwendung bringen wollte, eine ganz un- 
geheuerliche Verantwortung auf sich laden. Er wurde 
gerade in der Zeit der schwersten und verantwortungsvollsten Entschliisse 
die Partei das Proletariat entmundigen und ihnen seinen eigenen Willen, 
seine eigene Erkenntnis gewaltsam aufnotigen." 

Der Parteivorstand in seiner Mehrheit hat diese Schuld auf sich 
genommen. Er versuchte, dem Proletariat den eigenen Willen zu 
rauben und die ganze Partei in den Schraubstock einer von oben 
diktierten Meinung zu pressen. Das ist freilich nicht gelungen. Aber 
die Mehrheit des Parteivorstand es hat damit die Verantwortung vor 
der Geschichte zu tragen, dalz sie d i e d e u t s c h e S o z i a 1 d e m o - 
k r a t i e a u s e i n a n d e r g e r i s s e n , die Arbeiterbeweg"ung zer~ 
riittet und auf Jahre hinaus laktionsunfahig gemacht hat. 

In der Provinz behielten nur wenige Blatter, wie die „L e i p z i g e r 
V o I k s z e i t u n g '\ die „ B r e m e r B (i r g e r z e i t u n g " r das 
„V o 1 k s b 1 a 1 t" in Halle, die „S c h w a b i s c h e Tagwachf 
in Stuttgart ihren kritischen Kopf auch den Kriegsereignissen 
gegemuber. Im allgemeinen aber tat die von der Regierung aus- 
gegebene und von den Parteiinstanzen willig iibernommene Parole 
,,Gegen den Zarismus" ihre Wirkung. In seinem zmei Jahre danach 
erschienenen Buche „Die deutsahe Sozialdemokratie in und nach 
dem Wdtkriege" konnte Konr ad Haeni'sch dariiber schreiben: 

„Und all der Hass, und all der Abscheu, den wir seit Jahrzehnten gegen 
dies Rufzland des fluchwurdigsten Despotismus in uns aufgespeichert hatten 
und der inimer von neuein genahrt worden war durch die grauenvollen 
Schildei^ungen 7 die aus den Graf ten der Peter^Paul-Festung, der Schlussel- 
burg, der Warschauer Zitadelle, aus den Eiswiisten Sibiriens, ^ aus der 
Katorga, zu uns gedrungen waren, all die wilde Emporung, die immer 
wieder aufgepeitscht worden war durch die zahllosen Nachrichten iiber 

3 38 



die Herrschaft des wei&en Schreckens im Zarenreiche, der nur noch mit 
Standrecht und Galgen, mit Meuchelmord und mit den Schurkereien seiner 
agents provocateurs sich seiner lieben Untertanen zu erwehren gewufzt 
hatte: alles das maohte sich nun gewaltsam Luft, als in den ersten August- 
tagen 1914 vielmillionenstimmig der Ruf durch die deutschen Lande 
brauste: Es geht gegen Rutland! Nieder mit dem Zarismusl" 

Bine besondere Rolle spielten in jenen Tagen einige Leute, die 

sich hisher als wiaschechte „Marxisten" ausgegeben hatten, jetzt aber 

ihre Vergangeniheit verga&en und nach einigem Zogern den Anschlufz 

an die kriegsbegeisterte Mehrheit fanden. Da war H e i n r i c h 

Cunow, der selbst noch die Erklarung der ,,Vowarts"~Redaktion 

verfafzt hatte, bald danatih aber zu den Sozialpatrioten iiberging und 

einer ihrer eiifrigsten Wortfuhrer wurde. Dann der ^Marxist" Paul 

Lensch r der am 3. August gegen die Kriegskreditbewilligung 

gestimmt und wehklagend ausgerufen hatte, dafz die Fraktion die 

Eingeweide der Internationale bloizgelegt habe. An dem Busen Rosa 

Luxemburgs hat -er am Abend jenes Tages semen bitteren Schmerz 

liber die klagliche Haltung der Fraktionsmehrheit ausgeweint Nicht 

lang-e aber dauerte es, so schrieb er zahllose kriegsbegeisterte Artikel 

fur die Parteipresse und walzte dicke Biicher, worm er „marxi$tisch" 

nachwies, dafz die Fraktion gar nidht anders habe handeln konnen. 

Und schlieizlich der Radikalsten einer, Konrad Haenisch, 

fruher Flugblattfabrikant des Parteivorstandes und spaterer preufzi- 

scher Kultusminister. Einige Zeit schwankte er noch, urn sich dann 

mit der ganzen Inbrunst eines ,,llmlerners" der durch die augenblick- 

lichen Mehrheitsverhaltnisse bestimmten Erkenntnis in die Arme zu 

w erf en. Haenisch hat in seinem obenerwahnten Buch seine 

Seelenkampfe in der damaligen Zeit in folgender Weise gesahildert; 

„Leicht ist dies Ringen zweier S e e 1 e n in der einen Brust wohl 

keinem von uns geworden. Darf der Autor hier einmal eine gewisse 

innere Scheu zu iiberwinden suchen und einen Augenbliok von sich. selbst 

reden, und darf er dabei von dem unpersonlichen , r Wir" iibergehen in 

das unmittelbare, von Herzen kommende Ich? Nun, dann mochte ich nur 

sagen: um alles in der Welt mochte ich jene Tage inneren Kampfes nicht 

noch einmal durchlebenl Dieses drangend heifze Sehnen r sich hineinzu- 

stiirzen in den gewaltigen Strom der allgemeinen n a t i o « 

nalen Hochflut und von der anderen Seite her die furchtbare 

seelische Angst, diesem Sehnen riickhaltlos zu folgen, der Stimmung ganz 

isach lunzugeben, die rings um Einen herum brauste und brandete, und die, 

sah man sich ganz tief ins Herz hinein, auch vom eigenen Innern ja langst 

schon Besitz ergriffen battel Diese Angst: wirst du auch nicht zum Ha« 

lunken an dir selbst und deiner Sache — darfst du auch s o ftihlen, wie 

es dir urns Herz ist? Bis dann — - ich vergesse den Tag und die Stunde 

nicht — plotzlich die furchtbare Spannung sich loste, bis man wagte, 

das zu sein r was man doch war, bis man — alien erstarrten Prinzipien imd 

holzernen Theorien zumTrotz — zum ersten Male (zum ersten Male sext 

fast einem Viertel Jahrhundert wiederl) aus vollem Herzen, mit 

gutem Gewissen und ohne jede Angst, dadurch zum Verrater zu werden, 

einstimmen durfte 'in den brausenden Sturmgesang: 

Deutschland,Deutschlanduber alles P ] 

Die gleiche patriotische Stimmung kam in der Mehrzahl der sozial- 
demokratischen Blatter zum Ausdruck. Hemmungslos warfen sie sich 
der Krxegspolitik in die Arme, die Kriegsbegeisterung tobte sich in 
ihren Spalten fast noch schlimmer aus als in der biirgerlichen Presse* 



Der , y Wahre Jakob", das Pamilienblatt der Parted brachte am 
28. August eirve Illustration zu dem Ausspruch Wilhelms II.: „Nun 
wollen wir sie aber dreschenr, auf der man mehrere Arbeiter sah, 
die <mit Dreschflegeln auf die „Feinde" losschlugen. Hauferuweise 
kamen Arbeiterdichter an die Oberflache, urn das Lob des Krieges 
zu sing-en. Die deutsche Sozialdemokratie und ihre Presse war auf 
das denkbar tiefste Niveau gesunken. Es nutzte nichts, dafz auf einer 
Redakteurkonferenz im September die Presse ersucht wurde, eine 
wiirdigere Haltung zu bewahren; noch bis ins Jahr 1918 hinein hat 
die Mehrheit der sozialdemokratischen Blatter den Parolen der 
Obersten Heeresleitung und der deutschen Regierung willig Folge 
geleistet. 

Und was wurde nicht alles an Leichenschandung veriibt, 

urn diese unerihorte Verleumdung aller sozialdemokratischen Grund- 

satze zu beschonigen und zu verteidigenl Marx, Engels, Lassalle, 

Wilhelm Liebknecht, August Bebel wurden als Schwurzeugen fur die 

Kreditbewilliger aus den Grabern gerufen. Ihre Schriften wurden bis 

in das letzte Bckchen durchstobert, um aus ihnen Beweise dafur zu 

holen, daiz dieser Krieg ein gerechter Krieg sea, und dafz eigentlich 

nicht die Bourgeoisie, sondern die Arbeiterklasse ihre heiligsten 

Giiter za verteidigen habe. Es ware Zeitverschwendung, wollte man 

nachprufen, fiir welche politischen Situafcionen die von den Sozial- 

patrioten haufenweise herangeschleppten Zitate verfafzt worden sind, 

und ob sie auch auf das von den Imperialisten entfesselte Welt- 

morden pafeten; statt dessen mag daran erinnert werden, was 

August Bebel auf dem Parteitag in Magdeburg in der Vor~ 

aussicht des kommenden Weltkrieges ausgefuhrt hat: r 

„Wir fsind jetzt in einer Zeit, wo wir uns auf faule Kompromisse nicht 

mehr einlassen. Die Klassengegensatze werden immer scharfer, wir mar~ 

schieren ernsten Zeiten entgegen. Wenn es gar dazu kommt, dafz 1912 

ein europaisches Kriegsgewitter losbricht, dann sollt ihr sehen, was wir 

erleben und wo wir zu stehen haben: sicherlich ganz wo anders, 

als man jetzt in Baden steh t." 

August Bebel hat sich getauscht. Die Mehrheit der Parteiinstanzen 
ging im Jahre 1914 „nach Baden", sie verliefz die Fahne des Klassen- 
kampfes und folgte dem Kriegsbanner Wilhelms II.; sie vergafz alle 
Lehren des revolutionaren Sozialismus und marschierte unter der 
Fiihrung der preufziscben Generale in den Burgfrieden hinein. 



3* 35 



<^fii^>©KS5>Q98fSi^S 88?56<SfcSS?><S885e<SS B&Onw&©liSS& 



Das wahre Gesicht des Krieges. 

Nicht mehr gegen die Kosakenknute ? sondern gegen die engiische 
Wekherrschaft. — 1st es nock derselbe Krieg? — Die Annexionisten 
enthiillen ihre Plane. — Kriegsgewinne und Preissteigerungen. — 
Sudekum und Richard Fischer auf Reisen. — Karl Liebknecht in 
Belgien. — Die ersten Zusammenkunfte der Opposition. — Angriffe 
auf den rr Vorwarts". — Die Bewilligung der zweiten Kriegskredite, 

Das Bild der ersten Kriegstage hatte sich bald ,g>eandert. Aus dem 
„£erechten Verteidigungskrieg" gegen die Kosakenknute wurde ein 
heiliger Krieg gegen die engiische W e 1 1 h e r r s c h a f t. 
Die Stimmung war so weit patriotic ch entflammt, daiz man nunrnehr 
die wahren Beweggriinde fur die Entfesselung des Krieges nicht mehr 
zu verschweigen braucihte. Selbst sozialdemokratische Fiihrer 
sprachen von einem Praventivkrieg, den Deutschland zu fiihren 
gezwungen sei. Die alldeutschen Krieigsparolen wurden zum Gemein- 
gut fast der .gesamten Oeffentlichkeit, und der bekannte liberale 
Pastor lund imperialistische Herold Paul Rohrbach konnte ganz 
of fen sense iben: 

„F\ir uns, d. h. fur Deutschland und Oesterreich^llngam, bestand die 
Hauptsorge diesmal darin, daiz wir durch eine vorubergehende und 
scheinbare Nachgiebigkeit Ruizlands moralisch gez wungen warden 
konnten, zu warten, bis Rufzland fund Frankreich wirklich hereit 
waren. Fur unsere Gegner ware der Anfang des ubernachsten Jahres 
giinstig gewesen, zumal wir gegen Ende des Winters unsere Vorrate 
zum grolzten Teil verzehrt hatten und die Schlagfertigkeit der Flotte 
durch die unfertige Ausbildung des im Oktober eingestellten dritten Jahi> 
gangs beeintrachtigt gewesen ware." ' 

Weil also Deutschland seine militarischen Riistungen fertig hatte, 
mufzte es sofort losschlagen aind durfte sich auf keine Verstandigung 
mit den anderen Nationen einlassen. Dabei hat Rohrbach selbst fest- 
stellen mussen r dalz England bis kurz vor dem Kriegsausbruch 
Deutschland aufeerordentlich weit entgegengekommen war. Br 
schreibt daruber: 

„Jetzt, wo sich alles gewandelt hat, kann man ]a ruhig sagen, dalz die 
Vertrage mit England uber die Abgrenzung unserer Interessen- 
gebiete im Orient und in Afrika fertig und unterschrieben 
waren, und dalz nur noch um ihre Verdff entlichung verhandelt wurde. 
In Afrika war uns die engiische Politik uberraschend weit entgegen« 
gekommen. In der Turkei war nicht nur in der Bagdadbahnfrage dem 
deutschen Standpunkt weitgehend Rechnung getragen, sondern auch die 
damit zusammenhangenden Angelegenheiten, die Ausbeutung der meso~ 
potamischen Petroleum! elder und die Tigrisschiffahrt, die England schon 

36 



ganz allein in Besitz gehabt hatte, war unter deutscher Beteiligung- ge« 
regelt. Danaoh hatte es den Anschein, als ob England sich mit 
dem Gedanken abgefunden hatte , sowohl in den afrikanischen 
Tropen, als auch im tiirkischen Orient den allgemeinen Wett« 
bewerb Deutschlands auf breiterer Grundlage als 
bis her neb en sich anzuerkenne n." 

Die deutschen Militaristen und Imperialist en aber wollten keine 
Verstandigung, sie wollten den Krieg. 

Inzwischen aber mehrte sich die ZaM der Zweifler in den Reihen 
der Sozialdemokratie. Bduard Bernstein fragte in der „Leip- 
ziger Volkszeitung" vorsichtig an, ob es noch d e r $ e 1 b e Krieg 
wie am 4. August sei. Damals hatte es doch den Anschein, als ob 
es vor allem ein Krieg gegen den Deutschland bedrohenden Osten 
sein werde. Es sei aber bald ein Krieg mit dem Osten und Westen 
geworden. Und allmahlich batten sich die Dinge so verschoben, dafz 
es zurzeit ein Krieg mehr noch gegen den Westen als ein solcher 
gegen den Osten sei. Worauf E d u a r d David, einer der beruch- 
tigsten sozialimperialistischen Kriegsschurer, antwortete, dalz es noch 
derselbe Krieg sei; einen faulen Separatfrieden mit RuMand mlisse 
man fur ein schweres politisches Verhangnis ansehen, d e r eng- 
1 i s c h e n K r i e g s m a c h t mit ihren weiizen und f arbigen Ver~ 
blindeten im Westen miilzten jetzt g r <ii n d 1 i c h die Zahne 
g e z e i g t w e r d ie n. Die Mehrhelt der Parteiinstanzen stimmte 
David und nicht Bernstein izu. Sie bewilligte auch weiterhin alle 
Kriegs'kredite. 

An den Fronten wurde das Blut von Millionen von Proletariern 
vergossen: sie starben den „Heldentod fiirs Vaterland", das sie bisher 
als Aussatzige behandelt hatte und auch jetzt nicht gewillt war, ihre 
Anspruche auf politische Gleichberechtigung, ihre Forderung nach 
Schaffung einer hoheren Wirtschaftsordnung als die kapitalistische 
zu befriedigen. Sie sanken dahin im Kampfe gegen den „Erbfeind", 
der bald Frankreich, bald Rulzland, bald England hieiz. Und 
wahrenddem prustete und blahte sich der wirkliche Erbfeind der 
Arbeiterklasse, der deutsche und der internationale Kapitalismus, 
immer mehr auf. Je langer die Verlustlisten wurden, desto hoher 
stiegen die Gewinne des Kapitals. 

Nicht alle sozialdemokratischen Fiihrer, die in den Parlamenten 
und an den Schreibtischen kriegerische Hymnen sangen, liefzen sich 
von der Militarverwaltung fur ihre wichtigen Aufgaben in der Heimat 
reklamiereru Es gab unter ihnen auch Leute, die mit ehrlicher, 
wenn auch . f alscher Begeisterung ihre Haut zu Markte trugen. So 
Ludwig Frank, einer der hoffnungsvollsten Manner aus der 
jungeren Generation, der freilich nach den ersten radikalen Partei- 
jahren neben Kolb zum Hauptvertreter des badischen Reformismus 
geworden war. Frank war dem Kriegsrausch verfallen und hatte 
sich freiwillig zum Frontdienst gemeldet. Er kam nicht mehr zuriick. 
Die franzosische Kugel, die ihn niederstreckte, war starker als seine 
Siegeszuversicht. 

Die Breignisse sorgten bald dafiir, dalz dem Proletariat die Augen 
geoffnet wurden. Der B u r g f r i e d e war verkundet. 7T Die Not der 
-Zeit hat uns zusammengefuhrt. Die Parteikampfe ruheA jetzt Nach 



dem Kriege wird es sie wieder g<eben", so verkundete es Lands- 
berg in Magdeburg, so lehrten es hundert andere seiner 
Gesinnungsgenossen. Aber wahrend sie sich voller Begeisterung 
fiir die Hannonie zwischen den Klassen einsetzten, beurteilten die 
wirklich „nationalen" Kreise di-e Lage do oh etwas anders. So schrieb 
der Jungdeutschlandbund in seiner Numrner vom 1. September iiber 
den auch von manchen Fiihrern der freien Jugendbewegung 
gewiinschten Zusammenscbluiz aller Jugendorganisationen: 

„Gewilz verdient die Kaltung des Bevoikeningsteiles, der sich vor dem 
Kriegsausbruch sozialdernokratkch n&nnte, voile Anerkennung. Sie ist 
ihr durch verschiedene Erlasse der Zivil* und Militarbehorden verdienter- 
mafzen zuteil geworden. Aber werden die Fixhrer der sozialdemokra- 
tischen Jugendbewegimg geneigt sein 7 ihre Mitglieder in die neue Organi- 
sation hineinzugeben? Daiz sie die ihrige dadurch sprengen — 
die Befurctatung mufz ihnen komraen. Wollen wir nicht Vogelstraulz« 
politik treiben, so haben wir trotz der herrlichen geschlossenen Einigkeit 
des ganzen Volkes mit Widerstanden zu rechnen. Aiuf jeden Fall ist es 
wunschenswert, daiz sofort Klarheit geschaffen wird." 

Die Klarheit wurde schneller geschaffen, als es den Nationalists 
in alien Parteilagern erwiinscht war. Schon die Prontveranderung 
in der Kriegsfuhrung mulzte den Teil der Arbeiter stutzig machen, 
der das selbstandige Denken noch nicht aufgegeben hatte. Dazu 
karn, dafz nach den rnilitarischen Erfolgen der ersten Wochen die 
Armexionisten nunmehr offen ihre Plane enthiillten. Die burgerliche 
Presse verlangte stiirmisch die Annexion Belgiens, der 7r Wiege des 
Deutschtums". Die franzosisch-lotbringischen Minenfelder insbeson- 
dere sollten im Inter esse der deutschen Schwerindustrie, deren 
Hauptvertreter Rochling, Stumm, Krupp, Kirdorf und Stinnes ihre 
Ausbeutung bereits ubernommen hatten, nach Deutschland einver- 
leibt werden. Man richtete sich in Belgien und in Nordfrankreich 
hHuslich ein. Die Wiinsche der Annexionisten schienen urn so eher 
reifen zu sollen, als die T u r k e i zu jener Zeit in den Weltkrieg ver- 
strickt wurde und Deutschland auf der Hohe seiner rnilitarischen 
Erfolge stand. Karl Liebknecht verlangte in einem Brief an 
den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei vom 31. Oktober, dafz 
die Sozialdemokratie sofort Stellung gegeh die Annex ions- 
politik nehmen solle. „Es ist hochste ZeitI Hinter dem Wagen 
der Politik polternd herlaufen, wenn er bereits abgefahren ist, ist 
gewifz ein Vergnugen eigener Art; ich meine aber, wir miissen 
mindestens versuchen, uns auf den Kutschbock zu setzen", so schrieb 
ear. Der Parteivorstand und die Mehrheit der Reichstagsfraktion lielzen 
sich von ihrer bisherigen Haltung nicht abbringen. 

Auch in der inneren Politik enthiillte sich immer deutlicher das 
wahre Gesicht des Krieges. Die Zeichnung der Kriegs- 
anleihen wurde zu einem glanzenden Gesch&ft fiir die Kapitalisten 
ausgestattet, und da damals die rnilitarischen Baume noch in den 
Himmel zu wachsen schienen, so stromten die Geldbesitzer herbei, 
um bei niedrigem Kurs und hoher Verzinsung ihren Patriotismus zu 
betatigen. Weniger eifrig folgten sie dem Ruf der Reichsbank r ihr 
Gold auf dem Altar des Vaterlandes zu opfern; denn sicherer als die 
Reichsbanknoten und die Kri&o-sanleihen schien ihnen immer noch 
der eigene Besitz des roten Metalls. Noch unverschamter trieben 

38 



■es die Brzeuger und die Handler mit Lebensmitteln. Sofort mit 
Kriegsbeginn hatte eine mafzlose Preisst eiger ung fur alle 
Waren ein^esetzt. Und waihrend die armere Bevolkerung an Unter- 
ernahrung litt, wulzten die Agrarier, die Schlotbarone und die Handler 
nicht, wie sie den reichen Kriegssegen berg-en sollten. Zwar mulzte 
die Regierung, wenn sie nicht die vollstandige Verelendung des 
Volkes in kiirzester Zeit herbeifuhren wollte, Kir einige der wich- 
tfcsten Lebensmittel Hochstpreise festsetzen, was von dem 
„Marxisten" Lensch als Kriegssozialismus etikettiert wurde und den 
baeder-en Reichel, zweiten Vorsitzenden des Metallarbeiterverbandes, 
zu dem begeisterten Ausruf hinriiz: „Sozialis<mus, wohin wir blicken!" 
Diese Hochstpreispolitik war aber in Wirklichkeit nur dazu bestimmt, 
der kapitalistischen Welt eine gesicherte Grundlage fiir ihre Profit- 
interessen zu sdhaffen. Ohne diesen ^Kriegssozialismus" wSre die 
deutsche Kriegspolitik wahrscheinlich schon nach wenigen Monaten, 
und nicht erst im Herbst 1918, zusammengebrochen. 

Die Militars sorgten auf ihre Art dafur, dalz der Burgfriede erhalten 
Mieb. Je windier es urn die Kriegsberichte bestellt war, desto 
eifriger drangte die Zensur darauf, dalz die Wahrheit iiber den Krieg 
nicht an den Tag komme. Der ^Vorwarts" erlebte Ende September 
in schnelier Folge zwei V e r b o t e. Auch in der Provinz legte man 
den oppositionellen sozialdemokratischen Blattern einen exigen Maul- 
korb urn. AuslMndische Parteizeitungen, wie unsere schweizerische 
Parteipresse und das hollandische Parteibiatt „Het Volk", wurden in 
Deutschland verboten. Der Briefverkehr verdachtiger Personen mit 
dem Ausland wurde scharf kontrolliert Eifrig stellten sich fuhrende 
Mitglieder der Sozialdernokratie in den Dienst der deutschen Kriegs- 
propaganda Der Sekretar Legiens, des Vorsitzenden der General- 
kommission der Gewerkschaften Deutschlands, Albert Bau- 
meister, grundete mit Hilfe eines dunklen Fonds die „Inter- 
nationale Korrespondenz", aus der sich -wie eine Schlammflut die 
Hetze gegen die sozialistischen Parteien des Auslandes iiber die 
Provinzpresse ergolz. Gekront wurde diese Tatigkeit durch die von 
einzelnen Parteiinstanzen schon damals geubte Gewaltpolitik 
gegen unbotmaizige Redakteure. 

Die geschichtliche Wahrheit gebietet festzustellen r dalz die brutalen 
Methoden zur Unterdriickung der oppositionellen Stromungen in der 
Partei nicht vom Parteivorstand erfund-en worden sind, sondern dalz 
sie zuerst in Stuttgart vom Wurttembergischen Landesvorstand 
geiibt wurden. 

Die „S c h w a b i s c h e Tagwach t 4 \ die damals unter der Lei- 
tung von Artur Crispien stand, hatte sich von Anf ang an dem 
Kriegswahn entgegengestemmt Ohne die Redaktion zu befragen, 
verfiigte der Wurttembergische Landesvorstand am 4. November, dalz 
sein vorstandsmitglied W i 1 h e 1 m K e i 1 , einer der ungestiimsten 
Patrioten, die Leitung des Blattes ubernehmen solle. Vergebens war 
der Protest der Redakteure Crispien, Hornle und Walcher, vergebens 
auch der Protest der Prelzkommission. Dem Wurttembergischen 
Landesvorstand standen die materielle Macht und die burgerlichen 
Gesetzesparagraphen zur Seite, und das hatte alles ein groizeres 
Gowicht, als die Berufung unserer Parteigenossen auf die sozial- 



demokratischen Grundsatze. Der soziaidemokratische Verein Stutt- 
gart und eine grofze Anzahl von Ortsvereinen im Lande nahmen 
sofort Stellung gegen den Landesvorstand. Da dieser darauf nichts 
gab, so blieb nichts anderes iibrig als die Herausga'be eines eigenen 
Mitteilungsblattes. In Wurttemberg hatte sich also die S p a 1 1 u n g 
der S ozialdiemokratie zum ers t en Mai e in D eu tsch- 
land v o 1 1 z o g e n , durch die alleinige Schuld des Wurttemb^rgi- 
schen Landesvorstandes. 

Als Zwischenspiel sei bemerkt, dafz die Abgeordneten S Ci d e k u m 
und Richard Fischer, teils im offiziellen Auftrage des Partei- 
vorstandes, teils aus eigenem patriotischen Antriebe, im August und 
September Italien, Schweden und die Schiweiz bereisten, urn unter 
unseren dortigen Parteigenossen Stimmung fur die deutsche Sache 
zu machen. Das hat den deutschen Sozialpatrioten allerdings nicht 
viel geniitzt Denn die schwedischen Sozialpatrioten unter Brantings 
Fuhrung vertrauten sich mit vollen Segeln den Ententeiwinden an, 
und die sozialdemokratischen Parteien der anderen neutralen Lander 
lielzen sich in ihrer kritischen Haltung gegeniiber der deutschen 
Kriegspolitik durchaus nicht beeinflussen. 

Nach der Reise Sudekums nach Italien veroff eantlichte die i t a 1 i e « 
n i $ c h ,e Parteileitung ein Manifest, in dem es hieiz: 

JDer deutsche Sozialismus, der bis jetzt die Fuhrerschaft unserer 
Partei in Europa in Anspruch nahm, im Hinblick auf seine Mitgliederzahl, 
seine wunderbaren Fortschritte, seinen festen Zusammenthang fur uns 
ein beneidenswertes Vorbild, er ist der erste g e w e s e n , der 
zusammenbrach und sich heute in seinen Ueberzeugungen und 
seinen Handlungen von der deutschen Bourgeoisie nicht 
m e h r u n t e r s c h e i d e t. Und nicht besser ist es der osterreichischen 
Partei ergangem Und die Sozialisten Frankreichs, die einen Jaures sterben 
sahen auf dem Felde der Intemarionalen, auch sie, vom Kriegstaumel 
gepackt, machen nun gemeinsame Sache mit dem Biirgertum. Nur die 
russischen Genossen haben inmitten von Gefahr und Schrecken den Mut 
gehabt, gegen die Kriegskredite zu stimmen und in Serbien hat der einzige 
sozialistische Deputierte es gewagt, der furchtbaren Agitation, dem Hafz 
und Zorn der burgerMchen Partei seines kleinen Landes zum Trotz, die 
Kriegskredite zu bekampfen und laut und mutig die Losung unseres 
sozialistischen Gewissens zu bekennen: Nieder mit dem Kriegel 

Genossen, Arbeiterl Es ist nicht zu wundern, dafz inmitten dieser un« 
erh5rten menschlichen Tragddie unser Herz zittert vor der Zukunft und 
der Kriegsfurie, die auch in unserem Lande erwachen konnte. Aber 
gerade deshalb mussen wir, Hebe Genossen, offen zu euch reden. Wir 
wollen uns selbst die furchtbaren Gefahren der gegenwartigen unsicheren 
Lage nicht verhehlen, dieser Lage, welche der Bourgeoisie nicht behagt, 
weil sie aus ihr keinen Nutzen ziehen kann, der Bourgeoisie, die gegen 
das Proletariat in Krieg und Frieden nie abriistet, sondern, auch werui sie 
euch Proletariern schmeichelt, nur beabsichtigt, iiber euer Leben zu ver« 
fugen und euch zu um so gefugigeren Instrumenten ihrer Herrschsucht 
zu machen. Gewilz ist heute unsere Partei nicht so stark, um den Krieg 
zu verhindern. Aber wir wollen nicht noch andere Nationen 
auf dem Schlacht felde sehen. Wir wollen keinen Schritt ab« 
weichen von den Prinzipien, die wir uns vorgezeichnet. Wir wollen mit 
diesem Manifest alien Genossen, von Mann zu Mann, von Herz zu 
Herzen versichern, dafe wohl keiner in dem gegenwartigen Moment den 
Gefuhlen wird wehren konnen, den Gefiihlen unwillkurlicher Sympathie r 

40 



die fur diese oder jene Parte! unter den Kriegfuhrenden axis seinem Herzen 
steigen, aber dafz dessen ungeachtet wk mit aller Kiarheit und Treue zu 
unserem einzigen Banner halten. Und auf dem stent geschrieben: So« 
zialisten aller Lander, einigt euch'I Mitten unter Waffen* 
schreck und Kriegswut sollen wir italienischen Sozialisten noch den Ruf 
ertonen lassen: Die sozialistische Partei ist gegen den Krieg und fur die 
Neutralitat. , r G e g e n den Krieg und fur die Neutrality t" r das 
ist das Losungswort des Sozialismus, der heute fiir uns lebt und fiir den 
die zusammengebrochene Internationale von neuem in aller Kraft wieder« 
auferstehen soil." 

Schlecht <erging *es Karl Liebkn e ch t r als er im September 
1Q14 eine private R e i s e nach B e 1 g i e n unternahm. Er konnte 
bei dieser Geiegenheit die besten Beobachtungen daruber sammeln, 
wie der deutsche Militarismus in dem eroberten Lande, das doch 
immer noch ein neutrales Land war, hauste. Und in llnterredungen 
mit belgischen und hollandischen Parteigenossen machte Liebknecht 
kein Hehl aus seiner Meinung uber die Kriegspolitik der Partei- 
mehrbeit. Nach seiner Ruckkehr kanzelten inn dafur Parteivorstand 
und Parteiausschufz in heftigster Weise ab. Denn wohl durften die 
Sudekum und Richard Fisciher als freiwillige Agenten der deutschen 
Militaristen im Auslande berumreisen, wenn aber ein Sozialdemokrat 
auslandischen Parteigenossen gegenuber die Wahrheit ix'ber den 
Krieg aussprach, dann war das nach der Meinung der Mehrheit des 
Parteivorstandes ein Verbrechen. 

Am 22. Oktober hatte auch das preuizische Abgeord« 
n e t e n h a u s eine Kriegssitzung. Es sollte anderthalb Milliarden 
fur Ausgaben bewiiligen, die durch den Krieg verursacht wurden. 
Die Regierung versuchte die Vorlage oihne jegliche Debatte durch- 
zupeitschen. Die burgerlichen Parteien waren damit einverstanden, 
die kleine s o z i a 1 d e mo kratische Fraktion wolite das 
verhindern und eine grund'liche Beratung der Vorlage herbeifuhren. 
Die Fraktion gab eine Erklarung ab, deren Inhalt sich in den 
bescheidensten Grenzen der Kritik hielt, aber trotzdem das Un- 
behagen der Regierung und der burgerlichen Parteien erweckte. Als 
die Erklarung der Sozialdemokrat en verlesen wurde, fand sie an 
einigen Stellen auch den Beifall der biirgerlichen Parteien. Bei der 
Forderung auf Einfuhrung des demokratischen Wahlrechts dagegen 
erhob sich bei den konservativen Parteien ein deutliches Gemurmel 
des Unwillens. Bei -der Schlufzrede des Prasidenten verlie&en die 
Genossen Hofer, Adolf Hoffmann, Paul Hoffmann, Liebknecht und 
Strobel den SaaL Die anderen flinf sozialdemoikratischen Abgeord- 
neten bliehen darin und erhoben sich bei dem Hoch auf die Armee 
und auf den obersten Kriegsherrn. 

Urn die Gegner der Kriegspolitik im Reichstag und Abgeordneten* 
haus sammelte sich nun ein von Woche zu Woche groizer werdender 
Kreis von Parteigenossen. Da offentliche Ausspradben untersagt 
waren und auch in Parteiversammlungen eine klare Stellungnahme 
sich nicht immer ermoglichen liefe r muizte sich die Opposition zti 
besondieren Z u s a m m e n k ii n £ t te n v e r e i n i g e n. Durch 
Flugblatter und Broschiiren versuchte die Opposition Elnflufe auf die 
Masse der ununterrichteten Parteigenossen zu gewinnen. Allerdings 
kam es bald zu einer T^ilungder Ansichten dariiber, welche 

41 



Talctik gegen die offizielle Kriegspolitik der Parte! anzuwenden sei. 
Diese Differ enzen haben spater zur Absplitterung der Spartakus- 
k r e i s e von der iibrigen Opposition geftihrt. Karl Liebknecht und 
seine Freunde wollten sofort losschiagen, trotzdem vorerst nur 
geringe Krafte zur Verfugung standen und man Gefahr lief, durch 
diese Voreiligkeit jede Opposition unmoglich zu machen. Wie die 
Nachfahren der Spartakusanhang i er, die Kommunisten der verschie- 
denen Spielarten, ohne |ede Rilcksicht auf die tatsachlichen Macht- 
verhaltnisse ihre Parolen hinausschleudern -und dadurch die Aktions- 
kraft der Arbeiterklasse schwaahen, so wollte Liebknecht damals 
schon den offenen Kampf gegen den Krieg und die Kriegspolitik 
der Parteimehrheit aufnehxnen, trotzdem ieder Kenner der Verhalt- 
nisse sich dariiber klar sein mufcte, daiz solche Putschpolitik die 
Sadie der Opposition nur aufs schwerste geschadigt hatte. 

In einem Artikel des Kopenhagener „Sozialdemokraten" vom 
1. November wurde liber die Stimmung in Deutschland 
festgestellt: „Die Arbeiter fangen an, den Prieden ber'beizusehnen, 
und sie verstehen sohon, dalz aus diesem Frieden durch Siege auf 
dem Schlachrfeld nichts werden wird/sondern aliein durch den Sieg 
der Demokratie und des Sozialismus/' Soweit es unter dem Zwang 
der Zensur iiberhaupt moglich war, kam diese Stimmung im ? r V or- 
wSrt s", dem Zentralorgan der Partei, zum Ausdruck Das war nun 
den patriotischen Kreisen, die neben der Mehrheit des Partei- 
vorstandes auch die General Commission der G e w e r k » 
schaften Deutschlands bildete, gar nicht recht Zwar 
hatten die Gewerkschaften bis zum Kriegsausbruch den Schein zu 
wahren gesucht, als ob sie parteipolitisch neutral seien. Aber jetzt 
schworen die Generalkommission und die Mehrzahl der Gewerk- 
schaftsvorstSnde feierlich den Klassenkampf ab und ergaben sich 
mit Herz und Hand der glorreichen Fiihrung Wilhelms und seiner 
Paladine. Und deshalb war ihnen die Haltun^ des „Vorwarts" ein 
Scheuel und ein Greuel. Es kam zu scharfen Auseinandersetzungen 
in intemen Sitzungen. Im Anschlulz daran veroffentlichte die P r e fz- 
kom mission des , r Vorwarts" am 24 November folgende 
Brklarung: 

Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands hat in Nr. 47 
des Korrespondenzblattes Vorgange aus einer internen Besprechung, die 
zwischen dem Parteivorstand, der Generalkommission und der Redaktion 
des „Vorwarts" stattgefunden hat, der Oeffentlichkeit tibergeben. Wir 
sehen von einer ausfuhrlichen Er6rterung der Angelegenheit unter den 
gegen wartigen Verh&ltnissen ab und wollen nur Folgendes bemerken: 

Die Generalkommission gibt als Hauptpunkte der vorgetragenen 
Besch werden Folgendes an: 

1. Der ^Vorwarts" soil die Interessen der deutschen Partei gegen An« 
griffe sozialistischer Parteien des Auslandes vertreten. 

2. Der „Vorwarts* 4 soil sich in seinen Berichten iiber Greuel, Ver« 
wundeten- und Gefangenenbehandlung der grofzten Objektivitat be* 
fleifeigen. 

3. Der „Vorwarts" soil mehr wie bisher den sozialen und wirtschaft* 
lichen Fragen seine Aufmerksamkeit widmen. 

4. Der „Vorwarts" soil dem Chauvinismus, dem Hurrapatriotismus 
und alien Annexionsgelusten entgegenarbeiten, wie es auch der Partei- 



vorstand durch sein Zirkular an die gesarnte Parteipresse schon in den 

ersten Kriegswochen verlangte. 

Zu Punkt 4 wurde noch besonders festgesteilt, dak die General** 
kommision in dieser Auffassung durchaus mit dem Parteivorstand einig 
seL Dem wurde allseitig zugestimmt." 

Demgegenuber wolien wir zu der Mitteilung der Generalkommission 
bemerken, dalz die Presskonimission nach ausfuhrlichen Beratungen sich 
mit der H a 1 1 u n g d e s 7 ,V or warts" durch Annahme folgender Re- 
solution vollstandig einverstanden erklart hat: 

Nach grundlicher Pruning der gegen die politische Haltung des 

, ? Vorwart$" in der jetzigen Kriegszeit erhobenen Beschwerden erkl&rt 

die Presskommission: 
Die gegen die Redaktion des „Vorwarts" erhobenen Vorwurfe 

konnen als berechtigt nicht anerkannt werden. Die Press« 

kommission ist vielmehr der Auffassung, dalz der „Vorwarts", soweit 

es ihm unter den heutigen aulzerordentlich schweren Bedingungen 

mogiich war, nach besten Kraften seine Pflicht und Schuldigkeit gegen~ 

iiber der Partei erfiillt. 
1 Getreu den sozialdemokratischen Prinzipien und gemalz den Be* 

schliisisen der internationalen Kongresse, hat der y ,Vorwarts" auch im 

Kriege den Geboten der Menschlichkeit Rechnung zu tragen und sich 

gegen den Giauvinismus zu wenden. 
Die Presskommission erwartet von der Redaktion des ,,Vorwarts**, 

dalz auch in der Zukunft die Haltung des , y Vorw&rts" von diesen Grund« 

satzen bestimmt wir<L 
Die Presskommission ist der lleberzeugung, dafz sie sich in ihren 

Entschliissen in Uebereinstimmung befindet mit der grofzen Mehrheit 

ihrer Auftraggeber, die bisher vom rr Vorvvarts" stets eine prinzipielle 

sozialdemokratsiche Haltung verlangt haben. 

Dieser Resolution ist der Zentralvorstand des Verbandes 
der Wahlverefne Grofz^Berlins beigetreten. 

Anfang November 1914 wurde in einer Sitzung der Berliner 
ParteifunktionHre heftig iiber die Kreditbewilligung gestritteru 
Strobel machte dort einstiindige Ausfiihrungen liter die Kriegs- 
ereignisse und wies nach, dafz nur in schleunigem Friedensschlufe 
das Heil liege. Der gunstigste Fall fur Deutschland sei eine Remis- 
partie; nicht nur sozialdemokratiscbe, sondern auch im biirgerlicshen 
Sinne vaterlMndische Pflicht sei es daher, die Regierung mit aller 
Kraft zu einem Verstandigungsfrieden zu drangen, 
den man jetzt noch haben konne, spater vielleicht nicht mehr. Auf 
die Berliner Organisationsvertreter blieben diese Ausfiihrungen nicht 
ohne Eindruck, die anwesenden Mehrheitler dagegen schlugen sie 
in den Wind; sie glaubten unerschiitterlich an den Bndsieg, an 
KriegsentscthSdigung und Beuteteilung. 

Auch in anderen Orten, wie in Bremen, Stuttgart, 
Dresden, Leipzig, Hamburg, war es zu lebhaften Aus- 
einandersetzungen gekommen. Daruber riickte der Tag immer naher, 
an dem der Reichstag die zweiten Milliardenkredite fiir 
den Krieg bewilligen sollte. Wie wiirde sich die sozialdemokratische 
Fraktion diesmal entscheiden? In der Broschtire „Klassenkampf 
gegen den Krieg" finden wir daruber langere Mitteilungen, denen 
wir folgendes entnehmen: 

43 



Am 2 9. November 19i4 trat die Fraktion zur Vorbereitung der 
Reicbstagssitzung vom 2. Dezember 1914 zusammen, in der iiber den 
zweiten Funfmilliarden«Kredit zu entscbeiden war. Die K r e d i t « 
D e b a 1 1 e gestaltete sich sehr lebhaft und beansprucKte fast zwei Tage. 

Die Anhanger der Kreditbewilligung entwarfen nacb angeblicben 
autbentischen Informationen ein duster es Bild von der militari* 
schen Lage Deutscb lands, die Griinde, die f ur die Bewilligung 
vom 4. August mafzgebend gewesen seien, bestanden verstarkt fort. Die 
Anregung von biirgerlicber Seite (Erzberger), eine Erklarung, die u. a. 
der tapferen Helden der „Emden" und von Tsingtau rubmend gedenken 
sollte, gemeinsam mit alien anderen Parteien abzugeben oder ohne jede 
Erklarung zu votieren, wurde zwar von verschiedenen Seiten durch Zu« 
rufe sympathiscb begruizt, aber nicht zur Abstimmung gestellt, da sie 
der Auffassung der groizen Mebrbeit offensicbtlicb zuwiderlief. Die 
Vertreter der Kredit ver weiger er meinten, die seit dem 
4. August verflossenen Monate batten die Ricbtigkeit ibres Standpunktes 
doppelt bestatigt. i 

Als Haase die Kreditbewilligung eine Zertiiimmerung unserer Partei* 
grundsatze nannte, entgegnete David: dann batten sicb ja aucb die 
Vierzebn der Fraktionsminderbeit, die sicb am 4. August im Plenum der 
Mebrbeit unterworfen batten, an der Zertrummerung der Parteigrundsatze 
beteiligt. Ein Zwiscbenruf Liebknecbts: die Konsequenz dieser Be- 
merkung Davids fiibre zur offentlicben Abgabe eines Minderbeitsvotums 
im Plenum, loste lebbafte Bewegung aus. Cohea, der fur die Be« 
willigung eintrat, ricbtete Vorwiirfe gegen Haase, weil er, der am 
4. August die Fraktionserklarung verlesen babe, die Mebrbeit so bef tig 
angreife; bei diesem Standpunkte babe Haase die Erklarung nicbt verlesen 
diirf en. Es entwickelte sicb eine stiirmiiscbe Szene; auf erregte 
Zurufe, dafe die Fraktion Haase zur Abgabe der Erklarung genotigt babe, 
bemerkte C o b e n : Haase babe sicb durcb nicbts zwingen lassen diirfen; 
in einem solcben Falle gebe es keinen ZwangI Ein Genosse scblug vor, 
die Aufbebung des Belagerungszustandes und eine Zusicberung der Re- 
gierung zu verlangen, dalz sie den Krieg nur zur Verteidigung Deutscb~ 
lands, zur Niederwerfung des Zarismus und zur Befreiung der vom Zaris~ 
mus unterdriickten Volker fubre; nur bei Erfullung dieser und einiger 
anderer Forderungen komme die Kreditbewilligung fur ibn in Frage; es 
bandle sicb um keine prinzipielle, sondern um eine Zweckmalzig- 
k e i t s f r a g e. Dieser Vorscblag wurde als utopiscb und inkonsequent 
bekampft; die etwaige — aber ausgescblossene — Aufbebung des Be~ 
lagerungszustandes wixrde seine Wiedervjerbangung nicbt verbindem; 
eine etwaige — aber ausgescblossene — Zusicberung der verlangten Art 
wiirde vollkommen wertlos sein; der Regierung, die am 3. und 4. August 
die Fraktion, den Reicbstag und das ganze Volk im Punkt des belgiscben 
Neutralitatsbrucbs so schnode getauscbt babe, der Regierung des ver~ 
fassungswidrigen Belagerungszustandes, konne kein Vertrauen gescbenkt 
werden; wer sei ubrigens jetzt die Regierung? Der Reicbskanzler sobwer~ 
licbr Vor allem aber sei es widersinnig, den Gbarakter des Krieges in die 
Disposition der Regierung stellen zu wollen; der objektive gescbicbtlicbe 
Gbarakter des Krieges durfe allein die Haltung zu ibm bestimmen, nicbt 
eine Zusicberung oder eine Auffassung der Regierung uber diesen 
Gbarakter. ! 

Liebknecbt, der wegen seiner angeblicben Wiiblereien in der 
Partei scbwer angegriffen wurde, aber diese Vorwiirfe als baltlos zur\ick« 
wies, legte dar, da£ die Kreditbewilligung gegen das Programm, die Be« 
scblusse der Parteitage, besonders der von Liibeck, Hamburg und Magde^ 
burg und die Bescbliisse der international en Kongresse von Stuttgart und 



44 



Basel verstolze; das Parteiprogramm schlieize es aus^ fur kriegerische Er« 
oberungen einzutreten, der imperialistische Zweck des jetzigen Krieges 
aber sei militarische Vergewaltigung und Annexion anderer Lander, und 
zwar ganz unabhangig von der jeweiligen militarischen Lage; Bewilligung 
der Kredite heifze Bewilligung der Mittel zur Unterdruckung Belgiens 
und Nordostfrankreichs. Dalz Wehrvorlagen nach Programm und Partei- 
beschhissen abzulehnen sind, wagte biisher niemand zu bezweifeln; die 
Kreditvorlage aber ist nichts anderes als eine riesenhafte Wehrvorlage, 
nur eine durch den Blankocharakter des Kredits und die Aktualitat des 
Mordzweckes besonders bosartige. Die internationalen Kongrefz- 
beschliisse schreiben nicht nur die Ablehmmg aller Miiitarausgaben aus~ 
drucklich vor, sondern audi die Aawenf wng aller wirksamen 
Mittel zurVerhinderung des Kfieges; nach Kriegsaus- 
bruch die Kredite bewilligen, heilzt aber: den Kampf gegen den Krieg vor 
Kriegsausbruch zu einer Farce machen, seine Kraft von vomherein zer« 
brechen, ja geradezu zum Kriege einladen und fur die Zukunft jede Oppo« 
sition gegen Kriegshetzereien der Wirkungslosigkeit und berechtigten 
Nichtachtung uberliefern. Die Kongrelzbeschlusse geben weiter auf: nach 
Kriegsausbruch alles fiir schleunigeBeendigung desKrieges 
einzusetzen; zugleich die Kriegskredite bewilligen und fiir den 
Frieden reden, das hei&e aber: mit der Linken die Friedenspalme 
schwingen, wahrend man mit der Rechten dem Militarismus das Schwert 
in die Band druckt. Die Kongrelzbeschlusse fordern schliefzlich Aus~ 
niitzung der durch den Krieg hervorgerufenen Lage zur Aufrutte- 
lung der Massen, d. h. zum Klassenkampf. Der Internationale 
Klassenkampf gegen den Krieg sei damit als die einzigmogliche Politik 
des Proletariats gegen den jetzt ausgebrochenen imperialistischen Krieg 
erkannt, da jede andere Politik eine positive Unterstiitzung der Massen- 
metzelei zu Ehr und Nutz des Imperialismus bedeute. Wer aber wage zu 
behaupten 7 dalz die in der Partei jetzt zumeist betriebene Politik dieser 
Parole des verscharften Klassenkampfes entspreche? Und dalz die Kredit- 
bewilligung mit einem solchen Klassenkampf vereinbar sei? Liebknecht 
beantragte, die Fraktion moge am 2. Dezember eine Erklarung im 
Sinne dieser Ausfuhrungen abgeben. 

Gegen 17 Stimmen (den Vierzehn vom 3. August — aulzer 
Lensch, der sich diesmal zur Mehrheit schlug — und weiter Emmel, Stadt- 
hagen r Stolle, Baudert) wurde die Bewilligung beschlossen. 
Die Ausarbeitung der Erklarung wurde wieder einer Kommission uber« 
tragen, deren Werk am 30. November mit unerheblicher Aenderung an- 
genommen wurde. Ein zur Verlasung gebrachter Brief Viktor 
Adlers, der die Fraktion beschwor, eine energische Kundgebung fur 
den Frieden und gegen den Bruch der belgischen Neutralitat zu erlassen, 
blieb ohne Erfolg. Die Mehrheit erachtete jedes offentliche Eintreten fiir 
den Frieden als eine Gefahrdung der Inter essen Deutschlands, und be- 
gniigte sich mit der Wiederholung eines Satzes aus der Erklarung vom 
4. August. Ein Protest gegen die Verletzung der belgischen Neutralitat 
wurde abgelehnt und nur beschlossen r falls der Reichskanzler am 2. De« 
zember nach dem Willen der Kriegspartei eine Rechtfertigung dieses 
Volkerrechtsbruches unternehmen sollte r den Standpunkt des Reichs^ 
kanzlers vom 4. August kurz aufrecht zu erhalten. ; 

H e n k e beantragte, der Minderheit aus drucklich zu ge« 
statten, ihre abweichende Auffassung offentlich im 
Plenum zu vertreten und zu begriinden. Dagegen wandte sich 
u. a. H a a s e und Molkenbuhr, Letzterer berief sich auf einen Be- 
schlufz des Gothaer Parteitages von 1876 r der einheitliche Frakriontsab- 
stimmung vorschreibe, Der Antrag wurde darauf von Henke zuriickge« 

45 



zogen, al>er von Liebknecht aufgenommen und verteidigi Er ver« 
fiel gegen 7 Stimrnen der Ablehnung. 

Wie am 3. August so weigerte sich 11 aase auch am 30. No« 
vember hartnackig gegen die Verlesung der Mehrheitserklarung. Nach 
langem Drangen lielz er sich jedoch auch diesnial umstimmen, 
Wie die am 3. August beschlossene Erklarung, so wurde auch die jetzige 
den burgerlichen Parteien und der Regierung alsbald unterbreitet. W&h* 
rend die Regierung zunachsst keine Einwendung erhob, drangten die bur* 
gerlichen Parteien und schliefzlich auch die Regierung am 1. Dezember, 
an dem die Verhandlungen der glorreichen freien Kommission begannen, 
auf Streichung oder Abanderung der Satze liber den Belagerungszustand, 
die Annexionspolitik und die belgische Frage. Staatssekretar Delbruck 
bemerkte dabei zu den Fraktionsvertretern: ihm hatten Fraktionsmit* 
glieder gesagt, sie seien bereit 7 ohne jede Erklarung der Fraktion fur die 
Kredite zu stimmen; und der Volksparteiler Payer: er wisse aus dem 
, Munde von sozialdemokratischen Abgeordneten, dafz sie keineswegs 
grundsatzlich Gegner von Eroberungen seien. Eine in der 
Fraktionssitzung vom 2. Dezember ergangene Auffordenmg, die be« 
treffenden Genossen mochten sich melden 7 blieb erfolglos. 

Als die auf Aenderung der Erklarung gerichteten Machenschaften am 
Abend des 1. Dezember in der Fraktion bekannt wurden, versammelten 
sich auf Veranlassung Hochs e t w a 2 0—3 Fraktionsmitglieder 
und beschlossen feierlich, falls die Fraktionsmehrheit dem Willen der 
burgerlichen Parteien und der Regierung nachgebe 7 sich dem 6 f f e n t « 
iich zu widersetzen und die am 30. November abgefalzte Erklarung 
in der Plenarsitzung vom 2. Dezember als Minderheitsvotum vorzutragen, 
Es sollte jedoch beim guten Willen bleiben. Die Drohung geniigte; die 
heroische Tat blieb der Weltgeschichte erspart. 

Im Plenum stimmte Liebknecht als einziger Abgeordneter gegen 
die Kriegskredite. Er versuchfce eine Erklarung zu Protokoll zu 
geben, was vorn Prasidenten aber verhindert wurde. Am nachsten 
Tage schrieb er dem Fraktionsvorstand, dafz er sich in einer Zwangs- 
lage bekinden habe. Er habe sich bemuht, von der Fraktion die 
Erlaubnis zu ;einer abweiohenden Abstimrrtung zu erwirken. Die 
Fraktion habe sie versagt, obwohl der jeteige Fall, sowohl seiner 
Bedeutung wie seinen irmeren Schwierigkeiten nach, ein ganz einzig- 
artiger gewesen sei. In diesem Gewissenskonflikt habe Liebknecht 
die Pflicht der Fraktionsdisziplin, so hoch er sie schatze, 
der Pflicht zur Vertretung des P a r t e i programms unterzuordnen. 
Er hoffe, dafiir bei den Genossen in- und aufzerhalb der Fraktion 
Verstandnis zu finden. Dieses Verstandnis fand Liebknecht nicht. 
Am 3. Dezember veroffentlichte der rr Vorwarts" folg-ende Erklarung 
des Fraktionsvorstandes, die mit sechs gegen eine Stimme 
beschlossen worden war: 

JDer Vorstand der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion stellt fest, 
daiz der Genosse Karl Liebknecht entgegen dem alten Brauch der Frak« 
tion, der durch einen ausdrucklichen Beschiulz ftir den vorliegenden Fall 
erneuert wurde, gegen die Kriegskreditvorlage gestimmt hat. Der Vor- 
stand bedauert diesen Bruch der Disziplin, der die Fraktion noch 
beschaftigen wird, aufs tiefste." 

Die Situation in der Parte! sohren sich aufzerlich noch nicht erheb- 
lich geandext zai haben; aber doch hatte sich seit dem 4. August im 
Innern der Parte! eine erhebliche Wandlu n g volkogen, 

46 



Jansson, ein Mitglied der Generalkommission, mochte damals 
freilich in einem skandinavischen Blatt noch frohlocken: 

JDie kleine Minoritat, die fiir Demonstrationen und Skandale 
mehr schwarmt als fiir eine ergebnisreiche Arbeit erpolitik im Lande, hat 
wirklich keine Bedeutung. Ihre ganze Haltung steht — und zwar nicht 
nut jetzt — in einer so absoluten Opposition gegen die niichteme Real- 
politik r die die skandinavische Arbeit erpartei bis jetzt getrieben hat, dalz 
sie in Skandinavien keinen Anklang finden sollte und auch nicht finden 
wiirde r wenn nicht der Weltkrieg so viele sonst klare Gehime verwirrt 
hatte. Nach dem Schlusse des Krieges werden wir sehen r ob nicht dieser 
Umsturz in der kapitalistischen Gesellschaft auch ein groizes Kultur« 
werk vollbracht hat, man muJz wohl wenigstens hoffen, dalz solch gTofze 
Opfer nicht vergeblich gebracht werden." 

Bald zeigte es sich, dalz die Opposition doch nicht mehr so 
scbwach war, und je weiter der Krieg fortschritt, je mehr „Kultur- 
werke" der deutsche Militarismus vollbrachte, desto schneller vollzog 
sich der Umschwung in der deutschen Sozialdemokratie. 



O^O^O^Ot»<S^ 



<^^f^S^&^^^sSb l ^^^^Bim^^^^^^^^3^i^^^i^^^&^^ 



Die ersfe Budgeibewilligung. 

llnterdrudkung-smalziialurLen gegen die Opposition. — Sozkldemokra* 
tische Neujahrsgrulze nach England. — Scheidemanns Neujahrswunsch. 
— Die Versammlimg der Berliner Gewerkschaftsfunktionare. — Dei- 
Fall Liebkitecht. — Riicktritt Ledebouris -aus dem Fraktionsvorstand. — 
Protest gegen barbarisclie Kriegfuhrung. — Die Zustimmung zum Btat. 

Der Feldzug war tfiir Deutschland von Amfang an politisch ver« 
loren. Je rnehr sich der 'Krieg gerade infolge der ersten deutschen 
Siege in die Lange zog, desto mehr Zeit gewannen die Gegner 
Deutschlands, ihre ungeheuren wirtschaftlichen, politischen und miii« 
tarischen Krafte zu organisieren. Der Krieg war politisch ent« 
schieden, als England sich an die Sedte Prankreiahs und RuMands 
stellte, -als sich It alien fiir neutral erklarte, als fast die ganze ubrige 
Welt sich gegen die Mittelmachte wandte. Militarisch war der Welt- 
krieg rait der deutschen Niederlage an der Marne 
entschieden. Je deutlicher aber das alles wurde, desto eifriger 
bemuhten sich die deutschen Kriegstreiber, das Volk liber die Wahr- 
heit zu tauschen. Nunmehr wurde die Parole d-es D u r c h h a 1 1 e n s 
ausgegeben. Die miilitarische Faust senkte sicih auf alles, was die 
Durchhaltestimmung gefahrden konnte. Bald regnete es von Ver~ 
boten gegen diejenigen Blatter der Soziaidemokratie, die nicht ganz 
im Gleichmarsch der Kriegstreiber einherschritten. Wo es nicht zu 
Verboten kam r dort verhangte man wenigstens die Praventivzensur. 
Eine besonders unruhmliche Rolle spielten dabei einige Parteiblatter, 
wie das „VoIksblatt" in Cassel und idle , r Vofestirnrne" in Chemnitz, 
die sogar noch die Militarbehorde zu Verbotmafznahmen gegen 
andere Parteibiatter anregten. Die Partei durfte im allgemeinen ihre 
Mitgliederversammlungen abhalten, allerdings unter sorgsamer pohV 
zeilieher Beobachtung. In einigen Orten verbot man aber auch diese 
Mitgliederversammlungen, so besonders in Hamburg, trotzdem 
an der patriotischen Haltung des ^Hamburger Echos" und der Ham- 
burger Parteiinstanzen kein Zweifel eriaubt war. Selbst dem r ,Ham« 
burger Echo" entrang sich der Seufzer: „Was hilft alle Aufklarung\s~ 
arbeit im Ausland, was hilft das Bemuhen der deutschen Sozial- 
demokratie, die Einmutigkeit des deutschen Volkes zu bezeugen, 
wenn Polizeistreiche dieser Art das Reich in den Augen der Auizen- 
welt als einen S t a a t r e i n e r W i 1 1 k il r erscheinen 
1 a s s e n." Im Dezember wurde die Genossin Rosa Luxemburg 
aufgefordert, sich bis zum 15. Januar im Berliner Frauengefangnis 
zum Antritt einer einjahrigen Gefangnisstrafe zu melden, die ihr fast 
ein Jahr vorher von der Frankfurter Strafkarrroer wegen aufrilhre- 

48 



rischer Reden gegen den Militarismus zudiktiert worden war, und 
kaum g-elang es, fiir die kranke Frau einen Aufschub zu erwirken, 

Die leitenden Instanzen lielzen es von ihrer Seite aus an nichts 
fehlen, urn die Parteigenossen im Lande fiir die Durchhalteparole zu 
gewinnen. Am 22. Dezember erlielzen Parteivorstand und Reichs- 
tagsfraktion eine Erklarung gegen den Reichstags abgeordneten 
Georges Weill, einen gebiirtigen Blsasser, der in die fran~ 
zosische Armee eingetreten war, also dieselbe Siinde begangen hatte, 
wegen der Ludwig Frank von alien deutschen Sozialpatrioten 
stiirmisch gefeiert worden war. Weill habe sich mit dieser unpatrio- 
tischen Haltung, so wurde verkiindet, „aufzerhalb der Partei gestellt", 
und so hat man schon damals die Formel gefunden, die spater gegen 
die Opposition massenhaft angewendet worden ist. In einer anderen 
Erklarung wandte sich der Parteivorstand gegen einige Berichte von 
Parabellum (Karl Radek) und Homo (Grumbach) iiber die Vorgange 
in Deutschland, die in auswartigen Parteiblattern erschienen waren. 

Von dieser hurrapatriotischen Betatigung stachen die Zuschriften 
einiger Parteigenossen fiir die Neujahrsnummer des „Labour Leader", 
des Organs der Unabhangigen Arbeiterpartei Englands, angenehm 
ab. Franz Mehring schrieb, das ungiinstige Licht, worin die 
deutsche Sozialdemokratie den Schwesterparteien des Auslandes 
erscheine, tausche. Was sich heute in ihr abspielt, habe sein Vor~ 
bild in dem ersten Jahre des Sozialistengesetzes, wo die Pixhrer auch 
kopflos wurden, aber die Massen sich bald sammelten unter der 
Parole: Mit den Fiihrern, wenn diese wollen, ohne die Fiihrer, 
wenn sie untatig bleiben, t r o t z den Fiihrern, wenn sie widerstreben. 
Rosa Luxemburg fiihrte aus, es sei notig, die bittere Wahrheit 
auszusprechen, dalz die Internationale der Arbeit erklasse schmach- 
voll zusammengebrochen war, und am schmachvollsten die deutsche 
Sektion der Internationale, die an der Spitze des Weltproletariats zu 
marschieren berufen war. Es ware das verhangnisvollste fiir die 
Zukunft des Sozialismus, wenn sich die Arbeiterparteien verschie- 
dener Lander entschliefzen wurden, die burgerliche Theorie und 
Praxis vollig anzunehmen, wonach es als naturlich und unvermeidlich 
gelten solle, dafe sich die Proletarier verschiedener Nationen im 
Kriege auf Kommando ihrer herrschenden Klassen gegenseitig die 
Gurgeln abschneiden, nach dem Kriege aber miteinander wieder 
briiderliche Umarmungen austauschen, wie wenn nichts geschehen 
ware. Karl Liebknecht rief, dalz nicht unsere sozialistischen 
Grundsatze versagt batten, sondern deren Vertreter. Es gelte, unsere 
Lehre nicht zu andern, sondern sie lebendig zu machen. Jede sozia- 
listische Partei habe ihren Feind, den Feind des internationalen 
Proletariats im eigenen Lande, dort habe sie ihn zu bekampfen. Das 
Wohlergehen aller Volker sei untrennbar miteinander verkniipft; der 
Klassenkampf des Proletariats konne nur international gefiihrt werden. 

Auch der Parteivorstand liefz es sich nicht nehmen, dem 
yr Labour Leader" als Weihnachtsgrufz eine Erklarung zu ubermitteln, 
worin er seine Treue fiir den internationalen Sozialismus, fiir seine 
Sehnsucht nach dem Frieden betonte. Wie es bei den Fiihrern der 
Mehrheit aber in Wirklichkeit damit bestellt war, dafiir bietet der 
Neujahrswunsch von Philipp Scheidemann an seine Solinger Wahler 

4 49 



ein wahrhaft klassisches BeispieL Nicht wegen der iPerson seines 
Verfassers, sondern well d^r Brief die Auffassungen weife'r Partei- 
kreise so deutlich kennzeichnet, moge er hier einen Plate finden: 

Die besten Wiinsche zum neuen Jahre! 

Schwere Sorge lastet auf uns alien . . . Qualend sind die schlaflosen 
Nachte, in denen wir uriserer Lieben gedenken, die ira Felde steh-en. 
Grausam wiihlt der Schmerz im Herzen derer ? die das Liebste schon haben 
hergeben miissen . . . ! 

Hut ab vor den Helden, die fur unser Vaterland gefallen sindl 

Grofzer als die Sorgen und Schmerzen miissen .unser unbeugsamer 
Wille, unsere unerschiitterliche Entschlossenheit sein. Wir wollen die 
furchtbare Zeit nicht nur in Harem Bewulztsein mit offenen Augen durch* 
leben, wir wollen audi die Absichten unserer Feinde zuschanden madienc 
wir wollen sie gen! 

Und so wiinsche icK zum Jahreswechsel alien die Kraft, Kranmer 
und Schmerzen niederkampfen zu konnen. Ich wiinsche alien den uner- 
schiitterlichen Willen zum Dure hhalten bis zum Siege! 

Unseren verwundeten und kranken Soldaten wiinsche ich baldige und 
vollkommene Genesung. Ihnen und ihren Kameraden, die in den 
Schutzengraben hausen, zur See oder auf der Wacht dem Vaterlande 
dienen — ihnen driicke ich herzhaft die Hand! ' 

Ihnen ganz besonders rufe ich zu: Haltet ausl Von Euch hang! 
es ab 7 was aus unserem L a n d e und was aus der deutschen 
Arbeiterschaftwird. ' 

Moge uns das neue Jahr baldigen Sieg und dauernden Frieden 
bringenl - ! 

Berlin, Ende 1914. 

PhilippScheidexnann. 

Die Leitung der r ,Bergischen Arbeiterstimme" in Solingen hatte 
2?war diesen Gliickwunsch in den Anzeigenteil gesteckt, dorthin also, 
wo die Gastwirte, Backer und Fleischer ihre Gratulationen an die 
geehrte Kundschaft abzuladen pflegen; nichtsdestoweniger entsprach 
der Inhalt dieses Scheidemannschen Neujahrsgrufzes der allgemein 
iiblichen sozial-patriotischen Auffassung. Von Verstandigung war 
damals noch keine Rede; der Feind miisse niedergeworfen, der Friede 
diktiert werden. Spater, als der Katzenjammer ii'ber sie kam ? haben 
die Scheidemanner tausendfach beteuert, sie batten von Anfang an 
nichts anderes als den Verstandigungsfrieden im Sinne gehabt. Dieser 
Gliickwunsch zeugt fur eine ganz andere Gesinnung. Es war dieselbe 
Gesinnung, die in Taixsenden von Reden, Aufsatzen r Broschuren und 
Zeitungsartikeln der Konrad Haenisch, Heinrich Schulz, Scheidemann, 
Cunow, Cohen, Heilmann, Winnig, Legien in der n Chemnitz er 
Volksstimme", der /7 Schleswig-Holst i einischen 
V o 1 k s z e i t u n g " in Kiel, im 7r Volksfreund" zu Karlsruhe,, 
in vielen anderen sozialdemokratischen Slattern zum Ausdruck kam. 

Was die wirklichePflicht Jedes Sozialdemokraten in dieser 
Situation war, das hat die Mehrheit der Parteiinstanzen damals e'ben* 
sowenig wie wahrend des ganzen Krieges erkannt. Die deutsche 
Sozialdemokratie mufzte die Kriegsschuld der eigen-en Regierung lest- 
stellen, bevor sie das Recht hatte, die Schuld bei d-en anderen Re- 

50 



gieruxvgen zu suchen. Die deutsche Soziaidemokratie mulzte sich 
wieder auf den granitnen Boden- des Klassenkampfes stellen, den sie 
am 4, August verlassen hatte r und von hier aus die Verbindung rait 
dem Proletariat der anderen Lander wiederherzustellen suchen. Ge~ 
wife waren auch die Arbeiterparteien in Prankreich, in Belgien, in 
England dem Kriegstaumel verf alien, aber die deutschen Heere stan- 
den auf belgischem und franzosischem Boden, die belgischen und 
franzosiscben Soziaiisten konnten also immerhin nooh behaupten, dafz 
ihr Land das Opfer eines Angriffskrieges geworden sei, und dafz sie 
deshalb nach den international-en Beschlussen die Pflicht hatten, die 
Kriegspolitik ihrer Regierungen solange zu unterstutzen, bis der Feind 
aus den Grenzen wieder hinausgedrangt sei. 

Wie dem aber auch sei, die deutsche Soziaidemokratie hatte bis 
25um Kriegsausbruch an der Spitze der internationalen Arbeiterbewe« 
g-ung gestanden, und das legte ihr die Verpflichtung auf, fuhrend 
und wegweisend auch im Kriege voranzugehen. Sie durfte nicht 
warten, bis die Soziaiisten in anderen Landern sich wieder auf sich 
selbst besonnen batten. Wenn die deutsche Soziaidemokratie da- 
mals r noch im ersten Abschnitt des Krieges, wieder das Banner des 
Sozialisnvus und des Klassenkampfes erhoben, die Gemeinschaft mit 
Kapitalismus und Nationalismus aufgegeben hatte, es ware ein Fan- 
farenstolz fur die gesamte proletarische Welt geworden, es hatte die 
Arbeiterklasse zum bestimmenden Faktor in der Weltpolitik gemacht 
Selbst wenn der deutsche Militarismus den Krieg vorzeitig hatte ab- 
brecheh mussen, weil er ihn ohne die Unterstutzung des Proleta- 
riats auch nicht eine Srunde weiterfuhren konnte: glaubt heute noch 
jemand, dafz der Friede nach einem halben Jahre Krieg" ungiinstiger 
ausgefallen ware, als vSer Jahre spater, nachdem Europa zu einer 
Wiiste und zu einem Leichenfeld geworden war? 

Aber immer starker regten sich die Krafte im deutschen Prole- 
tariat, die 4en Kampfgegen die Kriegspolitik aufnahmen. 
Of/iene Worte liefzen sich allerdings nur auf illegalem Wege sagen, 
und so entstand bald eine Fiille von Broschiiren, Flugblattern und 
Korrespondenzen, die im Geheimen hergestellt und von Hand zu 
Hand verbreitet wurden. Start nun die Moglichkeit einer freien Mei~ 
nungsaufzerung wenigstens innerhalb der Partei zu erweitern, ver« 
suchten auch die Parteiinstanzen die Opposition, die ^Quertreiberei", 
mundtot zu machen. Kennzeichnend fiir diese Art der Bekampfung 
unbequemer Meinungen war, was der „ Karlsruhe r V o 1 k s « 
fr-eund" am 22. Januar im Anschlufz an die Erklarungen des 
deutschen Parteivorstandes iiber die Information der auslandischen 
Parteipresse durch deutsche Genossen schrieb: 

77 Waren nicht einige bis her einflufzreiche Literaten die Wortfuhrer 
dieser Opposition, so wiirde es iiberhaupt nicht zweckmalzig sein, sich 
mit ihr zu beschaftigen. Nur der Umstand, dafz diese Literaten V e r « 
dachtigungen und llnwahrheiten in die auslandische Pres.se 
lancieren, zwingt uns 7 dagegen Stellung zu nehmen . . . Den Leuten, die 
sich zu solchen Treibereien rorgeben, mangelt es nioht nur an parted 
genossischen, sondern auch sehr an nationalem Empfinden, denn 
isonst imifzten sie begreifen, dafz in der Situation, in der Deutschland sich 
•augenblicklich befindet, ein solches Treiben im hdchsten Grade verwerf* 
lick 1st, zuraal wenn es jeder tatsachlichen Grundlage 



e n t b e h r t. Offenbar hofften sie, auf dem Umweg uber das Ausland 
grohere Erfolg*e zu erzielen, als es ihnen bislier in Deutschland selbst 
moglich war. 

Einstweilen muiz man sich mit dem Protest gegen die Quertreibereien 
begnugen . . . Nach dem Krieg aber mufz mit diesen Elementen Frak~ 
tur gesprochen werden, wenn die deutsche Sozialdemokratie den gew&!« 
tigen Aufgaben, die ihrer harren, g'ewachsen sein soil. . . . hier handelt 
es sich nicht mehr urn blofze Meinung-sverschiedenheiten, sondem 
darum, ob die Sozialdemokratie eine g r o fz e politische Partei, 
mit -entsprechenden Aufgaben und entsprechender Verantwor- 
tung oder eine Sekte politischer Fanatiker sein soil, die von der 
Wirklichkeit abstrahiert und fatalistisch den Dingen ihren Lauf 
laizt. Wir stehen an einem Wendepunkt der geschichtlichen Ent« 
wicklung. Die politische Aufgabe der Sozialdemokratie kann und darf 
kunf tig nicht darin bestehen, die durch den Weitkrieg abgerisse- 
n e n Faden fortzuspinnen, sondern auf den durch ihn geschaff enen neuen 
Fundamenten aufzubauen." 

Aehnliche Tone schlug Scheidemann am 25. Jariuar 1Q15 in 
einer Rede in Hamburg an. Es wurde darufoer in der Parteipresse 
berichtet: 

Soweit es geeignet ist, falsche Meinungen \iber die Stimmung des deut-« 
schen Volkes zu verbreiten r miissen wir es energisch zurixckweisen. Unter 
dem Sozialistengesetz haben wir Leute, die sich in ahnlicher Weise gegen 
unsere Sache versiindigten, Spitzel gehannt. Was heute von einzelnen 
getrieben wird, ist nichts anderes als Spitzelarbeit. Die Partei wird 
sich dagegen zu wehren wissen. Wir miissen es aber auch ablehnen, uns 
in Zukunft uber unsere praktische Tatig'keit belehren zu lassen von Leu- 
ten, die vor lauter T h e o r i e den Blick fur die Bedurfnisse unseres eige- 
nen Volkes verloren haben. Der deutsche Arbeiter%at grolze Achtung 
vor hoher Gelehrsamkeit, gleichviel woher sie kommt. Wenn aber die 
Gelehrten uns nur Knlippel zwischen die Beine werfen wollen, pfeifen wir 
auf sie . . . 

Durchhaltenf Das muiz jetzt die Parole sein. Wenn der 
Reichskanzler das gleiche Wort gebrauchte, so brauchen wir daraa 
keinen Anstolz zu nehmen. Es gibt keinen besseren Ausdruck fur das„ 
was jetzt notwendig und allein moglich ist . . . Wir konnen nicht wiin~ 
schen, dafz das Opfer unserer kampfenden Briider umsonst gebracht, dafz 
das Blut so vieler Sohne unseres Landes vergebens geflossen sein soil, 
Wir diirfen nichts tun, was ihren Mut, ihre Widerstandskraft lahmeai 
konnte. Das deutsche Volk hat bis jetzt in seiner Ernahrung durch 
diesen furchterlichen Krieg noch nicht zu leiden gehabt, wie andere Vol- 
ker. Wenn es jetzt mit der Emahrungsfrage infolge der Aushungerungs- 
plane Englands auch fur uns emster wird, so wollen wir uns ohne 
Murren in die harte Notwendigkeit fug en. 

Das war die Stimmung in den malzgebenden Parteikrelsen. Durch- 
halten bis zum Siege, Niederwerfung der aufzeren Feinde. Nieder- 
werfung aber auch der Gegner im Innern, namlich desjenigen Teiles 
der deutschen Arheiterschaft, der sich in Opposition gegen die 
sozialdemokratische Kriegspolitik befand. In Wiirttemberg 
ging man wie bisher schon fuhrend darin voran. Nachdem der dor- 
tige Landesvorstand die „Schwabische Tagwacht" geiwaltsam an sich 
gerissen und eine neue Organisation gegrundet hatte, stielz er die 
nicht nach seiner Pfeife tanzenden Genossen rucksichtslos aus der 
Partei aus. Oder man machte es einfacher, indem man wie bei 



Genossen Westmeyer berichtete, dalz ein Ausschlufeverfahren sioh 
erubrigt babe, „w e i 1 W e s t m e y e r s i c h durch sein Ver- 
halten selbst aufeerhalb der Partei gestellt ha t". 

Auch von anderer Seite wurde versucht, die Spaltung der Partei 
schon jetzt vorzunehmen und alle oppositionellen Elemente hinaus- 
zudrangen. Die Berliner Gewerkschaftskommission 
veranstaltete am 27. Januar eine Versammlung der Gewerkschafts« 
funktionare, in der Karl Legien, der Vorsitzende der General- 
kommission, einen Vortrag iiber die Frage hielt: „Warum miissen 
sich die Gewerikschaftsfunktionare mehr am inneren Parteileben be- 
teiligien?" Bis dahin hatte die Generalkommission angstlich darauf 
.gehalten, dalz die Gewerkschaften in die Auseinandersetzungen der 
Sozialdemokratischen Partei nicht hineingezogen wurden. Jetzt aber 
entdeckte sie, dafz die Gewerkschaftsfunktionare die entgegengesetzte 
Pflicht batten. Den Hauptteii dies Vortrages von Legien bildeten 
Vorwiirfe gegen den , r Vorwarts". Da die Redaktion vorher nicht 
verstandigt worden war, so konnte sie ihren Standpunkt in der Ver« 
sammlung nicht vertreten. Der Vortrag von Legien ist spater als 
Broscbure herausgegeben worden. Was in der Diskussion gegen 
Legien gesagt wurde, konnte aus leicht erklarlichen Griinden nicht 
veroffentlicht werden. ^ 

Inzwischen wuchs die Garung in den grofzen Zentren der Arbeit er» 
bewegung. In einer Reihe von Versammlungen wurden Resolutionen 
angenommen, die den Krieg als imperialistisch kennzeichneten und 
Seststellten, dalz die Bewilligung der Kredite eine Unterstutzung dieses 
Krieges bedeute. Bine Kreiskonf erenz des 6. BerlinerReichs- 
tagswahlkreises verlangte vom Parteivorstand, dafz er bei 
der Regierung die Aufhebung des Belagerungszustandes durchsetze. 
Eine andere Versammlung in Berlin protestierte gegen den Bruch 
der luxemburgischen und belgiscben Neutralitat und forderte den 
schieunigen Abschlufo eines Friedens ohne Eroberungen, ohne De~ 
miitigung der beteiligten Volker, eines Friedens im Geiste der inter- 
nationalen sozialistischen Bruderlichkeit. Fiir den 2. Februar war 
eine S i t z u n g der Sozialdemokratischen R e i c h s - 
tagsfraiktion einberuf en worden. Sie fand auf Betreiben Lede- 
bours start, der sein Amt als Mitglied des Fraktionsvorstandes 
niedergelegt hatte, weil er dessen Politik nicht langer mitmachen 
wollte. Die Sitzung sollte sich insbesondere mit dem Verhalten von 
S it d e k u m befassen. Sudekum war neuerdings im Auftrage der 
-deutschen Regierung in Rumanien und in den Kriegsgefangenen- 
lagem herumgereist, um fur die deutsche Sache Stimmung zu 
machen. Das ging sogar dem Parteivorstand gegen den Strich und 
er erteilte Sudekum dafiir eine leise Riige. Aus der Anklage gegen 
Sudekum machten fedoch die Durchhalter schleunigst eine Anklage 
gegen Liebknecht, weil er im Reichtstage gegen die Kriegskredite 
gestimmt hatte und dadurch die Fraktionsdisziplin gebrochen haben 
sollte. 

Zwei Tage lang wurde iiber den Fail Liebknecht diskutiert 
Es lagen folgende drei Antrage vor: 

1. Der Fraktionsvorstand schlug vor: Die Abstimirumg- der 

Fraktion im Plenum des Reichstages hat geschlossen zu erfolgen, soweit 

nicht fiir den einzelnen Fall die Abstimmung ausdriicklich freigegeben ist. 

53 



Glaubt em Fraktionsvorsland nach seiner lleberzeugung an der ge- 
schlossenen Abstimmung der Fraktion nicht teilnehmen zu konnen y so 
steht ihm das Recht zu, der Abstimmung' femzubleiben, ohne dalz dies 
einen demonstrative!! Charakter tragen darf. 

Dazu beantragte Stadthagen den Zusatz, dalz nur solche Frak- 
tionsbeschlusse bindend sind, die dem Parteiprogramm und den Parted 
tagsbesohlussen entsprechen; Bernstein beantragte den. Zusatz, dalz 
denjenigen Fraktionsmitgliedem, die versicherten, den FrakrionsbescMuiz 
nach ihrem Gewissen nicht befolgen zu konnen, die Befugnis zur ab- 
weichenden Abstimmimg gewahrt werden raiisse; Ledebour bean- 
tragte zu Absatz 2, dalz das Fernbleiben nur gestattet sein solle, wenn 
es die Abstimmung der Fraktion im Plenum nicht gefahrde. 

2. L e g i e n f orderte den Ausschlulz Liebknechts aus der 
Fraktion. 

3. FroKme beantragte: Die Fraktion schlielzt sich der uber die Ab- 
stimmung Liebknechts abgegebenen Erklarang des Fraktionsvorstandes 
vom 2. Dezember 1914 an. Sie verurteilt den von Liebknecht begange- 
nen Disziplinbruch aufs scharfste. 

Sie weist die von ihm verbreitete Begrimdung seiner Abstiimrnmg ak 
unvereinbar mit den Interessen der deutschen Sozialdemokratie em- 
schieden zurixck. 

Ebenso verurteilt sie die von Liebknecht im Ausland verbreiteteu irre- 
fuhrenden Mitteihmgen iiber Vorgange innerhalb der Partei. 

Da der Fraktion nach dem Organisationsstatut nicht die Handhabe zu 
weitergehenden Maiznahmen zusteht, so muiz sie die endgiiltige Ent- 
scheidung dem nachsten Parteitag anheimstellen. 

Hierzu st elite Bernstein einen Abanderungsantrag, der anerkennt, 
dalz Liebknecht im guten Glauben und in bester Ueberzeugung ge~ 
handelt habe. 

Die Mehrzahl der Redner wandte sich gegen Liebknecht Stadt- 
hagen und Ledebour betonten, dalz Liebknecht gegen den Be- 
schlufz der Fraktionsmehrheit handeln durfte, da er von der Pro- 
grammwidrigkeit der Kreditbewilligung liberzeugt war. Edmund 
Fischer stellte test, dalz er und 20 — 30 andere Fraktionsmitglieder 
am 3. August entschlossen gewesen seien, entgegen einem etwaigen 
Kreditablehnungsbeschlufz der Fraktion offentlich fiir die Kredite zu 
stimmen: unter diesen Umstanden sei jede Verurteihing Liebknechts 
eine linger echtigkeit und HeucheleL Liebknecht selbst begrCirv- 
dete in ausRihrlichen Darlegungen seinen Standpunkt Der Antrag 
Legiens wurde schliefzlich zurackgezogen, der Antrag des Fraktions- 
vorstandes •mit Q3 gegen 4 Stimmen angenommen, naohdem der Zu- 
satz Bernstein gegen 7 Stimmen, der Zusatz Stadthagen gegen sieb- 
zehrt Stimmen abgelehnt worden war. Vom Antrag Frohme wurde 
der erste. Antrag mit 82 gegen 15 Stimmen, der zweite Absatz mit 
58 gegen 33 Stimmen, der dritte Absatz mifc 51 gegen 39 Stimmen. 
der vierte Absatz mit 82 gegen 7 Stimmen,. schliefzlich der ganze 
Antrag mit 65 gegen 2(5 Stimmen angenommen.. 

Am nachsten Morgen veroffentlichte der „Vorwarts" eine E r - 
k 1 a r u n g von Liebknecht, in der er ausfiihrte, dalz er gegen die 
Kriegskredite gestimmt habe, weil deren Bewilligung nicht nur den 
Interessen des Proletariats, sondern auch dem Parteiprogramm und 
den Beschlussen internationaler Kongresse scharf widerspreche r und 
weil die Fraktion nicht berechtigt sei f einen Vorstofz gegen Programm 
und Parteibeschlulz vorzuschreiben. Irrefuhrende Mitteilungen liber 

54 



Parteivorgang-e babe er nicht verbreitet. Diese Brklamng rief den 
heftigert Unwiilen der Kreditbewilliger hervor. In der Fraktions- 
siteung voni 4. Februar stellte David folgenden Antrag: 

Die Fraktion weist die Behauptung, dalz die Bewilligung der 
Kriegskredite den Interessen des Proletariats, dem Parteiprogramm 
«md den Beschlussen der intemationaien Kongresse widersprichl y roil 
aller EntscMedenheit zuriick. 

Was die Verbreitung irrefiih render Mitteilungen an 
das Ansland durch Genossen Liebknecht betrifft y so wurde mehr ais 
gentig festgestellt, urn den Beschlulz der Fraktion zu rechtfertigen. 

Stadthagen beantragte fur den Fall der Anna-rime des An- 
trages ausdrucklich zu erklaren, dalz die Fraktion damit die suddeut- 
schen Mehrheitsbeschlilsse auf Budgetbewilligung keineswegs recht- 
fertigen wolle. In der Abstimmung wurde der erste Absatz des An- 
trags David mit 53 gegen 20 Stimmen, der zweite Absatz mit 45 
gegen 26 Stimmen, der ganze Antrag mit 52 gegen 21 Stimmen 
angenommen. Der Zusatzantrag Stadthagen wurde gegen 13 Stim- 
men abgelehnt. 

Auch Ibei der Rehandlung der A m t s n i e d e r 1 e g u n g d e s G e ~ 
nossen L e d >e b o u r bewahrte sich die Hurrastimmung der 
Praktionsmehrheii Die Vorwurfe Ledebours gegen den Fraktions- 
vorstand wurden mit 70 gegen 7 Stimmen als unbegrundet erklart, 
dagegen mit 47 gegen 36 Stimmen ein Antrag angenommen, der 
Ledebours Vorgehen aufs scharfste verurteilt Bin Antrag Lede- 
bours, der die Pflichten des Fraktionsvorstandes zu formulieren 
suchte, wurde mit 35 gegen 32 Stimmen abgelehnt. An die Stelle 
von Ledebour trat Hoch in den Fraktionsvorstand ein. 

Die Fraktionssitzung befaizte sich schliefzlich noch mit der F r i e ~ 
densfrage. Es wurde strengste Geheimhaltung der Debatte be- 
schlosseru Soviel ist aber aus dieser Sitzung doch bekannt ge- 
worden, daiz die Mehrheit der Fraktion noch nicht die Zeit fur 
gekommen erachtete, urn aktiv an der Herbeifuhrung des 
Friedens zu ar.beiten. Sie vertraute vollig auf den Sieg der deutschen 
W«affen und &ah ihre Sache bei Wilhelm II. und Bethmann Hollweg 
in guten Handen. 

In den nachsten Tagen erhielt Liebknecht die Einberufungsorder 
als Armierungssoldat Man beurlaubte ihn fur die Sitzungen des 
Reichstages und des Abgeordnetenhauses, verbot ihm aber aus- 
drackiich r an Versammlungen teilzunehmen, Propaganda zu treiben 
oder Berlin zu verlassen. Am 18, Februar wurde die Genossin 
Luxemburg verhaftet und im Griinen Wagen nach dem Berliner 
Frausengefangnis zur Abbufzung ihrer Strafe gebracht Sie hat die 
deutsche Freiheit erst nach dem militarischen und politischen Zu~ 
sammenbruch im Herbst 1918 wieder geniefeen konnen. 

Am 8, Februar kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen in der 
kieinen >sozialdemokratischen Fraktion des Preufzischen Land- 
tags. Haenisch legte fur die erste Lesung des Etats den Ent- 
wurf einer Erklarung vor r worin angefuhrt wurde, dalz in dieser 
emsten Zeit die feste Geschlossenheit der Nation nach aulzen hin 
unbedingtes Erfordernis sei; deshalb werde in diesem Augenblick 
•auf Erorteningen allgemein polemischer und parteipolitiscrier Natur 

55 



vemchtet. Soweit die Fraktionen Wiinsche und Beschwerden batten, 
wiirden sie diese in der Budgetkommission zur Sprache bringen. 
Liebknecht arbeitete einen anderen Entwurf aus, worin es hiefe, 
dalz noch nicht einmal in dieser Zeit die Regierung sich bewogen 
gefuhlt habe, das Dreiklassenwahlsystem zu beseitigen. Gegen den 
Beiagerungszustand und die Pressezensur und die anderen Ausnahme- 
bestimmungen gegen die Arbeiterklasse werde aufs scharfste pro 
testiert. Der preulzischen Regierung rniisse das Vertrauen versagl 
bleiben. Nur unter dem Eindruck des Priedenswillens der Arbeiter- 
klasse aller Lander werde ein baidiger Friede zustande kommen. 
Die Fraktion nahm den Bntwurf von Haenisch zur Grundlage, strich 
die am meisten beanstandeten Teile und nahm wesentliche Telle 
des Entwurfs von Liebknecht hinein. 

Es nahte die Zeit, in der sich die sozialdemokratische Reichs- 
tagsfraktion mit der Frage befassen mulzte, wie sie sich bei der 
Abstimmung ixberden Etat verhalten wolle. Bisher stand 
es fest, dalz die Bewilligung des Etats eine Vertrauenskundgebung 
fur die Regierung bedeutete. Deshalb batten auch alle Parteitage, 
die sich mit dieser Frage befafzten, beschlossen, dafe Jedes Budget, 
das von der Regierung eines kapitalistischen Staatswesens vorgelegt 
werde, von den Vertretern der Arbeiterklasse a b z u 1 e h n e n sei, 
seibst wenn in einzelnen Forderungen enthalten seien, deren An- 
nahme im Interesse des Proletariats lagen. Der Beschlufzfassung 
auf den Parteitagen war jedesmal eine leidenschaftliche Debatte 
vorausgegangen, >es stand aber iiber jeden Zweifel, dafz ihr alle 
Teile der Partei verbunden waren, und dalz sich auch die Reichstags- 
fraktion an die Parteitagsbeschlusse zu halten hatte. 

Nun waren die bisherigen Kriegskredite, asweimal zu je funf Mil- 
liard en Mark, in besonderen Vorlagen eingebracht worden, den 
dritten Krieg^kredit in Hohe von 10 Milliarden Mark hatte aber die 
Regierung in das Budget hineingearbeitet. Dadurch waren diejenigen 
sozialdemokratischen Abgeordneten, die zwar fiir die Kredite stimmen, 
aber doch nicht die Parteitagsbeschlusse verletzen wollten, in eine 
etwas peinliche Lage geraten, und es bedurfte vieler Ueherredungs- 
kunst der kriegspatriotischen Wortfuhrer, urn Gewissensbedenken 
solcher Art zu beseitigen. Am. 7. Marz war der Parteiausschufz zu- 
sammengetreten. Er billigte mit 35 gegen 5 Stimmen von Antrick, 
Difzmann, Pieilzner, Hennig sund Linde die Bewilligung der Kriegs- 
kredite im Reichstag und erklarte mit 30 gegen 10 Stimmen die 
Bewilligung des K r i e g s b u d g e t s , trotz der Parteitags- 
beschlusse, fiir zulassig und notwendig. Am 8. Marz trat die Reichs- 
tagsfraktion zusammen. Die burgerlichen Parteien und die Regierung 
batten gewimscht, dalz bei der ersten Lesung des Etats uberhaupt 
nicht gesprochen werde. Der rechte Fliigel der Fraktion wollte 
diesen Wunsch erfullen. Nach langen Diskussionen wurde aber be- 
schiossen, dalz Haase eine Etatrede halten solle. Am Q. Marz 
wurde der Inhalt dieser Rede erortert Haase wollte darin auch 
ii b e r den F r i e d e n sprechen. Der rechte Fliigel erklarte, dalz 
}ede Kundgebung des Friedenswillens verderblich sei. Mit 57 Stim- 
men wurde jedoch der Vorschlag von Haase angenommen. 

Baase fiihrte in seiner Rede vom 10. Marz aus, dafe die soziai- 
demokratische Fraktion ihr Votum vom 4. August und vom 2. De- 

56 



member nicht als Handelsgeschaft betrachte. Aber es sei nicht .zu 
biilig<en, dafz die Regierung dem Reichstage trotz der unermefzlichen 
Opfer r die das Volk bisher gebracht babe, lediglicb diesen Etat vor~ 
lege. Die Regierung miisse dafiir sorgen, dafz alien Staatsbixrgern 
ohne Unterschied der Klasse, der Partei, der Konfession, der Natio- 
nalitat voile Gleichberechtigung geiwahrt werde. Vergeblich warte 
das Volk auf die Aufhebung des Belagerungszustandes, der eine 
Erbitterung erzeugt babe, von deren Starke die Regierung sicb keine 
Vorsteliung zu machen scheine. Und wie werde die Zensur gehand- 
habtf Es spotte jeder Beschreibung, aus welchen Griinden Zeitungen 
verfolgt oind unterdriickt werden. Die Berufung auf den Burgfrieden 
arte vielfach geradezu zu einem Unfug aus. Das deutsche Volk 
■dixrfe sicb nicht ausschalten lassen, wenn es sicb um die schicksals« 
schwere Frage seiner Zukunft bandele. Es babe mitzureden und an 
den Entscbeidungen mitzuwirken. Die Sozialdemokratie als Vertre- 
terin. des internationaien Sozialismus und die Partei des Friedens 
wiinsohe, dafz ein dauerhafter Friede geschlossen werde, der nicht 
neue Keime von tZwietracht in sich trage. Bis das blutige Ringen 
2?um Abschlufz gekommen sei, miisse die Emahrung des Volkes 
siehergestellt werden. Von den Kreisen, die in dieser Zeit der Not 
besonders bobe Gewinne einstreichen, mufzten, hohe Besitzsteuern 
^rhoben werden. 

Einige Tage darauf hielt der Herrenhaus-Prasident von Wedel- 
Piesdorf eine Eroberungsrede, und ein Teii der Fraktion verlangte 
nunmehr, dafe Scheidemann, der zum Etat des Reichskanziers 
sprechen sollte, eine Absage an die Annexionspolitik bringe. Es 
wurde dagegen eingewandt, dafz die Regierung keine Annexionen 
wolle, deshalb bestebe kein Anlafz, sicb jetzt gegen sie zu wenden. 
Scheidemann wollte lediglicb bemerken, dafz die Fraktion an ihrem 
fruh-eren Standpunkt zur Annexionsfrage festhalte. Ein Antrag von 
Simon, die Rede von Wed el ausdrucklich zu erwabnen, wurde mit 
48 gegen 39 Stimmen abgelehnt 

In seiner Rede am 18. Marz berief sicb Scheidemann auf 
die Erkiarungen vom 4. August und vom 2. Dezember und be~ 
hauptete, dafz sicb seitdem nicbts zugetragen babe, was die Haltung 
der Fraktion andern konnte. Das Volk miisse durcbbalten, urn den 
Glauben der Gegner an die Besiegbarkeit Deutschlands zu zerstoren. 
Ailerdings miisse man verlangen, dafz wirtschaftliche Mafznahmen 
getroffen wiirden, die das Durchhalten besser ermoglichten. Scheide- 
mann bedauerte sehr, dafz der „Ausbau der Preiheit" erst nach dem 
Kriege erfolgen solle; man batte jene Verheifzungen vom 4. August 
doch jetzt schon erfullen konnen. Aber auch, wenn diese Ver~ 
heilzungen nicht erfiillt wiirden, so durfe es jetzt zu inner en Kampfen 
»nicht kommen. Man kann sich vorstellen, dafz dieses Gerede nicht 
den geringsten Eindruck auf die Regierung und auf die burgerlichen 
Parteien machte. 

Die Fraktion befasste sich nunmehr mit der Frage der K r e d i t - 
b »e w a 11 i g u n g. Einige Abgeordnete verlangten, dafz man nicht 
10, sondern nur 5 Milliarden bewilligen solle. W u r m warnte die 
Ivfehrheit davor, den Bogen zu uberspannen. In den Arbeitermassen 
wachse die Opposition gegen die Fraktionstaktik. David griff die 
Opposition heftig an und meinte, sie werde die Regierung in die 



Arme der Scharfmacher treiben. Legien murmelte einiges von 
Koiwentikelpolitik. Siidekum verlangte die Bewilligung der 
10 Milliarden, damit die Sozialdemokratie sich nicht ausschalten 
lasse. Der Antrag auf Bewilligung von but 5 Milliarden wurde mit 
64 gegen 34 Stimmen abgelehnt Dann wurde mit 77 gegen 23 
Stimmen beschlossen, die 10 Milliarden zu bewilligen. Zwei Ge~ 
nossen erklarten sich noch nachtraglich gegen die Bewilligung. Die 
Namen der Fraktionsmitglieder, die gegen die Kredite in dieser 
Sitzung stimmten, waren: Albrecht, Antrick, Bernstein, Bock^ Ditt- 
mann, Emmel, Fuchs, Geyer, Haase, Henke, Herzfeld, Hoch, Horn. 
Kunert, Ledebour, Leutert, Liebknecht, Peirotes, Ruble, Schwartz, 
Simon, Stadthagen, Stolle, Vogtherr und Zubeil 

E b e r t suchte nunmehr nachzuweisen, dalz auf Grand einfer 
Ausnahmeklausel des Lijbecker Parteitages das Budget bewiffigt 
werden konnte. Im gleichen Sinne sprachen Schopflin, JCohen, 
Landsberg und David. Gegen die Bewilligung wandten sich Bern- 
stein, Haase, Stadthagen und Emmel. Simon beantragte im Falie 
der Bewilligung im Plenum zu erklaren, dalz sie mir unter dem 
Zwange des Krieges erfolge, aber die grundsatzliche Stellung der 
Fraktion in der Budgetfrage nicht beruhre. Mit 60 gegen 34 Stim- 
men wurde der Antrag abg-elehnt. Schliefzlich wurde die Bewilligung 
des Budgets mit 69 gegen 30 Stimmen beschlossen, 5 Genossen 
erklarten sich noch nachtraglich gegen die Bewilligung, Zu den 
obengenannten Fraktionsmitgliedern kamen jetzt noch hinzu: Baudert, 
Brandes, Buchner, Oskar Cohn, Hierl, Hoffmanns-JKaisersiautern, 
Hofrichter, Hugel, Raute und Schmidt-Meifzen. Insgesamt waren also 
jetzt schon 35 Mitglieder der Fraktion Gegner der Kreditbewilligung. 
Ein Antrag Emmel, die Abstimiming im Plenum fiir die Minderheit 
freizugeben, wurde mit 71 gegen 18 Stimmen abgelehnt 

In der Reichstagssitzung vom 20. Marz kam es vor der Abstim- 
mung Ciber das Budget noch zu sturmischen Aruseinandersetzungen.. 
Stadthagen hielt eine Rede iiber das Wuten des Belagerungs- 
zustandes. Er wies nach, dafz nirgendwo in Deutschland jetzt ein 
gesetzlicher Zustand fur die Presse bestehe. Die militarischen Be- 
fehlshaber iibten die vollziehende Gewalt aus und hielten sich in 
keiner Weise dabei an die bestehenden Gesetze. An einer Anzahl 
von Beispielen zeigte Stadthagen, wie die sozialdemokratische Presse, 
naturlich nur die oppositionelle, von der Zensur drangsaliert wurde. 
Viel schlimmer noch als in der Provinz stehe es aber in Berlin,, wo 
sich die militarischen Befehlshaber besonders den „Vorwarts" aufs 
Korn genommen batten. Die Kriegstreiber 'dagegen wiirdert von 
der Zensur in keiner Weise behindert 

Hatte schon diese Rede lebhafte Entrustung bei der Regierung 
and bei den biirgerlichen Parteien hervorgerufen, so steigerte sich 
diese Entrustung zum Sturm, als Ledebour sich gegen die Aus- 
nahmegesetze gegen einzelne Teile der Bevolkerung wandte. Die 
franzosisch sprechende Bevolkerung Elsalz-Lothri-rtgens werde so 
drangsaliert, dafz die Sehnsucht nach der franzosischen Herrschaft 
geradezu in sie hineingepeitscht werde. Ebenso gehe es den Danen 
und den Polen. Die Regierung habe die Parole gegen den Zarismus 
ausgegeben, bei sich zuhause aber ijhe sie sich in alien Alluren des 

58 



Zarismiis. Dann .besprach Ledebour eine Kundgebung der Obersten 
Heeresleitung. Hindenburg hatte die Meldung, dafz russiche Trupper& 
ein paar Dorfer bei Memel niedergebrannt batten, mit folgender 
Drohiung beantwortet: , y Fiir jedes von dies-en Horden auf deutschem 
Boden niedergebrannte Dorf oder Gut werden drei Dorfer des von 
uns besetzten russischen Gebiets in Flammen aufgehenl" Die 
Rechte des Hauses tobte wie besessen, als Ledebour diese barba- 
rische Anweisung ihres Nationalhelden zu kritisieren wagte. 

Nach der Rede des Genossen Ledebour trat ein fourgerlicher 
Redner nach dem anderen auf und verlangte von der sozialdemo» 
kratischen Fraktion eine Erklarung dazu. Ebert und Heine foehaup- 
teten in Zwischenmfen, dalz Ledebour seine Ausfuhrungen nicht ira 
Auf tr age der Fraktion gemacht habe. SchlieizMch erklarte Scheide- 
mann <im Namen des Praktionsvorstandes, dafz Ledebour beauftragt 
gewesen sei, nur iiber den Sprachenparagraphen zu reden. Alles r was 
er daruber hinausgehend gesagt habe, habe er fur seine 
Person gesagt und allein zu verantworten. Diese Erklarung 
w-urde von den burgerlichen Parteien und einem Teile der sozial- 
demokratischen Fraktion mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Aber 
der Kniefall Scheidemanns geniigte ihnen noch nicht Die Sitzung 
wurde auf zwei Stunden unterbrocheru 

In der Pause hielt die sozialdemokratische Fraktion eine Sitzung 
ab. Mit 70 gegen 22 Stimmen bei 6 Enthaltungen wurde be- 
schiossen, durch Scheidemann eine Erklarung abgeben zu lassen, 
wonach die Griinde, die fur die Bewilligung der Kriegskredite am 
4. August und am 2. Dezember bestanden, mafzgehend gewesen 
seien, noch unvermindert fortbestanden. Aus diesem Grunde werde 
die Fraktion auch dem Etat ihre Zustimmung geben. Ein Antrag 
Emmel, in der Erklarung zu bemerken, dafz sie nur fcn Namen der 
Fraktionsmehrheit erfolge, wurde gegen 22 Stimmen abg-elehnt. 
Liebknecht und Ruble hatten dem Fraktionsvorstand rnitge- 
teilt, dalz sie irn Plenum gegen das Budget stimmen wiirden. Legien 
verlangte die Abgabe einer Erklarung, dafz die beiden Genossen 
sich damit a u k e r h a 1 b der Fraktion gestellt hatten; er be- 
schrartkte sich schliefziich auf einen iMiizhilligungsantrag, der mit 
67 gegen 17 Stimmen bei 2 Enthaltungen angenommen wurde. Mat 
gxofzer Mehrbeit wurde die Veroffentlichung der Mifebilligung be- 
schiossen. 

Darauf wandte man sich der Besprechung des Falles Ledebour 
zu. Verschiedene Redner warfen ihm vor, dafz er seine Kompe- 
tenzen (iberschritten habe, und sie verteidigten sogar das Ver~ 
geltungsprinzip gegenuber dem Peinde. Ledebour blieb dabei, dalz 
er die Kennzeichnung der Bar bar ei der Ob erst en Heeresleitung nicht 
bedaure. In der darauffolgenden Plenarsitzung erklarten die Ver- 
treter der burgerlichen Parteien, dafz sie mit dem, was Scheide- 
mann zu der Rede von Ledebour ausgefuhrt hatte, nicht zufrieden 
sein konnten, Graf Westarp fugte noch hinzu, dalz die Zustimmung 
zum Etat die einfache Pflicht jedes Mitgliedes des Hauses sei, was 
heftige Unruhe bei den Sozialdemokraten hervorrief. Scheidemann 
gab schliefziich noch einmal erne Erklarung ah, worin er ausfCihrte, 
d®k seine Fraktion nicht f(ir Jeden Zwischenruf ein-es Abgeordneten 

r>9 



verantwortlich gemacht werden konnte. Er miisse es ablehnen, sich 
von anderen Fraktionen Zensuren erteilen zu lassen. 

Es kam jetzt die Budgetabstimmixng; Liebknecht und Riihle 
stimmten dagegen, vorher batten sich folgende Genossen aus dem 
Saale entfernt: Aibrecht, Antrick, Baudert, Bernstein, Bock, Brandos, 
Biichner, Davidsohn, Dittmann, Bmmel, Fuchs, Geyer, Haase, Henke, 
Herzfeld, Hoch, Hofrichter, Horn, Kunert, Ledeboiir, Leutert, Feirotes, 
Raute, Schmidt (Meiizen), Schwarz (Liibeck), Simon, Stadthagen, 
Stolle, Vogtherr, Zubeil. Oskar Cohn erklarte im , r Vorwarts", dafe 
er durch Krankheit verhindert gewesen sei, den Sitzungen beizu- 
wohnen, er wiirde sich an den Abstimmungen iiber den Gesamtetat 
nicht beteiligt hahen. 



m 



Das Gebot der Siunde. 

Die Annexionswimsche der Unternehmerorganisationen. — Die Wirkung 

der Zustimmung zum Budget. — Die Internationale Frauenkonferenz in 

Bern. — Die Zeitschrift Internationale". — Das Schreiben an den Partei- 

vorstand. — Das Gebot der Stunde. 

Morvat um Monat verstrich und kein Ende des Weltkrieg.es schien 
abzusehen. Hunderttausende von proletarischen Familien jammerten 
urn den Vater, den Sohn, den Bnider, die der unersattliche Moloch 
gafressen hatte. Die gesunden Leute waren verbraucht. Nun kamen 
die Halbinvaliden, die Kranken, halbe Kinder daran. Die Preise der 
Lebensmittel gingen unausgesetzt in die Hohe, die Waren wurden 
immer knapper. Mangel und Sorge zogen in die Arbeiterkreise ein. 
Deutschland versank in einem Meer von Blut und Tranen. 

Dem kapitalistischen Burgertum dagegen ging es so glanzend wie 
nie zuvor. Je hoher sich die Leichenhaufen auf den Schlachtfeldern 
tiirmten, desto schneller stiegen die Profile der Unternehmer. Und 
es inacbte keinen Unterschied, ob es sich um Kapitalisten vom Schlot 
oder vom Halm handelte. Was Wunder, dafz die Bourgeoisie den 
Krieg, diese herrliche Gelegenheit zur personlichen Bereicherung, 
bis ins Unendliche auszudehnen gedachte. Und nun kehrten auch 
die Kriegstreiber ihr wahres Gesicht hervor. Die Unternehmer- 
verbande, der Bund der Landwirte, der deutsche Bauernbund, der 
Zentralverband deutscher Industriellen, der Hansabund und der 
Mittelstandsverband verlangten stiirmisch nach Annexionen in 
Belgien, in Nordfrankreich und in Franzosisch-Lothringen. In Denk- 
schriften und in Versammiungen wurde die Regierung bedrangt, dafz 
sie endlich ihr K r i e g s z i e 1 verkiinden solle, natiirlich nur ein 
Kriegsziel, das den Wunschen der Annexionisten entsprach. Offiziell 
legte die Regierung sich nicht fest. Aber gerade dadurch, dalz sie 
die Eroberungswunsche nicht unzweideutig zuruckwies, zeigte sie 
mit aller Klarheit, dalz sie mit ihnen ubereinstimmte. Das wurde 
noch hinreichend bestatigt durch zahllose Kundgebungen namhafter 
Personlichkeiten aus den Kreisen der Regierung und der Heeres- 
leitung, die sich off en fur maizlose Annexionen aussprachen. 

Jedoch Bethmann«Hollweg wollte sich nicht vinkulieren. Ueber 
das Kriegsziel sollte nicht offentlich geredet werden. Nicht deshalb, 
weil man die Anspriiche der Annexionisten fiirchtete r sondern weil 
auf diese Weise der Schwindel vom Verteidigungskriege noch 
schneller entlarvt worden ware. Die Alldeutschen und ihre Gefolgs- 
mannen, die bis in den Reihen der Sozialdemokratie bin ein sa(zen r 
batten freilich vor dieser Anordnung keinen Respekt. Frei ent~ 

61 



falteten sie ihr Eroberungsbanner, ihre Sprache wurde imroer deut- 
Kcher. SchlieMich verlangten die wirtschaftlichen Organisationen 
der Unternehmer in einer Eingabe an den Reichstag, er moge dafur 
sorgen, dafz die Erorterung der Kriegsziele moglichst bald freigegeben 
werde, damit die offentliche Meinung, namlich die Wunsche der 
Annexionisten, bei den Friedensverhandlungen rechtzeitig zur Get 
tung gelangen konnten. Die „Post" bemerkt erlauternd dazu, dafz 
nur ein solcher Friede geschlossen werden durfe, der „das deutsche 
Vaterland grofoer und starker als zuvor aus diesem Kriege" hervor- 
gehen lasse. 

Auch unter den sozialdernokratischen Fuhrem gab es manche y die 
sich den Abschlufz des Fried-ens nur mit einem erheblichen Land- 
zuwachs fur Deutschland vorstellen konnten. Scheidemann 
predigte, dalz es ein-e Verriicktheit sei f zu glauben, der Krieg werde 
ausgehen, ohne daiz die Grenzsteine verschoben werden warden. 
Der Bergarbeiterfuhrer Leimpeters behauptete, daiz auch die 
deutschen Arbeiter sich often fiir Eroberungen aussprechen wurden, 
wenn man sie nur befragen wollte. Selbstbestimmung der Volker? 
Ein Ladenhiiter der sozialdernokratischen Agitation von vor« 
gestern, erklarte Lensch. Monarchic und Republik? Eine Frage, 
die die deutsche Arbeiterklasse nicht mehr zu beschaftigen brauche, 
nachdem sich das Kaisertum Wilhelm II. in diesem Kriege so herrlich 
bewahrt habe. Also Wolfgang Heine in einer groJ&en Rede in 
Stuttgart. Klassenkampf? Vielleicht wieder nach dem Kriege, so 
sagte uns Konrad Haenisch. Mit Recht konnte das H a 1 li s c h e 
„V o I k s b 1 a 1 1" in Jenen Tagen schreiben: 

yy Von Tag zu Tag zeigt sich immer klarer, dalz gewisse fiihrende Per-' 
sonlichkeiten in der Partei die Sozialdemokratie von ihren bisherigen 
Grundlagen abzudrangen suchen, urn sie in eine einfache Reform-* 
partei umzuwandeln. Dieselben Personen haben diese Bemiihungen 
freilioh meist schon jahrzehntelang betrieben, aber so planmalzig r so 
heftig und so offen noch niemals wie jetzt. Der Beschlulz der Frak- 
tionsmehrheit r die Kriegskredite am 4. August und am 2. Dezember 1914 
zu bewilligen, gab das Signal. Man deutet in jenen Kreisen den Beschlulz 
so ? dalz er als Konsequenz den volligen Bruch mit alien Grund* 
satzen der inter nationalen proietarischen Klassen* 
kampfpartei zur Folge haben miisse. Da aulzerdem der J3urg~ 
frieden" zwischen den Parteien erklart ist 7 die Zensur waltet und so 
viele tapfere sozialdemokratische Kampfer in den Schutzengraben stehen, 
so meint man, der Zeitpunkt sei gunstig, um jetzt oder nie die grundsatz* 
liche Richtung und Taktik der Sozialdemokratie umzubiegen. Wir haben 
diese Treibereien bisher wenig beachtet, und nur ab und zu einen 
Vorstofz mitgeteilt. Jetzt aber wird es notwendig 7 die breitesten Schich- 
ten der Parteigenossen irber diese systematischen und sehr ernsten Be* 
strebungen zu unterrichten." 

Die Rede" Haases im Reichstag am 10. Marz rief in den Arbeiter- 

massen eine starke Wirkung hervor. Sie wurde als der erste 
proletarische Fanfarenstolz erkannt, der in den chauvi- 
nistischen Nebel klarend hineinstielz. Starker freilich waren die 
Wirkungen der Sitzungen vom 18. und 20. Marz. Man erkannte 

sofort, welchen Zweck Scheidemann mit seiner Rede zum Etat des 
Reichskanzlers erreichen wollte. Durch die Aufstellung einiger 

62 



demokratischer Fcrderangen <so!lte die Opposition g-egen die sozial« 
demakratische Kriegspolitik beschwichtigt werden. Auf der andere-n 
Seite wollte er durch die „besonnene" Form seiner Rede den inv 
giinstig-en. Bindruck verwischen, den die Rede von Haase auf die 
Bourgeoisie gemacht hatte. Konnte doch die junkerliche ^Deutsche 
Tageszeitimg" von Scheidemanns Rede sag-en, dalz ,,unsere Peinde" 
aus dessen Ausfiihrungen entnehmen konnten, wie auch die deutsche 
Sozialdemokratie entschlossen sei, alles zu tun und allem zuzu- 
stimmen, was notig sei, um den Sieg zu erringen. Dalz er auch 
einige Spitzen gegen die Regierung gebraucht habe/ das sai nicht 
welter schlimm. 

Anders aber war es um die Reden bestellt, die Stadthagen und 
Ledebour am 20. Marz im Reichstag gehalten batten. Suchte die 
burgerliche Presse die Ausfiihrungen von Stadthagen mit Schweigen 
seu ilbergehen, so fiel sie um so lebhafter liber Ledebour her. Die 
„Post" verlangte, dalz die sozialdemokratische Partei jetzt endlich 
„ r das Hauflein derer aim Liebknecht" von sich abschuttele, Wenn 
sich die Liebknecht und Genossen fortgesetzt in Rede und Abstinv 
mung in schroffsten Widerspruch zu dem volkischen Kriegswillen 
stellten, die die iiberwiegende Mehrheit der Sozialdemokratie unbe- 
dingt bejahe, so klafften Gegensatze so wesentlicher Art, dalz eine 
Trennung unausbleiblich erscheine. 

Der sozialpatriotische Toil der Partei beeilte sich denn auch, diesen 
Forderungen der Scharfmacher nachzukommen. Das „H amburger 
Bch o", das in diesem Treiben fuhrend vorangehe, behauptete, dalz 
die Opponenten nur noch das lobliche Handwerk der Haarspalterei 
betrieben. Eigensinn setze sich iiber alle politische Vernunft hin« 
weg. Die ganze Art der Rede von Ledebour sei nicht so gewesen P 
dalz die Wanning der Gerechtigkeit und Menschlichkeit hervortrat, 
sondem der eigensinnige Wille, einen Skandal zu provozieren. Ein 
anderes Biatt, die „Bergwacht" in Waldenburg, schrieb, dalz sie auf 
das tiefste emport iiber den Skandal sei, den Ledebour verursacht 
habe. 

Noch scharf er wurden die Auseinandersetzungen in der Partei, als 
die sozialdemokratische Reichstagsfraktion das Budget bewilligt hatte. 
Mochte man immerhin noch die Bewilligung der Kriegskredite als 
Ausnahmeerscheinungen hinnehmen, die verschwinden wurden, wenn 
der Krieg voriiber war, so wurde die Zustimmung zum Etat von alien 
Seiten und mit Recht so gedeutet, d a fz die F r a k t i o n end- 
g <il 1 1 i g mit der bisherigen Politik der Partei ge~ 
b r o c h e n hatte. Die Beschliisse der Parteitage batten die Ab~ 
lehnung des Etats als grundsatzliche Frage festgelegt, und das war 
besonders in Magdeburg zum Ausdruck g^ekommen. Nunmehr sollte 
die Taktik bestimmt werden nicht mehr von den Grundsatzen der 
Partei, sondem von den parlamentarischen Bedixrfnissen des Augen- 
blicks. Aus der proletarischen Partei, die im scharfsten Gegensatz 
zur Bourgeoisie stand und bisher davon durchdrungen war, dafz nur 
Im Kampf mit diesem Gegner um den Sozialismus gerungen werden 
konnte, war eine Reformpartei geworden, die in friedlichen Verhand- 
lungen mit den kapitalistischen Machten einige Vorteile fur die Ar» 
beiterschaft herauszuschlagen hoffte. So wurde die Zustimmung 
zum Budget von der Partei, so wurde sie auch von der burgeriich-en 



Presse gewiirdigt. Das „Berliner Tageblatt" nannte diese Reichs- 
tagstagung das grolze Ereignis, das in die Friedenszeit hiniiber- 
wirken und flir die kunftige Gestaltung der inner-en Reichspolitik 
vielleicht die Richtung angeben wiirde. Der „Hannoversche Kurier" 
erklarte, daiz mit der Zustimmung zum Etat der entscheidende Schritt 
von der vemeinenden zu der mitarbeitenden Sozialdemokratie g<e«- 
schehen sei. Die ^Frankfurter Zeitung" schrieb, daiz diese Ab« 
stimmung ein historisches Ereignis sei, das fur unsere ganze innere 
politische Entwicklung von Bedeutung sein werde. 

In unendlich vielen Artilkeln bemuhten sich die Bewilliger des 
Budgets, ihre Tat der Arbeiterklasse mundgerecht zu machen und 
nachzuweisen, dalz erstens die Bewiliigung des Kriegsbudgets den 
Parteitagsbeschlussen nicht widerspreche, und dalz ziweitens selbst 
August Bebel, Wilhelm Liehknecht, Karl Marx und alle anderen 
Meister des Sozialismus in dieser Situation nicht anders gehandelt 
haben wiirden. Demgegenuber stellten die oppositionellen Partel- 
blatter noch einmal und mit Nachdruck fest, daiz die Parteitage von 
Lubeck, Nurnberg und Magdeburg als den Gesamtwillen der sozial« 
demokratischen Partei die Verweigerung des Budgets an die Regie- 
rung erklart hatten. Die Stellungnahme der Fraktionsmehrheit sei 
durchaus nicht zu billigen, sie werde in waitesten Kreisen der 
Parteigenossen auf scharfste Gegnerschaft stoizen. Es war selbst- 
verstandlich, daiz diese Kritik an der Budgetabstimmung sich in der 
mildesten Form halten mufzte, hatte doch eine Anzahl von Zen- 
soren der Parteipresse ausdrucklich untersagt, gegen die Bewiliigung 
der Kriegskredite etwas zu schreiben. 

Im Marz versammelten sich in Bern die Vertreterinnen der 
sozialistischen Frauen aus einer Anzahl von Landern zu 
einer Konferenz. Der deutsche Parteivorstand und die franzosische 
Parteileitung hatten es abgelehnt, offiziell Delegierte zu entsenden. 
Dagegen hatten die englische Arbeiterpartei, das russische Zentral« 
komitee, das Qrganisationskomitee der russischen sozialdemokra- 
tischen Arbeiterpartei Vertretungen entsandt. Hauptgegenstand der 
Beratungen war „die internationale Friedensaktion der sozialistischen 
Frauen". Es wurde eine langere Resolution angenommen, worin 
es hiefz, daiz der Weltkrieg seine llrsachen im kapitalistischen Im« 
perialismus habe und im unversohnlichen Gegensatz zu den Inter- 
essen der Arbeiterklasse der ganzen Welt stiinde. An die Stelle des 
Klassenkampfes sei der Burgfriede getreten, der die Arbeiterklasse 
bei der Erfullung ihrer grofzen geschichtlichen Aufgabe der Befreiung 
des Proletariats als Werk der vereinigten Proletarier aller Lander; 
hindere. Die Konferenz f ordere die sofortige Beendigung 
des Krieges und einen Frieden ohne Annexionen, ohne Er~ 
oberungen, der das Recht der Volker und der Nationalitaten auf 
Selbstbestimmung und Unabhangigkeit anerkenne und keinen der 
kriegftihrenden Staaten demiitigende, unertragliche Bedingungen 
auferlege. Eine baldige Beendigung des Weltkrieges konne nur 
durch den klaren, unerschutterlichen Willen der breitesten Volks- 
klassen erzwungen werden. Die Frauenkonferenz rufe daher die 
sozialistischen, die proletarischen Frauen aller Lander auf, sofort 
und ohne Furcht vor Verfolgungen durch Massenkundgebung*en 

64 



jeder Art ihr Internationales Solidaritatsbewulztsein und ihren Frie~ 
denswillen zu bekunden. Die sozialistischen Parteien miifzten die 
Punning der Volker im Rampfe um den Prieden iibernehmen, die 
Fried en saktion der sozialistischen Frauen miisse Vbrlauferin einer 

allgem-einen Bewegung der werktatigen Massen fur die Beendigung 
des Brudermordes sein. Sie miisse einen wichtigen Schritt vorwarts 
bedeuten zum Wiederaufbau der einen grofzen Arbeiterinfernationale. 
AIs ziweiten iPunkt der Tagesordnung erorterte die Konferenz die 
Notw-endigkeit einer Beiwregung g<e g en den Nationalise 
mus und fur den Internationalismus. Einstimmig pro- 
testierte die Konferenz gegen die Verhaftuhg der russischen sozial- 
demokratischen Dumaabgeordneten und der Genossin Luxemburg. 
Gegen eine russische Stimme wiirde eine Resolution der engliscben 
Delegation angenommen, die unbeschadet der grundsatzlichen Unter- 
schiede in der sozialistischen und burgerlichen Auffassung der 
"Friedensfrage den nichtsozialistischen Priedensfreunden und ins- 
■besondere dem bevorstebenden international en. Priedenskongr eiz der 
Frauen im Haag die Sympathie der Konferenz aussprach. Schliefz- 
lich wurde das folgende Manifest beschlossen: 

Friauendes arbeitenden Volkesf 
Wo sind E iU.r e Manner? Wo s i n d E u r e S 6 h n e ? 

Seit acht Monaten stehen sie draufzen im Felde. Sie sind iKrer Arbeit, 
ihrem Heim entrissen: Jiinglinge, die Stiitze und Hoffhung ihrer Eltern, 
Manner in der Blute ilirer Jahre, Manner mit ergrauendem Haar, die 
Ernahrer -ihrer Familien. Sie alle tragen den bunten Rock, hausen in den 
Schutzengraben, sind kommandiert zu veraichten, was fleilzige Arbeit 
aufgebaut hat. ! 

Millionen ruhen bereits in den Massengrabern. Hunderttausende und 
aber Hunderttausende liegen in den Lazaretten — mit zerfetzten Leibern, 
mit zerschmetterten Gliedem, mit erblindeten Augen und zerstortem Him, 
gepackt von Seuchen oder niedergeworfen von Erschopfung. 

Verbrannte Dorfer und Stadte, zertrummerte Briidcen, vernichtete 
Walder und zerwiihlte Aecker sind die Spuren ihrer Taten. 

Proletarier frauen! 

Man hat Euch g~esagt, Eure Manner und Sonne seien hinausgezogen, 
Euch, die schwachen Frauen, Eure Kinder, Euer Haus und Euem Herd 
zu sehiitzen. ' 

Wie ist die Wi r kli chk ei t ? 

Auf den Schultern der „schwachen" Frauen ist doppelte Last gehault 
Schutzlos seid Ihr dem Kummer und der Not iiberantwortet. Eure Kinder 
hung-ern und frieren, das Daoh iiber Eurem Kopf droht man Euch zu 
nehmen, Euer Herd ist kalt und leer. 

Man hat Euch geredet von der einen grofzen Brtider« und Schwestem* 
schaft zwischen hoch und niedrig, von dem Burgfrieden zwischen arm 
und reich. Nun, der Burgfriede zeigt sich darin, dah der Unternehmer 
Eure Lohne drixckt, der Handler und gewissenlose Spekulant die Preise 
steigert 7 der Hauswirt Euch auf die Stralze zu setzen droht. Der Staat 
hat karge Hand, die burgerliche Wohltatigkeit kocht Bettelsuppen und 
empfiehlt Euch zu sparen. 

Was ist derZweckdieses Krieges, der Euch so furcht* 
bare Leiden bringt? 

5 65 



Man sagt: das Wohl, die Verteidigung des Vaterlandes. 

Was 1st das Wohl des Vaterlandes? ' 

Sollte es nicht das Wohl vieler Millionen bedeuten, der Millionen, die 
der Krieg zu Leichen, zu Kriippeln, zu Arbeitslosen und zu Bettlern, zu 
Witwen und zu Waisen macKt? 

y/er gefahrdet das Wohl des Vaterlandes? Sind es jene Manner, 
die jenseits der Grenze in anderer Uniform stecken, die so wenig wie 
Eure Manner den Krieg gewollt haben, noch wissen, weshalb sie ihre 
Briider raorden sollen? Neinl Gefahrdet ist das Vaterland durch alle, 
die aus der Not der breiten Massen Reichtum schopfen und ihre Herr- 
schaft auf der Unterdruckung aufbauen. 

Wem niitzt der Krieg? 

Nur einer kleinen Minderheit in jeder Nation. 

Den Fabrikanten von Flinten und Kanonen, von Panzerplatten und Tor* 
pedobooten, den Werftbesitzern und den Lieferanten des Heeresbedarfs. 
Im Interesse ihres Profits haben sie den Hafz unter den Volkern ge« 
schiirt und so zum Ausbruch des Krieges beigetragen. Der Krieg niitzt 
den Kapitalisten ixberhaupt. Hat nicht die Arbeit der enterbten und aus« 
gebeuteten Massen Waren aufgehauft, die jene nicht verbrauchen diirfen, 
die sie erzeugten? Sie sind ja arm, sie konnen nicht dafiir zahlen! 
Arbeiterschweifz hat diese Waren geschaffen, Arbeiterblut soil 
ihnen neue Absatzmarkte im Ausland erkampfen. Koloniallander solien 
erobert werden, wo die Kapitalisten die Schatze des Bodens rauben und 
billigste Arbeitskrafte ausbeuten. '■ 

Nicht die Verteidigung des Vaterlandes, seine Vergrolzerung ist der 
Zweck dieses Krieges. So will es die kapitalistische Ordnung, denn ohne 
die Ausbeutung und Unterdruckung des Menschen durch den Menschen 
kann sie nicht bestehen. 

Die Arbeiter haben durch diesen Krieg nichts zu ge« 
winnen, wohl aber alleszu verlieren, was ihnen 1 i e b 
undteuerist! 

Arbeit erfrau en, Arbeiterinnen f 

Die Manner der kriegfixhrenden Lander sind zum Schweigen gebracht 
worden. Der Krieg hat ihr Bewufztsein getriibt, ihren Willen gelahmt, 
ihr ganzes Wesen entstellt. 

Aber Ihr Frauen, die Ihr neben der nagenden Sorge urn Eure Lieben 
im Felde daheim Not und Blend ertragt, worauf wartet Ihr noch, um 
Eur en Willen zum Frieden, Eur en Protest gegen den Krieg zu erheben? 

Was schreckt Ihr zuriick? 

Bisher habt Ihr fur Eure Lieben geduldet, nun gilt es, fur Eure Manner 
fur Eure Sohne zu handeln. 

Genug desMordensI 

Dieser Ruf erschallt in alien Sprachen. Millionen von proletarischen 
Frauen erheben ihn. Er findet Widerhall in den Schutzengraben, wo das 
Gewissen der Volkssohne sich gegen das Morden emport. 

Frauen des werktatigen Volkes! 
In diesen schweren Tagen haben sich Sozialistinnen aus Deutsohland, 
England, Frankreich und Rufzland zusammengefunden. Eure Note, Eure 
Leiden haben ihre Herzen bewegt. Um Eurer und Eurer Lieben Zukunft 
willen rufen sie Euch zum Friedenswerke auf. Wie uber die Schlacht*. 
felder hinweg sich ihr Wille zusammenfand, so mixfzt auch Ihr Euch aus 
alien Landern zusanomenschliefzen, um den einen Ruf zu erheben: 



66 



* FriedenlFriedenI 

Der Weltkrieg hat Each das grolzte Opfer auferlegt! Die Sdhne, die 
Ihr in Schmerz and Leid geboren, anter Mah und Sorgen erzogen, die 
Manner, die Eure Gefahrten im harten Lebenskampfe sind, raubt er 
Eudbu Im Vergleich mit diesen Opfern sind alle anderen klein simd 
idchtig. 

Die gauze Menschheit blickt auf Euch 7 Ihr Proletarierinnen der hrieg* 
fiihrenden Lander. Ihr sollt die Heldinnen, Ihr sollt die Erloserinnen 
werdenl 

Vereinigt Euch in einem Willen, in einer Tat! 

Was Eure Manner, Eure Sohne noch nicht beteuern konnen, verikundet 
Ihr es millionenfach: 

Das Volk der Arbeit aller Lander ist ein Volk von Briidern. Nwr 
der e i rt i g e W i 1 1 e dieses Volkes kann demMorden E i n ~ 
h a 1 1 g e b i e t e n. 

Der Sozialismus allein ist der kiinftige Menschheitsfriede. 

Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der 
Besitzenden Hekatomben von Menschen opfertl 

Nieder mit dem Kriegel Durch z u m Sozialismus! 

Bern, im Marz 1915. 

Die Internationale sozialistische Frauenkonferenz 

an der teilgenommen haben Genossinnen aus 

D e .ii t s c -h land* F r a n k r e i c h , England, R u Iz 1 a n d 7 Polen, 

Italien, Holland und der Schweiz. 

Im April erschien das erste Heft der ^International <e", 
Monatsschrift fiir Praxis und Theorie des Marxismus, herausgegeben 
van Rosa Luxemburg und Franz Mehring. In der Einfuhrung wurde 
g-esagt, dafz diese Monatsschrift ihre Entstehung der Genossin 
Luxemburg verdankte, die ein Opfer des Burgfriedens geworden sei 
und infolgedessen ihr Werk nicht selbst zu Bnde flihren konne: 

JUnsere Aufgabe ist die gleiche wie die Aufgabe der ersten internatio« 
nalen Monatsschrift, die Karl Marx herausgab: Selbstverstandi« 
gang iiber die Kampfe d e r Z e i t. Diese Selbstverstandigung ist 
notwendig geworden durch die imheilvolle Verwirrung, die die Wirbel 
des Weltkrieges in der Internationale and zumal in der deutschen Ar« 
beiterwelt hervorgerufen haben. So gilt es von neuem, die einigende, 
■samm-elnde and starkende Kraft za erproben, die der Marxismus noch in 
jeder Schicksalsstunde des proletarischen Emanzipationskampfes he» 
wahrt hat. ' 

Das Bekenntnis zu einer praktischen Theorie ist das einfache Pro« 
gramm in dieser Zeitschrift." 

Das erste Heft enthielt einen Artikel von Rosa Luxemburg iiber 
den Wiederaufbau der Internationale, ferner Beitrage von Johannes 
Kampfer (Karski), Paul Lange, Kate Duncker, Klara Zetkin, Heinrioh 
StrobeI ? A. Thalheimer und Franz Mehring. 

Liatte es sich bisher schon gezeigt, dafz die Opposition gegei* 
die Kriegspolitik der Partei durchaus keinen einheitlichen 
Character trug, so erhielten die Gegensatze innerhalb der Oppo- 
sition durch diese Zeitschrift sozusagen ihre theoretische Begriindung. 
Sie hielt es, wie die „Leipziger Volkszeitung" damals f>eststellte P 

67 



weniger fiir ihre Aufgabe, die Rechte, als vielmehr einen Tell der 
Linken in der Partei zu bekampien, weil er naeh Ansicht der „Inter~ 
national©" nicht scharf genug gegen die Fraktionspolitik verging. 
Selbstverstandlich land auch diese Zeitschrift keine Gnade vor' den 
Augen der Zensur. In Diisseldorf, am Druckort, warden eifrige 
Haussuohungen abgehalten, ohne dalz es gelang, die Verbreitung der 
, ^Internationale" zu hindern. 

-Die' a b i 1 a u e n d e Kriegsstimmung glaubte die Regie- 
rung wieder neu beleben zu konnen, als Italian in den Krieg ein- 
trat, und der rechte Fliigel der Fraktion ieistete ihr dabei eifrigen 
Beistand. In der Reichstagssitzung vom 28. Mai fiihrte E b e r t aus r 
dalz Italien keinen Verteidigungskrieg, sondern einen Angriffs- und 
Eroberungskrieg fiihre. In dieser Stunde gesteigerter Gefahr sei zu 
wiederhoien, was am 4. August eriklart worden sei, einmiitig werde 
das deutsohe Volk seine ganze Kraft einsetzen, urn dieser neuen 
Gefahr Herr zu werden. Darauf folgte ein schwacher Angriff auf 
die Annexionisten und die Behauptung, dalz auch seine Gesinruings*- 
freimde gegen jeden Eroberungskrieg seien. Das rief die Vertreter 
der biirgerlichen Parteien auf den Plan, die Herrn Ebert zum Vor~ 
wurf machten, dalz -er den Burgfrieden verletzt habe. Herr 
Schiffer, der spat ere Ministerkollege der Rechtssozialisten, 
fiihrte aus, dafz g e n u g e n d e S i c h e r h e i t e n geschaff en wer- 
den mufzten und dalz die militarische Situation auszuniitzen und 
ausznschopfen sei unter dem Gesichtspunkt der Gewinnung realer 
Sicherheit. Start nunmehr festzustellen, dalz das ein Beweis fiir die 
Eroberungsziele der burgerlichen Kriegspolitik sei, bene! sich 
Scheidemann zum Schlulz dieser Debatte auf die T.hronrede 
vom 4. August, worin es geheifzen hatte: wir fiihren keinen Erobe- 
rungskrieg, sobald das Ziel der Sicherung erreicht sei und die 
Gegner zum Frieden geneigt seien, miisse Frieden gemacht werden. 
Durch solche nichtssagenden Bemerkungen ist freilich der Kriegs- 
wille der Annexionisten nicht im mindesten eingeschrankt worden. 

Hatte bis dahin die Opposition der Parte! ohne Jeden Plan ge« 
arbeitet und lediglich von der Grundlage des sozialdemokratischen 
Programms und der BeschKisse der sozialdemokratischen Parteitage 
aus die Kriegspolitik der Fraktionsmehrheit bekampft, so machte es 
sich bald notwendig, dalz ein gewisser Zusammenschlufe 
sich vollzog. Der Parteivorstand hat spater behauptet, dafz schon 
damals eine Organisation der Opposition bestanden habe und dafz 
von ihr die Spaltung der Partei planmafzig vorbereitet worden sei. 
Das ist nicht richtig. Erst durch die Unterdruckung der Meinungs- 
freiheit, durch die von den Parteiinstanzen angewandte Politik der 
Gewalt und der List kam es von selbst dazu, dalz die oppositionellen 
Element e in der Partei sich zu sammeln begannen. Als das erste 
Ergebnis dieser verstandlichen Regungen ist das Schreiben zu 
betrachten, das im Juni 1915 an den Vorstand der Sozialdemokra- 
tischen Partei und der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion ge« 
richtet wurde. Es fand sehr schnell Hunderte von Unter- 
schriften von soichen Genossen, die fiihrende Steliungen in der 
Arbeiterbewegung inne hatten. Das Schreiben ist auch als Flug- 
Matt in zahllosen Exemplar en verbreitet worden. Es lautete: 

68 



Berlin, den 9. Juni 1915, 

.An den Vorstand der Sozialdemokratischen Parte! 
Deutschlands f 
An den Vorstand der sozialdemokratischen 
Reichstagsfraktion, Berlin! 

Werte Genossen! 

Die Ereignisse der letzten Wochen zwingen uns zu diesem Schreiben. 

Mit dem 4, August 1914 hat die parlamentarische und auizerparla^ 
mentarische Leitung der deutschen Sozialdemokratie eine Politik begon* 
Tien, die nicht nur das Versagen der Partei in einem unvergleichlichen 
geschichtlichen Augenblick r sondern eine immer schroff ere Abkehr von 
ihren bisherigen Grundsatzen bedeutet. 

Die verhangnisvollen Wirkungen dieser Abkehr ergriffen unerbittlich 
von der aulzeren Politik aus die gesamte innere Politik der Partei, die 
dairdt auf beiden Gebieten aufhorte, als selbstandiger Faktor zu exisrieren. 
Die Anerkennung des Burgfriedens war das Kreuz auf dem Grabe des 
Klassenkampfes r der nicht in behordlichen und parlamentarischen Ge« 
heirakanventikeln r noch durch eine Hintertreppenpolitik nach dem 
Muster kapitalistischer Kliingel gefixhrt werden kann. 

Die Mehrheit der Reichstagsfraktion wich jedem 
ernsthaften. Kampf aus, selbst dem fur die Koalitionsfreiheit, fur 
die Wahlreform. Sie lehnte es ab, audi nur die Aufhebung des Belage« 
rungszustandes zu beantragen, und verwandelte damit die aufgezwungene 
Rechtlosigkeit in eine freiwillig ubernommene, um dann durch ihren Red~ 
ner der untertanigen Hoffhung Ausdruck zu geben, eine Milderung der 
Zensur lasse sich vielleicht von einer Fursprache beim Kaiser erreichen. 

Von Session zu Session wurden die Hoffnungen auf eine Aenderung 
der Fraktionspolitik vertrostet und verschoben. Und immer von neuem 
enttauscht. Der Mai brachte die Vollendung des Zusammenbruchs. 

Immer klarer war zutage getreten, dalz der Krieg nicht der Vertei« 
digung der nationalen Unversehrtheit dient. Irnmer deutlicher hatte sich 
sein imperialistischer Eroberungscharakter of f enhart. 
Immer imgeniertere Bekenntnisse zur Annexionspolitik wurden abgelegt. 
Zu den Aeufzerungen einflufzreicher Drahtzieher des Kapitalismus traten 
Kundgebungen machtiger kapitalistischer Wirtschaftsverbande, Beschlusse 
der herrschenden burgerlichen Parteien und im Februar die vom Herren« 
haus mit einhelliger Zustimmung aufgenommene Rede des rlerrenhaus* 
prasidenten, die die Moglichkeit eines sofortigen Friedens unter Auf~ 
rechterhaltung des bisherigen deutschen Besitzstandes feststellte, aber 
die Fortsetzung des Krieges zu Eroberungszwecken fiir geboten erklarte, 
eine Rede, durch die sich die Mehrheit der sozialdemokratischen Frak« 
lion dennoch nicht an der Bewilligung neuer zehn Milliarden Kriegs* 
kredite und des Budgets hatte hindern lassen. 

Die itbergrolze Masse der Parteigenossen daheim wie im Felde erwartete, 
dalz die Reichstagsfraktion wenigstens jetzt endlich im Mai r nach langen 
10 Monaten eines furchtbaren, in Dauer und Ausgang unubersehbaren 
Krieges in einer nachdrucklichen unzweideutigen Kundgebung die schleu* 
nige Beendigung des Krieg'es fordern und dem entschlossenen Friedens« 
willen der Sozialdemokratie Ausdruck verleihen wiirde — entsprechend 
dem vom deutschen Parteitag noch ausdrucklich gebilligten Beschlulz 
des Stuttgarter Kongresses, der die Partei verpflichtet, den Krieg zur Auf« 
riittelung der Massen im Klassenkampf auszunutzen und so fiir seine 
rasche Beendigung zu wirken. 
Die Erwartung der Massen ist wieder unerfullt geblieben. 

69 



Wie die Fraktionsmehrheit kein Wort des Protestes gegen den B r w c h 
der belgischen Neutralitat gefunden hatte, wie sie es ab- 
lehnte, ihre Stimme zu erheben gegen die Torpedierung der Lusitania, 
gegen das Vergeltungsprinzip, das zu einem Wettlauf der Grausamkeit 
fuhrt und die Zivilbevolkerung immer tiefer in die Schrecknisse des Krie~ 
ges reilzt, wie sie es unterliefz, nach dem Beispiel unserer serbischen, 
nxssischen, englischen und italienischen Genossen die Schuldlgen am 
Weltkrieg im eigenen Lande zu bekampfen, und wie sie half, dem impe« 
rialistischen Unternehmen den Deckmantel des Patriotismus uxnzuhangen, 
so hat sie auch hier vollig versagt. Wenn der sozialdemokratische Red« 
ner am 29. Mai in einigen Wendungen von Friedenssehnsucht sprach und 
fur einen Frieden ohne Annexions eintrat, so nahmen dock Form und 
Begleitumstande von vomherein dieser Rede den Charakter einer ernsten 
Friedenskundgebung. Und was sich nach ihr abspielte, stempelte die 
ganze „Aktion" fur In« und Ausland zum Gegenteii einer Friedenskund- 
gebung. 

Die voile Redeutung dieser Haltung der Fraktionsmehrheit ergibt sich 
aus der Tatsache, daiz ihr das Kriegsziei der Regierung ganz 
autorativbekannt war. Unverbliimt hatte der Reichskanzler in der 
Reichstagssitzung vom 28. Mai den Eroberungskrieg proklamiert, zu des- 
sen Programme wie die Fraktion wufzte, die offene Annexion russischer 
und franzosischer Gebietsteile und unter dem Etikett der zwangsweisen 
wirtsehaftlichen Angliederang die versteckte Annexion Belgiens ge« 
hort. Auf diese Proklamation gait es, die sozialdemokratische Antwort 
zu erteilen. Die sozialdemokratische Fraktionsmehrheit jedoch fand 
darauf, von jenen unerheblichen Redewendungen abgesehen, nur ein 
ententes Bekenntnis zur Politik des 4. August, das heifzt zur Willfahrig- 
keit gegenuber der Regierung und den herrschenden Klassen; und das, 
obwohl Graf Westarp sie unter Beihilfe der burgerlichen Parteien durcli 
den — freilich von Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion unter « 
stutztenl — Handstreich seines Vertag-ungsantrages gerade eben die 
Junkerpeitsche hatte fiihlen lassen. Und auf die alarmierenden Erobe- 
rungsfanfaren des konservativen und nationalliberalen Redners fand sie 
nur eben eine nochmalige Unterstreichung dieses Bekenntnisses und die 
Berufung auf denselben Reichskanzler, dessen Annexionsziele vor den 
Augen der Welt enthullt waren. 

Der dringendste Anlafz war gegeben, sich endlich von der Re« 
giexungs^Kriegspolitik loszusagen und ihr den scharfsten 
Kampf zu erklaren. Die endliche rucksichtslose Hervorkehrung der so* 
zialistischen Interessen und der proletarisch-internationalen Friedensziele 
war geboten; aber eine erneute Verpflichtung zur Politik des Durchhaltens y 
eine wiederholte Solidaritatserklarung gegenuber den herrschenden Klas- 
sen und der Regierungs~Kriegspolitik erfolgte. 

Auch im Jahre 1870 waren die sozialdemokratischen Abgeordneten 
durch scharfe Gegensatze getrennt; aber geschlossen standen sie gegen 
die Regierung,, sobald sich die Annexionsplane offen herauswagten. Heute 
liegt das offizielle Annexionsprogramm der Regierung und aller burger- 
lichen Parteien vor. Dennoch begniigt sich die Fraktionsmehrheit mit 
einigen nichtigen Wendungen uber Friedenswunsche und Annexions* 
politik, urn sich desto nachdrucklicher auf das Durchbalten einzu* 
schworeiu 

Damit ist der Sc lilufzpunkt unter die unheilvolle E n t « 
wickelung gesetzt^ die am 4. August begann. Die Reichstagsfraktian, 
in der auch die meisten Mitglieder des Parteivorstandes sitzen 7 hat den 
Widerstand gegen die imperialistische Eroberungspolitik auf gegeben. 
Und nicht aus Mofzer Schwache und Burgfriedensfreudigkeit, sondem. wei! 



70 



ein erheblicher Teil der Reichstagsfraktion — ebenso wie der preulzi* 
schen Landtagsfraktion und wie andere einflulzreiche Genossen — in 
kohsequenter Fortbildung der Politik des Durchhaltens, das heilzt der 
hemmungslosen Volkerzerfleischung, audi dieser Eroberungspolitik mit 
vollem Bewulztsein anhangt. 

Besonders dreist bat vor einigen Tagen die Baumeistersche Inter* 
Rationale Korrespondenz (I. K.), die vom Einfluiz der auch in der Reichs* 
tagsfraktion iiberaus machtigen Generalkommission getragen wird, dieser 
Parteistromung Ausdrnck verlieben. Sie stiramt der Schiffer schen Be« 
urteilung von Eberts Rede zu: die Betonung des Durchhaltens sei ihr 
wesentlicher Sinn, die Fraktion werde sich von dieser Losung aucK durch 
die Meinungsverschiedenheiten uber das Kriegsziel nicbt abbringen 
lassen — eine Beurteilung, der in der Reichstagssitzung vom 29. Mai die 
Fraktionsmehrheit begeistert Beifall riefl Und sie versichert, gegen die 
Methode der zwangsweisen „wirtschaftlichen Angliederung", d. h. der 
verkappten Annexion Belgiens sei nichts einzuwendenl 

Nocb einmal stehen die leitenden Parteiinstanzen 
am Scheideweg-e. Wollen sie, was an ihnen liegt, die Partei jener 
immer deutlicber hervortretenden Stromung nock Ianger uberantworten 
oder nicbt? 

In der Hand der deutschen Sozialdemokratie ruht nocb immer die Macht 
zu einer welthistorischen Entscheidung. Die llnabhangige Arbeiterpartei 
Engiands, die ibr bedeutendes Gewicbt in die Wagschale des Friedens 
wirft, bat gerade jetzt mit verscharftem Nachdruck die sofortige Bekannt* 
gabe der engliscben Friedensbedingungen gefordert und den Kampf 
gegen die Annexionspolitik des Drei« oder Vierverbandes aufgenommen. 
-Serve und seine Gesinnungsgenossen seben sicb einer immer starkeren 
Bewegung- unter den rranzosischen SoziaBsten gegen liber, einer Bewegung 
fur einen baldigen Frieden obne Annexion und ,,Angliederung", einer Be« 
wegung, deren Drangen sie vergeblicb zu beschwichtigen suchen. Das 
Beispiel der italienischen Bruderpartei lafzt unsere Herzen holier schla~ 
gen. Aus England, aus Frankreich, aus Italien schallen sozialistische 
Frieden sstimmen immer eindringlicher zu uns. Von der rlaltung" der deut- 
schen Sozialdemokratie hangt die Weiterentwickelung des sozialistiscben 
Kampfes gegen den Krieg in jenen Landern wesentlich ab. Treibt die 
Leitung der deutschen Sozialdemokratie jetzt weiter im Kielwasser 
der Eroberungspolitik, rettet sie sicb nicbt jetzt endlicb auf 
den Boden des internationalen proletariscben Kampfes gegen den Krieg 
raid die imperialistischen Raubgeliiste zuriick, so versaumt sie die letzte 
Gelegenheit, sicb von der vollen Mitscbuld daran zu entlasten, dafz dieser 
Krieg als erbarmungsloser Vernicbtungskrieg bis zum Weilzbluten der 
Volker fortgesetzt und der auf ibn folgende Friede nur die Vorbereitung 
eines neuen Weltkrieges sein wird. 

Der Aug'enblick beiscbt gebiet eriscb sofortiges 
H a n d e 1 n. In den letzten Stunden sind der Konig und der Kronprinz 
von Bayern offentlicb als Befurworter der Eroberung'spolitik bervorg*etre« 
ten. Keinem, der nocb Ianger zog^ert, kann fiirderbin Gutglaubigkeit und 
llnkenntnis zugebilligt werden. Der Tatbestand liegt unzweideutig; die 
Situation ist vom letzten Nebel geklart. Die Alternative lautet schlechthin: 
Parteirettung* oder Parteizerstorung. 

Wir warnen vor der Fortsetzung* der Politik des 
4. August und des 2 9. Mai. Wir wissen, dalz wir die Auffassung 
eines grofzen Teils der Parteigenossen und breiter Bevolkerungsscbicb" 
ten ausdriicken, wenn wir fordern, dafz Fraktion und Parteivorstand 
endlich obne Zaudern dem Parteiverderben Einbalt tun, den Burgfrieden 
aufsagen und auf der ganzen Linie den Klassenkampf nach den Grund« 

71 



satzen des Programms und der Parteibescklusse, den sozialistiscken 
Kampf fur den Frieden eroffnen. Die Verantwortung fur alias, was sonst 
kommt r fallt clenen zu, die die Parte! auf die absckiissige Balm getrieben 
kaben und ferner darauf erhalten wollen. 

Begnugte sich dieses Schreiben damit, inrverhaib der Organisation 
die Au£fassungen der Opposition zu verbreiten und gegen die 
Kriegspolitik der Parteiinstan&en zu arbeiten, so .wandte sich das 
kurz darauf veroffentlichte Manifest von Eduard Bern- 
st<ein, Hugo Haase und Karl Kautsky sofort an die 
breiteste Oeffentlichkeit Es err egte naturgemafz das grofzte -Auf- 
sehen, es war die erste Kampfansage der Opposition an die Mehr- 
heiten der Parteiinstanzen. Der Airfruf, der zuerst in der „Leipziger 
Vol'kszeitung" ersehien, hatte folgend-en Wortlaut: 

Das Gebot der Stunde. 
JD i e S t u n d e der Entscheidung ist g e k o m in e n. Die 
deutscke Sozialdeiuokratie ist vor eixie Frage gestellt, die Kir die Ge« 
sckicke des deutscken Volkes, fiir die Zukunft der Kulturwelt von der 
grolzten Tragweite ist, s 

Forderungen, fiir die sckon in friiheren. Monaten eine gewisse Presse, 
sowie Vereinigungen, denen keine grolzere Bedeutung beigelegt wurde, 
systematise]* Stimmung gemacht hatten, sind in den letzten Wochen 
von Personlichkeitan in hervorragender Stellung, sowie von ein£!ulz~ 
reichen Korperschaften in teiiweise sogar nock verscharfter Form yer~ 
treten worden, Programme werden aufgestellt, die dem gegenwartigen 
Krieg den Stempei eines Eroberungskrieges aufdriicken. Nock 
ist es in aller Erinnerung, dafz der President des preufziscken Herren« 
hauses, Wedel-Piesdorf in der Sitzung des Herrenkauses vom 15. Marz 
1915 erklarte: Deutsehland stake jetzt als Sieger da: 

rr llnd wenn wir nickts weiter wollten, als den Angriff der Fein.de 
abscklagen, so glaube ick, wtcrde es nickt alku sckwer sein, einen Frie- 
den in kurzer Frist zu erlangen. Damit aber kann sick Deutsehland 
nickt befriedigt erklaren. Naok den ungekeuren Opfern 7 die wir ge« 
brackt kaben, an Menschen sowokl wie an Hab and Gut, miissen wir 
mekr fordern, wir konnen das Sehwert erst wieder in die Sckeide 
stecken, wenn Deutsckland eine Sickerung eriangt hat dagegem dafz 
in aknlicker Weise wie diesmal die Nackbarn uber uns kerfallen." 
In der Reichstagssitzung vom 29. Mai 1915 kaben die Abgeordneten 
Graf v. Westarp als Vertreter der Konservativen und Sckiffer als Ver« 
treter der Natiomalliberalen unumwunden sick fiir Annex ionen 
ausgesprochen; der erstere unter Berufung auf eine Erklarung des 
deutscken Reichskanzlers vom Tage zuvor 7 die dakin ging r 
Deutsckland miisse alle nur moglicken „realen Garantien und 
S i c k e r k e i t e n" dafixr sckaffen, dafz keiner seiner Feinde, „nicht 
vereinzelt, nickt vereint", wieder einen Waffengang wagen werde. Diese 
Auslegung der Worte des Reickskanzlers kat vcn der Reicksregierung 
keine Zuriickweisung erfakren. 

• Es ist fernerkin bekanntgeworden, dafz seeks grofze Wirtn 
sckaftsvereinigungen r voran der grolzkapitalistiscke Zentral- 
verband deutscker Industrieller und die- Kampforganisation der Agrarler, 
der Bund der Landwirte, die der Politik des Deutscken Reickes so oft 
sckon die Ricktung gewiesen kaben, unter dem 20. Mai 1915 eine Bin- 
gabe an den Reickskanzler gericktet kaben 7 worin sie fordern: G e - 
winnung eines grofzen Koloniaireickes 7 ausreichende 
Kriegsentsehadigung* und Annexionen in Europe, die 
ailein im Westen uber zekn Millionen Menschen — mekr als sieben. Mil- 
lionen Belgier und uber drei Millionen Franzosen — zwangsweise unter 

72 



■deutsche' Herrschaft stellen wurden. Wie diese Zwangsherrschaft ge« 
dacht ist, kennzeicknet der Satz der Eingabe, wonach Regierung und 
Verwaitung in den annektierten Landern so gefuhrt werden mussen, dalz 
7 ,die Bewohner keinen Einfluiz auf die Geschicke des Deutscben Reiches 
eriangen". Das heifzt mit anderen Worten, diese gewaltsam annektierte 
Bevolkerang sol! politisch rechtlos gemacht und gehalten werden, 
Und weiter wird gefordert, aller Besitz, der einen starken wirtschaft- 
lichen und sozialen Einfiulz gewahre, „miisse in deutsche Hande iiber« 
gehen", im Westen besonders der industrielle Besitz aller grofzen Unter« 
nehmsxngen, im Osten besonders der landwirtschaftliche grofze und Mittel- 
besitz. ( 

Mehr nooh. In den allerletzten Tagen bat ein deutscher Bundesfurst, 
der K 5 n i g von Bayern, in einer Ansprache in Fiirth Forderungen 
in bezug auf die Ausdebnung unserer Grenzen im Westen ausgesprochen, 
„durch die wir fur Sud~ und Westdeutschland glxnstigere Ver« 
bindungen zum Meere bekommen". 

Angesichts aller dieser Kundgebungen mufz sicb die deutscbe $®» 
zialdemokratie die Frage vorlegen r ob sie mit ibren Grundsatzen 
und mit den Pflichten, die ibr als Huterin der materiellen und 
raoraliscben Interessen der arbeitenden Klassen 
Deutschlands obliegen r vereinbaren kann, in der Frage der Fort~ 
'funning* des Krieges an der Seite derjenigen zu stehen, deren Absicbten 
in schroffstem Widerstand sind zu den Satzen der Erklarung unserer 
Reichstagsfraktion vom 4. August 1914, in denen diese aussprach, dalz 
sie im Einklang mit der Internationale jeden Eroberungskrieg 
verurteilt. Dieser Satz wiirde zur Luge gestempelt werden, wenn 
die deutscbe Sozialdemokratie jenen Erklarungen aus den Kreisen der 
Machthaber gegenuber es bei dem Aussprechen akademiscber Friedens* 
wimsche bewenden liefze. Zu deutlicb haben wii- es erfabren mixssen, 
dalz man auf solcbe Bekundungen aucb nicbt die geringste Riicksicht 
nimmt. 

Was verscbiedene unter uns befurcbtet baben, zeicbnet sicb immer 
bemerkenswerter ab: Man erlaubt der deutscben S o z i a 1 « 
demokratie, die Kriegsmittel zu b e will i gen, man gebt 
aber kuhl iiber sie binweg bei den fur die Zukunft unseres Volkes folgen« 
schwersten Bescblussen. ' 

Dilrfen wir dieses Verhaltnis fortbesteben lassen, das uns die Moglicb« 
keit raubt, die Kraft der deutscben Arbeiterklasse fur eine Politik geltend 
zu machen, die nacb unserer innersten, auf die Erfabrungen der Ge« 
sckickte g*estiitzten Ueberzeugung das Interesse des deutscben Volkes und 
mit diesem das aller beteiligten Volker gebietet? 

IXngeheuer sind die Opfer, die dieser Krieg den in ibn bineingerissenen 
Volkern scbon verursacht bat und die jeder Tag vermebrt. Die Welt« 
geschichte kennt keinen zweiten Krieg, der aucb nur annabernd gleicb 
morderiscb gewirkt batte. Es ist die Grausamkeit barbariscber 
Zeitalter, verbunden mit den raffiniertesten Mitteln der Zivilisation, 
welche die Bliite der Volker hinrafft. Nicbt minder unerbort sind die 
Opfer an Gutem, die der Krieg den Volkern entreilzt. Weite Gebiete 
werden verwiistet, und Summen, die fiir Kulturzwecke in einem Jabre 
auszugeben man sicb gescbeut bat, werden in diesem Kriege in eineic 
Woche fiir die Totung von Menschen und die Vernicbtung von Grund« 
lagen kiinftiger Woblf abrt ausgegeben. Allen beteiligten N a t i o« 
nen starrt bei Verlangerung des Krieges der Bank* 
rott entgegen. 

In weiten Kreisen unseres Volkes und derjenigen Volker, mit denen 
das Deutsche Reich im Kriege liegt, macht sicb denn aucb immer starkere 
Friedenssebnsucbt geltend. Wahrend die Herrscbenden davon 

73 



zuruckschreckeri, diesem Friedensbedixrfnis zu entsprecben, blicken Tau« 
sende und aber Tausende auf die Sozialdemokratie, die man als die 
Partei des Friedens zu betracbten gewobnt war, und erwarteii 
von ikr das erlosende Wort und das ihn\ entsprecbende Verbaiteru 

Nachdem die Eroberungsplane vor aller Welt of f enkundig sind r 
bat die Sozialdemokratie die voile Freibeit, ibren gegensatzlicben Stand- 
punkt in nacbdriicklicbster Weise geltend zu macfien, und die gegebene 
Situation macbt aus der Freiheit eine Pflicbt. Das Proletariat erwartet 
sicberlicb, dalz ebenso wie im Jabre 1870 sicb bei einer abnlicben Situ- 
ation alle Sozialdemokraten, trotz ibrer Meinungsverscbiedenbeiten beim 
Ausbrucb des Krieges, zu einem einmiitigen Handeln zusammenfanden, 
die Sozialdemokratie aucb jetzt in gleicber Einmutig- 
keit zusammensteben wird. 

Wir wissen, dalz die Friedensbedingungen, die von einer 
Seite der Kriegfubrenden der anderen aufgezwungen werden, keinen wirk~ 
licben Frieden bringen, sondern nur neue Rustung~en mit dem Ausblick 
auf neuen Krieg bedeuten. Ein wirklicber und dauernder Frlede 1st nur 
moglicb . auf der Grundlage freier Vereinbarung". Diese 
Grundlage zu scbaffen, 1st nicbt der Sozialdemokratie eines einzelnen 
Landes gegeben. Aber jede einzelne Partei kann nacb Mafegabe ibrer 
Steliung und ibrer Krafte dazu beitragen, dalz diese Grundlage ber« 
gestellt wird. ( 

Die gegenwaxtige Gestaitung der Dinge ruft die deutscbe Sozialdemo* 
kratie auf, ein en entscbeidenden Scbritt zu diesem Ziele 
zu tun. Sie 1st beute vor die Wabl gestellt, diesem Gebote Folge zu 
leisten oder dem Vertrauen einen todlicben Stoiz zu versetzen, das sie 
bisber im deutscben Volke und in der gesamten Welt als Verfecb* 
terin des Volke rfriedens genoiz. ' 

Wir zweifeln nicbt, dalz unsere Partei diejenigen Folgerungen zieben 
wird, die sicb fur unsere parlamentariscbe und aufzerparlamentariscbe 
Haltung bieraus ergeben. Mit den scbonsten UeberHeferungen der So* 
zialdemokratie stebt die Zukunft unseres Volkes auf dem 
Spiel, seine Woblfabrt und seine Freibeit. Hat unsere 
Partei nicbt die Macbt, die Entscbeidungen zu treffen, so fallt docb uns 
die Aufgabe zu, als treibende Kraft die Politik in der Ricbtung vorwarts~ 
zudrangen, die wir als die ricbtige erkannt baben. j 

Eduard Bernstein. Hugo Haas e. Karl Kautsky. 

Auf die Veroffentlichimg des ,,Gebot der Stunde" erfolgfe eine 
Erklarung d ^e r M -e h r b -e i t der Vorstande der Partei mid der 
Reichstagsfraktion, worin es bielz: 

JDer Genosse Haase, der das Amt eines Vorsitzenden der Partei 
und der Reicbstag-sfraktion in seiner Person vereinigt, bat in keiner der 
beiden Korperscbaften Antrage auf eine Aktion im Sinne eines Aufrufs 
gestellt oder irgendeine Mitteilung von der Absicbt seines Vorgebens 
gemacbt. 

Getreu unserer am 4. August abgeg*ebenen Erklarung, dalz wir jeden 
Eroberungskrieg verurteilen, baben wir scbon seitber jenen E r « 
oberungsaulzerungen entgegengewirkt und den Friedens* 
gedanken gefordert. An der prinzipiellen Geneigtbeit der beiden Korper« 
scbaften, dieses aucb fernerbin zu tun — selbstverstandlicb unter Wab« 
rung der Interessen des eigenen Landes und Volkes als bdcbsten Ge~ 
botes der Stunde — , konnte daber kein Zweifel besteben. 

Es lag sonacb nicbt der mindeste Anlalz zu einem derartigen 
Pronunziamento vor. Wenn darin von der Einmiitigkeit der Partei ge« 
redet wird, so sind wir der Ueberzeugung, dalz diese durcb nicbts 
scbwerer gefabrdet wird als durcb ein solcbes Vorgeben. 

74 



Hugo Haase antwortete darauf : 

Mir wird vorgeworfen, daiz ich in keiner der beiden Korperschaften 
, Antrage auf eine Aktion im Sinne meines Aufrufs gestellt oder irgendeine 
Mitteilung von der AbsicKt meines Vorgehens gemacht habe. 

Nun ist allgemein bekannt, daiz ich im Sinne jenes Artikels 
seit Kriegsausbruch unaufhorlich im Vorstande der Partei 
imd der Fr aktion tatig gewesen bin. 

Der erste Vorwurf geht also fehl; und der zweite mutet reckt sonder* 
bar an. Er erinnert sehr stark an die Gracchen, die sich liber Aufrahr 
beklagen. Seit Monaten haben einige Mitglieder des Vorstandes, die 
Jetzt Stellung g*egen micK nehmen zu miissen glauben, Artikel und Offene 
Brief-e in die Welt gesetzt, ohne dem Vorstand der Partei oder der 
Fraktion vorher Mitteilung davon zu machen; sie haben sich bemiiht, die 
Partei fur gewisse Perolen, so die Parole des Durchhaltens, zu gewinnen, 
ohne dafz der Vorstand vorher davon in Kenntnis gesetzt worden war. 
Keine offentliche Zensur ist ihnen deswegen von irgendeinem Vorstands« 
mitglied erteilt worden. Danach scheint mehr der Inhalt des Ar« 
t i k e 1 s 7 als die Tatsache der Veroff entlichung vor der Mitteilung an 
den Vorstand fur die neue Methode maizgebend zu sein. 

Die Mitglieder des Partei" und Fraktionsvorstandes, die bisher schrie~ 
'ben r was sie im Interesse der Partei zu schreiben fur notig oder nutzlich 
Melteiv ubten damit ihr gutes Recht aus, das ich ihnen nie bestritten 
habe, wenn ich auch an ihren Ausfiihrungen Kritik ubte, soweit ich sie 
fiir falsch hielt. Das, was den anderen recht war, mufz mir billig 
sein, und ich lehne es jedenfalls ab, mir das Recht der freien Mei~ 
nung-saulzerung beschranken zu lassen. ' 

Die Einmiitigkeit der Partei wird durch E n t r ix s t u n g s~ 
politik nicht gefordert; wohl aber wirkt im Interesse des Zu« 
sammenschlusses der Partei, wer Meinungsverschiedenheiten sachlich er« 
ortert; und daiz der Artikel „Das Gebot der Stunde" streng sachlich ge« 
halten ist, hat mir noch jeder zugegeben, der mit mir daruber ge« 
sprochen hat." ! 

Die Mehrzahl der Parteiblatter durfte „Das Gebot der Stunde" 
iiberhaupt nicht abdruckeru Die „Leipziger Volkszeitung" swurde 
wegen der Veroff entlichunig des Aufrufs auf eine Woch-e verboten- 
Das konnte die Wirkung d i e s e r Kundgebung nicht beedn- 
trachtigen. Das „Gebot der Stunde" lebt in der Geschichfe der 
Opposition gegen die sozialdemokratische Kriegspolitik als -ewves 
ihrer wichtigsten Denkraale fort. 



75 



G&ss&aea&&sa^^ 



Das Bekenninis der Annexionisfen. 

Die Wirkung des ^Gebot der Stunde". — • Friedensaufruf des Partei* 

vorstandes und Eingabe an den Reicbskanzler. — Die Leitsatze zur den 
Kriegszielen. — Die Internationale Konferenz von Zimmerwald. — Das 
Annexionsbekenntnis der burger-lichen Parteien. v 

■Mit der Veroffentlichung des „Geibot der Stunde" war eiidlich 

Kir Millionen Proletarier das erlasende Wort gesprochen 
worden. Wohl hatte auch Karl Liebknechts Auftreten im Reichstag 
tiefgehende Wirkungen in der Oefientlichkeit ausgeiibt; aber indent 
er sich mit Bewufztsein abseits der Parte! stellte, verlor er die Fiihlung 
mit den Massen, erschienen seine Aktionen als verfruht und liber- 
stiirzt, trug seine Haltung mehr putschistischen <als klassenorganisa- 
torischen Cbarakter. Scbon das Massenschreiben an 'den Partei- 
vorstand zeigte, dalz nunmehr die Zeit gekommen war, wo mit der 
Kriegspolitik der Instanzenmehrheit gebrocben werden mufete. Und 
das „Gebot der Stunde" bat das Verdienst, den entscheidenden 
Augenblick richtig erkannt zu haben, Wir seben also scbon be! 
dieser Gelegenheit die Tendenzen, die spater zur Trennung zwischen 
llnabhangiger Sozialdemokratie und Kommunistischer Parte! gefirhrt 
haben. Haase, der wissenschaftlich geschulte Socialist und erffah- 
rene Politiker, wufzte, dafz eine Aktion nwr dann mit Aussicbt auf 
Erfolg unternommen werden konnte, wenn die Massen der Arbelter 
hinter ibr standen; Liebknecbt dagegen scbleuderte erst die Parolen 
hinaus und glaubte damit das Proletariat fur ©eine Aktionen ge~ ' 
winnen zu konnen. Diese verscbiedenartige Auffassung- vom Wesen ' 
des proletarischen Kampfes lielz spater die Unabhangige Sozial- 
demokratie zur grofzten revolutionaren Parte! der Welt werden, wp~ 
gegen die Kommunistiscbe Partei zur Sekte erstarrte, bis ibr schliefe- 
lich durcb die von der Moskauer 'Internationale verursachte Spaltung 
der IXnabhangigen Sozialdemokratie wieder einiges Leben eingeflolzt 
wurde. 

In den spateren Darstellungen des Parteivorstandes a ist behauptet 
worden, dafz sich die Opposition schon damals selbstandig organ!- 
siert babe, dalz sowohl das Massenschreiben an den Parteivorstand, 
wie das „Gebot der Stunde" wohlvorbereitete Aktionen 
dieser Sonderorganisation dargestellt batten, und dalz von ihr mit 
Absicbt die Spaltung der Partei herbeigeluhrt worden sei. Das ist 
durchaus false h. Es lag in der Natur der Sacbe, dalz die 
Anhanger der 'Opposition in den einzelnen Parteiorten zusammen- 
kamen und auch fur das ganze Reich miteinander in Verbindung 
traten. Aber das alles hatte gerade den Zweck, die Einbeit der 

76 



Parte! zu erhalten und ihre Politik auf -die alten sozialdemokratischen 
Grundsatze zurackzufiiihren. Einzelne Genossen, w-ie Julian Borch&rdt 
In den ,;Lichtstrahien", haben wohl mit dem Gedanken der Spaltung 
gespieit wnd schon damals mit der Einstellung der Beitragszahlung 
an den Parteivorstand gedroht; aber in der Praxis bekannten doch 
auch sie sich immer zur Einheit der Parte! und wollten im Rahmen 
der Parte! ihre oppositionellen Absichten verwirklichen. Geschicht- 
liche Tatsache dagegen ist es, dalz die Spaltung der Partei zuerst 
von den Mehrheitsinstanzen begonnen worden ist; so in Wurttem- 
berg, wo ganze Organisationen aus der Partei emiach ausgeschlossen 
wurden, weil sie die offizielle Kriegspolitik nicht unterstiitzen wollten, 
oder in Bremen, wo die in der Minderheit gehliebenen Sozial- 
patriofcen gegenuber der oppositionellen „Bremer Btirger-Zeitung" 
ein eigenes Blatt herausgaben. Und erst, als die Opposition von 
den Instanzen aus der alten Partei hinausgedrangt worden war, war 
sie gezwungen, sich eine selbstandige Organisation zu geben. 

Die Besprechung des rr Gebot der Stunde" mulzte sich in den 
oppositionellen Parteiorganen auf ein geringes Malz beschranken, 
weil die Zensur jede freie Meinungsaufzerung aufs scharfste ver- 
folgte. In der burgerlichen Presse hub selhstverstandlich ein grofzes 
Larmen liber den Bruch des Burgfriedens an, und auch der sozial- 
patriotische Teil der Parteipresse liefz es an Scheltworten gegen die 
Unterzeichner des Aufrufs nicht fehleru 

Auch die Mehrheit des Parteivorstandes und der Praktionsvorstand 
wandten sich gegen d e n A u f r u f. Sie eriiefzen eine Erklarung 
unter der Ueberschrift rr Gegen die Parteizerruttung", worin sie be- 
haupteten, dafz sie vom Beginn des Krieges gegen eine imperials 
stische Eroberungspolitik gewesen seien. Schliefzlich machte auch 
die Generalkommission der Gewerkschaften gegen das Massen- 
schreiben an den Parteivorstand und gegen das „Gebot der Stunde" 
mobil. Im , r Korrespondenzblatt" verofifentlichte sie einen Artikel, 
worin es hielz, dalz durch das Schreiben alles liber den Haufen ge~ 
worfen worden sei, was bisher in der Arbeiterbewegiing Deutschiands 
als unantastbar gait. 

Zwlschendurch hatte sich Hugo Haase der heftigsten Angriffe der 
sczialpatriotischen Presse zu erwehren. Zwar wurde dort das 7 ,Gebot 
der Stunde" nicht abgedruckt, aber unter den niedrigsten Verdachti- 
gungen und Schmahungen wurden die Leser liber den Inhalt und 
den Zweck des Aufrufs irregefiihrt. An der Spitze dieser gehassigen 
Kampfesweise stand das ^Hamburger Echo". Mit Recht konnte 
Haase in einem Artikel gegen dieses Blatt sagen: „Wenn ein ver« 
bissener politischer Gegner eine solche Methode des Kampfes gegen 
•tins anwendet, so gehen wir mit kiihlem Lacheln oder einer Hand- 
bewegung der Verachtung darliber hinweg, aber ein Gefiihl tiefer 
S chain ergreift uns, dafz ein Mitarbeiter des ^Hamburger Echo" auf 
ein so niedriges Niveau hat herunterkommen konnen." 

Am 30. Juni und am 1. Juli tagte der Parteiausschufz in 
Berlin. Die Sitzung wurde mit den Verhandlungen iiber den 
Parteistreit ausgefiillt. Am Ende der Beratungen wurde eine Reso- 
lution beschlossen, in der die Haltung des Parteivorstandes und der 

77 



Fraktionsmehrheit gebilligt und ihre Bemiihungen zur Anbahnung 
einer Verstandigung mit den Bruderparteien der fuhrenden Lander 
anericannt wurde. Die angeblich von einer Zentralstelle aus ge~ 
leitete unterirdische Minierarbeit, die der Parteimehrheit den Willen 
der Minderheit aufdrangen wolle, wurde verurteilt. Die Veroffenf- 
licrvungen des Aufrufes „Das Gebot der Stunde", so heiizt es zum 
Schlulz, stehe nicht im Einklang mit den Pflichten eines Vorsitzenden 
der Partei. Gegen den ersten Absatz der Resolution stimmten 8, 
gegen den zweiten 7 und gegen den dritten 12 Mitglieder des 
Parteiausschusses. 

Um zu zeigen^ dafz der Parteivorstand seine Pilicht zur Herbei- 
funning des Friedens erfiille, erliefz er Ende Juni einen Aufruf, 
von dem er behauptete, dafz er bereits am 7. Mai beschlossen 
word en sei. Nur wegen des Eingreifens It aliens in den Krieg sei die 
Veroffentlichung bisher unterblieben. Die deutsche Sozialdemokratie 
habe durch ihre berufenen Vertretungen den sozialistischen Grand- 
satzen und den Beschlussen der international en Kongresse getreu 
flir den Frieden gewirkt. Mit schmerzlichem Bedauern mixsse dem- 
gegehiiber konstatiert werden, daiz bisher alle Versuche einer inter- 
national en Verstandigung vomehmlich an dem Verhalten der sozia- 
listischen Partei Frankreichs gescheitert seien. Deutschland, das 
sich bisher aller seiner Feinde siegreich erwehrt und bewiesen habe, 
dafz es unbesiegbar sei, sollte den ersten Schritt zur Herbeifiihrung 
des Friedens tun. Die deutsche Regierung wurde aufgefordert, ihre 
Bereitwilligikeit kundzutun, in Friedensverhandlungen einzutreten. 
Von den Parteigenossen in den anderen kriegfiuhrenden Landern 
werde erwartet, dafz sie im gleichen Sinne auf ihre Regierung ein~ 
wirkten. 

Zu gleicher Zeit richteten die Vorstande der Partei und der 
Reichstagsfraktion an den Reichskanzler eine Eingabe, die sich 
gegen die Ziele der Annexionisten wandte. Es hieiz darin, daiz die 
Sozialdemokratische Partei unterm 4. August 1914 mit der Gesamt- 
heit des deutschen Volkes sich in Reih und Glied gestellt habe, um 
seine nationale Existenz und Unabhangigkeit zu verteidigen. Sie 
habe in diesem Kampfe gegen eine Welt von Feinden zu ihrem 
Lande gestanden und werde dies welter run, bis das Ziel der Siche- 
rung erreicht sei und die Gegner zum Frieden geneigt seien. Der 
Krieg diirfe aber nur zur Abwehr der Feinde und nicht zum Zwecke 
einer Eroberung gefuhrt werderu 

Das Manifest mufzte ebenso wie die Eingabe wirkungslos bleiben, 
well es sich nicht darum handelte, schone Worte flir den Frieden 
zu pragen, sondern darum, mit alien Mitteln des proletarischen 
Klassenkampfes die Weiterfuhrung des Krieges, der immer mehr 
zum Eroberungskrieg wurde, zu verhinderru Aber gerade das taten 
die Mehrheiten der Instanzen nicht. Durch die Bewilligung der 
Kriegskredite, die immer weiter fortgesetzt wurde, durch die Unter- 
stiitzung der Durchhaltestimmung ubernahmen sie die Mitverani- 
wortung flir die Verlangerung des Krieges, verhinderten sie die 
Herbeifiihrung des Friedens. 

Das wurde in einem F 1 u g b 1 a 1 1 f estgestellt, das von 90 Grofz- 

Berliner llnterzeichnern des Protestschreibens vom 9. Juni zugleich 



im Namen vieler Unterzeichner von auswarts herausgegeben wurde. 
Es hieiz darin, dalz alles, was in dem Friedensmanifest an plato- 
nischen Priedenswimschen enthalten sei, in die Gegenwirkung urn- 
gebogen v/erde durch die Angriffe auf die Bruderparteien in den 
gegnerischen Landern und durch die planmaizige Vertuschung der 
gegenwartigen, einem baldigen Friedensschlufz abtraglichen Politik 
der Reichsregierung. Wolle der Parteivorstand den auslandischen 
Barteien em Muster geben, so miisse er den einzigen Weg ein- 
schlagen, der zu einem dauernden Frieden und zum Wiederaufbau * 
der Internationale fuhren konne, indem er den Imperiaiismus als 
schuldigten Urheber des Weltkrieges da bekampfe, wo er ihn allein 
wirksam bekampfen konne, namlich im eigenen Haus-e. Das Flugblatt 
schlofz: r? Daran halten wir fest, uberzeugt, dalz die Treue, die wir den 
Grundsatzen und IXeberlieferungen der deutschen Sozialdemokratie 
bewahren, nur dazu dienen kann, die Einheit und Reinheit der Partei 
.zu sichiern." 

Wahrend so die deutschen Parteiinstanzen in ihrer Mehrheit noch 
immer hinter dem Kriegswagen des Imperiaiismus einherliefen, 
sammelten sich schon die Krafte der internationalen Arbeiterklasse, 
urn auf neuer Grundlage das Proletariat wieder zusammenzufuhren. 
Ende Juni traten auf Veranlassung der italienischen sozialistischen 
Bartei in der S c h w e i z eine Anzahl dort tatiger Genossen, 
Schweizer, Italiener, Russen, Polen, Deutsche, Oesterreicher und 
Ungarn zu einer gemeinsamen Beratung iiber die Probleme des 
Krieges zusammen. Sie setzten em Exekutivkomitee ein, 
das sich rnit einem Manifest an die Arbeiter der ganzen Welt wandte. 
Insbesondere die schweizerischen Arbeiter wurden aufgefordert, sich 
zusammenzuschlielzen, gleichviel zu welcher Rasse und Mationalitat 
sie auch gehoren mochten. 

Inzwischen liefz es der Parteivorstand der deutschen Sozialdemo- 
kratie ruhig geschehen, dafz in der ihm nahestehenden Provinzpresse 
der Hafz gegen die anderen Volker immer aufs neue geschurt wurde. 
So schrieb Ernst Heilmann, der Chefredakteur der „Ghemnitzer 
Volksstlmme", seinem Blatte aus dem Felde, dafz es keine sozia- 
listische Vrerstandigung gabe, die diesen furchtbaren Mordkrieg bei« 
iegen konnte, ihn ende nur der Sieg der starkeren Gewalt: 

TT So zerschmetternd miissen die Feinde geschlagen werden, dalz ihr 
Ring zerbricht, die Koalition birst. Die Friedensbedingungen sollen hier 
milde, dort hart, die Wiederkehr des Einkreisungsbundes unmoglich 
machert . . . Dazu hilft uns gegen diese Feinde nur eines: Den Dau« 
men aufs A u g e und die Knie auf die Brust, und greinen 
uns ein paar Heilige dazwisehen, wie furchtbar das Schicksal der fran~ 
zosischen Arbeiter sei, so erwidern wir ihn en: die franzosischen Arbeiter 
bleiben Manner, auch wenn wir mit ihnen Kugeln wechseln, ihr aber 
seid — alte Weiber. Mogen darum die ewig schwankenden Gestalten 
plotzlich den Verrina der Internationale spielen wollen — ich gehe 
zum Hindenbur g." 

Aehnlich schrieb Wolfgang Heine. Er begnugte sich aber 
nicht damit, die Opponenten zum hundertsten Male als Quertreiber 
zu beschimpferv sondern er wandte sich auch gegen das Friedens- 

manifest des Parteivorstandes: 



„Man geht kaum feh! r wenn man annimmt, dafz der sozialdexnokratische 
Parteivorstand die tatsachliche Lage des Krieges genan so gut gekannt hat 
wie andere Leute r und wenn man deskalb in dieser Aufforderung an die 
Regierung n i c h t s als eine scKone Geste sieht, bestimmt, Partei- 
genossen, und vieileicht auch auslandische Sozialisten zufriedenzu-* 
stellen." 

So konnte der „Vorwarts" am 8. August, riickschauend auf diese 
Auseinandersetzungen in der Partei, auf die Handlungen ihrer ver~ 
antwortlichen Korperschaften -und auf die Ausfiihrangen ihrer hervor- 
ragendsten Wortfiihrer, die Stellung der Partei so kennzeichnen: ■ 

y ^ie empf angt das Gesetz ihres Handelns nicht mehr nach 
iliren Grundsatzen und Prinzipien, sondem von ihren bisherigen 
G e g n e r n. Der en Entschliefzungen und Entscheidungen sind es, die in 
letzter Linie die Haltung der Sozialdemokratie bestimmen. Nicht ihre 
Grundsatze leiten mehr die Partei, sondern nur die Furcht vor der Iso« 
lierung, die Angst, den Anschlufz -an die burgerlichen Parteien, das Wohl« 
wollen der Regierung zu verlieren. . . . Wie immer man nun iiber diese 
Stellung, in die die Partei zum Teil bewuJzt, zum Teil 7 hoffen wir 7 un« 
bewufzt, von ihren Fixhrern hineinmanoveriert worden ist ? denken. mag, 
sicher ist wohl das Eine: Diese Stellung ist grundverschieden selbst von 
der, die die Partei auch in ihrer Majoritat am 4. August eing-enommen 
hat." 

Am Schlufz des Artikels sagte der ,,Vorwarts", dafz die Partei jetzt 
vor ihrer Schicksalsstunde stehe, und die Entscheidungen r die die lei- 
tenden Instanzen zu fallen haben wiirden, seien von so ernster Bedeii- 
tung, wie nie zuvor. Nicht urn die Stellung zum Kriege und zu einzeinen 
Regierungsmafznahmen allein handele es sich, es handele sich urn 
mehr: urn die Bewahrung des Charakters der Partei, ihrer Eigenheit, 
Selbstandigkeit und Unabhangigkeit nicht nur in der schweren 
Zeit des Krieges, sondern auch in der nicht minder schweren, die 
uns dann bevorstehe. Die gesamte kiinftige Politik der 
Partei stehe zur Entscheidung: Aufgeben der bisherigen 
Parteigrundsatze und der Parteitaktik, Zusammeruwirken der Partei 
mit den burgerlicfoen Partei en in gemeinsamer Blockpoiitik, Ein- 
reihung der Partei als wesensgleiche unter gleiche in das Getriebe 
des burgerlichen Parlamentarismus. Das letzte Wort dariiber freilich 
werde die Geschichte sprechen. Inzwischen hat die Geschichte 
gesprochen, und sie hat ihr Urteil gegen die Kriegspolitik der dent- 
schen Sozialdemokratie gefallt. 

Am 14. August traten R e i c h s t a g s f r a k t i o n und P a r t e i - 
ausschufz wiederum zusammen. Drei Tage lartg verhandelte 
man iiber die K r i e g s z i e 1 e. Die Mehrheit war fur unbedingtes 
„Durchhalten bis zum Siege", und sie suchte aile Bestreburtgen zu 
hintertrieiben, die die deutsche Regierung zur Anbahnung des 
Friedens hatte veranlassen konnen. Von der Opposition lag-en drei 
Resolution en vor, die sich besonders gegen Annexionen aussprachen. 
Haase stellte folgenden Antrag: 

77 Die Sozialdemokratie verwirft mit der grolzten Entschiedenheit jede 
gewaltsame Antastung der Selbstandigkeit und Unabhangigkeit eines 
Volkes. Sie wendet sich mit aller Kraft gegen jede Annexions** 
p o 1 i t i k , insbesondere den Versuch, Belgien zu vergewaltigen ? in wel~- 
ciher Form es auch immer sei." 

80 



Dieser Antrag wurde von der Fraktion mit 59 gegen 37 Stimmen, 
vom Parteiausschuiz mit 25 gegen 13 Stimmen abgelehnt. Ein ahn- 
liches Schicksal erlebten ein Antrag Hoch, der inhaltlich dasselbe 
wollte, und ein Antrag Henke, der von der Regierung Friedens* 
bemuhungen bei volligem Verzicht auf Annexionen verlangte. Die 
von Eduard David vorgelegten Leitsatze f anden dagegen 
die Zustimmung der Mehrheit. Der erste Absatz sprach sich zwar 
gegen Annexionen aus, aber gegen die Annexionen der anderen 
Staaten, und lehnte besonders die Forderung der Wiederangliede- 
rung Elsafz-Lothringens an Frankreich ab. Im zweiten Absatz wurden 
eine Anzahl Sicherungen zur wirtschaftlichen Entwicklungsfreiheit 
des deutsehen Volkes verlangt. Der dritte Absatz wandte sich gegen 
die Schwachung und Zertriimmerung Oesterreich-Ungarns und der 
Tiirkei, der vierte Absatz sprach sich gegen die /r Plane kurzsichtiger 
Eroberungspolitiker" aus, und im letzten Absatz wurde die Schaffung 
eines standigen internationalen Schiedsgerichtshofes gefordert. Diese 
Leitsatze wurden von der Fraktion mit 74 gegen 26, vom Partei- 
ausschuiz mit 30 gegen 8 Stimmen angenommen. Sie entsprachen 
weder in ihrem Inhalt noch in ihrer Form den Anforderungen, die 
in dieser Situation an die Sozialdemokratische Partei gestellt werden 
mulzten, wenn durch sie wirklich etwas zur Wiederherstellung des 
Friedens geschehen sollte. Sie sind darum auch ohne jede Wirkung 
geblieben. 

So gelinde die Instanzen die Regierung behandelten, um so 
scharf er gingen sie gegen die Opposition vor. Sie wandten 
sich in einer besonderen Erklarung gegen die von Karl Liebknecht 
eingebrachten Kleinen Anfragen und stellten fest, dalz er sie, 
ohne die Partei zu befragen, eingebracht habe. 

In der Reichstagssitzung vom 20. August wurden 
wiederum Kriegskredite bewilligt. Der „Vorwarts" vom 24. August 
1915 berichtete iiber die Abstimmung der sozialdemokratischen 
Fraktion folgendes: 

„Es stimmten in der Fraktion gegen die erste Kreditvorlage 14, gegen 
die zweite 17, gegen die dritte 23 und gegen die vierte Kriegskreditvor« 
lage 36 Abgeordnete. Von diesen 36 stimmten am 20. August im Ple- 
num 3 fur die Vorlage r Liebknecht dagegen, 32 von ihnen befanden 
sich bei der Abstimmung aufzerhalb des Saales. Von diesen konnen 
wir folgende 29 Abgeordnete namhaft machen, die aus grundsatzlichen 
Bedenken sich aus dem Sitzungssaal vor der Abstimmung entfernt hatten: 
Albrecht, Antrick, Bernstein, Bock, Biichner, Dr. Cohn«Nordhausen, Ditt« 
mann, Emmel, Erdmann, Fuchs, Geyer, Haase, Henke, Dr. Herzfeld, Hoch, 
Hofrichter, Horn, Kunert, Ledebour, Peirotes, Raute, Riihle, Schwartz- 
Ltibeck, Simon, Stadthagen, Stolle, Vogtherr, Wurm, Zubeil. 

Dazu teilte der Abg. Dittmann in der „Bergischen Arbeiterstimme" 
noch mit: 

„In der Fraktion haben folgende Genossen gegen die Kriegskredite ge« 
stimmt: Albrecht, Antrick, Baudert, Bernstein, Bock, Brandes, Buchner r 
Dr. Cohn, Dittmann, Emmel, Erdmann, Edmund Fischer, Fuchs, Geyer, 
Haase, Dr. Herzfeld, Hoch, Horn, Hofrichter, Henke, Kunert, Ledebour, 
Leutert, Liebknecht, Peirotes, Riihle, Reifzhaus, Raute, Simon, Stadthagen, 
Stolle, Stubbe, Schwartz, Vogtherr, Wurm, Zubeil. Von der Minderheit 
der Marztagung schlugen sich Davidsohn und Schmidt^Meilzen zur Mehr- 

6 81 



heit, wahrend die Minderheit durch folgende Genossen verstarkt wurde: 
Erdmann, Edmund Fischer, Reilzhaus, Stubbe, Wurrn. Der Genosse 
Dr. Cohn war wahrend der Marztagimg krank, hatte aber spater erklart, 
dalz er mit der Minderheit gestirnmt hatte. Die Abstimmung im Reichs* 
tag kam unerwartet rasch, so dafz einige Mitglieder der Mehrheit nicht 
im Saale waren, wahrend Mitglieder der Minderheit, die im Saale waren, 
sich nicht mehr entfernen konnten." 

Hatten die militarisch-en und zivilen Gewalten bisher schon keine 
Milde gegeniiber der Opposition geubt, so gingen sie jetzt mit ruck- 
sichtsloser Brutalitat gegen sie vor. Die Zensur wurde so schroff 
gehandhabt, dafz eine Reihe von Parteiblattern die Berichterstattung 
liber die Auseinandersetzungen in der Partei einstellen mulzten. 
Unzahlige Parteigenossen, die sich gegen die Kriegspolitiik aus- 
gesprochen hatten, wurden ins Gefangnis geworfen. Auch Klara 
Zetkin, die greise Vorkampferin der Frauenbewegung, verfiel diesem 
Schicksal. Der Redakteur Niebuhr in Elberfeld erhielt wegen irgend- 
eines Verstolzes gegen den Militarismus drei Monate Gefangnis, 
wurde von dort aus in den bunten Rock gesteckt und so drangsaliert, 
dafz er sich eine schwere Erkrankung zuzog, die ihn in ein fruhes 
Grab bracht-e. Gegen viele Genossen in leitenden Stellen wurden 
Redeverbote verhangt. 

Was aber die Militargewalt nicht unterdrucken konnte, das war 
der hegeisterte Widerhall, den der von der Schweiz ausgegangene 
Ruf zur emeuten Sammlung des internationalen Proletariats fand. 
In Zimmerwald, einem Vorort von Bern, trafen sich im 
December 1915 Vertreter sozialistischer Parteien 
und G x u p p e n aus kriegfuhrenden und neutralen Landern. Es 
nahmen an der Konferenz Genossen aus Italien, aus Frankreich, aus 
der Schweiz, aus Rufzland, Schweden, Deutschland und vom Balkan 
tell, Aus Deutschland waren die Genossen Ledebour und Adolf 
Hoffmann erschienen. Nach viertagiger Beratung uber die inter- 
Rationale Lage wurde einstimmig beschlossen, eine Kundgebung in 
franzoskcher und deutscher Sprache zu verofientlichen, die von je 
zwei Sozialdemokraten balder Nationen unterschrieben werden sollte. 
Die Beteiligung an der Konferenz konnte aus naheliegenden Griinden 
nicht sehr zahlreich sein. Es beteiligten sich an ihr 37 Personen: aus 
Frankreich 2, aus Italien 5, aus Schweden 2, aus Holland 1, aus der 
Schweiz 3, aus Deutschland 10. Vom Exekutivkomiiee der Sozia- 
listiscben Federation der Balkanstaaten waren 2 Mitglieder erschienen, 
ferner 12 Delegierte der auslandischen Zentren und Redaktionen der 
sozialistischen Organisation en Rufzlands und Pol ens, darunter Lenin, 
Axelrod unci Radek. Die Englander waren durch ihre Regierung an 
der Beschickung verhindert worden. Die Verhandlungen der Kon- 
ferenz waren streng vertraulich. Das Brgebnis der Beratungen war 
-ein Manifest an das Proletariat, ein Aufruf zum Kampfe fur den 
Fried en. Es wurde eine international e sozialistische Kommission 
mit dem Sitz in Bern gewahlt. Sie sollte den Verkehr der einzelnen 
Parteien untereinander erleiohtern, ohne das Internationale Sozia- 
listische Bureau zu ersetzen. 

Der Aufruf, der kurz darauf veroff entlicht wurde, verweist auf 
den imperialistischen Charakter des Krieges und fordert zum Kampf 
fur einen Frieden ohne Annexionen unci Kriegsentsohadigungen auf. 

82 



Airf dem Boden der internationalen Solidaritat und des Klassen* 
kampfes miisse sich das Proletariat wieder zusammenfinden^ die zer- 
rissenen Faden der internationalen Beziehungen neu knupfen und 
die Arbeiterklasse zur Selhstbesinnurig aufrufen. Unterzeichnet war 
der Aufruf fur die deutsche Delegation von L-edebour und 
Adolf Hoffmann, fiir die franzosische Delegation von 
A. Bourderon und A. Merrheim, fiir die italienische Delegation von 
G. L. Modigliani und Const. Lazzari, fiir die russische Delegation von 
N. Lenin, Paul Axelrod und M. Bobroff, fiir die polnische Delegation 
von Lalbinski, Karski und Hanecki, fiir die interbalkanische Fodera- 
tion von Racovski, fiir die skandinavische Delegation von Hoglund und 
Ture Norman, fiir die hollandische Delegation von Roland Hoist, fiir 
die Schweizer Delegation von Grimm und Charles Naine. 

Dem deutschen Parteivorstand war es nicht recht, dalz sich ohne 
seine Genehmigung auch einige deutsche Parteigenossen an der 
Zimmerwalder Konferenz beteiligt hatten. Er richtete ein ver- 
trauliches Rundschreiben an die Parteiorganisationen, 
worin er beteuerte, dafz die Leitung der deutschen Sozialdemokratie 
bisher alles getan hatte, was in ihren Kraften stand, um einen 
baldigen Frieden zu erzielen, dalz sie aher mit ihren Bestrebungen 
im Auslande bisher leider wenig Gegenliebe gefunden habe. Es sei 
die Aufgabe der berufenen Parteileitung, mit den Bruderparteien 
Verhandlungen zu fuhren, die Teilnahme einzelner Parteigenossen 
an internationalen Konferenzen sei nur geeignet, die Anknupfung 
freundschaftlicher Beziehungen mit dem Auslande zu erschweren. 
Der Parteivorstand lehne jede Verantwortung fiir die Zimmerwalder 
Konferenz ab. Er mache iferner aufmerksam auf einen Aufruf des 
Bureaus des internationalen Verbandes sozialistischer Jugend- 
organisationen, in dem u. a. gesagt werde: „Der Boden fiir eine 
revolutionare Emporung ist gegeben, saen wir." Die Parteigenossen, 
besonders die in der Jugendbewegung tatigen Genossen sollten vor 
jedem unuberlegten Tun gewarnt werden. So hat sich der Partei- 
vorstand schon bei dieser Gelegenheit gegen jeden wirklichen 
Versuch einer internationalen Verstandigung des Proletariats gewandt. 

Der Herbst 1915 ging unter den h e f t i g s t e n A u s e i n a n d e a> 
s e t z u n g e n in der Partei voriiber. Die Wortfiihrer der Sozial- 
patrioten stelltem sich immer offener in den Dienst der offiziellen 
Kriegspolitik; sie schrieben zusammen mit den Vertretem des Unter- 
nehmertums dickleibige Bucher uber die Harmonie der Klassen- 
interessen, sie fuhren als gerngesehene Gaste der Heeresleitung im 
Auto an der Front herum, wahrend zu gleicher Zeit die Vorkampfer 
einer proletarischen, sozialistischen Politik in Gefangnissen und 
Zuchthausern schmachteten, die hartesten Urteile iiber Flugblatt- 
verbreiter gefallt wurden. Das alles hinderte freilich nicht, dafz die 
Opposition sich immer starker regte und von den Parteiinstanzen 
immer sturmiscber die Abkehr von ihrer Kriegspolitik verlangt wurde. 
Die gespannte Situation in der Partei drangte zur Entladung, und 
sie kam in der nachsten Tagung des Reichstags im Dezember 1915. 

Einige Wochen vprher hatte Karl K a u t s k y in der „Neuen 
Zeit" auseinandergesetzt, dalz die Fraktionsminderheit sich an die 
Fraktionsdisziplin nicht halten durfe, sondem ihrer Ueberzeugung 

o* S3 



Ausdruck geben miisse. Er verlangte, dalz bei der nachsten Kredit- 
vorlage die Minderheit auch im Plenum dagegen stimmen solle. 
Diese Ausfiihrungen entfesselten eine lebhafte Diskussion in der 
Parteipresse und in den Organisationen. Die „Leipziger Volks- 
zeitung" unterstiitzte die Anregungen Kautskys. Am 27. November 
fiihrte sie aus: 

„W ir wollen die Einheit der Partei erhalten wissen; 
wir haben das bei mehreren Gelegenheiten sehr unzweideutig gesagt 
und durch unsere ganze Haltung zu erkennen gegeben, dafz unserer 
Meinung nach ein jeder Sozialdemokrat bereit sein muiz, urn der Einheit 
der deutschen Arbeiterbewegung groize Opfer zu bringen. Wir haben 
energisch jede Propaganda der Parteispaltung abgewiesen. Aber wir 
miissen es ebenso deutlich heute aussprechen, dalz wir weiteres Schweigen 
der Minderheit der Fraktion zu abermaliger Fortsetzung der Nichts~als»« 
Durchhaltepolitik der Fraktionsmehrheit fur unertraglich halten. Wir 
meinen, dafz angesichts dessen, was jetzt auf dem Spiele steht, die 
Minderheit der Fraktion das Recht in Anspruch nehmen mufe, 
ihren Standpunkt im Refchstag offentlich kundzu« 
geben und dafz die Mehrheit ihr dieses Recht zubilligen muiz. 

Wenn sie das tut, so ist die Einheit der Partei nicht ge« 
f a h r d e t. Schlimmer als das Aussprechen dessen, was ist, gefahrlicher 
fiir die Partei und ihre Einheit wird auf die Dauer dieser Zustand, wo ein 
Teil der Partei, der auf alle Falle eine groize, bedeutende Minderheit 
darstellt, aller gesetzlichen Mittel beraubt ist, seine Meinung vor der 
Oeffentlichkeit darzulegen." ' 

Die Fraktion hatte sich nun endiich dazu bereitfinden lassen, eine 
Interpellation uber den Frieden einzubringen. Der Reichskanzler 
wurde angefragt, unter welchen Bedingungen er geneigt sei, in 
Friedensverhandlungen einzutreten. Schon die Formulierung dieser 
Interpellation liefz darauf schliefzen, dalz es der Fraktionsmehrheit gar 
nicht darauf ankam, gegen die Kriegspolitik der Regierung etwa 
wirksam vorzugehen. Und wenn dariiber noch Zweifel bestehen 
sollten, so wurden sie durch die Ausfiihrungen von S c h e i d e ~ 
maun, der die Interpellation begriindete, zerstreut. Er klopfte auf 
das deutsche Schwert und fiihrte aus, dafz Deutschland militarisch 
so stark sei, dafz es jetzt Frieden schlieizen konne. Der Reichs- 
kanzler hatte demgegeniuber ein leichtes Spiel. Er fiihrte aus, dafz 
die deutsche Regierung nicht daran denke, um Frieden zu betteln. 
Deutschland habe genug Lebensmittel, um den Krieg noch recht 
lange und, wie er hoffe, bis zum Siege Deutschlands weiterzufuhren. 
Was der Reichskanzler offiziell nicht sagte, das holte der Zentrums- 
abgeordnete S p a h n nach, der im Namen aller biirgerlichen 
Parteien folgendes erklarte: 

„Mogen unsere Feinde sich erneut zum Ausharren im Kriege ver« 
schworen, wir warten in voller Einmiitigkeit mit ruhiger Entschlossen- 
heit und — lassen Sie mich einfugen — im Gottvertrauen — die Stunde 
ab, die Friedensverhandlungen ermoglicht, bei denen fiir die Dauer die 
militarischen, wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Interessen 
Deutschlands im ganzen Umfange und mit alien Mitteln einschlielz« 
lich der dazu erforderlichen Gebietserwerbungen ge« 
wahrt werden mussen." 

Hier war also das offene Bekenntnis zu Annexionen, 
das im Namen aller biirgerlichen Parteien abgegeben wurde, deren 

84 



sturmischen Beifall fand, und mit dem die Regierung sicher im vollen 
Einverstandnis stand. Nunmehr ware es die Pflicht der gesamten 
sozialdemokratischen Fraktion gewesen, sich gegen diese Annexions- 
plane zu erheben und endgultig den Bruch mit der deutschen 
Kriegspolitik vorzunehmen. Das sollte verhindert werden. Die 
burgerlichen Parteien stellten einen Schluizantrag und unter starkem 
Larm wurde er vom Prasidenten als angenommen erklart Es kam 
zu einer sturmischen Geschaftsordnungsdebatte, in der Genosse 
Haase folgendes erklarte: 

„. . . Meine Herren, gerade nach den unbestimmten r allgemeinen, viel- 
deutigen Aeufzerungen des Herrn Reichskanzlers und nach den letzten 
Worten des Herrn Spahn ist es notwendig, dafz unser Volk und die 
Welt erfahren, dafz nicht etwa der gesamte Reichstag mit 
diesen Ausfiihrungen einverstanden ist. 

Nein, meine Herren, ich erklare fur meine Person, daiz ich die Ge« 
meinschaft mit den * Anschauungen, die hier zum Ausdruck gekommen 
sind 7 mit aller Entschiedenheit ablehne, und ich weifz mich eins darin mit 
der iiberwaltigenden Mehrheit unseres Volkes. Meine Herren, wollen 
Sie denn wirklich 7 dafz aus diesem Gemetzel das ja alle bedauert haben, 
schliefzlich als Ergebnis herauskommt ein Buropa, das einen Trummer- 
hauf en bildet r durchtrankt von Tranen und Blut? Wir verlangen 
eine Absage an alle Eroberungsplane 7 von welcher Seite 
sie auch kommen und in welcher Form sie sich auch aufzern. Wir wollen 
den Frieden." 

In der Debatte wies Ledebour nach, dafz die biirgerliche Mehr- 
heit duroh den Schlufzantrag die grofzte Partei, die Sozialdemokratie, 
vergewaltigt habe, die Partei, die in diesem Augenblicke nicht nur 
ihre vier Millionen Wahler hinter sich habe, sondern aller Wahr- 
scheinlichkeit nach die grofze Mehrheit des Volkes. Liebknecht 
sagte, dafz das, was er seit jeher als Luge und Regierungsmanover 
bezeichnet habe, der Burgfriede, heute in Wahrheit als Luge 
enthiillt sei. 

Die Besprechung iiber die Interpellation wurde von neuem auf~ 
genommen. Es sprach jetzt Lands berg. Statt einer offenen 
Kampfansage an die Annexionisten bekam man aus seinem Munde 
deren offene Unterstiitzung zu horen. Er stellte es so dar, als wenn 
Bethmann Hollweg nichts mit den Eroberungsabsichten der burger- 
lichen Parteien zu tun habe, und dafz deshalb die deutsche Regie- 
rung das Recht hatte, alle Annexionsabsichten abzuleugnen. Als 
Liebknecht dazwischenrief, dafz an den Annexionsabsichten der 
Regierung kein Zweifel herrschen konne, schleuderte Landsberg ihm 
die bezeichnenden Worte zu: „Aber ich bitte Sie, meine Herren, 
geben Sie doch nicht dem Auslande Wafffen in die Hand." Und er 
schlofz seine Rede mit heftigen Angriffen auf die Opposition in der 
eigenen Partei. Es konnte nicht wundernehmen, dafz die Rede bei 
den biirgerlichen Parteien sturmischen Beifall fand. 



85 



<S2SS©<B2SS6<eaS5&<BW»5)©^ 



DieSozialdemokraiischeArbeiisgemeinschaft. 

Gewitterstimmung in der Reichstagsfraktion. — Erklarung der Minder « 
heit zu den neuen Kriegskrediten. — Die Parteiinstanzen gegen die 
Minderheit. — Ausschlulz Karl Liebknechts aus der Fraktion. — Die 
Minderheit gegen den Notetat. — Ausschlulz der Minderheit und 
Rildung der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft. 

Vor der Abstimmung liber die fiinften K r i e g $ k r e d i t e gab 
Genosse Haase in der Fraktion fur die Minderheit die Erklarung ab, 
dafz sie gegen sie stimmen und eine Erklarung dazu abgeben wiirde. 
Diese Haltung der Fraktionsminderheit war besonders durch die 
herausfordernde Rede Landsbergs veranlafzt worden. Die Erklarung 
war unterzeichnet von den Genossen Albrecht, Antrick, Baudert, 
Bernstein, Bock, Brandes, Buchner, Dr. Oscar Cohn, Dittmann, 
Emmel, Ewald, Fuchs, Geyer, Haase, Dr. Herzfeld, Henke, Hoch, 
Hofrichter, Horn (Sachsen), Hugel, Kunert, Ledebour, Dr. Liebknecht, 
Raute, Reifzaus, Riihle, Schwartz (Lubecik), Simon, Stadthagen, Stolle, 
Vogtherr, Wurm und Zubeil. 

Dier Parteivorstand suchte dem heraufsteigenden Gewitter dadurch 
zu begegnen, dafz er der Parteipresse einen Artikel zusandte, der die 
Ueberschrift trug: „Es geht urn die Einheit der Partei." Im Wider- 
spruch mit den Tatsacben wurde darin behauptet, dafz kein Mensch 
in der Partei bisher daran gedacht babe, den Vertretern der Minder- 
heit aus den Bekundungen ihres abweichenden Standpunktes in der 
Press e und im Rahmen der Parte ^organisation einen Vorwurf zu 
machen. In Wirklichkeit hat der Parteivorstand nicht nur kaltlachelnd 
gebilligt, dafz die Heine, die Lensch, die Gunow, die Winnig die 
Minderheit mit den argsten Schimpfworten belegten, er hatte sich 
bisher auch noch wenig geriihrt, um die Opfer der zivilen und mili- 
tarischen Kriegsjustiz zu scbiitzen. Nun verlangte er, daiz eine 
einheitliche Kampiffront gebildet werden solle, dafz die Parlaments- 
tribiine nicht dazu benutzt werde, die Parteidifferenzen auszutragen. 

Demgegenuber stellte die Presse der Opposition fest, dafz der 
Parteivorstand es nicht fur notig gehalten hatte, auch nur mit einem 
Wort auf all das einzugiehen, was an Grunden fiir die Notwendigkeit 
des selbstandigen Auftretens der Minderheit vorgebracht worden 
war. Der Erlafz zeige alle ublen Eigenschaften einer Polemik, die 
den Gegner nicht zu Wort kommen lalzt, die die Oeffentlichkeit iiber 
das, was bekampft wird, moglichst im Unklaren lalzt, um den Gegner 
dadurch um so sicherer ins Unrecht zu setzen. 

Es kam bald darauf heraus, dafz die Mehrheit des Parteivorstandes 
die parteiamtlichen Einrichtungen mifzbraucht hatte. Eine Sitzung 

86 



des Parteivorstandes, in der em Beschltife zu einer Veroffentlichung 
des Erlasses hatte gefafzt warden konnen, hatte nicht stattgefunderu 
Die Genossen Haase, Wengels und die Genossin Zietz, die Mit- 
glieder des Parteivorstandes wanen, wurden zu einer solchen Sitzung 
nicht geladen. Es handelte sich also nicht urn eine Erklarung des 
Parteivorstandes, sondern hochstens urn eine Meinungsaufzerung des 
Rumpfparteivorstandes. 

in der Reichstagssitzung vom 2Q. December sollte uber die fiinfte 
Kreditvorlage im Betrage von 10 Milliard em Beschlufz gefafzt werden. 
E b e r t gab eine Erklarung ab, die im Geiste der Reden von 
Scheidemann und Landsberg gehalten war und die Zustimmung zu 
den Krediten enthielt. Nunrnehr g'ab Fritz Geyer im Namen von 
20 Mitgliedern der sozialdemokratischen Fraktion folgende Er- 
klarung ab: 

rr Die Militardiktatur, die rucksichtsilos alle Friedensbestrebung-en unter~ 
driickt und die freie Meinungsaufzerung zu ersticken sucht 7 macht es uns 
unmoglich, aufzerhalb dieses Hauses unsere Stellung zu der Kreditvor- 
lage zu begriinden. Wie wir Eroberungsplane, die von Regierungen und 
Parteien anderer Lander aufgestellt werden 7 rait aller Kraft bekampfen, 
so wenden wir uns mit derselben Entschlossenheit auch gegen das 
verhangnis voile Treiben der Annexionspolitiker 
unseres Landes, die in gleicher Weise wie jene das starkste Hindernis fiir 
die Einleitung von Friedensverhandlungen sind. Diese gefahrliche Politik 
hat der Reichskanzler am 9. Dezember, als er zu der sozialdemokratischen 
Interpellation das Wort ergriff, nicht von sich gewiesen, er hat ihr viel~ 
mehr Vorschub geleistet, und die samtlichen boirgerlichen Parteien haben 
in Unterstutzung seiner Ausfuhxungen ausdrucklich Gebietserwer-* 
b u n g e n gefordert. Erfolgversprechende Friedensverhand~ 
1 u n g e n sind aber nur moglich auf der Grundlage r dafz kein Volk ver* 
gewaltigt 7 dafz die politische und wirtschaftliche Selbstandigfkeit und Un« 
abhangigkeit jedes Volkes gewahrt, dafz allenthalben Broberungsplanen 
jeder Art entsagt wird. Unsere Landesgrenzen und unsere Unabhangig^ 
keit sind gesichert 7 nicht der Einbruch feindlicher Heere droht uns 7 wohl 
aber geht unser Reich wie das ubrige Europa bei Fortsetzung des Krieges 
der Gefahr der Verarmung' und der Verwiistung seiner Kultur entgegen. 
Der deutschen Regierung kame es zu, da Deutschland sich mit seinen 
Verbundeten in giinstigerer Kriegslage befindet, den erst en Schritt 
zum Frieden zu tun. Von der sozialdemokratischen Fraktion ist 
sie aufgefordert worden, den Gegnern ein Friedensangebot zu machen. 
Der Reichskanzler hat dies jedoch schroff abgelehnt. Der entsetzliche 
Krieg geht weiter, jeder Tag schafft neue unsagliche Leiden. Eine 
Politik, die nicht alles tut r um diesem namenlosen Elend Einhalt zu ge« 
bieten 7 eine Politik, die in ihrer gesamten Betatigung in schreiendem 
Gegensatz zu den Interessen der breiten Massen der werktatigen Bevolke- 
rung steht 7 durch unser parlamentarisch.es Verhalten zu unterstutzen, 
ist uns unmoglich. Es gilt, dem in alien Landern hervortretenden und 
wachsenden Friedensbedurfhis einen kraftigen Antrieb zu geben. tlnseren 
Friedenswillen und unsere Gegnerschaft gegen Eroberungsplane konnen 
wir nicht vereinbaren mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten. Wir 
lehnen die Kredite a b." ' 

Die Erklarung Geyers, die ruhig und wurdig vorgetragen wurde, 
machte im Hause sichtlichen Eindruck. Am Schlusse erhieit er noch 
liber den Kreis der 20 hinaus lebhaften Beifall. Denn in der 
Fraktion hatten wohl 43 Genossen ^e^en die Bewillio-un^ der Kredite 



gestimmt, aber nur 20 fanden den Mut, sich der Sonderaktion 
anzuschlielzen. Die biirgerlichen Parteien schwiegen still. Bei der 
Abstimmung stimmten die 20 dagegen, etwa 22 andere Mitglieder 
der sozialdemokratischen Fraktion verliefzen den Saal. Nach 
Beendigung der Plenarsitzung hielt die Fraktion eine Sitzung ab, 
die sich mit dem Sondervotum der 20 befalzte. Die Fraktions- 
mehrheit erlieiz folgende Erklaning: 

Die Fraktion hat sich am Montag mit der von einer Anzahl Genossen 
angekundigten Sonderaktion im Reichstage beschaftigt. In der eindring* 
lichsten Weise wurde den in Betracht kommenden Genossen vorgestellt 7 in 
wie schlimmer Weise sie die Einheit der Partei gefahrden, 
wenn sie ihr Vorhaben verwirklichen. Es wurde zum Schlufz der Debatte 
festgestellt, dafz die Fraktion noch am 2. Februar 1915 mit 93 gegen nur 
4 Stimmen beschlossen hat, daiz unter alien Umstanden im Plenum e i n « 
heitlich abgestimmt werden mulz. Ein am 30. November 1915 
gestellter Antrag r der fur die Minderheit Aktionsfreiheit im Plenum 
forderte, vereinigte nur 29 Stimmen auf sich. Dagegen wurde ein Antrag, 
der das selbstandige Auftreten der Minderheit erneut fur unzulassig er« 
klart r rr weil es gegen die dringend notwendige Einheit der Partei ver« 
stofzt" r mit alien gegen nur 27 Stimmen angenommen. Genosse Haase 
erklarte 7 dafz er sich dem Vorgehen der Minderheit anschliefzen werde 
und infolgedessen sein Amt als Fraktionsvorsitzender 
niederlege. — Am Dienstag gaben 20 Mitglieder der Fraktion eine 
besondere Erklarung im Reichstag ab und setzten sich damit xiber die 
Fraktionsbeschlusse hinweg. Die Fraktion trat sofort nach dem Plenum 
erneut zusammen, um Stelhmg zu der nunmehr vollzogenen Tatsache des 
Disziplinbruchs zu nehmen. Die Aussprache endete mit der Annahme 
folgender Resolution: 

, r Die Fraktion erblickt in der Sonderaktion einen Disziplinbruch 
bedauerlichster Art. Die Sonderaktion zerstort die Einheit der 
parlamentarischen Aktionen in der schwierigsten politischen Lage und 
ist darum auf das scharfste zu verurteilen. 

Die Fraktion lehnt die Verantwortung fur jede Sonderaktion und fur 
alle sich daraus ergebenden politischen Wirkungen ab." 
Diese Resolution wurde mit 63 gegen 15 Stimmen angenommen. 
Die Minderheit der Fraktion erklarte dazu das folgende: 
r £)ie Fraktionsmehrheit halt an dem durchaus verfehhen Standpunkt 
fest, dafz das Verhalten der Minderheit einen Disziplinbruch darstelle. 
In Wahrheit hat die Minderheit lediglich ihre Pflicht erfiillt. 
Die Fraktionsmitglieder sind Vertreter der Gesamtpartei. Die von der 
Ansicht der jetzigen Fraktionsmehrheit abweichende Anschauung kann 
aufzerhalb des Parlaments zurzeit nicht zur Geltung kommen. Deshalb 
war die Minderheit in die Notwendigkeit gesetzt, die Griinde fur ihre 
Abstimmung da darzulegen, wo es allein noch moglich ist r auf der 
Tribune des Parlaments. Dadurch hat sie gegen keinen Parteitagsbeschlufz 
verstofzen. Sie ist uberzeugt, dafz sie vielmehr im Sinne der auf 
den Parteitagen gefafzten Beschliisse gehandelt hat. Die 
Einheit der Partei wird durch das Vorgehen der Minderheit in keiner 
Weise gefahrdet, sondern im Gegenteil gestarkt. Denn es steht aufzer 
allem Zweifel, daiz eine grolze Anzahl Parteigenossen auf das schwerste 
enttauscht waren r wenn nicht endlich im Reichstag das ausgesprochen 
ware, was sie selbst infolge der jetzigen Umstande nicht offentlich sagen 
konnen. Diese Genossen werden durch das Vorgehen der Minderheit 
wieder starker an die Partei gefesselt. Damit wird die Geschlossen- 
heit der Partei fur die Zukunft gefestigt. Das Vorgehen 
der Parteiminderheit spaltet nicht, sondern fordert die Einheit der Partei." 

38 



Wie aus diesen Erklarungen hervorgeht, hatte H a a s e sein Amt 
als Fraktionsvorsitzender niedergelegt. H o c h legte gleichf alls sein 
Amt im Fraktionsvorstand nieder. 

Die Sonderaktion der Minderheit entfesselte naturgemafz lebhafte 
Diskussionen in der Presse und in den Organisationen. Die sozial- 
patriotischen Blatter entriisteten sich uber den verbrecherischen 
Schritt gegen die Einheit der Partei und malten besonders die Wir- 
kung aus, die diese Aktion auf das Ausland haben werde. Die Blatter 
der Opposition verkannten den Ernst der Stunde durchaus nicht. 
Zum ersten Mai, seitdem die sozialdemokratische Fraktiori im Reichs- 
tag grofzere Bedeutung besitze, habe eine Anzahl ihrer Mitglieder 
offen einen von der Mehrheit abweichenden Standpunkt ein- 
genommen. Das sei ohne Zweifel ein Schritt, den nur die dringendste 
Notwendigkeit zu reohtfertigen vermoge. Es sei ein Bruch mit der 
Tradition, aber es gebe Dinge, die hoher gewertet werden miifzten, 
als die Ueberlieferung, und so wenig wie die Disziplin durfe die Tra- 
dition zum Fetisch werden. Entscheidend bleibe unter alien Urn- 
standen das Interesse der Partei. Die 20 hatten Treue gegeniiber der 
Partei geiibt, indem sie die Disziplin der Fraktion verletzten. Fest- 
gestellt wurde dabei noch, dafz sich zur Zeit Fraktionsmehrheit und 
Fraktionsminderheit wie 3 zu 2 verhielten. 

Es gab auch Heifzsporne in der Partei, sowohl auf der rechten wie 
auf der linken Seite, die bei diesem Anlafz die Spaltung herbeifiihren 
woilten. So schrieb Otto Riihle in der „Pirnaer Volkszeitung", 
dafz der Spaltung in der Fraktion auch die Spaltung der Partei un- 
vermeidlich folgen musse. Er wisse, dafz in der Partei viele Tausende 
die unausbleibliche Spaltung auch der Partei zur Vorbedingung fur 
ihre fernere Betatigung als Kampfer in den Reihen der Sozialdemo- 
kratie machten. Die „Leipziger Volkszeitung" bemerkte zu diesen 
Aeufzerungen: 

„Wir bedauern sie und lehnen sie entschieden ab. Die Ablehnung der 
Kriegskredite und die Erklarung der 20 Abgeordneten haben jedenfalls 
mit diesen Absichten Riihles nichts zu schaffen. So« 
lange sich keiner der anderen 19 Abgeordneten ausdriicklich Riihle an- 
schliefzt, diirf en wir annehmen, dafz sie samtlich seinen Plan auf 
Parteispaltung entschieden ablehnen und verur« 
t e i 1 e n. Dalz viele andere und viele Tausende in der Partei mit Riihle 
die Spaltung wiinschen, bezweifeln wir sehr; jedenfalls haben die Partei- 
organisationen, die sich fur das selbstandige Vorgehen der Minderheit 
aussprachen, alles andere als die Absicht, die Partei zu 
s p a 1 1 e n." 

Die Anhanger der Richtung Liebknecht und Riihle hatten sich 
allerdings schon vorher von der Opposition getrennt und eine Propa- 
ganda auf eigene Faust getrieben. Sie gaben besonders die Sparta- 
kusbriefe heraus, die spater ihrem Bunde den Namen gegeben haben. 
Sie veranstalteten besondere Konferenzen und gaben sich eigene 
Programme. 

Es war jetzt noch eine Frage der Zeit, wann es zum offenen Bruch 
zwischen Mehrheit und Minderheit in der Fraktion kommen wiirde. 
Beide Richtungen hielten neben den gemeinsamen Sitzungen noch 
regelmafzige Sonderberatungen ab. L e g i e n hatte in der Sitzung 
nach der Abstimmung einen Antrag auf Ausschlufe der 20 aus der 

89 



Praktion gestellt, und der Fraktionsvorstand verlangte, dalz die 20 
von der Stellimg von Fraktionsrednern im Plenum und in den Kom- 
missionen ausgeschlossen werden soilten. Es wurde aber schlielzlich 
ein milderer Antrag angenommen, der die Sonderaktionen aufs 
scharfste mifzbilligte. 

Am 7. und 8. Januar tagte wiederum der Parteiausschulz in Ge- 
meinschaft mit dem Parteivorstand. Es wurde eine Entschliefzung 
angenommen, die das Vorgehen der 20 verurteilte und erklarte, es 
sei nicht geeignet, „die von der Gesamtfraktion unternommene Frie- 
densaktion zu starken und dient den Interessen der Arbeiterklasse 
in keiner Richtung". Insbesondere verdiene das Verhalten des Ge- 
nossen Haase die scharfste Mifzbilligung. Welter stelle der Partei- 
ausschufz fest, dalz der „Vorwarts" seine Pflicht als Zentraiorgan der 
Partei nicht erfulle. Statt die Poiitik der Partei zu vertreten, fordere 
die Redaktion des „Vorwarts" die auf Parteizerrilttung gerichteten 
Bestrehungen. Damit verwirke der „Vorwarts" jedes Recht,, als Zen- 
traiorgan der deutschen Partei zu gelten. 

Der „Vorwarts" stellte dazu fest r dalz der Parteiausschufz mit seiner 
Mifzbilligung die ihm zustehenden Befugnisse liberschritten habe. Der 
„Vorwarts" habe stets im Sinne der auf deutschen Parteitagen und 
. auf internationalen Kongressen geforderten Poiitik gewirkt. Die Poii- 
tik der Fraktionsmehrheit und die der Partei sei nicht gleichzusetzen. 
Der Parteiausschulz habe nicht das mindeste Recht, festzustellen, ob 
der „Vorwarts" als Zentralcrgan der Partei gelte. Der Parteiausschulz 
habe sich damit iiber den klaren Wortlaut des Organisationsstatuts 
hinweggesetzt. 

Einige Tage spater, am 12. Januar, fuhrte die Reichstagsfraktion 
die erste Spaltung durch. Karl Liebknecht hatte wiederum, 
ohne die Fraktion vorher zu verstandig-en, dem Bureau des Reichstags 
eine Anzahl Anfragen uberreicht. Darauf falzte die Fraktion mit 60 
gegen 25 Stimmen folgenden Beschlufz: 

„Da Genosse Liebknecht fortgesetzt gegen die Beschliisse der Fraktion 
handelt und somit die Pflichten der Fraktionsgemeinschaft auf das Grab- 
lichste verletzt, erklart die Fraktion, dafz Liebknecht dadurch d i e 
R e c h t e , die ihm aus der Fraktionszugehorigkeit e n t - 
springen, verwirkt hat." 

• Dieses Kauderwelsch sollte naturlich nur verdecken, dafz Karl 
Liebknecht kurzerhand aus der Fraktion ausgeschlossen war. Dazu 
hatte die Fraktionsmehrheit aber nicht das mindeste Recht. Ueber 
die Zugehorigkeit zur Fraktion hatte nicht die Fraktion zu bestimmen, 
sondern die Organisation, die den Abgeordneten in den Reichstag 
entsandte. Die Wahler Liebknechts aber hatten bisher stets dessen 
Haltung gebilligt. Indem die Fraktionsmehrheit sich auf so brutale 
Weise liber jedes Recht hinwegsetzte, zeigte sie deutiich, wer in 
Wirklichkeit die Zertrummerung der Partei wollte. An die Stelle des 
Willens der Organisation setzte sie die Willkur einer Handvoll 
Fiihrer. Das wurde durch die Minderheit sofort festgestellt. Sie ver- 
offentlichte eine Erklarung, die folgendermafzen schlofz: 

77 Die Fraktion ist nicht b e f u g t , sich zum Richter iiber das einzelne 
Praktionsmitglied aufzuwerfen. Der Beschkilz ist also eine offenbare 
V e r g e w a 1 1 i g u n g. Er beraubt Liebknecht der Recht e, die ihm als 

90 



Abgeordneten nach dem. Willen seiner Warder und der Gesamtpartei aut* 
Grand des Gesetzes und der Verfassung zustehen. Liebknecht mufz dem- 
nach nach wie vor a Is vollberechtigtes M it g lied der F r a k~ 
tion g e 1 1 e n. Die Partei kennt nur gleichberechtigte Mitglieder. Zu 
diesem Grundsatz steht der Beschlufz der Fraktion im scharfsten Wider** 
spruch." 

Karl Liebknecht verstand sofort den wahren Inhalt des Beschlusses 
der Frakticnsmehrheit; er teilte dem Reichstagsbureau mit, dafz er 
aus der sozialdemokratischen Fraktion ausgeschieden sei. Kurz dar- 
auf erklarte sich Riihle mit Liebknecht solidarisch. 

Die Vcrgange im Reichstage veranlafzte die Organisationen, 
sich mit der Stellung der Partei zu befassen. Der Zentralvorstand der 
Grofz-Berliner Parteiorganisationen nahm mit 41 gegen 17 Stimmen 
eine Entschliefzung an, worin die von der Fraktionsminderheit abgege- 
bene Erklarung gebilligt und bedauert wurde, dafz nicht die gesamte 
Fraktion diese Erklarung abgegeben habe. Eine von 320 Fumktiona- 
ren besuchte Kreiskonferenz des 6. Berliner Reichstagsiwahlkreises 
sprach dem Genossen Ledebour fur seine Haltung ihre voile Billi- 
gung aus. Eine von 300 Mitgliedern besuchte Konferenz des 4. Ber- 
liner Wahlkreises nahm gegen 7 Stimmen zwei Resoluticnen an, in 
der die Haltung der Fraktionsminderheit begriifzt wurde; sie habe der 
Stimmung weitester Parteikreise Ausdruck gegeben. Aehnliche Er- 
klarungen gaben die anderen Berliner Kreise, sowie eine ganze An- 
zahl grofzerer Parteiorganisationen im Reiche, wie Leipzig, Halle und 
Bremen, ab. 

In der Wochenschrift der osterreichischen Sozialdemokratie, im 
„Kampf ' vcm Januar 1916 schrieb Friedrich Adler liber das 
Vorgehen der Minderheit das Folgende: 

„Die Fraktionsminderheit in Deutschland hat vom 4. August an das 
Vorgehen der Mehrheit fur ein Abschwenken vom Programm gehalten. 
Aber sie hoffte und hoffte immer von neuem, dafz die Mehrheit zur Be- 
sinnung kommen werde, und hat, weil sie die gemeinsame Aktion in ihrem 
ganzen Werte erkannte, mit der grofzten Selbstiiberwindung die Politik 
der Verfehlungen gegen das Gesamtinteresse des Proletariats, die Politik 
der Zerrei&ung der Internationale zwar durch die Aufklarung zu ixber- 
winden gesucht, aber ohne Storung der Parteiaktion hingenommen. Die 
Minderheit wartete und hoffte von Abstimmung zu Abstimmung. Sie 
wurde starker und starker, aber die Mehrheit in der Fraktion zu werden, 
durfte sie noch lange hinaus nicht erwarten. Und so wurde die Frage 
immer brennender, ob es nicht im hochsten Interesse des Proletariats 
gelegen sei, dafz wenigstens die Minderheit den Weg gehe, den sie als 
den einzig moglichen zur Wiederherstellung der internationalen Solidari- 
tat ansah. Die Frage, ob die Einheit der Reichstagsfraktion wichtiger 
sei oder die Dokumentierung der internationalen Gesinnung durch die 
Minderheit, wurde schliefzlich nach schweren inneren Kampfen in letzterem 
Sinne entschieden. Die Einheit der deutschen Reichstagsfraktion war ge- 
sprengt, aber eine Briicke geschlagen zu den Proletariern aller Lander. 
Die hoehste Solidaritat, die Solidaritat des Gesamtproletariats war aus- 
schlaggebend im Konflikt mit der Solidaritat innerhalb einer begrenzten 
Gruppe. 

Und das ist der entscheidende Punkt, auf den es bei der Be- 
urteilung des ,J3isziplinbruches der deutschen Minderheit" ankommt. 
Eine wirkliche Versurtdigung gegen die Interessen der Arbeiterbewegung 

01 



ist jeder Disziplinbruck, der darauf beruht r dak eine Gruppe Hire Inter- 
essen iiber die Gesamtheit stellt,. dalz sie handelt im Widerspruch zum 
sozialen Denken. Fiir die Minderheit der deutschen Reichstagsfraktion 
kamen aber nicht die Inter essen ihrer Gruppe in Betracht, sondern ge- 
rade sie war durchdrungen von den Grundsatzen sozialen Denkens, sie 
ging aus von der internationalen Solidaritat der Arbeiterklasse, von dem 
h6chsten Gesichtspunkt unserer ganzen Bewegung, die sie durch die 
Politik der Mehrheit fiir verletzt ansah." 

Die Instanzenmebrbeiten gingen nunmehr riicksicbtslos gegen die 
Opposition in der Partei vor. Nacbdem der Parteiausscbufz erklart 
batte, dafz der „Vorwarts" das Recbt verwirkt babe, als Parteiorgan 
zu gelten, versucbte der Parteivcrstand einen Ersatz dafiir zu 
scbaffen. Zu diesem Zwecke gab er die „Parteikorrespondenz", die 
bisber eine Sammelstatte fur Zeitungsausscbnitte war und unter der 
Leitung von Georg Scbopflin stand, einem der feurigsten Kriegs- 
patrioten, in erweitertem Umfange beraus. Sie sollte kiinftig um 
„sacblicbe Ricbtigstellungen" bereichert werden. Das bedeutete 
nicbts anderes r als dafz dieses Blatt das Organ der Parteivorstands- 
mebrbeit wurde, obne dafz jedccb die Instanzen den Mut batten, es 
als solcbes zu bezeicbnen. Der Zentralvorstand der Bezirksorganisa- 
tion fur die Provinz Brandenburg, der damals in seiner grofzen Mebr- 
beit aus Kriegsfreunden bestand, bescblofz, die „Facker', eine Agi- 
tationsscbrift fiir das Land, deren Erscbeinen der Krieg unterbrocben 
hatte, wieder berauszugeben. Es war aber jetzt keine Agitations- 
scbrift fiir die Partei, sondern das Blatt entbielt fast nur Artikel und 
Notizen parteipolemiscben Inbalts, die sicb gegen die deutscbe Oppo- 
sition und gegen die sozialistiscben Parteien des Auslandes ricbteten. 
Die Zeitscbrift war denn aucb dazu bestimmt, nicbt neue Anbanger 
fiir die Partei zu werben, als vielmebr den Anscbauungen des „Vor- 
warts" entgegenzuwirken. 

Die Zensurbehorden lielzen es inzwiscben an Schneidigkeit 
nicbt feblen. Unaufborlich wurden opponierende Gesnossen und 
Flugblattverbreiter drangsaliert, in die Gefangnisse geworfen, in die 
Scbutzengraben geschickt. Das binderte jedoch nicbt, dalz die Ver- 
breitung von illegalen Scbriften einen immer grofzeren Umfang 
annabm. Welche Sorge den Militarbehorden daraus entstand, das 
geht a#s folgender Aufstellung von verbotenen Druckscbriften 
hervor, die das wurttembergiscbe Generalkommando in einen ibrer 
Geheimbefeble auiinabm: 

1. Ein Ende dem Winterfeldzug. 

2. Hinter den Kulissen in „groIzer Zeit" usw. 

3. Den Genossen und Genossinnen zur Aufklarung (Verlag von Fr. Engel- 
bardt). 

4. Bilder ohne Worte. 

5. Proletarier Europas. ' 

6. Erklarung von 36 sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten (Ber- 
lin 2. 12. 15). 

7. Jugendinternationale (Verlag Sekretariat der Internationalen Verbande 
sozialistischer Jugendorganisationen). 

8. ParteigenossenI ParteigenossinnenI 

9. Wer hat die Schuld am Kriege? 

d). Reale Garantien fiir einen kommenden Frieden. 

It. Krieg, Zusammenbruch und Revolution von X KarskL 

92 



12. Ansprache der deputierten GroIz*I3erliner Genossinnen an den 
Parteivorstand und an den Parteiausschuiz vom 28. 10. 1915. 

13. Genug des Mordens. 

14. „Disziplinbruche", mit Schreibmaschine geschrieben. 

15. Disziplinbrtiche. 

16. Der Weltkrieg. 

17. Ein Brief an die „Norddeuitsohe Allgemeine Zeitung". 

18. An die Internationale Konferenz grundsatztreuer Sozialdemokraten. 
Unterschrieben: Die programmtreuen Sozialdemokraten Wiirttembergs. 

19. Opportunistische Marseillaise. 

20. Frauen des arbeitenden Volkes. (Schweizerische Sozietatsdruckerei.) 

21. Dasselbe (einseitig) unterzeichnet: Die internationale sozialistische 
Frauenkonferenz, Bern im Marz 1915. 

22. „Der Annexionswahnsinn" als Manuskript gedruckt bei der Schweize* 
rischen Sozietatsdruckerei. 

23. Krieg und Proletariat. 

24. Der Hauptfeind steht im eignen Land. Verantw. Wilh. Mayer. 

25. Der Zusammenbruch. 

26. Die Hetze gegen Haase. 

27. Dasselbe (Schweizerische Sozietatsdruckerei). 

28. An den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 
unterzeichnet: 90 Grofe-Ber liner Unterzeichner des Protestschreibens 
vom 9. und 13. Juli 1915. 

29. Revisionistenspiegel von August Bebel. 

30. Ein neues Wintermarchen. 

31. Neues von der wurttembergischen Freiheit. (Unterzeichnet: Put- 
schistenkomitees.) 

32. Die militarische Zensur. 

33. Was ist und was geschehen soil. 

34. Das erste Dokument der kommenden Internationale. 

Die Wintermonate flossen in dumpfer Spannung und zugleich 
unter den heftigsten Auseinandersetzungen in der Partei dahin. Es 
hagelte Angriffe auf die „Disziplinbrecher", auf die diese jedoch in 
der Oeffentlichkeit nicht deutlich genug antworten konnten. Es war 
ein ungleiches Spiel zwischen Mehrheit und Opposition. In eine 
besonders mifzliche Lage war die Fraktionsminderheit gekommen, 
die den scharfsten Aingriffen ausgesetzt war, ohne daiz sie in der 
Presse oder sonst offentlich ihren Standpunkt deutlich genug ent- 
wickeln konnte. Immer dringlicher, so fuhrte der „Vorwarts" ein 
wenig spater darliber aus, stellte sich fur die Fraktionsminderheit 
die Notwendigkeit heraus, wenigstens an der einzigen Stelle, wo zeit- 
weilig Gelegenheit zur freien Aussprache gegeben war, von der 
Parlamentstribiine ihre Auffassungen darlegen zu konnen. Die 
Fraktionsmehrheit hielt es dagegen fur notwendig, die Redner nur 
aus ihren eigenen Reihen zu stellen. So blieb der Minderheit 
schliefzlich nichts anderes ixbrig, als endlich die Gelegenheit zu 
ergreifen, auch ohne Genehmigung der Mehrheit ihre Stellung dar- 
zutegen. 

Diese Gelegenheit kam am 24. Marz 1916, als der N o t e t a t zur 
Abstimmung gelangen sollte. In der Fraktion hatte man sich vorher 
dariiber unterhalten, und es war beschlossen worden, fiir den Notetat 
zu stimmen. Spater ist von der Mehrheit der Minderheit der Vorwurf 
gemacht worden, dafz sie damals nichts dariiber hatte verlautbaren 
lassen, dafz sie besondere Stellung zum Notetat nehmen wiirde. Erst 



im letzten Augenblick, unmittelbar vor Eroffnung der Verhandlung, 
habe Haase dem Fraktionsvorstand mitgeteilt, dafz er reden werde. 
Auf diese Weise sei die Fraktion von dier Minderheit hinterriicks 
iiberfallen worden. Formell mag die Mehrheit im Recht gewesen 
s>ein 7 in der Sacbe selber konnte die Minderheit damals gar nicht 
anders handeln 7 wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, von der Mehr- 
heit durch Angrifife aus dem Hinterhalt handlungsunfahig gemacht 
zu werden. Uebrigens konnte gar kein Zweifel dariiber herrschen, 
dafz sich die Minderheit das Recht auf Aeufzerung ihrer Meinung 
nicht nehmen lassien wiiirde. 

Ueber den Verlauf der Sitzung vom 24. Marz gab der 
„Vor.warts" folgende Darstellung: 

77 Zu Sturrnszenen 7 wie sie im Reichstag* wohl noch nie erlebt worden 
sind 7 eben so leidenschaftlich als beschamend und beklagenswert 7 kam es 
am Freitag bei der ersten Beratung des Notetatsgesetzes. Alle Tiefen 
des unheilvollen Parteikonfliktes schienen a u f g e « 
w u h 1 1 7 alle Gegensatze fanden in einem unerhorten Tumult ihre 
schrankerdose Entfesselung. 

Wahrend die Mehrheit der Fraktion den Notetat mit einer kurzen Er« 
klarung bewilligen wollte 7 war Genosse Haase im Einverstandnis mit 
seinen Minderheitsfreunden entschlossen, ihre ablehnende Haltung durch 
eine Rede zu begriinden. Die Mehrheit nahm sofort gegen Haases Absicht 
Stellung inAuftritten und Wutausbnichen 7 die jeder Beschreibung spotten. 
Schon vor Beginn der Sitzung bildeten sich erregte Gruppen. Haases 
Platz war formlich umlagert von gestikulierenden, drohenden 7 durch- 
einanderschreienden Vertretern der Mehrheit 7 und wiederholt mulzte der 
President fur den ersten Punkt der Tagesordnung um Ruhe ersuchen. Als 
Haase fest blieb und schlieMich das Wort nahm 7 kam die Erregung* zu~ 
nachst in Zurufen 7 bald aber in einem ohrenbetaubenden Chorus des 
Protestes und der Demonstration zum Ausdruck. Das Haus r langst auf 
die Gewitterstimmung aufmerksam geworden 7 ergriff sofort Partei im 
Bruderkriege zugunsten der Mehrheit, deren Haltung durch lungenkraftige 
Ermunterungv Heiterkeit 7 Geschrei und Handeklatschen lebhaft stixtzend. 
Besonders K e i 1 und Heine wurden fur ihre Leistungen ostentativ von 
der rechten Seite applaudiert. Minutenlang war im Saale 7 weil alles 
durcheinander tobte 7 uberhaupt kein Wort zu verstehen 7 minutenlang be- 
miihte sich Herr Kampf mit drohender Glocke vergeblich um Ordnung 
und Ruhe. Haase, der wiederholt versuchte 7 seine Rede fortzusetzen, 
wurde unausgesetzt zur Sache gerufen 7 von der Mehrheit unterbrochen^ 
von der Rechten am Weiterreden verhindert und schliefzlich durch einen 
Gewaltakt mundtot gemacht. Vorubergehend trat Windstille ein 7 bis 
Schatzsekretar Helfferich 7 durch einen Tadel 7 den er der Opposition aus*< 
zustellen glaubte 7 erneut Oel ins Feuer gofz 7 so dafz dieses nbch einmal 
lichterhell aufschlug und den letzten kummerlichen Rest der Wurde dieses 
Hauses hinwegfegte." 

Es mufz dazu festgehalten werden 7 dafz auch sozialdemokratische 
Reichstagsabgeordnete sich nicht gescheut hatten 7 fiir die Wort- 
entziehung zu stimmen, dafz also Leute 7 die sich Sozialdemokraten 
nannten 7 gemeinsam mit den biirgerlichen Parteien einem anderen 
Sozialdemokraten die freie Rede abschnitten. 

In seiner Rede fuhrte Haase aus 7 dafz er und seine Freunde 
diesen Notetat ebenso ablehnen miifzten, wie sie den Hauptetat 

04 



ablehnen wiirden. Der Klassencharakter zeige sich in dieser Zeit 
noch scharfer als vorher. Die Regierung habe auf dem Gebiete der 
Le^ensniitt elver sorgung vollig versagt, in weiten Kreisen sei Hunger, 
Unterernahrung rait all ibren Folgeerscheinungen eingetreten. Das 
freie Wort sei geknebeli Der Belagerungszustand werde immer 
noch aufrechterhalten. Bs seien Steuergesetze eingebracht worden, 
die sich gegen die besitzlosen Kreise richteten. In alien Landern 
hatten die Massen den leidenschaftlichen Willen zum Frieden. Aber 
die deutsche Regierung, die sich in einer gunstigen Position befinde, 
tue nichts, urn den Krieg zu beenden. Es spreche alles dafiir, dalz 
das deutsche Beer trotz seiner groizen militarisc'hen Erfolge die 
Gegner nicht werde auf die Knie zwingen konnen. Am Schluiz des 
furchterlichen Ringens werde es wahrscheinlich weder Sieger noch 
Besiegte, sondern nur besiegte, aus Millionen Wunden blutende 
Volker geihen. Wie auch das Ring en ausgeihen werde, Europa gehe 
seiner Verarmung entgegen. Was habe unter solchen Umstanden 
die Fortsetzung des Krieges noch fur einen Sinn? „Wir Sozialisten, 
die war den Krieg verabscheuen und mit aller Kraft ihn zu verhindern 
uns bemuht haben, widersetzen uns seibstvierstandlich seiner Ver« 
langerung. Wenn ;es sich nur darum handele, die Unversehrtheit 
des Reiches und die Unabhangigkeit unseres Volkes aufrecht- 
zuerhalten, so hatten wir den Frieden schon erzielen konnen. Aber 
immer lauter erheben sich die Stimmen, die als Ziel des Krieges die 
Ausdehnung unserer Weltmacht, die Erringung der Weltherrschaft 
fordern." Die kapitalistische Wirtschaftsordnung habe sich durch 
diesien Krieg selbst das Urteil gesprochen. 

Nach dieser Szene im Plenum kam die Fraktion zusammen. Der 
V o r s t a n d der Fraktion legte eine Erklarung vor, die 
inhaltlich der >entsprach, die den Ausschlufz von Liebknecht aus der 
Fraktion veranlalzt hatte. Sie hatte folgenden Wortlaut: 

JDie Fraktion bedauert lebhaft die Vorgange, dip sich innerhalb ihrer 
eigenen Gemeinschaft in der heutigen Reichstagssitzung zugetragen 
haben. In ihrer Fraktionssitzung am Vormittag wurde der einstimmige 
Beschlulz gefalzt, eine allgemeine politisohe Debatte im Plenum nach der 
Behandlung des Etats des Auswartigen Amis in der Budgetkommission 
zu fiihren — ein Beschlufz, dem noch vor Begirm der Plenarsitzung der 
Seniorenkonvent widerspruchslos zugestimmt hat. Hinsdchtlich der Be* 
handlung des Notetats hatte die Fraktion in der gleichen Sitzung be* 
schlossen, im Hinblick auf jene in Aussicht stehenden politischen Erorte* 
rungen nach altera Herkoramen heute von einer politischen Debatte Ab« 
stand zu nehmen. 

In dieser Fraktionssitzung 1 ist Haase mehrmals aushihrlich zu Wort ge« 
kommen, um seine Auffassung zum Notg-esetz zu begriinden. Nachdem 
die Fraktion sich in ihrer Mehrheit gegen diese Auffassung entschieden 
hatte, hat Haase auch nicht die leisteste Andeutung gernacht, dalz er gegen 
diese Fraktionsbeschlusse im Plenum vorgehen werde. Dadurch wird sein 
Disziplinbruch zugieich zum Treubruch. Nachdem die Fraktion bereits 
am 12. Januar die damalige Sonderaktion aufs scharfste geriigt hatte, sieht 
sie sioh nunmehr gezwungen, zu erklaren, dafz Haase und diejenigen 
Fraktionsmitglieder, welche die gemeinsam gefafzten Beschlusse groblich 
milzachten und offentlich durchkreuzen, dadurch die aus der Frak« 
tionszugehorigkeit entspringenden Rechte verwirkt 
haben." 



Die Erklarung wurde mit 58 gegen 33 Stimmen angenommen, der 

Stimme enthielten sich 4, es fehlten 12 Abgeordnete. Die Minder- 

h e i t der Fraktion, die durch diesen Beschlufz aus der Fraktion tat- 

sachlich ausgeschlossen war, gab hierauf folgende Erklarung ab: 

77 Die sozialdemokratische Fraktion des Reichstags hat uns heute mit 

58 gegen 33 Stimmen, bei 4 Stimmenthaltungen, der „aus der Fraktions- 

zugehorigkeit entspringenden Rechte" beraubt. Dieser Beschlulz macht 

es uns unmoglich, innerhalb der Fraktion auch ferner die Pflichten zu er« 

fullen, die uns durch die Wahl als Abgeordnete der Sozialdemokratischen 

Partei auf erlegt sind. Wir sind uns bewulzt, getreu den Grund- 

satzen der Partei und den Beschlussen der Parteitage 

gehandelt zu haben. Urn so die Pflichten gegeniiber unseren Wahlern 

auch weiter erfvillen zu konnen, sind wir genotigt, unszu einer 

Sozialdemokratischen A r b e i t s gem einsch af t zu- 

sammenzuschlieJzen. 

Den vollig unbegriindeten Vorwurf des Disziplinbruchs und des Treu* 
bruchs weisen wir zuriick. 

Berlin, den 24. Marz 1916. 

Bernstein, Bock, Buchner, Dr. Oskar Cohn, Dittmann, Geyer, Haase, 

Henke, Dr. Herzfeld, Horn, Kunert, Ledebour, Schwarz (Liibeck), Stadt- 

hagen, Stolle, Vog*therr, Wurm, Zubeil." 

Diese 18 Genossen hatten sich also von der sozialdemokratischen 
Reichstagsfraktion gelost und erne neue Fraktion, die 
Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft, ge- 
bildet, die als ihren Vorstand die Genossen Haase, Ledebour und 
Dittmann wahlte. Vierzehn andere Genossen gaben eine offent* 
liche Erklarung ab, wonach sie in der Fraktion gegen den Not- 
etat gestimmt, im Plenum des Reichstags den Saal verlassen und in 
der Fraktion gegen die Mafzregelung gestimmt hatten. 



96 



<392SKe3BSKiS6QSKiH&<22ii("^^ 



Die Reichskonferenz. 

Fortgang- der Auseinandersetzungen. — Die Kurzsichtigkeit der 
Instanzenmehrheiten. — Gewaltakte des Parteivorstandes. — Die 
Konferenz von KfenthaL — Differenzen zwischen Opposition und 
Spartakusbund. — Verhaftung Liebknechts. — Die Reichskonferenz. — 
Keine Abschwachung der Gegensatze* 

An diesem Punkte der Darsteliung erschednt es notwendig, die 
bisherige Entwicklung der Parteidifferenzen 
noch einmal im Zusammenhange zu betrachten. Die kapitalistische 
Hochkonjunktur vor dem Kriege hatte der Taktik der deutschen 
Sozialdemokratie einen immer deutlicher werdenden reiormistischen 
Charakter gegeben, ihre Mehrheit warf sich beim Kriegsbeginn in 
die Arme des welterobernden deutschen Imperialismus. Die Wort- 
fiihrer der Mehrheit wollten zuerst glauben machen, als ob der 
nationalistische Rausch die Klassengegensatze ausgeloscht habe. Je 
weiter der Krieg aber vorschritt, urn so deutlicher wurde es, daiz das 
edn Irrglaube war. Ueber den Eroberungscharakter der deutschen 
Kriegsfuhrung konnte bald kein Zweifel mehr herrschen; die Klassen- 
gegensatze waren nicht ausgeloscht, sie wurden vielmehr immer 
scharfer, je langer sich das Gemetzel hinzog. Hatte die deutsche 
Arbeiterklasse vor dem Kriege an dem Aufstieg des Kapitalismus 
einigen Anteil nehmen diirfen, so wurde sie jetzt um so enger an sein 
unentrinnbares Schicksal, den volligen Niederbruch, gefesselt Aber 
die Rechte der Partei 7 die die Mehrheit bildete und sich auf den 
Parteiapparat stiitzte, war ebensowenig wie die aufzerste Linke, die 
Spartakusgruppe, imstande, diese Situation zu erkennen. Die organi- 
satorische Einheit der Sozialdemokratischen Partei konnte nur 
dadurch erhalten werden, dalz die Gegensatze in den grundsatzlichen 
und taktischen Fragen anerkannt wurden und den verschieden- 
artigen Auffassungen der weitestgehende Spielraum gewahrt wurde. 
Aber der Mehrheit lag weniger an der Erhaltung der Einheit der 
Partei, als an der Ausmiitzung der Organisation fur ihre besonderen 
Auffassungen. Und so iibte sie sich im Wettstreit mit Zensur und 
Belagerungszustand in der Unterdriickung der freien Meinungs- 
Mu&erung, weil sie nur damit ihre eigene Position zu festigen hoffen 
durfte. In heute kaum glaublicher Kurzsichtigkeit schatzte sie die 
Opposition als einen spaten Nachfahren jener konfusen Bewegung 
der „Jungen" ein, deren sich die Partei anifangs der neunziger Jahre 
mit Recht entledigein mufete, wollte Sie nach den Jahren des 
Sozialist«ng£setzes zu der gebotenen Geschlossenheit kommen. Die 
Parteiinstanzen sahen so wenig die vollstandig anders geartete 

7 97 



Situation dieser Jahre, dafz sie nur durch den Hinauswurf der schein- 
bar so schwachen Opposition zur Ruhe zu kommen glaubte. In der 
Hand des Arztes mag dieselhe Medizin dem Kranken Heilung 
brmgen, die dem Leidenden den Tod bringt, fwenn sie ihm der Kur~ 
pfuscher reicht. 

Die Spartakusleute auf der anderen Seite aber tat en in ihrer lleber- 
gescheitheit alles, urn dem Parteivorstand in die Hande zu arbeiten. 
Sie gaben erhabene und wortreiche Programme- und Leitsatze genug 
heraus; aber diese litten nur an dem Penler, dalz sie von den 
Arbeitern entweder nicht gelesen oder nicht verstanden wurden r 
soiweit es sich um die Kriegspolitik der Regierung handelte, und 
die in den Reihen der Opposition nur Verwirrung anrichteten, soweit 
es sich um die Kriegspolitik der Partei handelte. Statt die Massen 
der Arbeiter von der Kriegspsychose zu befreien und sie wieder fur 
den proletarischen Klassenkampf zu genvinnen, verbreiten sie den 
Glauben, als ob schon eine kleine Schar entschlossener Leute 
geniige, um den Krieg zu beenden, den Imperialismus niederzuwerfen 
und die soziale Revolution siegreich durchzufiihren. Statt die Mehr- 
heit der Partei fur die Opposition zu gewinnen, warfen sie sinnlose 
Parolen, wie die Einstellung der Beitragszahlung an den Partei- 
vorstand, in die Diskussion und gaben so den Parteiinstanzen will- 
kommene Gelegenheit, nicht allein gegen das Dutzend Spartakus- 
anhanger, sondern vor allem gegen die Massen vorzugehen, die 
hinter der Arbeitsgemeinschait standen. Diese Desperado-Politik hat 
sich dann fortgesetzt bis zu den verschiedensten Putschversuchen 
nach dem Novemberzusammenbruch und bis zur Zerreifzung der 
Unabhangigen Sozialdemokratie. 

Mit welcher Verschlagenheit die Instanzenmehrheiten arbeiteten, 

um die Arbeiter liber die Absichten der Regierung zu tauschen f 

dafur lassen sich unzahlige Beispiele erbringen. Eines der deut- 

lichsten hat Philipp Scheidemann gegeben in einer zur 

damaligen Zeit unter seinem Verfassernamen veroffentlichten Schrift: 

„Es le'be der FriedenI" Nachdem er auseinandergesetzt hatte, was 

die Partei hisher schon alles flir den Frieden getan habe, erklarte er: 

77 DaJz die Regierung mit den von einem alldeutschen Professor auf« 

gestellten und von Y orstandsmitgliedern verschiedener Verbande unter- 

zeichneten Annexionsforderungen nichts zu tun hat r ist hinlanglich be~ 

kannt und auch den auslandischen Regierungen kein Geheimnis mehr. 

Wir Sozialdemolu aten, die wir dem Frieden dienen, dem Krieg also 

so schnell als moglich ein Ende bereiten wollen, haben nicht die geringste 

ilrsache, dem Reichskanzler und seiner Regierung wixste Eroberungs* 

absichten zuzuschreiben, von denen wir wissen r dalz sie nicht bestehen." 

Im Jahre 19 21, als Scheidemann annahm, dalz die Welt die 
Erinnerung an diese Satze verloren haben konne, hat er 7f Erinne« 
rungen an Bethmann Hollweg" veroffentlicht Dort berichtet er 
folgendes: 

7/ Am 8. Marz 1915 hatte der Reichskanzler vor den Vertrauens* 
mannern der Fraktionen iiber seine Kriegsziele gesprochen und gesagt: 
?? Wir wollen Sicherung, groizere Bewegungsfreiheit und Entwicklungs* 
moglichkeit fur ein starkeres und grolzeres Deutschland." Mir liefs eisig 
kalt iiber den Riicken, und als er die Wendung von dem grSizeren 
Deutschland zum zweiten Male gebrauchte y da schauten wir vier uns am 

98 



Molkenbuhr, Robert Schmidt und ich sehr verstimmt, Haase offenbar sehr 
angenehm beriihrt. Er hatte nun, was er gebrauchte, das Stichwort 
fur den JEroberungskrie g", fixr den wir unmoglich noch 
Kredite wurden b e w i 1 1 i g e n konnen. Auf dem Heimweg 
begann ich Haase gegeniiber zu erortern, dalz Bethmann Hollweg nach 
alien seinen sonstigen Darlegungen unmoglich ein durch Gebietszuwachs 
grofzeres Deutschland gemeint haben konnte; das erscheine mir ausge- 
schlossen . . . Diese Konferenz hatte immer noch unter der Riicksicht 
auf die relativ grolze Zahl der Teilnehmer gelitten. Der Reichskanzler 
hatte aber, wie vor alien solchen entscheidenden Reden, den Wunsch, 
sich ganz vertraulich mit der Sozialdemokratischen Partei vorher auszu- 
sprechen. Das beweist mein Tagebuch~Eintrag vom 9. Marz. 

Friih urn 8 kommt ein Bote aus der Reichskanzlei und bittet mich 
urn 10 Uhr zum Reichskanzler. Ich ahnte: Er will uns noch einmal zu- 
setzen, damit von einer Rede im Plenum Abstand genommen wird. Ich 
bin kurz entschlossen, Haase die Waffe aus der Hand zu schlagen, die 
ihm Bethmann Hollweg am gestrigen Abend durch eine rrulzverstandliche 
Wendung gegeben. Ich rufe Wahnschaffe an, dalz der Reichskanzler in 
der bevorstehenden Unterredung auf sein Kriegsziel zuruckkommen 
nuisse, aber so, dalz daraus unter gar keinen Umstanden Eroberungs- 
absichten herausgehort werden konnten, wie das gestern abend der Fall 
gewesen ware. Absichten, von denen ich xiberzeugt sei, dalz sie Beth- 
mann Hollweg ja auch gar nicht habe. 

Wahnschaffe verstand mich sofort, nachdem ich ihn auf 
unsere Grundsatze aufmerksam gemacht hatte . . . „Im tiefsten Ver- 
trauen — sonst habe niemand Kenntnis da von — : Zarte Keime sprieizen in 
Rufzland, Keime, aus denen ein Friede entstehen konnte. Wir wurden 
sie zertreten, wenn wir vom Frieden sprechen. Das werde man deuten 
als Schwache, und dadurch wachse in Rulzland das Kraftgefuhl noch ein- 
mal usw. Die Ziele, die die Alldeutschen verlangten, seien Unsinn." „Ich 
denke nicht daran, sie zu verwirklichen. Belgien annektieren! Ein Land 
mit einer uns vollkommen fremden, auch sprachfremden Bevolkerung. Ich 
stelle mir vor, dalz wir engere Wirtschaftsbeziehungen mit Belgien 
kriegen konnen, vielleicht auch Abmachungen militarischer Art. Und wenn 
es mir gelange, die Grenze in den Vogesen ein wenig zu regulieren, die 
jetzt unterhalb des Kammes verlauft, dann ware das schon von grolzer 
Bedeutung, ebenso, wenn man die Schleifung Belforts durchsetzen konnte. 
An diesen Grenzen haben wir furchtbare Opfer bringen mussen." 

Haase und ich — Haase vor mir — stellten mit Genugtuung fest, dalz 
diese Darlegungen uns befriedigten, mindestens hatten sie mancherlei 
Befiirchtungen zerstreut . . . 

Bethmann Hollweg * wies dann auf unsere Genossen in England hin: 

„Wenn Sie mit denen Fuhlung nehmen konnen, sei das gewiiz wert- 
voller, als wenn wir im Reichstag iiber den Frieden reden. Aber ihre 
internationalen Freunde scheinen wenig friedlich gesinnt zu sein." . . . 
Dalz Bethmann Hollweg auf Haase grolzen Eindruck gemacht hatte, war 
unverkennbar." 

Scheidemann und seine Freunde haben also spatestens seit dem 
8. Marz 1915 gewulzt, dafz Bethmann Hollwegs Kriegsziele aufEr- 
oberungen gingen. rf Bisig kalt" ist es ihm nach seinem eigenen 
GestMndnis iiber den Rixcken gelaufen. Trotzdem haben die Scheide- 
manner bis zum Zusammenbruch die Eroberungspolitik der Regie- 
rung unterstiitzt und alle Kriegskredite bewilligt Wenn Scheide- 
mann unseren Haase, der nicht mehr reden kann, in sein Getriebe 

?* 99 



hineinzuziehen sucht, so 1st das nichts anderes als eine Grabsohan- 
dung. Haase hat nicht „mit Genugtuung" festgestellt, dalz auch 
ihn die neuen Darlegungen des Reichskanzlers befriedigt hatten, son- 
dern am 9. Marz 1915 hat er, entgegen den Wiinscben der sozial- 
demokratischen Kriegspatrioten, in seiner Rede zum Etat ausdriick- 
lich den Willen der Arbeiterklasse zum Frieden bekundet 

Wie Scheidemann, so trieben es auch seine zahlreichen Ge- 
sinnungsgenossen in der Partei. Die Reden, Aufsatze und Broschii- 
ren der Lensch, Haenisch, Heine, Cunow, Winnig, Pendrich und wie 
sie alle hielzen, hauften sich zu Riesenstapeln. Dazu kamen zahl- 
lose Korrespondenzen und Zeitschriften, mit denen die Sozialpatrioten 
die Arbeiterschaft uberschutteten. Die „Parteikorrespondenz", die 
frixber nur einem beschrankten Personenkreis zuganglich war und 
jetzt mit einseitigem, zugunsten der Mehrheit zurechtgestutztem Ma- 
terial gefiillt war 7 wurde auf Kosten der Partei massenhaft an die 
Funktionane verschickt. Durch August Winnig lielz der Parteivor- 
stand eine Broischiire iiber die Einheit der Partei schreiben und 
massenhaft verbreiten. Albert Baumeister, der Sekretar und Ver- 
trauensmann Karl Legiens, gab die ^Internationale Korrespondenz" 
heraus, die mit den niedrigsten Methoden der Verhetzung gegen die 
sozialistischen Parteien des Auslandes arbeitete. Daneben erschien 
die „Sozialdemokratische Feldpost", die aus ahnlichen Quellen ge- 
speist und in Mas&en an die Front verschickt wurde. Der im Kriege 
reichgewordene Parvus griindete die Wochenschrift „Die Glocke", 
an die er bald einen grofzeren Verlag anschloiz. Eine Leitartikel- 
korrespondenz von Aoxgust Winnig, Heinrich Schulz, Dr. Lensch und 
Heinrich Cunow versorgte die Redaktionen der Mehrheitspresse. 

Der Opposition dagegen stand nur ein kleiner Teil der Partei- 
presse zur Verfugung. Durch die von Rudolf Breitscheid steit 1915 
herausgegebene „Sozialistische Auslandskorrespondenz" wurden die 
Redaktionen mit wertvollem Material aus den besten Federn des 
internationalen Sozialismus versehen. Im iibrigen aber mulzte die 
Opposition sich auf die Herausgahe illegaler Druckschriften be- 
schranken; sie stand jeden Tag aufs neue vor der Gefahr, wie es 
mit Rosa Luxemburg, Karl Liebkn/echt, Franz Mehring in Berlin, 
Crispien und Hornle in Stuttgart, Niebuhr in Elberfeld, Herre in 
Leipzig und Miiller in Schkeuditz, wie es mit vielen Tausenden ande- 
ren mehr oder weniger bekannten Parteigenossen geschah, ins Ge- 
fangnis oder Zuchthaus geworfen oder fur den Schutzengraben ge- 
prelzt zu werden. 

Die illegale Arbeit der Opposition wurde nun freilich energisch 
gefordert durch die Tatigkeit der Sozialdemokrati** 
schen Arbeitsgemeinschiaft im Reichstag. Diese nahm 
jede Gelegenheit wahr, um vom Boden der alten sozialdemokrati- 
schen Grundsatze aus den Kampf gegen die Kriegspolitik zu fiihren. 
Es konnte ihr nicht darauf ankommen, bei der Vertretung von Ar- 
beiterforderungen einen Wettlauf mit der Mehrheit der bisherigen 
Fraktion im Reichstag zu beginnen. ,„Wenn deren Haltung von den 
GrundsStzen der Partei abwich, 4 ' so heifet es in einem Bericht der 
sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft, „war jedoch eine klare und 

too 



sachlich scharfe Auseinandersetz-ung geboten, bei der aber die 
Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft jede personliche Polemik 
zu vermeiden suchte. Wurde dieses selbstSndige Vorgehen oft 
genug zu einer Anklage gegen die Mehrheitspolitiker, so lag das an 
dieser Politik, die den selbstandigen, sozialistischen Geist vermissen 
liefz." Die Parlamentstribune war die einzige Statte, wo man noch 
<einigermafzen frei sagen konnte, was Hunderttausenden auf der 
Zunge lag. Die Maizregelung der Fraktionsminderheit durch die 
Mehrheit war so wider Willen ein Akt der Befreiung geworden, „der 
zugleich die Wirkung hatte, viele der Parteigenossen auch weiter an 
die Partei zu fesseln, die in Sorge, Groll oder Verzweiflung sich von 
der Partei abzuwenden drohten' . 

Anders dachten die Mehrheiten der Parteiinstanzen dariiber. Sie 
begannen auf die skandaloseste Art eine lange Reihe von brutalen 
Willkiirakten und Gewaltmalznahmen gegen mifziiebige Partei- 
genossen, durch die schliefzlich die Zertrummerung der Partei her- 
beigefuhrt wurde. Die Mehrheit des Parteivorstandes lud den Partei- 
ausschufz auf den 27. Marz zu einer Sitzung ein, ohne den Partei- 
vorsitzenden Haase bei der Beschlufzfassung hinzuzuziehen. Auch 
die Redaktion des „Vorwarts" war im Gegensatz zu der bisherigen 
Uebung nicht rmehr geladen worden. Wie hinterhaltig die Vorstands- 
mehrheit gegen Haase handelte, geht aus dem Schreiben hervor, dalz 
dieser an Ebert richtete. Einen Tag vor der Konferenz erhielt er die 
Nachricht von dem Zusammentritt des Parteiausschusses mit dem 
Anheimgeben, an der Sitzung teilzunehmen; tags zuvor hatte noch 
eine Sitzung des Parteivorstandes stattgefunden, in der ihm nichts 
von der Absicht, den Ausschufz einzuberufen, gesagt wurde. In 
dieser Sitzung wurde er in Abwesenheit der erkrankten Genossin 
Zietz und gegen den Widerspruch des Genossen Wengels dazu ge- 
drangt, sofort eine Erklarung iiber seine weitere Zugehorigkeit zum 
Parteivorstand abzugeben. Obwohl er darauf hinwies, dafz es im 
Interesse der Partei lage, wenigstens um einige Tage diese Ange- 
legenheit hinauszuschieben, beharrte die Mehrheit des Parteivor- 
standes auf sofortige Entschlielzung mit dem Bemerken, dafz sie ein 
Zusammenarbeiten mit ihm ablehne. Darauf gab Haase die Erkla- 
rung ab, dalz er sein Amt als Vorsitzender der Partei niederlege. 

In der Sitzung des Parteiausschusses suchte Ebert mit 
inquisitorischer Griindlicbkeit nachzuweisen, dafe die Opposition 
planmalzig arbeite, dalz sie schon eine besondere Partei gebildet 
habe und dafz nunmehr nichts anderes iibrig bleibe, als alle Partei- 
genossen, die mit der Kriegspolitik der Instanzenmehrheit nicht ein- 
verstanden seien, aus der Partei hinauszuwerfen. Die Vertreter der 
Opposition im Parteiausschufz, wie Gottschalk aus Konigsberg, 
L i p i n s k i aus Leipzig, H e n n i g aus Halle, F 1 e i fz n e r aus 
Dresden, erklarten, dafz alles geschehen musse, um die Einheit der 
Partei zu erhalten. Die Spaltungsversuche seien zuerst von der 
rechten Seite gekommen. Trotz Fraktionsspaltung konne die Partei- 
einheit aufrechterhalten werden. Es sei das gute Recht eines jeden, 
seine Gesinnungsgenossen durch Drucksachen zu informieren, und 
es sei auch nichts dagegen einzuwenden, wenn durch freiwillige 
Sammlungen Gelder aufgebracht wiirden. Uefoer die bisherigen Vor- 

101 



gSnge in der Parte! miisse der nMohste Parteitag sein Urteil abgeben, 
der Parteiausschufz diirfe nicht als Richter auftreten. 

Die Mehrheit des Parteiausschusses liefe sich durch diese Aiisfuh- 
rungen von ihren Absichten nicht abbringen. Es wurden Antrage 
angenommen, die sich gee-en die Opposition wandten. In dem 
ersten Antrag hiefz es, dalz die Griindung der Sozialdemokratischen 
Arbeitsgemeinschaft eine vorbedachte untergrabung der gemein- 
Samen politischen Tatigkeit und unvereinbar mit den Grundsatzen 
des Organisationsstatuts sei. In dem zweiten Antrag wurde gesagt, 
es stehe unzweideutig fest, dalz ein Tell der Parteimitglieder in 
fiihrender Stellung sich eigene, festgefugte Organisationen ge- 
schaffen hatte mit dem Ziel, die Gesamtpartei zu bekampfen. Da 
die Abhaltung eines Parteitages wahrend des Krieges unmoglich er- 
scheine, sei es eine Aufgabe des Parteivorstandes, gegeniiber den 
Sonderbestrebungen alle geeigneten Mafznahmen in Anwendung zu 
bringen, urn die Geschlossenheit der Organisation zu wahren. In 
dem dritten Antrag wurde der Parteivorstand ersucht eine Dar- 
stellung der Ursachen zu geben, die zur Spaltung der Fraktion ge~ 
fiihrt hatten. Abgelehnt wurde dagegen ein Antrag, in dem der 
Parteivorstand erklaren sollte, dafz er nach dem Organisationsstatut 
nicht hefugt sei, liber das Verhalten der Reichstagsfraktion, die allein 
dem Parteitag verantwortlich sei, zu Gericht zu sitzen und abzu- 
urteilen. Die Opposition gab dazu eine Erklarung zu Protokoll, in 
der sie dagegen protestierte, dafz der Parteiausschufz iiber seine Be- 
fugnisse hinaus das Verhalten der Reichstagsfraktion kontrolliert und 
zum Ge^enstand seiner Beschlufzfassuno- gemacht habe und worin sie 
dem Parteivorstand fur diese Uebergriffe des Parteiausschusses ver- 
antwortlich machte. 

Gestiitzt auf diese Beschlusse der Mehrheit ging der Parteivorstand 
nunmehr zum Frontalangriff gegen die Opposition 
vor. Er veroffientlichte eimen Aufruf, worin alle die Behauptungen, 
die Ebert in der Sitzung des Parteiausschusses vorgetragen hatte, 
noch einmal wiederholt wurden. Die Einwande der Opposition 
blieben selbstverstandlich unberucksichtigt. Wieder konnte man be- 
obachten, mit welcher Kurzsichtigkeit die Instanzenitiehrheiten die 
Vongange in der Partei beurteilten. In dem Aufruf wurde behauptet, 
dalz „einige Verblendete" die Fackel der Zwietracht in den Bau des 
Sozialismus geworfen hatten, den Tausende und Abertausende von 
Genossen und Genossinnen in vieljahriger opfervoller Tatigkeit er- 
richtet hatten. Also noch immer nicht wollte der Parteivorstand er« 
kennen, dafe die Ursache zu den Differ enzen nicht in der person- 
Kchen Schuld einiger Genossen lag; noch immer glaubte er, dafz 
nur eine Heine Zahl von Parteigenossen sich an der Opposition 
gegen die Kriegspolitik der Partei beteiligte und dafz es genuge, sie 
mit scharfer Hand anzufassen, urn die Opposition fur immer nieder- 
zuwerfen. Die Folgezeit hat ergeben, dafz diese Auffassunig ein 
grundlicher Irrtum war. 

Trotz des Aufrufs des Parteivorstandes und trotz der Beschlusse 
des Parteiausschusses erklarten sich eine Reihe der grofzten und 
bestgefiigten ortlichen Organisationen der Partei fur die Arbeits- 
gemeinschaft So nahm der Zentralvorstand der sozialdemokratischen 

102 



Wahlvereine Groiz-Berlins am 31. Marz mit grolzer Mehrheit eine 
Resolution an, in der das Verhalten der Fraktionsmehrheit ver- 
furteilt und die Bildung der Arbeitsgemeinschaft gebilligt wurde. 
Aufs allerscharfste wurde die Art verurteilt, wie Genosse Haase aus 
dem Parteivorstand gedran<?t wurde. Aehnliche Resolutionen wurden 
dann auch in den Kreiskonferenzen und Funktionarsitzungen der 
einzelnen Berliner Wahlkreise angenommen. Auch im Reiche 
stellte man sich an vielen Orten hinter die Arbeitsgemeinschaft r so 
in Leipzig und Braunschweig, in Bremen und in Halle. 

Der „Vorwarts'\ der nicht nur Zentralorgan, sondern Organ der 
Berliner Parteigenossen war, hatte also die Mehrheit der Berliner 
Partei hinter sich, die die Politik der Arheitsgemeins chart billigte. 
Er mufzte deshalb sowohl die offiziellen Aufrufe und Erklarungen 
des Parteivorstandes, wie auch die Mitteilungen veroffentlichen, die 
ihm von der Arbeitsgemeinschaft zugingen. Am 31. Marz wurde 
nun die Redaktion des „Vorwarts" von dem Faktor der Druckerei 
durch die Mitteilunsr iiberrascht, daiz der Geschaftsfuhrer Richard 
Fischer ihm anbefohlen habe, unter keinen Umstanden mehr die 
Erklarungen der Sozialdeimokratischen Arbeitsgemeinschaft an hervor- 
ragender Stelle zu geben. Als sich die Redaktion gegen diesen 
Eingriff in ihre Rechte verwahrte, erschien Fischer und das Partei- 
vorstandsmitglied Otto Braun, urn zu erklaren, dafz nunmehr der 
Parteivorstand eine Praventivzensur liber den „Vorwarts" auszuiiben 
gedenke. Einen Tag spater erhielt dann die Redaktion auch noch 
-eine besondere Mitteilung des Parteivorstandes, wonach aus dem 
„Vorwarts" alles fortzubleiben habe, was die Parteizerruttung fordern 
konne. Wenige Tage spater erschien Hermann Miiller in der Redak- 
tion und verhinderte die Aufnahme von Artikeln und Notizen in das 
Blatt. Das alles geschah, ohne dafz die zustSndigen Instanzen, ohne 
dafz insbesondere die Prefzkommission des „Vorw8rts" und der 
Zentralvorstand daruber gehort worden waren, ohne dafz der Partei- 
vorstand auch nur den Versuch unternommen hatte, sich mit der 
Redaktion zu verstandigen. So begann der Parteivorstand mit 
grofzter Brutalitat die Verfolgung der ihm unbequemen ,,Vorwarts"« 
Redaktion, die schliefzlich dahin fiihrte, dafz ein halbes Jahr darauf 
der „Vorwarts" mit Hilfe der Militarhehorden den rechtmHfzigen 
Eigentumern, den Berliner Parteigenossen, geraubt wurde. 

Aehnliche Gewaltstiicke wurden in der Provinz veriibt. Am 
31. Marz kundigte der Parteivorstand liber den Kopf der zustandigen 
Parteiinstanzen der Kreise Duisburg^Mors zwei Genossen aus der 
„Niederrheinischen Arbeiter-Zeitung 1 '. ihre Stellung als Redakteure 
dieses Blattes, Otto Braun fuhr selbst nach Duisburg, warf die beiden 
kurzerhand hinaus und ersetzte sie durch den gesinnungstiichtigen 
Pokorny. Der Parteivorstand, der durch Hingabe von Geld an das 
Duisburger Unternehmen das Recht erworben zu haben glauhte, 
auch liber den Inhalt des Blattes zu bestimmen, liefz sich trotz aller 
Proteste der Duisburger Parteigenossen, des engeren und weiteren 
Kreisvorstandes und der Bezirksleitung Niederrhein nicht dazu brin- 
gen, seinen Handstreich riickgangig zu machen. Aehnliche Vor- 
gange ereigneten sich in Frankfurt a. M. und in Bremen. 

Vierzehn Ta^ie darauf wurde Ernst Meyer aus der Redaktion 
des r ,Vorwarts" hinausgeworfen, weil er es gemagi hatte, aufzerhalb 

10B 



seiner redaktiorvelten TMti|keit an der Abfessung eines Plu^btottes 
„Die Lehre des 24. M&rz' mitzuwirken, das sich gegen die Kriegs- 
politik der Parteiinstanzen wandte. Alle diese Malznahmen der 
Instanzen lieferten aufs neue den Beweis, dalz es nicht die Opposi- 
tion war, die zur Spaltung trieb, sondern dalz die Instanzenmehr- 
heiten mit Absicht die Zertriimmerung der Partei herbeigefiihrt 
haben. Sie stiitzten sich dabei lediglich auf die Beherrschung des 
Parteiapparats und auf ihre wirtschaftliche Macht, brachen aber alle 
Ueberlieferung von Treu und Glauben, die bisher in der Partei 
herrschte. 

Vom 24. bis zum 30. April tagte in K i e n t h a 1 (Berner Ober- 
land) die zweite interna tionale Konferenz solcher 
Parteigenossen, die in der Opposition gegen die Kriegspolitik standen. 
Seit der ersten Konferenz von Zimmerwald war die oppositionelle 
Bewegung aufzerordentlich erstarkt. Zugleich ergab es sich aber, 
dalz sie auch international kerne einheitlichen Tendenzen aufwies, 
sondern in verschiedenartige Auffassungen verfiel, die dann auch 
auf der Tagung von Kienthal zuweilen in heftigen Formen zum Aus- 
druck gebracht wurden. Die Konferenz war von etwa 40 Delegierten 
aus Deutschland, Frankreich, Italien, der Schweiz, Serbien, Portugal, 
Rufzland und Polen besucht. Von den Russen waren Axelrod, Lenin 
und Martow da, von den Italienern Morgani, Serati, Mussati, von 
den Schweizern Naine, Grimm, Graber und Platten, von den Franzosen 
Rufin Dugins, Brizon, Bracke und Guilbaux, von den Polen Radek 
und Labinski, von den Serben Katzlerowitsch. Den beiden Franzosen 
Merrheim und Bourderon, den Vertretern der englischen Independent 
Labour Party und vielen anderen Genossen waren die Passe ver- 
weigert worden oder man lielz sie nicht liber die Grenze. Aus 
diesem Grunde konnten auch nur sieben deutsche Genossen an der 
Konferenz teilnehmen, von denen vier den Standpunkt der Sozial« 
demokratischen Arbeitsgemeinschaft, zwei den der Spartakusgruppe 
vertraten und einer sich der Radekgruppe anschlofz. Die von der 
internationalen sozialistischen Kommission vorgeschlagene Tages- 
ordnung wurde angenommen. Danach waren zu behandeln: 1. Die 
Berichte der einzelnen LSnder, 2. die Stellung der Internationale zum 
Krieg und 3. die Stellung zum internationalen sozialistischen Bureau 
in Haag. 

Bevor die eigentlichen Verhandlungen begannen, kam es zu einer 
unangenehmen Aueinandersetzung zwischen den Vertretern der 
Italiener und der Franzosen mit dem schweizerischen Genossen 
Greulich. Dieser hatte sich vor dem Eintritt Italiens in den Krieg 
zum Mittelsmann zwischen einem ^amerikanischen Pazifisten und 
der italienischen Partei gemacht, um diese zu bewegen, mit den 
Geldern des Amerikaners Friedenspropaganda zu betreiben. Greulich 
versicherte, dalz er in bester Absicht gehandelt habe, aber schlielz- 
lich blieb ihm nichts anderes iibrig, als die Konferenz freiwillig zu 
verlassen. Die einzelnen Delegierten berichteten dann liber den 
Stand der oppositionellen Bewegung. Die Franzosen konnten mit- 
teilen, dafe bei ihnen die Opposition im stetigen Wachsen begriffen 
sei, was sich besonders deutlich auf der letzten Tagung der National- 
konferenz gezeigt habe, wo ihre Stimmen auf etwa 950 gegen 1900 

W4 . . ,. 



dear MahrHeit gestieg^n $eien f In Italien stand die gfcsj&mta Part$i- 
organisatkm auf dem fcoden der Opposition. Der Kri-eg wurde aufs 
schSrfste bekSmpft, die Kredite wurden abgelehnt. Die russische 
Arbeiterklasse hatte auch wShrend des Kriegszustandes vor dem 
Zarismus nicht kapituliert. Ihre parlamentarische Vertretung fiihrte 
den Kampf in der scharfsten Form. Vier Abgeordnete waren deshalb 
nach Sibirien verbannt worden. Besonders scharf kamen die Gegen- 
satze in der Opposition bei der Berichterstattung der deutschen 
Delegation zum Ausdruck. Die Spartakusgruppe legte neue Leit- 
satze vor, betonte aber, dafz sie vorlaufig nicbt den Austritt aus den 
Organisationen propagiere, sondern ihre oppositionelle Tafekeit 
ebenso wie die Gruppe der Arbeitsgemeinschaft innerbalb der Orga- 
nisationen entfalten wolle. Der Bremer Delegierte, der der Radek- 
gruppe angehorte, polemisierte sowohl gegen die Arbeitsgemein- 
scbaft wie auch gegen die Spartakusgruppe, die er gleichfalls zum 
„Sumpf" rechnete. Der Vertreter der Arbeitsgemeinscbaft befaizte 
sich mit der Spaltung der Opposition in Berlin. Alle grofzen Demon- 
strationen gegen den Krieg seien von der Arbeitsgemeinschaft aus- 
gegangen. Trotzdem die Parteileitung alle Hebel in Bewegung setze, 
um die Opposition zu unterdriicken, macbe sie recbt gute Fort- 
scbritte. Seit eihigen Wochen gebe die Opposition ein kleines Mit- 
teilungsblatt heraus, das weite Verbreitung in alien Grofzstadten 
Deutschlands und in den Industriezentren fande. Die Leitung der 
Organisationen sei vielfach schon auf die Opposition ubergegangen, 
so in Leipzig, Berlin, Bremen und anderen Orten. Das Ziel der 
Opposition sei, alle oppositionellen Elemente zusammenzufassen und 
auf der Grundlage des Erfurter Programms den Kampf gegen die 
Politik vom 4. August mit Energie zu fuhren. Dabei verschliefze sich 
die Opposition durchaus nicbt der Notwendigkeit, nacb dem Kriege 
eine starkere Formulierung mancber Satze des Programms wie der 
internationalen Beschlusse zu fassen. 

Am scharfsten traten die Gegensatze bei der Behandlung des 
zweiten Punkts der Tagesordnung, „D e r Kampf f ii r die Be- 
endigung des Kriege s", zutage. Deutsche, Italiener und 
Franzosen stellten sich im allgemeinen auf den Boden der Zimmer- 
walder Konferenz. Hauptstreitpunkte waren die Frage der Vater- 
Iandsverteidigung, die Frage der Schiedsgerichte und die Wahl der 
Mittel fiir die Beendigung des Krieges. Die Lenin-Radek-Gruppe, 
der sich die deutschen Spartakusanhanger anschlossen, verneinte 
die Landesverteidigungspflicht unter alien Umstanden und verwarf 
auch die Schiedsgerichte als wirksames Mittel zur Verhinderung von 
Kriegen. Es gelang aber doch noch, das Auseinanderfallen der 
Konferenz zu verhindern und die verschiedenen Gruppen auf gemein- 
same Beschlusse zu vereinigen. Es wurde die Herausgabe eines 
Manifestes und einer Reihe von Thesen beschlossen. 

Schlieizlich wurde noch heftig tiber die St e Hung zum inter- 
nationalen sozialistischen Bureau in Haag diskutiert. 
Die Italiener wunschten, dafz man um diese Einrichtung ebenso 
kampfe, wie um die Herrschaft in den Organisationen. Demgegen- 
iiber wurde die Meinung vertreten, dafz das international Bureau 
jede Bedeutung verloren habe und dalz es nur Verwirrung anrichten 
konne, wenn das Bureau zusamenberufen werde und die Opposition 

105 



sich an seinen Arbeiten beteilige. Das Bureau habe durch seine. 
UntStigkeit wShrend des Krieges jedes Recht verwirkt, als Vertreterin 
des internationalen Sozialismus zu gelten. In dies-em Sinne kam ein 
Beschlufz der Konferenz zustande. Es wurde dann noch vereinbart, 
den Versuch zu unternehmen, in der nachsten Zeit eine interparla- 
mentarische Konferenz solcher Sozialisten zu veranstalten, die auf 
dem Boden der Zimmerwalder Beschlusse standen. und von denen 
man die Forderung gemeinsamer Aktionen zur Herbeifiihrung des 
Friedens erwarten konne. 

Die Konferenz von Kienthal hat ebenso wie die von Zimmerwald 
zur Belebune* der Opposition Gutes geleistet Nicht zufrieden mit 
ihr waren allerdings die Anhanger der Spartakusgruppe, die Taten, 
Kampf und Mass en aktionen verlangten, dagegen von Konferenzen, 
Resolution en und Manifesten nichts wissen wollten. Es zeigte sich 
erroeut, dafz die Spartakusanharvger nicht den realen Tatsachen Rech- 
nung tras*en, sondern eine Taktik treiben wollten, die nach der Lage 
der Verhaltnisse so gut wie ohne Wirkung bleiben mufzte. Im 
ubrigen erschopfte sich die Aktion der Spartakusgruppe vorlaufig 
nur in der Empfehlung an die Sozialdemokratische Arbeitsgemefrv 
schaft, den Kampf gegen die Kriegspolitik ebenso wie Karl Liebknecht 
durch kleine Anfragen im Reichstag zu fuhren. 

Selbstverstandlich nahm die Opposition unabhangig von den Kon- 
ferenzen und Manifesten jede Gelegenheit wahr, urn in der Oeffent- 
lichkeit ihren Willen zu bekunden. Eine solche Gelegemheit bot sich 
bei der M a i f e i e r 1916. Soweit es irgend ging, wurden offent- 
liche Kundgebungen veranstaliet, die an vielen Orten eine grofze 
Beteiligunsr aufweisen konnten. In Berlin verlegten die Spartakus- 
leute ihre Kundgebung auf den Potsdamer Platz, also dorthin, wo 
die Bourgeoisie verkehrte und man zu den Arbeitermassen liberhaupt 
nicht reden konnte. Hier war es, wo endlich Karl Liebknecht 
den Scher^en des Militarismus zum Opfer fiel. Er hatte „Nieder 
mit dem Kriegl Nieder mit der Regierunsr!" gerufen. Sofort wurde 
er von Polizisten gefafzt, und seit der Zeit liefz man ihn bis zum 
Zusammenbruch im November 1918 nicht mehr aus der Zelle, erst 
des MilitMrgefangnisses, dann des Zuchthauses. 

Jetzt nahm anch das Internationale sozialistische 
Bureau in Haag Gelegenheit, etwas fur den Fried en zu tun. Da 
aber sein Vorstand sich aus Vertretern der Kriegspatrioten der ver- 
schiedenen Lander zusammensetzte, so war es unmoglich, das ganze 
Internationale Proletariat von dieser Stelle aus zu einer gemeinsamen 
Friedensaktion aufzurufen. Das Bureau beschrankte sich denn auch 
daraufr die angeschlossenen Parteien in einem Aufruf zu ersuchen, 
die politischen Fraeen zu erortem, die nach ihrer Meinung eine 
Losung in den Friedensbestimmungen verlangten. Das Bureau wollte 
also den Krieg nicht sofort bekampfen, sondern es sollte erst fiir 
irgendeine Zeit nach dem Kriege irgendeine Untersuchung angestellt 
werden./ Die Delegierten der Arbeiterparteien aus den neutralen 
Landern wurden dann noch fiir den 26. Juli zu einer Konferenz nach 
dem Haao* eingeladen. Die Vertreter der kriegfuhrenden Lander 
waren von vornherein ausgeschlossen. Die Veranstalung hat wie 
nicht anders zu erwarten, weder fiir die Beendigung des Krieges 

106 



noch fur den Wiederaufbau der so^ialistischen Internationale irgend 
etwas Positives erbracht. 

Zu den heftigsten Auseinandersetzungen kam es in diesen Monaten 
in den Berliner Parte! organisation en. Die Berliner 
Genossen verlangten mit Recht, dafz die Leitung der Organisationen 
so zusammengesetzt werde, wie es ihren Anschauungen entsprach, 
und diese gehorten der Opposition. Das Verlangen pafzte aher nicht 
den bisherigen Leitern der Organisationen, die mit alien Mitteln der 
brutalen Gewalt ihre Stellungen zu erhalten suchten. An ihrer Spitze 
standen Eugen Ernst, Wels, Richard Fischer, Groger, urn nur einige 
bekanntere Namen zu nennen. Anfang 1916 war en die Wahlkreise 
vom Zentralvorstand von Grofz-Berlin befragt worden, ob eine 
Generalversammlung stattifinden solle. Die Mehrzahl der Kreise 
hatte sich dagegen erklart. Inzwischen war wiederum von einzelnen 
Kreisen ein Antrag auf Einberufung einer Generalversammlung ein- 
gebracht worden, da bei ihnen die Besetzung der Vorstandsposten 
gewechselt hatte und das einer Bestatigung der Generalversammlung 
bedurfte. Es wurde zur Begrundung angefiihrt, dafz die Vorgange 
in der Partei zu einer Aussprache dramgten, und selbst wenn die 
statutarischen Bestimraungen die Einberufung einer Generalversamm- 
lung verhindern, so miisse man sich den gegebenen Verhaltnissen 
anpassen. Die Mehrheit des Zentralvorstandes beschlofz schliefzlich, 
die Verb andsgeneral vers ammlung abzuhalten. Die Folge dieses Be- 
schlusses war eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen den An- 
hangern der Kriegspolitik und der Opposition im , 7 Vor warts". Es 
entwickelten sich daraus heftige Kampfe um die Besetzung der Vor- 
standsposten, und als die Kriegspatrioten sahen, dafz ihres Bleibens 
nicht mehr langer war, fixhrten sie ihre schon langst verkundete Ab- 
sicht durch, die Berliner Organisation zu spalten. Auch in Berlin ging 
also die Spaltung der Partei nicht von der Opposition aus, sondern 
wurde verursacht durch den Machtdimkel der Anhanger der Kriegs- 
politik. 

Ende Juni kam es zu profzeren Streiks unter den Metallarbeitern, 
besonders in Berlin, in Braunschweig, in Bremen, in Stuttgart und 
in anderen Orten. Sie richteten sich gegen das erste Zuchthausurteil 
gegen Liebknecht, und da besonders die Munitionsfabriken daran 
beteiligt waren, so erregte die Bewegung den heftigen Unwillen nicht 
nur der Militaristen, sondern auch der Sozialpatrioten in den Partei- 
instanzen und bei den Gewerkschaftsvorstanden, die sich bald mit 
Aufrufen oind Flugblattern gegen die Streikbewegung wandten. 

Die gespannte Situation in der Partei liefz die Frage akut werden, 
ob nicht ein Parteitag zusammentreten und liber die Taktik der 
Partei bindende Beschliisse fassen konnte. Schon in der Sitzung der 
Kontrollkommission vom 5, Juni hatte Timm aus Miinchen angeregt, 
einen aufzerordentlichen Parteitag einzuberufen. Man solle nicht 
warten, bis der Krieg zu Ende sei, sondern schon jetzt eine Bnt- 
wirrung der lunhaltbaren Verhaltnisse versuchen. Diese Anregung 
fand den lebhaften Beifall des rechten Fliigels. Es war aber klar, 
dalz ein Parteitag, an dem nicht alle Parteigenossen Anteil nehmen 
konnten und dem kein freier Meinungsaustauch vorangehen konnte, 
nur ein Zerrbild der wirklichen Stimmung in der Arbeiterschaft zeigen 

107 



wurde. Und es war waiter zu >erwarteiv dalz ein Parteitag wahrend 
des Krieges in seiner Mehreit ein gefiigiges Instrument in der Hand 
der Instanzen sein wiirde. In der Kontrollkommission wurde zwar 
der Antrag Timm mit Stimmengleichheit abgelehnt, aber gleich 
danach beschaftigte sich der Parteivorstand in mehreren Sitzungen 
damit und brachte die Sache vor den Parteiausschulz, der fur den 
20. und 21. Juli zu einer Tagung nach Berlin einberufen war. 

Nachdem es am ersten Tage der Verhandlungen zu voller Ein- 
miitigkeit iiber das Vorgehen in der Ernahrungsfrage ge- 
kommen war, gerieten die beiden Tendenzen um so heftiger am 
zweiten Sitzungstage gegeneinander, als man sich iiber die Frie- 
densfrage unterhielt. Die Instanzenmehrheiten hielten wieder 
heftige Anklagerede gegen das angeblich parteizerriittende, sonder- 
organisatorische Treiben der Opposition. Da man aber auch in der 
Mehrheit sich nicht verschweigen konnte, dafz die unerlalzliche Vor- 
bedingung fur die Abhaltung eines Parteitages die Gewahr einer 
vollig unbeschrankten Aussprache sei, so kam man auf den Ausweg, 
eine Reichskonferenz einzuberufen. Gegen 12 Stimmen wurde eine 
Resolution angenommen, die dem Parteivorstand die Einberufung 
einer Konferenz der Parteiorganisation empfahl, ry um der fortschrei- 
tenden Zerriittung der Partei vorzubeugen". Der Parteivorstand liefz 
sich das nicht zweimal sagen, er berief die Reichskonferenz 
auf den 21. September nach Berlin ein. 

Schon die Bestimmungen iiber die Vertretungen der Wahlkreise 
liefzen erwarten, dafz die Zusamensetzung der Reichskonferenz die 
wirklichen Parteiverhaltnisse nicht richtig wiedergeben wiirde. Die 
grolzen Wahlkreise, in denen die Opposition besonders stark ver« 
treten war, wurden zugunsten der kleinen und kleinsten Kreise, in 
denen nur wenige Arbeiter organisiert wurden, zuriickgesetzt. Die 
Mehrheitspresse fiihrte beruhigend dazu aus, dalz die Reichskonferenz 
a keine bindenden Beschlusse fassen konne und dalz deshalb ihrer 
usammensetzung kein besonderes Gewicht beigemessen werden 
diirfe. Aber es war vorauszusehen, und dahin ist es schliefelich auch 
gekommen, dalz die Kundgebungen der Reichskonferenz in einseitigem 
Sinne von der Mehrheit fur ihre Zwecke ausgeschlachtet werden 
wurden. Dem Parteivorstand lag vor allem daran, die Gegner der 
Kriegspolitik moglichst wenig zu Worte kommen zu lassen, und er 
versuchte auch, die Arbeitsgemeinschaft von der Teilnahme an den 
Verhandlungen auszuschlielzen. Das ist ihm allerdings nicht ge- 
Iungen, die Konferenz beschlolz ihre Zulassung. 

Die Reichskonferenz tagte am 21., 22. und 23. September 
im Berliner Reichstagsgebaude. Die sozialdemokratische Reichstags- 
fraktion war mit 83, die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft 
durch 18 Mitglieder vertreten. Insgesamt waren 451 stimmberech- 
tigte Delegierte anwesend. Schon bei der Konstituierung und bei 
der Festsetzung der Geschaftsordnung kam es zu heftigen Ausein- 
andersetzungen. Ebert wollte, dafz man genau so verfahre wie auf 
den Parteitagen. Das wiirde bedeutet haben, dafz zwar die Redner 
der Mehrheitspolitik imbeschrSnkte Redezeit fiir ihre Ausfuhrungen 
^reha^t hatten, dafz aber die Vertreter der Opposition nur in der 
Diskussion zu Worte gekommen wSren. Es wurde aber besehlossen, 

108 



? 



nach den Referaten von Ebert und Scheidemann, die irber die 
Politik der Partei und iiber die Tatigkeit des Parteivorstandes sprechen 
sollten, Haase als Vertreter der Minderheit mit unbeschrankter Rede- 
zeit zu Worte komm^n zu iassen und einem Vertreter der Spartakus- 
gruppe eine Redezeit von einer halben Stunde zu gewahren. 

Vor Eintritt in die eigentliche Tagesordnung erklarte Ledebour 
im Auftrage von mehr als 100 Delegierten und Abgeordneten, dafe 
der Reichskonferenz jede Befugnis fehie, Beschliisse zu fassen. 
Obendrein sei durch die Art der Zusammensetxung der Moglichkeit, 
eine den tatsachlichen Verhaltnissen entsprechende Wider- 
spiegelung der Parteiverhaltnisse zu geben, der Boden voHig 
entzogen worden. Die Oppositionsvertretung sei kirnstlich einge- 
schrankt worden. Trotz der auf solche Weise bewirkten Verzerrung 
beteilige sich die Opposition an den Verhandlungen, weil sie selbsl 
diese kiimmerliche Gelegenheit zu einer Ausprache uber die Partei- 
verhaltnisse nicht voriibergehen Iassen wolle. Fiir die Gruppe 
Internationale schlofe sich Frassek diesen Ausfiihrungen an, und 
er fiQtgte hinzu, dafe die Spartakusdelegierten jede Beteiligung an den 
Abstimmungen ablehnen wiirden. 

Das erste Ref erat iiber die Politik der Partei hielt 
Scheidemann. Er wiederholte darin in ausfuhrlicher Breite 
alles das, was er und seine Gesinnungsgenossen tausendfach schon 
in der Oeffentlichkeit gesagt hatten. Scheidemann meinte, dalz seit 
dem 4. August 1Q14 das ganze Volk von dem Bewufetsein einer 
riesenbaften Gefahr erfulit gewesen sei, aus der es nur mit dem 
Aufgebot aller seiner Krafte sich retten konne. Die deutsche Sozial- 
demokratie bilde grofze Stixcke des deutschen Volkes selber, und eine 
solche Partei konne die grundsatzliche Pflicht der Landesverteidigung 
nicht verneinen. Wenn die Fraktion gegen die Kriegskredite hatte 
stimmen sollen, so hatte das aus anderen Grunden und nicht aus 
Verteidigungsnihilismus geschehen miissen. Den Zulauf zur Oppo- 
sition erklare er sich aus der Not und aus den groizen Ern&hrungs- 
schwierigkeiten, die vielfach in sehr demagogischer Weise ausgenutzt 
wiirden. Die franzosischen und englischen Sozialisten hatten doch 
auch fiir die Kriegskredite gestimmt Die Wirkung einer Ablehnung 
der Kriegskredite fiir die deutsche Sozialdemokratie ware ganz anders 
gewesen, als sie von der Opposition eingeschatzt werde. Wenn 
Deutschland, was kein Mensch bei uns annehme, eine Niederlage 
erleiden wiirde, dann wolle die Partei mit reinem Gewissen dastehen 
und sagen konnen, sie habe alles getan, was in ihren Kraften stand, 
um das namenlose Elend fernzuhalten. Es habe sich bei der Be- 
willigung der Kriegskredite nicht darum gehandelt, der Regierung das 
Vertrauen auszusprechen, sondern dem Lande sollten die notwendigen 
Mittel zur. Verfugung stehen, damit es sich seiner Haut wehren 
konne, und damit seine Sonne und Bruder imstande seien, im Felde 
ihre Schuldigkeit zu tun. Die Beschliisse der internationalen Kon- 
gresse forderten nicht nur von der deutschen Sozialdemokratie, dafe 
sie alles tue r um den Krieg so schnell wie moglich zu beendigen, sie 
forderten das von den Sozialisten aller Lander. Was hatten aber 
die anderen LSnder der Internationale in die&er Beziehung bisher 
getan? Mit der Bewilligung der Kriegskredite habe die Partei die 

109 



Verantwortung fur den Krieg nicht ubemommen. Weder der Reichs~ 
kanzler noch der Kaiser habe den Krieg gewollt. Wenn von 
deutscher Seite Fehler gemacht worden sei en, so trage das ganze 
deutsche Volk schuld daran, weil es sich jahrzehntelang die Politik, 
die zum Kriege fiihrte, gefallen liefz. Das Verhalten der Fraktions- 
mehrheit im Reichstag sei nicht die Folge eines besonderen Ver- 
trauensverhaltnisses zur Regierung. Ihrer Kriegspolitik gegeniiber 
bieibe die Fraktion aufzerst kritisch, der Reichskanzler habe zwar 
wiederholt seine Bereitschaft erklart, in Friedensverhandlungen ein- 
zutreten, aber leider sei er in seiner letzten Rede sehr unklar ge- 
wesen, so dafz den verschiedensten Auslegungen Tixr und Tor ge~ 
offnet wurden. Nicht die deutsche Regierung sei schuld daran f dafz 
es noch nicht zu Friedensverhandlungen gekommen sei, sondern die 
Regierungen der gegnerischen Lander, die bisher jede Erorterung 
der Friedensbedingungen abgelehnt hatten. Gegen die Annexions- 
politiker aller Richtungen stehe die Partei geschlossen zusammen. 
Dalz einzelne Parteigenossen lediglich im Ueberschwang ihrer Ge~ 
fiihle das notige klare Unterscbeidungsvermogen nicht ; gefunden 
hatten, sei gewifz bedauerlich. Aber iiber die grundsa^zlichsrStellung 
der Partei zu den Annexionsforderungen konne kein Zweifel be- 
stehen. Die Fraktion habe sich hinter Bethmann gestell't, weil es 
schwerlich eine Wendung zum Besseren bedeuten wiirde, wenn es 
den Alldeutschen gelange, einen Mann ihres Herzens an dessen 
S telle zu bringen. In eimer demokratischen Partei habe sich die 
Minderheit der Mehrheit zu fiigen, und darum konne auch der Oppo- 
sition in der Fraktion nicht das Recht zugebilligt werden, ihre Meinung 
offentlich vorzutragen, darum sei auch die Bildung der sozialdemo- 
kratischen Arbeifcsgemeinschaft zu verurteilen. Scheidemann wieder- 
holte zum Schlufz die Beschuldigungen gegen die Arbeitsgemein- 
schaft, dafz sie in geschlossenen Sitzungen besonders getagt und 
ihre Taktik vor den Entscheidungen der Gesamtfraktion festgelegt 
habe. Die Fraktion sei von der Arbeitsgemeinschaft uberrumpelt 
worden. Er schlofz seine Rede mit einem Appell an die Partei, die 
alte Einheit und Geschlossenheit auch unter den augenblicklichen 
schwierigen Verhaltnissen aufrechtzuerhalten. 

Der zweite Referent war Ebert. Er berichtete, dalz die Mit- 
gliederzahl der Partei seit 1914 von 1 085 905 auf 395 216 zuruck- 
gegangen sei, also um 64 Prozent. Der Abonnentenstand der Presse 
war gefallen von 1 288 092 auf 691 484 oder um 46 Prozent. Die 
Einnahmen an Parteibeitragen hatten sich um 60 Prozent vermindert. 
Ebert schilderte die Tatigkeit des Parteivorstandes in der Ernahrungs- 
frage und in der Frage des Belagerungszustandes. Er ^ behauptete 
weiter, dalz der Parteivorstand alles getan habe, um die Aktions- 
fahigkeit der Internationale wieder herbeizuftihren; leider sei das 
aber an der Hartnackigkeit der sozialistischen Parteien in den kriegs- 
gegnerischen Landern gescheitert. Die Partei habe eine Friedens- 
aktion unternommen, an einigen Orten sei die Beteiligung daran 
aber abgelehnt worden, weil sie nicht radikal genug gewesen sein 
soil. Der Opposition warf Ebert dann vor, eine Partei in der Partei 
bilden zu wollen. Man schaffe sich eigene Organisationen, gebe 
sich ein eigenes Programm und schreie dann im ganzen Lande 
umher iiber angebliche Gewaltpolitik des Parteivorstandes, der 

110 



Parteiprogramm und Parteitagsbeschiusse nicht halte. Eine Schlamm- 
flut anonymer .Flugschriften walze sich iiber das Land. Harmlose 
Leute, die ihre Verbreitung vorgenommen hatten, seien verhaftet 
worden, die eigentlich Schuldigen aser batten sicb in Sicherheit ge- 
bracht. Als Ebert sicb dann weiter dagegen wandte, dalz die deut- 
schen Munitionsarbeiter in dieser Zeit streiken, kam es zu einem 
sturmischen Zwischemfall. Timm aus Miinchen ging auf Stadthagen 
zu und wollte ibn tatlich anfassen. Dariiber geriet die Konferenz in 
eine so starke Unruhe, dafz die Verhandlungen auf erne halbe Stunde 
vertagt werden mulzten. Timm mulzte schlielzlich um Entschuldigung 
fur sein Verbalten bitten. 

Am zweiten Verbandlungstage bielt H a a s e sein Korrefierat. Er 
wandte sich zunacbst dagegen, dalz man die Verbreiter der Flug- 
blatter als Feiglinge beschimpfe und erinnerte daran, wie man wah- 
rend des Sozialistengesetzes iiber die Manner geurteilt babe r die 
sich derartigen Gefahren ausgesetzt hatten. Er zeigte an einigen 
Beispielen, wie durch die Malznahmen der Parteiinstanzen opposi- 
tionelle Arbeiter den Behorden -ans Messer geliefert worden seien. 
Die Streiks der Munitionsarbeiter, an denen sich in Berlin allein iiber 
50 000 Personen beteiligt hatten, seien innerhab der Arbeiterschaft 
aus Sympathie fur den Genossen Liebknecht ausgebrochen. Noch 
niemals hatten selbst burgerliche Politiker solche Ausfuhrungen in 
einem Parlament gemacht, wie Heine im Reichstag am 18. Januar 
1916, als er ofifen die scharfsten Mafzregeln gegen den Genossen 
Liebknecht verlangte. Die streikenden Arbeiter seien von der Ber- 
liner „Fackel" als ehrlos beschimpft worden. Es gebe ifi der Oppo- 
sition allerdings verschiedene Richtungen, genau so, wie auch auf 
dem rechten Flugel die Auffassungen nicht einheitlich seien. Aber 
wir mulzten als Sozialdemokraten jede Kritik, auch die allerharteste, 
ertragen konnen. Der Parteivorstand treibe dagegen die Opposition 
immer weiter von sich und driicke den Keil immer tiefer in die Partei 
hinein. Die gegebene politische Situation hatte mit alien Kraften 
ausgenutzt werden miissen, um politische Rechte zu erringen. Nichts 
sei aber geschehen, nichts wesentliches in dieser Zeit erreicht 
worden. Die Agrarier hatten ihre eigene Taktik und konnten dadurch 
ihre Interessen bei der Lebensmittelversorgung wahren. Wir Sozial- 
demokraten haben auch unsere Taktik, aber wir haben sie nicht an- 
gewendet. Wir haben nur das eine Mittel, dafz wir die Masse unserer 
Parteigenossen, so gut es geht, mobil machen. Das ist nicht ge- 
schehen. Woher komme denn unsere EinfluMosigkeit? Sie komme 
daher, dalz die Regierung wisse, nach der Haltung, die die Sozial- 
demokratie im Kriege eingenommen hat, konne man ihr alles bieten, 
brauche man auf sie keine Rucksicht zu nehmen. Die Mehrheit babe 
vergessen, dalz die Interessen der verschiedenen Klassen auch im 
Kriege ebenso verschieden seien, wie vorher, ja, dalz die arbeitende 
Klasse im Kriege noch mehr leide, als vorher. 

Haase wies bierauf eingehend nach, dalz die Hauptschuld am 
Kriegsausbruch bei der deutschen Regierung gelegen habe. Zuerst 
waren sich der Parteivorstand und die Fraktion durchaus nicht iiber 
die Bewilligung der Kriegskredite einig. Erst spSter habe sich der 
Mehrheit die Ueberzeugung bemachtigt, dafz sie mit der Vergangen- 

111 



heit brechen miisse. Jetzt konne roan nicht mehr behaupten, dalz 
wir am 4. August so hatten stimmen miissen, wie wir gestimmt haben. 
Jetzt miisse man weiter gehen und sagen, dalz wir am 4. August 
nicht so hapten stimmen durfen, weil der Charakter dieses Krieges 
und die Haltung der Regierung in diesem Krieg uns davon abhalten 
muizte. Weruvnun von der Mehrheit gesagt werde, dalz die Kredite 
bewilligt werden mulzten, um unsere Briider im Felde zu schiitzen, 
so sei darauf zu erwidern, dalz die Abstimmung im Parlament ein 
politischer Akt sei und dalz man bei solcher Gelegenheit zu erklaren 
habe, wie man zur Regierungspolitik stehe. Bei den meisten An- 
gehorigen der Mehrheit sei Jetzt die Anschauung vorhanden, dalz 
man bis zum Siege durchhalten miisse. Zwischen Sieg und Nieder- 
lage aber geb^ es einen dritten Weg: den Weg der Verstandigung 
unter den Volkern, bei dem kein Volk eine Niederlage erleide. Die 
Annahme, dalz die Regierung mit den Annexionsplanen der Imperia- 
listen nichts zu tun habe, konne durch eine Unzahl von Beispielen 
widerlegt werden. Und so sei die ganze Haltung der Mehrheit un- 
vereinbar mit unseren Gmndsatzen gegenuber einem imperiali- 
stischen Kriege. Es fehle bei der Mehrheit jede selbstandige 
Orientierung, sie folge den Losungen, die von der Regierung aus- 
gegeben werden. Die Mehrheit setze ihr ganzes Vertrauen auf einen 
Mann wie Bethmann Hollweg, sie sage, man miisse ihn stiitzen, denn 
man wisse nicht, was dahinter komme, wenn er den Annexionisten 
zum Opfer falle. Und so sei es gekommen, dalz man auch in der 
Frage des Bruchs der belgischen Neutralitat nicht den Mut auf- 
gebracht h§be, die Wahrheit zu sagen. Im Gegenteil, man habe 
durctv David ein Buch in die Welt gehen lassen, worin der Neutra- 
litatsbruch noch beschonigt worden sei. 

Haase wandte sich in seinen weiteren Ausfuhrungen gegen die 
Auffassung, dalz der Friede nur durch die Niederzwingung, durch die 
Zerschmetterung der Gegner wiederhergestellt werden konne. Die 
Opposition wolle nicht eine Niederlage Deutschlands, aber auch nicht 
die Zerschmetterung eines anderen Landes, sondern die Verstandi- 
gung. Im Auslande wisse man jetzt, dalz eine starke Gruppe in 
Deutschland vorhanden sei, die eine Verstandigung nicht mit den 
Lippen, sondern durch die Tat wolle. Diese Tatsache allein miisse 
es rechtfertigen, dalz die Arbeitsgemeinschaft selbstandig im Reichs- 
tage vorgehe. In einer Zeit, wo die Welt aus den Fugen sei, konne 
man nicht solche Fragen mit dem Worte Disziplin oder Nichtdisziplin 
erledigen. „In einer Zeit, wo Reden Pflicht ist, und Schweigen ein 
Verbrechen, konnten wir nicht dasitzen wie stumme Hunde. Wir 
wollen nicht den Frieden um jeden Preis, trotzdem bei den Arbeitern 
oft genug die Meinung zu horen ist, man miisse den Krieg zu Ende 
fiihren, ganz gleich, wie der Friede aussieht. Das aber wollen wir: 
um keinen Preis die Fortsetzung dieses Krieges." Haase wies bei 
dieser Gelegenheit darauf bin, dalz die Moglichkeit gegeben war, mit 
England zu einer Verstandigung zu kommen. Das ist aber von der 
Regierung und von den deutschen Kriegstreibern verhindert worden. 

Zum Schlufc seiner Rede betonte Haase, dalz auch die Opposition 
di« Einigkeit der Partei aufrechterhalten wolle* Aber die Handhmgen 
der Mehrheit hatten dazu gefiihrt, dafe die Einigkeit auf das au&erste 

112 



gefahrdet "sei Eine gro&e Anzahl von Parteigenossen fuhle sich von 
der Parte! abgestoizerv und fiir diese Genossen sei es uberaus wichtig 
gewesen, dalz die Arbeitsgemeinschaft sich gebildet habe. Binen 
einheitlichen Organisationsrahmen der Partei zu bewahren, sei nur 
moglich, wenn Toleranz geiibt werde, wenn nicht -diejenigen An- 
schauungen unterdriickt wiirden, die nicht (ibereinstimmen mit denen 
des Parteivorstandes und denen der Mehrheit der Fraktion. Die ge- 
fahrlichste Periode fiir die Partei werde kommen, wenn sie sich liber 
ihre Stellung zum verscharften U~Boot~Krieg lentscheiden miisse. 
„Wir wollen die Einheit der Partei, aber nicht einer Partei, in der dem 
Imperialismus offen oder versteckt Konzessionen gemacht werden. 
Wir wollen die Einheit der Partei, aber nicht einer Partei, die die 
Kolonialpolitik untersttitzt, wie etwa Lensch im kolonialpolitischen 
Ausschufz. Wir sind gegen eine Partei, in der die Schutzzollbereiche* 
rungspolitik eine Forderung erfahrt. Wir wollen nicht eine Partei, 
in der der Klassenkampf ahgeschwacht wird. Wir wollen die Einheit 
der Partei, aber auf dem festen granitnen Boden des sozialdemo- 
kratischen Programms. Wir wollen sie als Internationale Sozialistenf" 

Fur die Gruppe „Internationale" sprach Kate Duncker. Am 
4. August, so fiihrte sie aus, sei die zweite Internationale unheil'bar 
zusammengebrochen, und die Partei habe vor der Ideologie des 
Nationalismus kapituiiert. Die kommende Internationale miisse eine 
engere Organisation sein, die mit entscheidenden Machtbefugnissen 
fiir alle Lander ausgeriistet wird. Die Stellung zum Kriege diirfte 
man nicht abhangig machen von der jeweiligen Kriegslage. In der 
Stellung zu der Steuerfrage, zu der U-Boot-Frage, zur Friedenspetition 
des Parteivorstandes trenne sich die Auffassung des Spartakusbundes 
von der der Arbeitsgemeinschaft, aber beide Teile wiirden den 
gemeinsamen Gegner vereint schlagen. Die Einheit der Partei ruhe 
auf der Einheit der Grundsatze. Das Fundament unserer Grundsatze 
aber sei der internationale Gedanke und der Gedanke des Klassen- 
kampfes. Wenn Parteivorstand und Fraktion dieses Fundament 
durch ihre Kriegspolitik und durch die Politik des Burgfriedens unter- 
graben, dann miisse die Organisation der Auflosung und der Zer- 
riittung anheimfallen. Nicht die Einheit der Partei sei das wichtigste, 
sondern die Einheit in den GrundsMtzen. Die Massen miiizten auf* 
gerufen werden zum machtvollen Kampf gegen den Imperialismus 
und gegen den Krieg. Der Friede miisse erkampft werden unter 
Anwendung aller Machtmittel des Proletariats. Bin solcher Friede 
werde den Sieg des Sozialismus vorbereiten und die Internationale 
zu einer Macht gestalten, die eine Wiederholung solchen entsetz* 
lichen Volkermordens fiir alle Zeiten verhindere. 

In der Diskussion steilte sich bald heraus, dalz die Hoffnung, die 
Reichskonferenz werde zu einer Abschwachung der Gegensatze, 
ftrhren, sich nicht erfullen konnte. Die Mehrheit fclieb dabei, dafe 
ihre Kriegspolitik in den Verhaltnissen begriindet gewesen sei und dafe 
kein Anlafz vorliege, von ihr abzugehen. Und so wurde es fiir die 
Opposition immer deutlicher, dalz sie den Kampf gegen diese Auf- 
fassungen mit aller Scharfe weiterfuhren miisse. Die Mehrheit ver- 
suchte noch eine kleine Komodie aufzufuhren, indem sie eine 
Sympathieerklarung fiir Karl Liebknecht herausbrachte. Kate 

8 113 



Duncker protestierte dagegen, dafe Leute, die durch ihre Politik mit- 
schuldig daran seien, dalz Liebknecht hinter Kerkermauern sitze, 
hier eine so heuchlerische Erklarung abgeben wollten. Auch Haase 
legte im Namen der Opposition Protest dagegen ein. Nicht der 
Ausdruck mitleidigen Bedauerns, wie es die Mehrheit wolle, sei hier 
am Platze, sondern entschiedener Protest. Zugleich stellte Haase 
noch einmal fest, dalz die Konferenz, die im Parteistatut keine Stiitze 
habe, nicht befugt sei r sachliche Beschltisse zu fassen. Durch die 
Aussprache sei ihre Funktion eriedigt. 

Nach dreitagigen Verhandlungen kam es trotzdem zu Abstimmun- 
gen. Die Minderheit in der alten Fraktion erklarte, dalz sie sich an 
der Abstimung iiber die von der Mehrheit vorgelegte Resolution, die 
die Kriegspolitik des Parteivorstandes und der Fraktion guthiefz, 
nicht beteiligen wiirde. Ein Antrag Haase-Ledebour, eine Beschlulz- 
fassung iiber sachliche Antrage abzulehnen, wurde in namentlicher 
Abstimmung mit 276 gegen 169 Stimmen abgelehnt. Danach gaben 
die Vertreter der Opposition und der Gruppe ^Internationale" Er~ 
klarungen ab, dalz sie sich an den weiteren Abstimmungen nicht 
beteiligen wiirden. 

Ebert schlofz die Reichskonferenz mit einem Appeli an alle Teil- 
nehmer, dalz sie bei alien Gegensateen nicht vergessen sollten, dafz 
sie Kameraden und Kampfgenossen seien. Ueber allem Streit stehe 
das grofze gemeinsame Ziel: Die Befreiung der Arbeiterklasse aus 
wirtschaftlicher und politischer Bedruckung. Zur Erfiillung dieser 
Aufgahe mufzten alle Krafte zu gemeinsamem und geschlossenem 
Handeln zusammengefaizt werden. Die nachste Zukunft lehrte bald, 
wie wenig ernst es gerade Ebert mit diesen Worten war. Er hat an 
der Spitze derjenigen gestanden, die durch ihre Handlungen die 
Einheit der Partei zerschlagen haben. 



114 



OS*&<B8iiS6<39W^>GS2^ 



Die Zerreifcung der Partei. 

Das Programm des rechten Fliigels. — Der Gewaltstreich gegen den 
„Vorwarts". — Das Urteil des Auslands. — Die NacKwahl in 
Oschatz~Grimma. — Das Hilfsdienstgesetz. — Das Friedensangebot 
der Kriegsregierimg. — Die Januarkonferenz der Opposition. — Ab« 
lehnung der Spaltung. — Die Zerreifzung der Partei durch die 
Instanzenmehrheiten. 

Was es m»it den Absichten des rechten Fliigels fur die Reichs- 
konferenz auf sich hatte, das war besonders klar aus den Artikeln 
zu erkennen, mit denen die „Sozialistischen Monatshefte", das Organ 
des rechten Fliigels, die Veranstaltimg der Partei begriifet hatteru 
Severing verlangte von der Partei, dafz sie sich fur die Sicher- 
stellung der Rohstoffeinfuhr aus eigener Kolonialtatigkeit einsetzen 
solle. Das war, wie Kautsky im „Vorwarts" feststellte, eihe Aufgabe, 
zu der die Sozialdemokratie sich nur bekennen konnte, wenn sie sich 
zugleich fur eine Riesenflotte und fur koloniale Eroberungspolitik 
begeisterte. Quessel, der von der Bedeutung der Seegeltung 
schrieb, wollte die Arbeiter lehren, dalz „das Gedeiben der Industrie 
nicht nur Sache der Unternehmer, sondern in noch h5herem Mate 
ihre eigene Sache" sei f so dalz sie zu „Verteidigung und Sieg" und 
, r gegen/uber der britischen Seetyrannei, die standig unser Dasein 
bedroht'V mit den Unternehmern zusammenstehen miifzten. 
Jansson f urchtete, dalz nach dem Kriege grolze Lohnkampfe der 
deutschen Wirtschaft schwere Wunden schiagen wurden, „daher 
sollte die Verstandlgung in der Lohnfrage alien anderen Dingen 
vorangehen". II m b r e i t , der Redakteur des ,^Korrespondenzblattes 
der Generalkommisskm der Gewerkschaften'V wiinschte , r keine Iso- 
lierung, keine Proklamierung von Klassengegens&tzen und Klasseiv 
kampfen, wo Zeit und Tatsachen ein gemeinsames Zusammenarbeiten 
dringend erheischen". Heilmann sah in dem Krieg einen grofeen 
Klassenkampf, vor d&m alle geringen Fehden so zuriickzutreten 
hatten, dalz sie ihn nicht schadigen konnten. K a 1 i s k i riigte den 
Parteivorstand, „weil dieser sich noch nicht dazu entschliefeen konnte, 
den Schutzzollgedaniken anzuerkennen", ohne den der geplante 
mitteleuropaische Wirtschaftskomplex undenkbar sei. Peus schliefz- 
Kch meinte, „dafz wir uns in Zukunft der Bewilligung der Heeres- 
und Flottenbudgets nicht mehr werden entziehen konnen". 

Dieses positive Programm des rechten FKigels war auf der Reichs* 
konferenz freilich nicht entwickelt worden, denn es hStte dort viel- 
leicht manchen von jenen Elementen, die noch immer nicht wulzten, 
auf welche Seite sie sich schiagen sollten, stutzig machen und zur 

s* 115 



Opposition abdrangen konheni Nachher klagte K o I b , der FCihrer 
der badischen Reformisten, der gleichfalls auf der Reichskonferenz 
geschwiegen hatte, dariiber, daiz es dort zu keiner klaren Ent- 
scheidung gekommen war, und er stellte in seinem „Volksfreund" noch 
einmal zusammen, wie er sich die weitere Tatigkeit der Sozialdemo* 
kratischen Partei vorstellte: 

„Im Ernste kann doch kein vernunftiger Mensch damit rechnen, dalz 
die Manner, die auf dem Boden der Politik des 4. August stehen, kixnftig 
in der kegei das Budget abiehnen, dalz sie in Pragen der Heeres~, 
Marine**, Kolonial**, >^irtschafts~ usw. -Politik dieseibe fialtung ein« 
nehmen, welche die Sozialdemokratie vor dem 4. August eingenommen 
hat. Diese poiitische Neuorientierung der Sozialdemo- 
kratie kann aber nicht bis nach dem Kriege verschoben werden, denn 
sie ist die unentbehrliche Voraussetzung flir eine Neugestaltung der po« 
litischen Verhaltnisse im Reiche wie in den Einzelstaaten. \Vartet die 
Sozialdemokratie mit der Entscheidung iiber die Krise, in welcher sie sich 
befindet, bis nach dem Kriege, dann erscheint sie zu spat auf dem Plane, 
um bei der Entscheidung iiber die poiitische Zukunft des deutschen 
Volkes ein gewichtiges Wort mitsprechen zu konnen." 

Ebert hatte die Reichskonferenz mit einem Mahnwort zoir Einig* 
keit, zu gemeinsamem geschlossenen Handeln geschlossen. Bald 
aber sollten die Arbeiter erkennen, was sich fur den Parteivorstand 
hinter diesen schonen Worten versteckte. Zwei Wochen danach 
wurde der langst geplante Gewaltstreich gegen den 
„V o r w a r t s" ausgefuhrt. Er blieb nicht der einzige Fall seiner 
Art, aber an ihm konnte man am deutlichsten erkennen, welche 
Absichten die Mehrheit des Parteivorstandes verfolgte. 

Am 8. Oktober wurde der „Vorwarts" zum vierten Male in der 
Kriegszeit verboten. Den Anlalz gab ein Artikel, der sich 
gegen die Kanzlerfronde wandte. Bethmann Hollweg war 
zwar den Annexionisten mit seiner Politik soweit es 
irgend ging entgegengekommerL Die . Alldeutschen, an 
der en Spitze der Landschaftsdirektor Kapp stand, verlangten 
aber, daiz entweder Bethmann Hollweg sich offen zum ruoksichts- 
losen Eroberungskrieg bekennen oder seinen Platz einem ihrer Leute 
rMumen solle. Der ueschaftsfuhrer des „Vorwarts", der Reichstags- 
abgeordnete Richard Fischer, setzte sich mit dem Ober- 
kommando der Marken wegen der Aufhebung des Verbotes in Ver~ 
bindung; den zustandigen Instanzen teilte er mit, dalz die Militar- 
behorde die Entlassung der am „Vorwarts" tatigen Redakteure 
fordere. Zu gleicher Zeit verhandelte der Parteivorstand iiber das 
Verbot mit Herrn Wahnschaffe, dem Leiter der Reichskanzlei, 
trotzdem bekannt war, dalz selbst der Reichskanzler keimen Einflufz 
auf die Militarbehorden hatte. Auch eine Beschwerde von Haase im 
Reichstag blieb ohne Wirkung. Am 12. Oktober lehnte der Zentral- 
vorstand von Grolz-Berlin die geforderte Entlassung der Redakteure 
des „Vonwarts" ab; dagegen wollte er Ressortveranderungen in der 
Redaktion vornehmen, so dafz Ernst DSumig ausschlielzlich fur 
die Ueberwachung der .Zensurvorschriften freiblieb. Fischer weigerte 
sich, dieses Anerbieten bei der MilitSrbehorde zu vertreten. Bei 
dieser Gelegenheit ging schon hervor, dalz Fischer und seine Hinter- 
manner dem Oberkommando noch weit mehr Zugestandnisse machen 

116 



wollten, als dieses selbst verlangt hatte. Der Parteivorstand glaubte 
eben die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen zu sollen, urn mit 
Hilfe der Militardiktetur den „Vorwarts" ganz in seine Hande zu 
bekommen. 

Acht Tage lang war der Parteivorstand in Sachen des „Vorwarts"« 
Verbots fur' die zustandigen Instanzen iiberhaupt nicht zu sprechen. 
Erst am 16. Oktober ruokte er mit seinen wahren Absichten heraus; 
er wollte nSmlich dem Oberkommando den Vorschlag machen, daiz 
„ein Mitglied des Parteivorstandes in die Redaktion eintritt und die 
Vollmacht erhalt, iiber den Inhalt des Blattes zu entscheiden". Das 
bedeutete nichts anderes, als daiz der Parteivorstand die Militar- 
diktatur benutzen wollte, urn die Leitung des „Vorwarts" in die von 
ihm gewunschte Richtung zu drangen. Die Prelzkpmmission stellte 
sofort fest, daiz das Oberkommando doch nur Garantien fur die Ein- 
haltung der Zensurvorschriften verlangen konne; es wurde einen 
Verzicht auf jede politische Ehre bedeuten, weim man der Militar- 
diktatur auch nur den * geringsten Einflulz auf die politische Haltung 
des Blattes einraume. Die Preizkommission schlug nun vor, daiz ein 
Mitglied des Parteivorstandes die Beobachtung der Zensurvorschriften 
iiberwachen solle. Das lehnte der Parteivorstand und auch Fischer 
ab r derm man konne es einem Vorstandsmitglied doch nicht zumuten, 
die Verantwortung fur ein Blatt zu iibernehmen, auf dessen Inhalt 
es keinen Einflulz habe. Um zu dem gewiinschten Ziele zu kommen, 
wurde also die politische Haltung und die Verantwortung vor der 
Zensurbehorde miteinander in Verbindung gebracht. Fischer ver- 
handelte dann noch einmal mit dem Oberkommando, und dieses 
stimmte der Aufhebung des Verbotes unter der vom Parteivorstand 
angebotenen Bedingung zu. Noch am 19. Oktober hatte das Ober« 
kommando der Redaktion des „Vorwarts" mitgeteilt, daiz es leddglich 
„Garantien fiir eine vom Standpunkt der Zensur aus einwandfreie 
Leitung des „Vorwarts" zu erhalten" wiinsche. Eine mit den Zensur- 
vorschriften in Einklang gebliebene Vertretung der Weltanschauung 
und der politischen Ueberzeugung der Leser konne nicht die Grund- 
lage fur ein Einschreiten des Generalkommandos gegen den „Vor~ 
warts" bilden. Der Parteivorstand war demnach mit seinem Angebot 
viel weiter gegangen, als die Militarbehorden es selbst gewunscht 
hatten; bald konnte man sehen, aus welchen Grunden das 
geschehen war. 

Der Parteivorstand entsandte sein Mitglied Hermann Muller 
in die Redaktion mit der Vollmacht, daiz lediglich er iiber den Inhalt 
des Blattes entscheiden solle. In einer Erklarung an die Leser ver- 
suchte der Parteivorstand es so darzustellen, als ob eine andere 
Losung des Konfliktes mit der Militarbehorde nicht moglich gewesen 
ware. Das war ein offenbarer Schwindel. Die Redaktion wollte eine 
Erklarung dazu abgeben und ihre Stellung zu dem diktatorischen 
Vorgehen des Parteivorstandes mit der gebotenen Deutlichkeit dar- 
legen. Hermann Muller, Chefredakteur von Gnaden des Ober- 
kommandos, verweigerte die Aufnahme dieser Erklarung, und er 
griff auch in den spateren Nummern des „VorwSrts" in die Ver- 
Fugungsrechte der Redaktion ein. In einer Broschiir-e, die sich mit 
diesem Gewaltstreich des Parteivorstandes befaizte, wurde das Br- 
gebnis dieser Vorgang-e so dargestellt: 

tt7 



„Der Parteivorstand hat selbstherrlich und weit iiber die Forderungen 
der Militarzensur hinausgehend Beschlag auf den „Vorwarts" gelegt. 
Er lalzt ihn vollstandig im Sinne einer vorstandsoffiziosen Politik leiten. 
Die bisherige Redaktion ist in ihrer freien Meinungsaulzerung und ihren 
vertraglich zugesicherten Berufsrechten geknebelt. Die Preizkommission, 
als die nach dem Parteivorstand vorgesehene Ueberwachungskommission 
des „Vorwarts'\ ist vom Parteivorstand selbstherrlich ausgeschaltet 
worden, die Berliner Parteiorganisationen, die Eigen turner und Stiitzen 
des „Vorwarts" sind, haben jedes Anrecht, jeden Einflulz iiber ihr Blatt 
verloren und werden durch den Geschaftsfuhrer Fischer auch um ihr 
Recht auf die Druckerei des „Vorw&rts" betrogen. Die Berliner Parted 
genossen kSnnen und diirf en sich eine derartige Vergewaltigung nicht 

tef alien lassen. An ihnen istes, jetzt die geeigneten Schritte zu tun, 
en Gewaltstreich zu parieren. 

Dieser in der Parteigeschichte beispiellos dastehende 
Rechts- und Treubruch des Parteivorstandes und seines Hand- 
langers Fischer muiz die gebiihrende Antwort erhalten." 

Diese Antwort gaben denn auch die Berliner Parteigenossen sofort 
Am 25. Oktober befalzten sich Extrazahlabende mit dem Gewalt- 
streich, am 27. Oktober stand er auf der Tagesordnung der General- 
versammiungen der Wahlkreisvereine, und schliefzlich beriet die 
Verbandsgeneralversammlung fur Groiz-Berlin am 29. Oktober 1916 
darixber. Ueberall wurde der folgende Antrag dies Z e n t r a 1 .- 
vorstandes angenommen: 

,JDa der Parteivorstand durch sein Vorgehen, weit iiber die Forde- 
rungen der Militarbehorden hinausgehend, die Hand auf den „Vor~ 
warts", das Eigentum der Grolz-Berliner Genossen, gelegt, die von den 
Aufsichtsinstanzen eingesetzte Redaktion vergewaltigt hat, da er weiter 
dem „Vorwarts" eine Haltung gibt, die der politischen Ueberzeugung der 
iiberwaltigenden Mehrheit der Berliner Genossen widerspricht, fordert 
die Verbandsgeneralversammlung den Parteivorstand auf, seine Gewalt- 
malzregeln aufzugeben. 

Geschieht das nicht, so verpflichtet die Verbandsgeneralversammlung 
die Berliner Parteigenossen, die Zahlung des „Vorwarts"«Abonnements 
solange einzustellen, bis der Parteivorstand sein statutenwidriges Ver- 
halt en aufgegeben hat und die Grofz^Berliner Organisationen wieder zu 
ihren Rechten auf den „Vorw&rts" gekommen sind." 

Die Verbandsgeneralversammlung von Grolz-Berlin nahm ein~ 
stimmig eine Resolution Ledebour und Adolf Hoffmann 
an, worin die Parteigenossen im ganzen Reich aufgefordert wurden, 
keinem Teilnehmer oder Begiinstiger des „Vorwarts"-Raubes ein 
parlamentarisches Mandat oder ein Parteiamt zu ubertragen. Die 
opartakusgruppe brachte eine Resolution ein, die die Beitragssperre 
gegenuber dem Parteivorstand verlangte. Ledebour sprach sich 
dagegen aus, weil er dem Parteivorstand eine formelle Handhabe 
bieten wiirde, gegen die nichtzahlenden Parteigenossen vorzugehen. 
Die Resolution wurde denn auch abgelehnt. Es wurde dann noch 
ein Aktionsausschuiz eingesetzt, der das Recht der Berliner Genossen 
zur Geltung bringen und die Beschlusse der Generalversammlung 
ausfuhren sollte. 

Der Gewaltstreich gegen den „Vorw8rts" erregte das grolzte Auf« 
sehen nicht nur in Deutschland, sondern auch weit iiber dessen 
Grenzen hinaus. Die auslSndische Parte! pr esse gab ihrem 

118 



Unwillen dariiber lebhaften AusdmGk. So schrieb das in Zurich 
erscheinende Informationsorgan der Sozialdemokratischen Arbeiter- 

1>artei RuMands, die Haltung des neuen „Vonwarts" sei schmShlich. 
n einer Woche habe er bereits den Rekord des Beddententums 
geschlagen. „Die letzten Heldentaten des deutschen Parteivorstandes", 
hiefz es dort, „werden hoffentlich alien denen die Augen ftffnen, die 
sich abrniihen, einen Unterschied zu konstruieren zwischen dern 
heuchlerischen Sozialpatriotismus eines Scheidemann und dem 
zynischen Sozialimperialismus eines Lensch. In Wirklichkeit haben 
wir es hier nur mit zwei Aeulzerungen eines Wesens zu tun, dessen 
Name Renegatentum ist" Die „Humanit£" sprach sich gleichfalls 
Mu&erst abfMllig iiber den fr VorwMrts <4 -Raub aus. Zu eih-em Artikel 
von Friedrich Stampfer, der die Politik des Parteivorstandes zu retten 
suchte, bemerkte das Blatt: 

JBs wird ihm nicht gelingen, vergessen zu machen, dalz der Kanzler 
niemals, weder direkt noch indirekt, dem ,,Friedensprogramm" der sozia« 
listischen Mehrheit zugestimmt hat, dalz er sich niemals von den Arw 
nexionsten, von alien Annexionisten geschieden hat, und dalz die burger- 
lichen Parteien, die ohne jede Ausnahme glatt annexionistische Ziele pro~ 
klamiert hatten, niemals eine Erklarung abgegeben haben, die ihre fruhe** 
ren Erkl&rungen aufhob. Das sind unwiderlegte und unwiderleglicha 
Tatsachen. 

Diejenigen anklagen, die sie mahnen, „fur die Verlangerung des Krie« 
ges verantwortiich zu sein", heilzt den Brieftrager beschuldigen, fur das 
Ungliick der Person verantwortiich zu sein, der er einen schlechte Nach~ 
richten enthaltenden Brief gebracht hat. Der Artikel von Stampfer im 
„Vorwarts" und alle ahnlichen Entrefilets aus seiner Feder, die man 
uber denselben Gegenstand in anderen Majoritatsorganen, wie der 
„M\inchner Post" von gestern, findet, zeigen seine Anstrengungen, die 
Einheit der Front im Schofz der deutschen Partei wieder herzustellen, 
aber ihre Wirkung kann notwendigerweise nur gleich Null sein. Und 
sicher kann man nicht durch die Art der ,,Eii\nahme" des „Vorwarts" 
durch den Partedvorstand der Sache des Friedens und der Internationale 
dienen." 

Im „Avanti", dem Hauptorgan der italienischen Sozialisteay 
konnte man folgendes lesen: 

rtSo ist es denn dem Parteivorstand gelungen, wieder die Hand auf den 
„Vorwarts" zu legen und ihn zum Sprachrohr der Scheidemann, 
Heine usw. ; das heilzt der mehr oder weniger imperialistischen Politik 
der sozialistischen Mehrheit der Parlamentsfraktion, zu machen, 

Wie bekannt, hat die bisherige Redaktion des „Vorwarts" sich be« 
muht, den Willen der sozialistischen Massen zum Ausdruck zu bringen, 
es abgelehnt, sich zum Werkzeug jener Elemente zu machen, die diesen 
Willen verleugneten und mit Verachtung jeden Einflulz der Regierungs~ 
organe auf die Gestaltung des Parteiblattes zuruckgewiesen. Auizerdem 
aber hat die Redaktion in den Augen des Parteivorstandes noch die 
groize Sehuld auf sich geladen, die in der Arbeitsgemeinschaft organic 
sierte Minderheit nicht mundtot zu machen. Lang und erbittert war 
der Kampf gegen die Regierung, die vergeblich versuchte. die Redaktion 
zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Und beinahe ebenso neftig war der 
Kampf der Redaktion gegen den Parteivorsitand, der sich Machtvoll* 
kommenheiten anmalzte, die im Widerspruch mit den Beschlussen der 
Berliner Sozialdemokratie uber die Haltung ihres Blattes standen. Nur* 
aber bietet sich dem Parteivorstand mit einem Male die Gelegenheit 

119 



seine Position wieder einzunehmen; er ergreift sie sogleich, paktiert -— 
statt die Haltung der Redaktion zu unterstiitzen, die sich weigerte, un~ 
annehmbare und mit der Wiirde sozialistischer Parteifuhrer unverein- 
bare Bedingungen zu akzeptieren — mit der Regierung und intern 
-veniert, urn das Parteiorgan an sich zu reilzen. 

Der 7 ,Vorwarts" wird nun nicht mehr dasselbe Blatt sein, das es in den 
vergangenen Monaten war, das heiizt, ein Organ, das den Stimmen der 
Kriegsgegner offen steht und den Protest der soziah'stischen Masse 
zum Ausdruck bringt, sondern er wird unter der Kontrolle eines Ver« 
treters des Parteivorstandes zu einem reinen Organ der Mehrheit werden, 
die das Bundnis mit den herrschenden Klassen respektieren und jede 
StSrung des Burgfriedens vermeiden will/' 

Viel sch&ier war selbstverstSndlich das Urteil grolzer Massen der 
Parteigenossen in Deutschland s e 1 b s t , und gerade dieser 
Gewaltstreich des Parteivorstandes hat dazu beigetragen, dalz die 
Opposition eine wesentliche StMrkung erfuhr. Die Berliner Partei- 
genossen bestellten den neuen „Vorwarts" in grolzer Zahl ab und 
bezogen dafiir auswartige Blatter, wie die „Leipziger Volkszeitung", 
den Braunschweiger , r Volksfreund" und das ,,Volksblatt" in Halle. 
Die auswartigen Bl&tter konnten freilich keinen vollen Ersatz flxr das 
Berliner Blatt gehen, zumal besonders die Berliner Hausfrauen darauf 
angewiesen waren, sich rechtzeitig iiber die Lieferung von Lebens- 
mitteln in der Presse zu informieren. Wenn die Sozialpatrioten 
spater verkundeten, dalz der Boykott des „Vorwarts" keinen sonder- 
lichen Erfolg gehabt habe, so 1st das ein billiger Hohn, und es beweist 
nur noch einmal, wie sehr sich der rechte Fiugel auf die Tiicken und 
Niicken des Krieges stutzen mulzte, urn seine Position zu halteru 

Auch eine Nachwahl zum Reichstag, die am 23. No- 
vember 1916 in dem Leipzig benachbarten Kreise Oschatz-Grimma 
vorgenommen wurde, gab den Kriegssozialisten Gelegenheit, sich 
iiber die angebliche Schwache der Opposition zu belustigen. Bei 
den bisherigen Nachwahlen, bei denen fast immer Rechtssozialisten 
kandidierten, batten diese unter dem Schutze des Burgfriedens mit 
den burgerlichen Parteien Abmachungen getroffen, wonach man auf 
einen Wahlkampf verzichtete und sich den bisherigen Besitzstand 
sicherte. In Oschatz-Grimma war die Ersatzwahl eines burgerlichen 
Parteimannes vorzunehmen, und hier entschlossen sich unsere 
Genossen, die auf dem Boden der Opposition standen, den Wahl- 
kampf aufzunehmen. Sie hatten sich freilich die grolzen Schwierig- 
keiten der Wahlbeteiligung nicht verhehlt. Der Wahlkreis hatte 
zum uberwiegenden Teil landliehen Charakter, er zahlte neben 
250 Dorfern 90 Rittergiiter. Lediglich in den drei grolzeren Stadten 
des Kreises, die zusammen 40 000 Einwohner zahlten, konzentrierte 
sich die Industrie des Kreises. Erst einmal hatte die Sozialdemo- 
kratie den Kreis in der Stichwahl mit einer kleinen Stimmenmehrheit 
erobert, sonst war er stets im Besitz der Konservativen. Diesrrial 
stellten die Konservativen einen ausgesprochenen Alldeutschen, 
Dr. Wildgrube aus Dresden, auf, und sie konnten mit ihrer Agitation 
bei der landliehen Bevolkerung des Kreises urn so grolzeren Erfolg 
erzielen, ais den Agrariem durch den Krieg aulzerordentliche Vor« 
teile gebracht worden war en. Zudem war die industrielle stimm- 
flhige Bevclkerung des Kreises fast bis zum letzten Mann zum 

120 



Heeresdienst eingezogen worden, wogegen die Landwirte zu einem 
erheblichen Telle sich der Reklamation erfreuten. Dem alien ist 
noch hinzuzufugen, dalz unsere Parteigenossen unter dem Belage- 
rungszustand aulzerordentlich zu leiden hatten, in der Verbreitung 
von Flugblattern sehr beschrankt waren und dalz die Parteipresse 
bisher nur geringen Eingang in den Kreis gefunden hatte. Sonne 
und Wind hatte also unsere Partei bei diesem Wahlkampf gegen 
sich. Sie unterlag bei der Abstimmung, aber sie ist ehrenvoll unter- 
legen. Ueber 6000 Wahler bekannten sich fur den Kandidaten der 
Arbeitsgemeinschaft, Genossen Lipinski aus Leipzig, der sich 
offen fur die Kreditverweigerung ausgesprochen hatte. Und das 
war ein Erfolg, dessen sich die Opposition nicht zu schgmen 
brauchte. 

Im November 1916 kam das beruchtigte Hilfsdienstgesetz, 
das nichts anderes als eine vollkommene Lahmlegung der deutschen 
Arbeiterbewegung bringen sollte. Die sozialdemokratische Mehrheit 
und auch die Gewerkschaftsvorstande hatten sich bereitgefunden, bei 
diesem Gesetz mitzuwirken. Was es mit diesem Gesetz auf sich 
hatte, das fiihrte Genosse Haase fiir die Arbeitsgemeinschaft in 
der Reichstagssitzung vom 2. Dezember aus: 

JDas Gesetz beschlagnahmt das einzige Gut des Arbeiters, die Arbeits* 
kraft, ohne aber andererseits die kapitalistischen Betriebe zu ver« 
staatlichen. Einige wenige k5nnen ihr Hab und Gut vermehren, wahrend 
Tausende von Existenzen zugrunde gehen. Das Gesetz fesselt die Ar~ 
beiter an die Arbeitsstelle, die reichen Miilzigganger haben nur in den 
Voiverhandlungen eine dekorative Rolle gespielt. Auch der Mittelstand 
wird unter dem Gesetz leiden, und man wird sehen, dafz ganz andere 
Krafte wie die Sozialdemokratie ihn vernichten. Nach den Erfahrungen 
mit dem Belagerungszustand miissen wir befurchten, dafz politisch mifz~ 
liebige Personen auf Grund dieses Gesetzes aus ihrem Wohnsitz entfernt 
und dem Arbeitszwang unterworfen werden. Dieses politische Gesetz 
hebt die Freiziigigkeit auf und beseitigt das Recht, die Arbeitskraft dort 
anzubieten, wo sie vorteilhaft verwertet werden kann. Man hat dieses 
Gesetz als einen Triumph des sozialistischen Gedankens hingestellt, 
es ist aber Geist vom Geiste des Militarismus und modernsten Kapitalis- 
mus. Die Aufhebung der Freiziigigkeit fuhrt zum Lohndruck. Unser 
Antrag auf gleichen Lohn fur gleiche Arbeit bei Mannern und Frauen 
ist abgelehnt worden und das nach all den Lobliedern auf das Helden« 
turn der FrauenI Der Arbeit erschutz fiir Frauen und Jugendliche wird 
ncch immer nicht wiederhergestellt. Die Schutzbestimmungen dieses 
Gesetzes verdienen nicht den Namen der Rechtsgarantien. Die Land* 
arbeiter werden an die Scholle gefesselt. Die Vorsitzenden der Aus* 
schiisse werden, nicht aus Parteilichkeit, sondern auf Grund ihrer ganzen 
Erziehung und sozialen Stellung, in den meisten Fallen gegen die 
Arbeiter entscheiden. Wir protestieren entschieden gegen die volker- 
rechtswidrige und obendrein unkluge Abschiebung der belgischen Arbeiter 
nach Deutschland." 

Die Rechtssozialisten stimmten dem Gesetz zu, und einer ihrer 
Redner, Bauer, beklagte sich liber den „Doktrinarismus" Haases, 
der jedes Verstandnis fiir die schwierige Lage des Landes vermissen 
lasse. Es hat sich spHter erwiesen, dalz Haase mit seinem JDoktri- 
narismus" vollkommen recht behalten hat. 

121 



^ Was die von Haase bei dieser Gelegenheit bekSmplte Deporta- 
tion belgischer Arbeiter nach Deutschland betrifft, so war 
dieses eines der schwarzesten Kapitel aus der deutschen Kriegs- 
politik. Die Rechtssozialisten behaupteten zwar, daiz sie all ihren 
Einfluiz geltend gemacht hatten, urn eine schlechte Behandlung der 
belgischen Arbeiter zu verhindern. Aber dieser Einflulz hat die 
Militarbehorden nicht davon abhalten konnen, die belgischen Arbeiter 
wie die Sklaven antreben zu lassen und damit das Entsetzen, das 
die deutsche Kriegfiihrung im Auslande ohnehin schon hervor- 
gerufen hatte, noch zu steigem. 

Das Hilfsdienstgesetz, das nach dem EingestSndnis seiner Urheber 
lediglich die Kriegsriistung Deutschland vervollstMndigen und den 
letzten Mann und die letzte Frau, allerdings nur, soweit sie der 
Anbeiterklasse angehorten, in den Dienst des Krie^es stellen sollte, 
bildete den wiirdigen Auftakt zu der Komodie, die kurz danach auf~ 
gefuhrt wurde. Am 9. Dezember wurde bekanntgegeben, daiz der 
Reichstag fiir den 12. Dezember einberufen sei. Es sollte eine hoch- 
bedeutsame Aktion vom Stapel gelassen werden. In dieser Sitzung 
hielt der Reichskanzler von Bethmann Hollweg eine Rede, in der er 
erst des langen und breiten ausfiihrte, welche grofzen Erfolge der 
deutsche Militarismus bisher an der Westfront, im Osten, gegen 
Italien, gegen RumHnien errungen und welche Heldentaten die 
deutschen Unterseeboote nebenher noch verrichtet h&tten. Trotz 
dieser militSrischen StHrke sei aber die deutsche Regierung bereit, 
den ersten Schritt zum Frieden zu machen. Er habe 
den Vertretern der neutralen Staaten eine Note tibeireicht, die sie 
den feindlichen Machten iibermitteln sollten. Das Wesentliche in 
der Note hatte diesen Wortlaut: 

„Getragen von dem Bewuiztsein ihrer militiarischen und wirtschaft* 
lichen Kraft und bereit, den ihnen aufgezwungenen Kampf notigenfalls 
bis zum auiz ersten fortzusetzen r zugleich aber von dem Wunsch oeseelt, 
weiteres Blutvergieizen zu verhiiten und den Greueln des Krieges ein 
Ende zu machen, schlagen die vier verbundeten Machte vor, alsbald in 
Friedensverhandlungen einzutreten. Die Vorschlage, die sie zu diesen 
Verhandlungen mitbringen werden und die darauf gerichtet sind, Da~ 
sein, Ehre und Entwicklungsfreiheit ihrer Volker zu sichern r bilden nach 
ihrer Ueberzeugung eine geeignete Grundiage fiir die Herstellung eines 
dauerhaften Friedens. 

Wenn trotz dieses Anerbietens zu Frieden und Versohnung der 
Kampf fortdauern sollte, so sind die vier verbiindeten Machte ent- 
schlossen, ihn bis zum siegreichen Ende zu fiihren. Sie lehnen aber 
feierlich jede Verantwortung dafiir vor der Menschheit und der Ge~ 
schichte ab." 

Dei Reichskanzler fugte noch hinzu: Wenn die Feinde diese 
Friedensbereitschaft ablehnen wollten, dann wiirde bis in die letzte 
Hiitte hinein jedes deutsche Herz aufflammen im heiligen Zorn gegen 
die Feinde, die urn ihrer Vernichtungs- und Eroberungsabsichten 
willen dem Menschenmorden keinen Binhalt tun wollen. WShrend also 
der Reichskanzler mit der linken Hand den Oelzweig des Friedens 
hochhielt, packte er mit der rechten Hand urn so fester das Schwert, 
mit dem er die Gegner niederzuschlagen hoffte. W i 1 h e 1 m II. 
erganzte noch diese Geste, indem er in einem Tagesbefehl an das 

122 



deutsche Heer sagte, dafz er nur in dem Gefiihle des Sieges, den 
das Heer bisher errungen habe, dem Feinde das Friedensangebot 
gemacht habe. 

Die Rechtssozialisten fielen prompt auf diesen Friedensschwindel 
hinein und priesen die Friedensliebe der deutschen Regierung und 
des deutschen Kaisers in alien Tonen, die Sozialdemokratische 
Arbeitsgemeinschaft dagegen erkannte sofort den wahren Charakter 
des Friedensangebots. Sie gab zu der Rede des Reichskanzlers 
die folgende Erklarung ab: 

„Die Einleitung von Friedensverhandlungen haben wir von Anfang an 
gefordert, getreu der Solidaritat der Volker, wie sie die So- 
zialdemokratie auf ihren nationalen und internationalen 
Kongressen klar und entschieden zum Leitstern der auswartigen Po- 
litik des Proletariats gemacht hat. Dabei sind wir von der Gewiizheit 
ffetragen, dalz die demokratischen Volksmassen in alien Landern mit 
den anderen Volkern in einem Frieden leben wollen, der alien die freie 
Selbstbestimmung gewahrt. Jeder Schritt in dieser Richtung ist deshalb 
unserer Unterstutzung sicher. 

Die deutsche Regierung hat mit ihren Verbundeten den Regierungen 
der gegnerischen Staaten eine Note zugestellt, in der sie sich zu Frie- 
densverhandlungen bereit erklfirt Soil diese Note zum 
Frieden fuhren, dann ist notwendig, dak in alien Landern der Ge- 
danke an Annexionen fremden Gebietes, an politische, 
wirtschaftliche oder militarische Unterwerfung irgendeines Volkes unter 
eine andere Staatsgewalt unzweideutig abgewiesen wird. 

Gem&lz unserer grunds&tzlichen Anschauung, dalz der Krieg kein 
Mittel ist, die Gegensatze zwischen den Volkern auszugleichen und ihre 
gegenseitigen Beziehungen zu regeln, verwerfen wir jede A u s - 
nutzung der Kriegslage zur Verge waltigung eines 
Volkes. Plane dieser Art fuhren nur zur Verscharfung und Verlange- 
rung dieses Krieges und bergen den Keim neuer Kriege in sich. Soil 
die Dauer des Friedens gewahrleistet werden, so ist vielmehr erf order- 
lich, dafe durch internationale Vereinbarungen uberall die Rustungen 
eingeschrankt und alle Streitigkeiten der VSlker zur Schlichtung Schieds- 
gerichten unterbreitet werden. 

Von den Bedingungen, unter denen die Regierung Friedensverhand- 
lungen einleiten will, erfahren Volk und Volksvertretung nichts. Somit 
bleibt das fur den Erf olg Entscheidende im Dunkel. Wir fordern 
die Bekanntgabe der Friedensbedingungen. Rede- 
wendungen, die verschiedene Deutungen zulassen, rufen Milztrauen her- 
vor, erschweren oder vereiteln gar das Zustandekommen von Friedens- 
verhandlungen. ' 

Nach alien Grundsatzen wahrhaft demokratischen Lebens durfte eine 
Kundgebung von solcher Tragweite wie das Friedensangebot nicht ohne 
Mitwirkung der Volksvertretung in die Welt gehen. 

Der Reichstag hat aber die Nichtachtung der Volksver- 
tretung durch die Regierung noch ubertrumpft, indem er, ebenso wie 
vorher schon bei der Proklamierung des Konigreichs Polen, auch jetzt 
wieder sich selbst ausgeschaltet hat. Der von uns wie von den National- 
liberalen und den Konservativen gestelite Antrag auf Besprechung der 
vom Reichskanzler gehaltenen Rede wurde vom Zentrum, der Fort- 
schrittlichen Volkspartei und der sozialdemokratischen Fraktion abge- 
lehnt. So ist die Stimme des werktatigen Volkes in einem 
wichtigen Moment nicht zu Gehor gekommen. Die Volksmassen 

123 



sind nun wie in den anderen Landern so auch bei uns berufen, darauf zu 
dringen, dafz dem materiellen und moralischen Elend des Krieges, in das 
sie wider ihren Willen gestiirzt sind, ein Ende gemacht wird, dafz ein 
Friede zustande kommt, der der Verbruderung der Volker die Wege 
ebnet." 

Es kam so, wie die Opposition vorausgesagt hatte: Das Friedens- 
angebot wurde, abgelehnt, der Krieg ging weiter, und er wurde mit 
noch grftfzerer Erbitterung als bisher gefuhrt. Bald folgte der ver- 
stHrkte U-Boot~Krieg, der auch die Vereinigten Staaten von 
Amerika und fast alle die bisher noch nicht am Kriege beteiligten 
Staaten in das Gemetzel bmeinrilz. 

Aber auch die Instanzenmehrheiten ftihrten ihren Krieg gegen 
die Opposition mit verstarkten Mitteln fort Dem Gewalt- 
streich gegen den ;r Vorwarts" folgten zahllose andere Zeitungsraube 
in der Provinz. Ueberall wurden die oppositionellen Genossen aus 
der Parte! hinausgedrangt Es wurde zu weit fiihren, wenn wir alle 
Einzelheiten aus den Drangsalierungen, deren sich die Opposition 
nicht nur durch die Instanzenmehrheiten, sondern auch durch die 
militarischen und zivilen Gewalten ausgesetzt sah, darstellen wollten. 
Sie Shnelten sich wie ein Ei dem anderen, sie waren hochstens in 
der Art ihrer Ausiifoung ein wenig voneinander verschieden. Genug, 
es drangte sich den oppositionellen Kreisen in der Partei immer mehr 
die Notwendigkeit auf, der Gewalt sich nicht durch vereinzelte 
Aktionen zu erwehren, sondern sich ihr gesbhlossen ent- 
geg enzustemmen. 

Zum 7. Januar 1917 wurden die Vertrauensleute aller Richtungen 
der Opposition zu einer Konferenz nach Berlin zusammenberulen. 
Die Organe der Mehrheit suchten diese Tagung von vornherein 
dadurch zu diskxeditieren, dafz sie meinten, nach dem Friedens- 
angebot der MittelmSchte sei doch eigentlich jede Opposition gegen 
die deutsche Kriegspolitik hinfallig geworden, und jetzt musse das 
gesamte deutsche Volk wie edn Mann hinter Wilhelm IL stehen. Was 
dazu zu sagen war, das hatte die Kundgebung der Arbeitsgemein- 
schaft bereits ausgefiihrt. Der Gegensatz zwischen den Instanzen- 
mehrheiten und der Opposition trat immer starker hervor. Der 
Parteivorstand veroffentlichte eine Erklarung, worin er behauptete, 
dalz die Konferenz im Widerspruch stehe zum Organisationsstatut 
der Gesamtpartei und mit der organisatorischen Einheit unvereinbar 
sei. Von unberufenen Parteigenossen werde versucht, Parteiorganisa- 
tionen und deren Mittel in den Dienst einer Sondergruppe zu stellen, 
und es werde ihnen geraten, dieses parteizerstorende Treiben nicht 
zu unterstiitzen. Die Genossen Haase, Ledebour, Vogtherr als Ein« 
berufer der Konferenz stellten demgegeniiber fest, dafz der Partei- 
vorstand zum Zwecke der falschen Orientierung der Parteigenossen 
aus dem Einladomgszirkular den vom Zweck der Besprechung han« 
delnden Teil weggelassen habe. Dieser lautete: 

„Es handelt sich urn die Taktik der oppositionellen Ab« 

feordneten im Reichstag und urn Mafzregeln zum Schutze 
es Parteistatuts und der Organisationen, sowie urn die 
Sicherung der Eigentumsrechte der Parteigenossen an , ihren Zei~ 
tungen." 

m 



Daraus 1st ersiditilch, dalz die Besprechung gerade dem Zweck dient, 

. gegeniiber deiti organisations- und statutenwidrigen sowie parteizer- 

storenden Treihen des Parteivorstandes Schutzma&regeln zu ergreifeii 

Die Konferenz war von 157 Parteigenossen besucht. Darunter 
befanden sich 35 Mitglieder der Spartakusgruppe. 72 Wahlkreise 
waren vertreten. In seinem einleitenden Referat wies Haase die 
Erklarung des Parteivorstandes zuriick, der ein Kir allemal das Recht 
verwdrkt nabe, anderen Parteigenossen eihen Bruch des Organisations- 
statuts zum Vorwurf zu machen. Der Parteivorstand pflege und 
schiitze selbst Sonderorganisationen, vor allern den Diskutierklub 
„Vorwarts" in Berlin. Die arbeiterfeindliche Politik des Partei- 
vorstandes und der alten Fraktion kornme besonders zum Ausdruck 
im neuen „Vorwarts", dessen Niveau tief gesunken sei. Das Blatt 
betraibe nicht grundsatzliche Aufklarung, sondern Verwischung der 
Klassengegensatze. Im Auslande werde der „Vorwarts" nicht mehr 
als Organ der Sozialdemokratie angesehen, sondern als offizioses 
Organ der deutschen Regierung. In der Friedensfrage habe sich 
die alte Fraktion als Werkzeug Bethmann Hollwegs gebrauchen 
lassen. Die selbstverstandliche, demokratischen Grundsatzen ent- 
sprechende Forderung, im Reichstag zu der Friedensrede des Kanz- 
lers das Wort zu nehmen, sei von der alten Fraktion abgelehnt 
worden, nachdem die Regierung es so gewiinscht habe. Nach 
alledem, was sich bisher ereignet habe, sei es nicht nur das Recht f 
sondern die Pflicht der auf dem Boden der Opposition stehenden 
Parteigenossen, sich im Rahmen des Parteistatuts zusammen- 
zuschliefzen, um nicht isoliert zu bleiben. Es gelte in der Partei zu 
bleiben, die uns ans Herz gewachsen sei, und es sei mit Sicherheit 
zu erwarten, dalz uber kurz oder lang die Massen fur die Opposition 
gewonnen worden seien. Es wHre toricht, sich zu einer Sekte zuriick- 
drangen zu lassen. Die Arbeiterbewegung konne nur als Massen- 
bewegung existieren. Die Massenbewegung diirfe aber nicht auf den 
Boden des englischen Tradeunionismus herabsinken, sondern sie 
miisse erfiillt sein vom alten sozialdemokratischen Geiste. 

L i p i n s k i (Leipzig) behandelte die organisatorischen 
Notwendigkeiten der Opposition. Aufgabe der Sozialdemo- 
kratie sei es, den Kampf um die politische Macht zu fiihren, um die 
kapitalistische Produktionsweise umzugestalten. Die Politik des 
Parteivorstandes und der Mehrheitsfraktion aber laufe auf eine 
bedingungslose Unterstiitzung der Regierungspolitik hinaus. Die 
Parteigenossen mufeten mobilgemacht und fur unsere Auffassungen 
gewonnen werden. Zweckwidrig sei die Beitragssperre, die die Macht 
des Parteivorstandes nicht beriihre, ihm aber das formale Recht gebe, 
gegen die Organisationen vorzugehen. Notwendig sei der Zusammen- 
schlulz der Opposition, der mundliche Verkehr der oppositionellen 
Genossen in den Be^irken und Ortsgruppen, aber alles miisse im 
Rahmen der Partei geschehen. 

Der Redner der Spartakusgruppe, Ernst Meyer, ver- 
langte dagegen, dalz man die Frage der Beitragssperre und der Zu- 
gehorigkeit der Partei erortern solle. Der Klassenkampf miisse auch 

Pegen den Parteivorstand gefiihrt werden, und dabei diirfe man auf 
ormalien keine Riicksicht nehmen. Die Spartakusgruppe trete zwar 

125 



nicht fur die Spaltung der Parte! ein y aber der Hatiptton sei auf die 
Selbstbetatigung und die Aktion der Massen zu legen. Der Kampf 
musse mit alien Mitteln gefuhrt werden, auch mit der Beitragssperre r 
selbst.wenn er in der Folge zur Spaltung fiihre. Bine nicht gerade 
ruhmliche Rolle spielte dann noch Julian Borchardt als Ver- 
treter der kleinen Gruppe der Internationalen Sozialisten 
Deutschlands. Seine Freunde lehnten ein Bundnis mit der Arbeits- 
gemeinschaft ab, sie wollten die Beitragssperrung durchfuhren und 
mit den anderen Gruppen der Opposition nur gegen Gewaltstreiche 
des Parteivorstandes zoisammen kampfen. 

Es kam zwischen den verschiedenen Richtungen zu scharfen Aus- 
einandersetzungen, die grolze Mehrheit der Konferenz stand jedoch 
auf dem Boden der Aribeitsgemeinschaft. Ihre Resolution erhielt 
111 Stimmen, fur die Resolution Borchardt wurden nur 6, fur die 
Resolution der Spartakusgruppe 34 Stimmen abgegeben. Die 
Resolution der Opposition hatte folgenden Wortlaut: 

„Seit Ausbruch des Weltkrieges ist der Vorstand der Sozialdemokra- 
tischen Partei Deutschlands bestrebt, mit alien Mitteln die Gesamtpartei 
auf die Politik der Reichstag-sfraktion vom 4, August 1914 festzulegen 
und sie dieser Politik dienstbar zu machen. Den wachsenden Wider- 
spruch versuchte er durch planmafzxge Gewaltmalzregeln 
unter Verletzung des Organisationsstatuts der Partei 
niederzuhalten. 

Zeichen dieses parteizerruttenden Treibens sind sein Auftreten in Ber- 
lin, Bremen, Duisburg, Frankfurt, Stuttgart, die rechtswidrige Ausliefe- 
rung der Presse an die Anhanger seiner Politik auch an Orten, wo die 
Parteiorganisationen in grofzer Mehrheit auf dem Boden der Opposition 
stehen, die Maferegelung" der Redakteure in Berlin, Bremen, Duisburg 
und Stuttgart, der Mifzbrauch des Parteiausschusses zur Deckung der Vor- 
standspolitik und seines statutenwidrigen Handelns und das Hin&us- 
dr&ngen der oppositionellen Abgeordneten aus der 
Reichstagsfraktion. 

So hat der Parteivorstand die ihm von der Gesamtpartei auferlegte 
Pflicht, alien Anschauungen innerhalb der Partei freie BetStigung auf 
dem Boden des Parteiprogramms zu gew&hren, die UnabhSngigkeit 
und Selbst&ndigkeit der Parteipresse zu wahreri, die 
Parteipresse zum Kampf gegen den Kapitalismus und die von diesem be- 
triebene Politik zusammenzuhalten, fortdauernd verletzt und mit Absicht 
zur Forderung seiner Sonderbestrebungen die ihm innerhalb der Organi- 
sation zugewiesenen Befugnisse uberschritten. Den Parteigenossen er- 
w&chst damit die dringende Pflicht, zum Schutze gegen dieses organic 
sationswidrige und die Partei gef&hrdende Verhalten des Vorstandes, 
zur Wahrung der Parteigrunds&tze imd des Parteistatuts 
einheitlich und geschlossen aufzutreten. 

Die Orts- und Kreisorganisationen, deren Mehrheit die Auffassung der 
Opposition teilt, haben in stete enge Fuhlung zueinander zu treten. 
Dort, wo die oppositionellen Genossen nicht die Mehrheit in der Organi- 
sation haben. haben sie im Rahmen des Parteistatuts uner- 
mudlich fin* die Ausbreitung ihrer Anschauungen zu wirken und zur Er- 
fiillung der der Opposition im Interesse der Partei obliegenden Auf- 
gaben, sowie zu edgener Belehrung in geeigneter Weise einen Zusammen- 
schlufz herbeizufuhren. 

Die Sperre der Partei'beit'rSge, die als schSrfstes Mifztrauens- 
votum gegen den Parteivorstand geclacht ist, ist als u ng e e i g n e t 

126 



zur tick zu wei sen, da sie die iinanzielle Macht des Parteivor- 
stands in keiner Weise andert und ihm nur eine begueme, wenn audi 
im Parteistatut nicht begriindete Handhabe bietet, Parteiorganisationen 
j^aulzerhalb der Partei" zu stellen und ihren Einflulz aiif die Entscheidung 
der Partei auszuschalten. 

Diesen Einflulz preis^ugeben, ware ein grolzer Fehler. Der Parteitag, 
der nach Wiederherstellung verfassungsrechtlicher Garantien und 
griindlicher Vorbereitung zusammentritt, soil die Opposition auf ihrem 
Platze finden, wenn es gilt, dariiber zu entscheiden, ob die Partei die N 
alten Bahnen aufgeben soil. 

Ziel der Sozialdemokratie ist es, die kapitalistische Produktionsweise, 
deren Anarchie sick besonders im Kriege gezeigt bat, in die sozialistische 
umzuwandeln, die politiscbe Macbt zu diesem Zweck zu erringen und 
den Kampf urn diese zu einem einbeitlicben zu gestalten. 

Die wahrend des Krieges vom Parteivorstand betriebene Politik ist damit 
unvereinbar, weil sie die Bourgeoisie starkt, bei ibrer Macht- 
erweiterung stutzt, die Arbeiterklasse dagegen nocb mebr 
s p a 1 1 e t und in der Verfolgung des sozialistiscben Zieles bemmt 

Aufgabe der Opposition ist es, die arbeitende Klasse auf das alte 
Kampf f eld zuruckzufuhren und uberall die grundsatzliche Poli- 
tik der Sozialdemokratie zu fordern, 

Zur Erfullung dieser Aufgabe fordern wir die Parteigenossen auf, im 
Sinne vorstehender Vorscblage mit tatkraftigem Eifer zu wirken." 

Zum Schlusse der Konferenz sprachen Karl Kautsky und 
Kurt Eisner ixber die Friedensfrage. Ein von Kautsky vor- 
gelegtes Manifest sowie eine von Kurt Eisner begriindete Resolu- 
tion wurden einstimmig angenommen* Das Manifest lautete: 

„G e n o s s e n I 

Die Internationale fordert gemaiz der Kongreizbeschlusse von S t u 1 1 - 
g a r t , Kopenbagen und Basel die sozialistiscben Parteien auf, 
bei dem Ausbruch eines Krieges fur dessen schnelle Beendigung 
einzutreteiu 

Dementsprechend bat die Opposition in der deutscben Sozialdemo- 
kratie sicb stets dor Parole des Durcbbaltens bis zum Siege widersetzt 
und stets von der Regierung verlangt, dalz sie ibre Friedens- 
bereitscbaft bekennt Die Opposition bat ibre Friedenspropa- 
ganda nicbt erst mit dem Moment begonnen, wo eine solche von der 
Regierung gutgeheifzen wurde. 

Was die Opposition fordert, war nicbt die Bereitscbaft zum Frieden 
urn jeden Preis, aber aucb nicbt die blofze Bereitscbaft zu einem Frie- 
den an sich obne iede nabere Angabe seiner Bedingungen. Was sie for« 
dert,,war die Bereitscbaft zu einem Frieden, in dem es weder Sieger 
nocb Besiegte gibt, zu einem Frieden der Verstandigung obne Ver« 
gewaltigung. 

Die Opposition innerbalb der deutscben Sozialdemokratie betracbtet 
die Friedensbereitscbaft, die der Reicbskanzler am 12. Dezember v. J. 
kundgab, als Symptom aufkeimenden Friedenswunscbes in den regie- 
renden Kreisen. Sie kann aber die Art der Ankundigung dieser Bereit- 
scbaft nicbt als taugliches Mittel zur Erreicbung des Friedenszieles an- 
erkennen. 

Der Reicbskanzler proklamierte das Deutsche Reich als Sieger im 
Weltkriege. Und doch erschwert das Pocben auf erfocbtene Siege den 
Friedensschluiz ebensosehr, wie die Ankiindigung kommender Siege. 

127 



Femer unterlielz der Reichskanzler jede genaue Darlegung der 
Kriegsziele, Keine der beiden Machtegruppen hat blsher Kriegs- 
ziele erkennen lassen, die der andern Seite das Eingehen auf Verhand« 
lungen erleichterru Diese verhSngnisvolle Unterlassung 1st eine Folge 
der Macht, welche die Kriegsparteien in den herrschenden Klassen noch 
besitzen. Der en Einflulz mufe gebrochen werden r ehe wir zum Frieden 
kommen kSnnen. Das ist nicht zu erreichen durch diploma tische Trans- 
aktionen hinter den Kulissen, sondern nur durch die Einwirkungder 
V oiks mass en auf ihre Regierungen. Nur aus diesem po- 
litischen Kampf, nicht aus dem Burgfrieden kann die wirkliche Friedens- 
bereitschaft hervorgehen. Sie erheischt die Aufhebung des Kriegszu- 
standes, erheischt die Freiheit der Presse und der Versammlungen. 

Aber auch nur als internationaler Kampf ist das Ringen urn 
den Frieden zu gewinnen. Es darf nicht einseitig bleiben. Mehr als je 
bediirfen wir in der neuen Situation, die durch das Friedensangebot des 
Reichskanzlers und die Intervention Wilsons geschaffen worden ist 7 des 
internationalen Zus am menhanges der.Parteien des 
proletarischen Sozialismus, der beruf enen Vorkampfer des 
Friedens. Mag die Kundgebung dieses Zusammenhanges heute durch aufzere 
Gewalten oder durch die Haltung mancher Mehrheiten noch gehemmt 
werden, um so notwendiger ist es r dafz diejenigen, die den internationalen 
Zusammenhang geistig nie aufgegeben haben und bisher schon — wie 
es auch in Zimmerwald und Kienthal geschah — jede Gelegenheit be- 
nutzten, ihn zu betonen, ihre innere Uebereinstimmung auf das unzwei- 
deutigste bekunden. ' 

Wir halten dafur, dalz in alien kriegfuhrenden Landern fur die so- 
zialistischen Parteien die Zeit gekommen ist, von ihren 
Regierungen eindringlich die genaue Mitteilung der Ziele zu fordern, fur 
die sie den Krieg fuhren; zu fordenv dalz diese Ziele derart sind, dafz 
sie fur keines der betreffenden VSlker eine Demiitigung oder eine 
Schadigung ihrer Existenzbedingungen bedeuten, dalz die Sozialisten 
iiberall den Kampf gegen alle Parteien aufnehmen, die den Krieg uber 
diese Ziele hinaus fortsetzen wolleru 

Als demokratische und internationale Partei steht die Sozialdemkratie 
auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechts der Volker. Aber die Op- 
position innerhalb der deutschen Sozialdemokratie hat zukeiner der 
biirgerlichen Regierungen geniigendes Vertrauen, um 
einer von ihnen die Mission der Befreiung der NationalitSten durch den 
Krieg zuzuerkennen. Diese Aufgabe allseitig zu losen, kann nur das 
W e r k des siegreichen Proletariats sein. 

Doch stehen wir der Freiheit und Selbstbestirnmung der Nationen in 
der burgerlidhen Gesellsdhalt kelneswegs gleichgultisr gegeniiber. Wir 
mussen uns entschieden dagegen wehren, dafz der Zustand, wie er vor 
dem Kriege bestand r durch diesen noch verschlechtert wird. Wir leh« 
nen jede Gebietsver&nderung a b , die nicht die Zustimmung 
der betreffenden Bevolkerung hat. Was die Internationale vor allem 
gem&fz den Beschlussen ihrer Kongresse zu fordern hat r sind internatio- 
nale Abkommen uber die Entscheidung aller Konflikte zwischeh. den 
Staaten durch Schiedsgerichte und \iber eine allseitige E i n - 
schrankungderKriegsrustungen. 

Im Wettrusten liegt eine der st&rksten Wurzeln des jetzigen Krieges. 
Sie auszurotten, ist die erste Vorbedingung dafur, kimftigen Kriegen vor- 
zubeugen. Hier ist die Moglichkeit vorhahden, iiber den Status quo vor 
dem Kriege hinauszugehen, einen Fortschritt zu erzielen fur alle, ohne 
Benachteiligung irgendeines der kriegfuhrenden Teile. Hier wird in bes- 
serer Form an materiellen Vorteilen das gegeben, was man vergeblich 



128 



durch Kriegsentsch&digungen zu erreicKen sucht: jede Miliiarde im Jahrey 
die durch eine Verrninderung der Rtistungskosten erspart wird, ent~ 
spriclit der Verzinsung einer Kriegsentschadigung von 20 Milliarden. 

Mit dem Abkommen \iber Abriistung und Schiedsgerichte wird auch das 
Maximum an materiellen Garantien gegen kiinftige UeberfSlle gegeben, 
das in der kapitalislischen Gesellschaft durch bestimmte Friedens- 
bedingungen iiberhaupt erreichbar ist. 

Den sichersten Schutzwall des Friedens bildet freilich nur ein p o 1 i * 
tisch machtvolles, geistigi selbst&ncfci ges Proleta- 
riat, bildet dessen intensivste Teilnahme an der auizeren Politik, die im 
vollsten Lichte der Oeffentlichkeit zu fuhren ist. 

Macht und Selbstandigkeit des Proletariats, Of f en* 
heit und Klarheit in der Politik, Binheit im Innern, internationale Soli- 
daritat nach aulzen bringen den Frieden, sichem den Frieden/' 

Es ist, geschichtlich gesehen, besonders bemericenswert, dalz Karl 
Kautsky damals noch die einmutige Zustimmung der ganzen Kon- 
ferenz fand. Auch die Spartakusanhanger erklarten sich riickhaltlos 
mit seinen Anschauungen einverstanden. Erst einige Zeit spater ist 
ihnen die Erleuchtung gekommen, dalz Kautsky eigentlich ein 
„KonterrevolutionaV', ein „verkappter Bourgeois" sei, urn ihre 
Terminologie zu gebrauchen. 

Die Besprechung der Opposition gab den Instanzenmehrheiten die 
gewunschte Gelegenheit, die Z e r r e i fz u ng der Parted durch- 
zufuhren. Zwar boten die Beschliisse der Konferenz keinen eigent- 
lichen Anlaiz dazu, aber schon die Tatsache, dalz die Opposition 
sich gegen die Gewaltstreiche des Parteivorstandes iiberhaupt zur 
Wehr zu setzen wagte, mufzte dazu herhalten, urn die Spaltung der 
Partei durchzufuhren. In der sozialpatriotischen Presse wurden 
dem Parteivorstand die Stichworte dazu geliefert Es wurde von ihm 
verlangt, dafz er die Teilnehmer an der Konferenz als der Partei- 
zugehorigkeit verlustig erklaren solle. Dazwischen fiel die Ablehnung 
des deutschen Friedensangebots durch die Entente, was die Mehrheit 
veranlalzte, sich von neuem an den Burgfrieden der Bourgeoisie m 
ketten. 

Am 16. Januar trat der Part eiauss chulz im Reichstags- 
gebaude zu einer Sitzung zusammen. Sie war dazu bestimmt, mit der 
Opposition abzurechnen. E b e r t hielt wieder eine seiner bekannten 
Reden; e** behauptete, dalz die Opposition den Bruch mit der Gesamt- 
partei bereits voHzogen habe, jetzt seien nur die Folgerungen daraus 
zu ziehen. Auf Antxag von Sindermann (Dresden) und Lobe 
(Breslau) wurde mit 29 gegen 10 Stimmen eine Resolution an- 
genommen, in der es hielz: 

„Jetzt haben die Leiter der Arbeitsgemeinschaft ihr parteizerstorendes 
Werk gekront durch die Einberufung einer Reichskonferenz der 
Opposition. Ihr Vorgeben, sie wirkten fur die Einheit der Partei 
und im Rahmen der Partei, ist damit in seiner ganzen Unehrlichkeit 
enthullt. Sie haben sich als Parteileitung aufgetan und zum 7. Januar d. J. 
Parteiorganisationen und Sonderorganisationen nach Berlin zusammen- 
berufen. 

Das ist die Grundung einer Sonderorganisation gegen die 
Partei, und die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wie ihre Anh&nger 
haben sich numehr auch von der Partei selbst getrennt Die 

• 129 



Schaffung dieser Sonderorganisation und die Zugehorigkeit zu ihr ist un- 
vereinbar mit der Mitgliedschaft in der Gesamtpartei. Daher ist es nun 
Aufgabe aller treu zur Partei stehenden Organisationen, dem unehrlichen 
Doppelspiel aller Parteizerstorer ein Ende zu machen und die durch die 
Absplitterung der Sonderorganisationen erforderlichen organisato- 
rischen Malznahmen zu ergreifen. 

Die Einheit und Geschlossenheit der Partei zu festigen, damit sie den 
gewaltigen Aufgaben gewachsen ist, die sie noch wahrend des schreck- 
lichen Weltkrieges und nach seiner Beendigung zum Wohle der Arbeiter- 
klasse und der weitesten Volkskreise im Geiste sozialistischer Welt- 
anschauung zu erftillen hat, ist Aufgabe aller Parteigenossen." 

Das war das Losungswort fur den Hinauswurf der Opposi- 
tion aus der Partei, flir die endgliltige Spaltung der Sozialden\o- 
kratie. Der Parteivorstand veroffentlichte im Anschlulz daran einen 
Aufruf, der den Inhalt der Resolution Lobe-Sindermann wiederholte 
und von den Organisationen veriangte, dafz sie die mifcliebigen 
Blemente ausschlielzen sollen. Robert Wengels und L u i s e 
Zietz, die zur Minderheit des Parteivorstandes gehorten, gaben 
dazu im „Vorwarts" folgende Erklarung ab: 

„Der heutige Aufruf des Parteivorstandes bedeutet einen entscheiden- 
den Schritt in der Geschichte der Partei. Die Einheit der Partei, 
fur die wir unser ganzes politisches Leben hindurch gekampft haben, 
wird zerrissen, wenn die vorgeschlagenen Mafznahmen zur Ausfuh- 
rung gelangen. In dieser Situation fiihlen wir uns in Abweichung von 
unserer Gepflogenheit verpflichtet, auszusprechen, dafz wir die Ver- 
antwortung fur diesen Schritt ablehne n." 

Die Opposition veroffentlichte eine Erklarung, in der die entschei- 
denden Stellen lauteten: 

,J)er Opposition ist ihre Aufgabe vorgezeichnet durch unser gutes 
Recht und das Gesamtinteresse der Arbeiterbewegung. 
Mit den gemalzregelten Parteiorganisationen und Parteigenossen werden 
sich alle unsere den gleichen Anschauungen huldigenden Freunde soli- 
darisch erklaren. Wie die oppositionell gerichteten Parteiorganisationen 
und Parteigenossen spater ihre Rechte zu wahren und die Vertretung 
unserer Anschauungen im offentlichen Leben sicherzustellen haben, mulz 
kimftigen Entschliefzungen vorbehalten bleiben. Jetzt ist kein Tag 
zu verlieren! Deshalb, Parteigenossen, schliefzt euch zusammen zur 
Wahrung unserer Rechte in den Parteiorganisationen! 

Der Kampf, den wir in der Partei durchzufechten haben, ist nur die 
Folgeerscheinung des grofzen grundsatzlichen Widerstreits zweier Welt- 
anschauungen. Der Vorstand und seine Anhanger haben sich durch- 
gemausert zu nationalsozialen Anschauungen und sind so zu einer G e - 
folgschaft der Regierung und der imperialist schen 
burgerlichen Parteien geworden. Wir blieben und bleiben 
auch wahrend des Weltkrieges: Vorkampfer fur den Weltfrie- 
den und die Befreiung des Prole t a r i a t s !" 

Die Losungen der Instanzenmehrheiten wurden im Reioh bald 
zur Ausifiihrung gebracht. Wo sich in den Organisationen die 
Opposition in der Minderheit befand, wurde sie einfach fiir „aulzer- 
halb der Partei stehend" erklart Wo sich die Mehrheiten der 
Organisationen fiir die Opposition erklarten, wurden sie vom Partei- 
vorstand und von den einzelnen LandesvorstSnden auf die Aechtungs- 

130 



liste gesetzt In Berlin, in Leipzig, in Bremen, in Braunschweig, in 
einer grofzen Anzahl anderer Orte wurden neue Organisationen 
gegrtindet 

Die Zerreifeung war mit den Beschlirssen der Instanzenmehrheiten 
vollbracht; die Binheit der Sozialdemokratischen Partei, dieses stolze 
Werk der deutschen Arbeiterklasse und des internationalen Proleta- 
riats, war dahin. Wollte nun die Opposition nicht auf jede politische 
Betatigung verzichten, so mulzte sie sich einen eigenen Parteikorper 
schaffen. Das war die UnabhMngige Sozialdemokra- 
tische Partei Deutschlands. 



9* 131 



Die Grundung der Unabhangigen Sozial- 
demokraiischen Parki Deutschlands. 

Die Spaltungsarbeit wird fortgesetzt. — Zwei Nachwahlen in Berlin. — 
Ablehnung des deutschen Friedensvorschlags. — Verscharfter U~Boot~ 
Krieg. — Die Vereinigten Staaten von Amerika werden in den Kriegs~ 
strudel gerissen. ^— Neue Steuern und vermehrtes Elend. — Die 
M&rzrevolution in Rufziand. — Das Aktionsprogramm der Sozialdemo^ 
kratischen Arbeitsgemeinschaft. — Der Griindungsparteitag der 

U. S. P. D. i 

Der weitere Ablauf der Spaltungstragodie der deutschen Sozial- 
demokratie war durch nichts mehr aufzuhalten. Bureaukratische 
Engherzigkeit und beschrankter Organisationsfanatismus, der in 
blinder Verkennung der Verhaltnisse den Kadavergehorsam des 
preulzischen Militarismus auf die Parte! verpflanzen wollte, hat die 
politische Binheit der deutschen Anbeiiterklasse zerschlagen. In 
einigen Bezirken bemiihte man sich noch urn eine Vermittlung 
zwischen den beiden Richtungen; so in Thuringen, wo noeh langere 
Zeit die Vorstandsanhanger mit den Genossen von der Opposition 
zusammenarbeiteten, oder in Nordbayern, wo Adolf Braun die 
GegensStze zu uberbrucken suchte. Aber die Instanzenmehrheiten 
liefzen sich von der rucksichtslosen Ausniitzung der ihnen mit dem 
Parteiapparat in die Hande gegebenen Macht nicht mehr zuriick« 
halten. 

Es ist nicht moglich, in alien Einzelheiten die damaligen Vor« 
gange wiederzugeben; es gentigt zu sagen, dalz die Parteiinstanzen 
kein Mittel unversucht lielzen, um die oppositionellen Genossen aus 
ihren Parteistellungen zu drangen, die Upposition ihrer Organe zu 
berauben und alle Parteimitglieder, die ihre Auffassungen liber die 
Kriegspolitik nicht teilten, der Parteirechte flir verlustig zu erklSren. 
Der Bruderkampf wurde so heftig gefuhrt, wie es in der Geschichte 
der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung wohl kaum ein 
zweites Mai erhort ist. Die Mehrheit des Parteivorstandes erklarte, 
dalz sie mit den Genossen W e n g e 1 s und Luise Zietz nicht 
langer zusammenarbeiten wollte. Den Anlalz dazu suchten sie in 
ihrer von der Mehrheit abweichenden Auffassung iiber den „Vor~ 
w8rts"raub und aufzerdein behauptete sie, dalz die beiden Genossen, 
weil sie auf dem Boden der Arbeitsgemeinschaft standen, Organi- 
sationen angehorten, die der sozialdemokratischen Partei nicht an- 
geschlossen seien. Als Antwort darauf veroffentlichten die Genossen 
Wengels und Luise Zietz eine Erklarung, worin sie fest$tellten r dafe 

132 



ihr Ami auf dem Willen des Parteitages berime und dafz es ihnen 
von niemand anderem als dem Partedtag wieder entzogen warden 
konne. Es ware ein Gewissensziwang schlimmster Art gewesen, wenn 
sie sich der Unterdruckung der Meinungsfreiheit und Ueberzeu- 
gomgstreue beim „Vorwarts raube angeschlossen hatten. Bis zum 
letzten Augenblick hatten sie fur die Binheit der Partei und fur die 
Geschlossenheit der Gewerkschaften gewirkt und sich dabei von den 
alten Parteigrundsatzen leiten lassen. „Dalz die Partei zerrissen und 
die Arbeiterbewegung in ein durchaus anderes Fahrwasser gelenkt 
wird, konnen war nicht stillschweigend mil ansehen. Gegen diese 
verderbliche Politik nach wie vor mit unserer ganzen Kraft anzu- 
kampfen, halten wir fur unsere Pflicht." So schlofz die Erklarung. 

Am 19. Januar kam es zum offenen Bruch in der sozialdemokrati- 
schen Fraktion des Preulzischen Landtages. Den 
Anlalz dazu gab die Rede des Abgeordneten Hirsch zum Etat. 
Hirsch hatte zuerst Sympathien fur die Opposition gezeigt, aber seine 
Haltung wurde immer schwankender und zweideutiger und schlieiz- 
lich ging er ganz in das Lager der Mehrheit iiber. Seine Rede war 
geradezu ein Hohn auf jedes proletarische und sozialdemokratische 
Empfinden. Im Namen der Abgeordneten Adolf und Paul Hoffmann, 
Hofer und Strobe! protestierte danach Adolf Hoffmann gegen ihren 
Inhalt Es war nicht moglich, ausfuhrlich darauf zu antworten, da 
nach der alten, ubelbewHhrten Methode des preulzischen Junker- 
parlaments die Debatte hinter Hirsch abgeschndtten wurde. Die 
eine HMlfte der Fraktion, funf Mann, die hinter der Instanzenpolitik 
stand, niitzte die Gelegenheit, die ihnen die Entziehung des Man- 
dats zum Fall Liebknecht durch das krieffsgerichtliche Urtedl gab, 
dazu aus, um die anderen vier Genossen kurzerhand aus der Frak- 
tion auszuschlielzen. Diesen blieb jetzt nichts anderes iibrig, als eine 
besondere Fraktion zu bilden. Aehnliche VorgSnge spielten sich 
in den Parlamenten Sachsens und Wiirttembergs ab. 

Die Opposition mufete nunmehr zu A b w ehrmafenahmen 
greifen. Am 9. Februar 1917 wurde folgender A u f r u f ver5ffent- 
licht: 

^arteigenossen! 

Die Stunde der Entscheidung ist fur uns alle gekommenl 

Seit Kriegsbeginn sind Parteivorstand und Fraktionsmehrheit in eine 

antisozialistische Politik hineingeraten, die, stetig sich verschlimmernd, 

die offizielle Sozialdemokratie zu einer nationalsozialen Regie* 

rungspartei gemacht hat. 

Diese Neuorientierung begann mit der Zustimmung zu den Kriegs- 
krediten; sie steigerte sich zur Bewilligung- des Budgets. So trieb die Mehr« 
heit der Reichstagsfraktion durch die burgfriedliche Verbriiderung mit 
den btirgerlichen Parteien in die Unterstutzung imperialistic 
" scher Kriegsziele hinein. Durch beharrliche Ablehnung der 
Minderheitsforderung, daiz die Regierung zur Proklamierung eines 
annexionslosen Friedensangebots gedrangt werden solle, wirkte die 
Fraktionsmehrheit kriegsverlangernd, nicht aber, wie sie jetzt 
vorgibt, friedensfSrdernd. Den steigenden Einflulz der Opposition suchte 
die Fraktionsmehrheit, als die Minderheit das Recht der selbst&ndigen 

183 



Meinungsaulzerung fur sich in Anspruch nahm, dadurch zu brechen, 
daiz sie ihr widerrechtlich nnd den rarieitagsbeschltzssen entgegen, die 
Fraktionsrechte entzog. Sie notigte dadurch die Minderheit, 
sich nunmehr als selbstandige Fraktion zu konstituieren. Der tief- 
gehende sachliche Gegensatz zwischen den beiden Fraktionen trat dann 
fortgesetzt im Reichstag in der Behandlung aller politischen Fragen 
zutage — zuletzt noch bei dem Hilfsdienstgesetz, das von der „Fraktion" 
angenommen, von der Arbeitsgemeinschaft abgelehnt wurde. 

Gleichzeitig hatte der Parteivorstand den Kampf gegen die oppo- 
sitionelle Press e durch Absetzung von Redakteuren und durch 
Besitzergreifung von Zeitungen begonnen. Diese Politik der Gewalt* 
tatigkeiten gipfelte in der Ausnutzung des Belagerungszustandes zum 
Raube des „Vorw&rts'\ 

Auch in der BekampfungoppositionellerOrganisatio- 
nen schritt der Parteivorstand von Rechtsbruch zu Rechtsbruch. An 
verschiedenen Orten veranlalzte er die Griindung von Sonderorga- 
nisationenl Das Signal zu allgemeiner Parteispaltung lielz er sich 
dann am 18. Januar d. J. durch ein Gutachten des Parteiausschusses 
geben, das er am 22. Januar zu einer eigenen Kundgebung verwertete. 
Er drohte darin, diejenigen Parteigenossen, die sich zu oppositionellen 
Anschauungen bekannt haben, aus den von ihm selbst beherrschten Or« 
ganisationen auszustolzen und zur Bek&mpfung der oppositionellen 
Organisationen iiberall durch seine Handlanger Gegenorganisatio- 
nen grunden zu lassen. 

Dieser Drohung sind jetzt die Taten gefolgt. 

Im Kreise Potsdam-Osthavelland wurde am 28. Januar auf 
Anstiften des Parteivorstandes gegen die rechtmafzige Wahlkreisorgani- 
sation ein Gegenverein gegriindet. Diese Sonderorganisation tat dann 
gleich einen weiteren Schritt auf der Bahn der Parteizerriittung, indem 
sie fur die bevorstehende Reichstagsersatzwahl ihren Vorsitzenden als 
Gegenkandidaten gegen den rechtmalzig aufg-estellten oppositionellen 
Kandidaten aufstelltef Das geschah, um mit Hilfe der burgerlichen Par** 
teien ein Mandat an sich zu reilzen, das dem Genossen Liebknecht durch 
ein Zuchthausurteil entrissen wurde. — In Berlin wurde die Grundung 
von Gegenorganisationen gegen die rechtmalzigen Wahlvereine durch 
einen offenbar abgekarteten Briefwechsel zwischen dem Vorsitzenden des 
JCtfskutierklubs Vorw&rts" und dem Parteivorsitzenden Ebert eingeleitet 
Ebert gab in seiner Antwort eine ausfuhrliche Anleitung zur Partei- 
spaltung in Berlin. Sie wurde bereits in mehreren Wahlkreisen 
befolgt. Das Vorbild des Parteivorstandes wurde auch bereits von den 
Leitern der Landesorganisation in Sachsen sowie der Bezirksorgani- 
sation in Dresden und Zwickau nachgeahmt Die ganze Bezirks- 
organisation Leipzig sowie die Vertreter mehrerer Wahlkreisorgani- 
sationen wurden durch Mehrheitsbeschlulz kurzerhand der Rechte be** 
raubt, die ihnen von den organisierten Genossen ubertragen waren! 

So vollzieht sich jetzt die Parteispaltung, weil ein 
Dutzend zur Besorgung zentraler Parteigeschafte angestellter Parted 
beamten wider alles Parteirecht sich anmafzen, nach eigenem Gutdiinken 
den Ausschlufe einzelner Parteigenossen und ganzer Organisationen aus 
der Partei zu dekretieren. 

Alle diese Uebergriffe sind nach dem Parteirecht zwar null 
und nichtig, die Machtmittel, die der Parteivorstand als zentrale 
VerwaltungsbehSrde in Handen hat, und die Unterstutzung seitens einer 
grorzen Zahl von Genossen in leitender Stellung ermoglichen es ihm 
jedoch, im Rahmen der von ihm beherrschten Organisationen unsern 



134 



Freunden uierall die Parteitaligkeit immoglich zu machen. Gegenuber 
der planmafzigen Schaffung von Sonderorganisationen durch den Partei- 
vorstand geniigt nicht mehr ein Protest I 

Es miissen sich nunmehr auch die oppositionellen Genosn 
sen u b e r a 1 1 zusammenschlielzen. Denn was den Genossen 
in Potsdam, in Berlin, in Sachen usw. angetan wird, ist ein Schlag, der 
uns alle trifft. Wiirde die Opposition nicht tatkraftig vorgehen, so 
hatte der Parteivorstand gewonnenes Spiel. Er wiirde die State einzeln 
zerbrechen, gegen die er ohnmachtig bleibt, wenn sie festverbunden ihm 
Widerstand leisten. Solidaritatspflicht ist es jetzt fixr alle grundsatz* 
treuen Genossen, sich organisatorisch zu vereinen zu gemeinsamer Ar« 
beit fin* die Gesundung der sozialdemokratischen Be- 
wegung, fur die Durchfuhrung des sozialdemokratischen Programms 
sowie der Beschlusse der Parteitage und der internationalen Sozialisten* 
kongressel 

Im Einverstandnis mit einer grolzen Anzahl von Genossen aus alien 
Teilen Deutschlands richten wir deshalb an alle Organisationen und Par* 
teigenossen, die gewiilt sind, mit der Fraktion der Sozialdemokratischen 
Arbeitsgemeinschaft zusammenzuwirken, die Aufforderung, sich an einer 
Oppositionskonferenz zu beteiligen, in der die erf orderlichen 
Malznahmen zum Zusammenschlulz der Opposition zu treffen sind! 

Zu dem Zweck bitten wir diejenigen Wahlkreisorganisationen, die sich 
bereits auf den Boden der Opposition gestellt haben oder die einen 
solchen Beschluiz noch fassen werden, sich unverziiglich bei der unter- 
zeichneten Adresse anzumelden. In Wahlkreisen, in denen nach der An- 
stachelung des Parteivorstandes die oppositionellen Parteigenossen durch 
Wahlkreisbeschluiz ihrer Parteirechte beraubt werden, erwarten wir, dafz 
sie sofort eine eigene Organisation griinden und uns hiervon sowie 
von ihrem Anschlulz an unsere Bewegung gleichfalls in Kenntnis setzen. 

Nahere Mitteilungen ixber den Zusammentritt der Konferenz werden 
demnachst erfolgen, doch bitten wir, die organisatorischen Vorarbeitea 
dafiir bis Mitte Marz zu beendenr 

Und nun frisch ans WerkI Kein Tag ist zu verlieren! 
Mit sozialdemokratischem Parteigrulz 

L A.: Der Vorstand der Soz. Arbeitsgemeinschaft 
des Reichstags. 
Haase. Ledebour. Vogther r." 

Von den Mitgliedern der Opposition wurde sofort in diesem Sinne 
die Arbeit aufgenommen. Xm 11. Februar tagte eine General- 
versarwnlung des Verbandes der Wahlvereine Grofz-Berlin. 
Hugo Haase zeigte dort, wie der Parteivorstand Gewalttat auf Ge- 
walttat haufte, so skandaloser Art, wie sie in der Geschichte der 
Parteien, wie im politischen Leben bisher nicht erhort gewesen 
seien. Was demgegenuber von oppositioneller Seite an Abwehr- 
malznahmen geschah, sei schon dadurch allein vollkommen gerecht- 
fertigt Das gelte auch fur die Oppositionskonferenz, da sie inner- 
halb des Rahmens der Partei sich ihre Agitations- und Aufklarungs- 
arbeit gesteckt hStte, mit dem Ziel, den Kampf der Geister auf dem 
Parteitage auszutragen. Jetzt gSbe es keine andere Wahl mehr, als 
den engen Zusammenschlufe aller oppositionellen Elemente gegen 
Nationalismus und Imperialismus fur Sozialismus und Demokratie. 
Ohne Diskussion nahm die Versammlung einstimmig folgende Re- 
solution an: 



r7 Bie Verbands^Generalversammlung von Grolz^Berlin erklart die 
Griindung von Gegenorganisationen gegen die rechtmafzigen Wahlkreis** 
organisationen als Malznahmen, "die die organisatorische Besiegelung der 
antisozialistischen und imperialistischen Politik des Vorstandes und der 
Fraktion darstellen und die Zertrtimmerungstatigkeit des Parteivorstandes 
krSnen. Durch dieses Vorgehen hat sich der Parteivorstand und seine 
Gefolgschaft in gleiche Kampfesfront gestellt, in der die Gegner des 
Sozialismus und der Demokratie stehen. 

Aus diesen Griinden erklart sich die Verbands^Generalversammlung 
einverstanden mit der im Aufrufe des Vorstandes der Sozialdemokrati* 
schen Arbeitsgemeinschaft vom 8. Februar d. J. enthaltenen Aufforderung 
zu einem organ isatori schen Zusammenschlufz aller 
vom Parteivorstand v erge w altig t en Or g anisa tionen 
und Genossen und beauftragt die Verbandsleitung, die notwendigen 
Schritte zu tun, damit die Berliner Wahlkreisorganisationen dieser Auf« 
forderung nach jeder Richtung hin entsprechen. 

Ueber die organisatorische Form des Zusammenschlusses der Oppo- 
sition und die Art der einheitlich^politischen Tatigkeit hat die aus Ver- 
tretern aller vom Parteivorstand entrechteten Kreise bestehende Kon« 
ferenz nach den Grundsatzen der Demokratie zu entscheiden." 

Aehnliche Beschlusse wurden in einer garden Reihe von Organi- 
sationen im Reiche gefalzt, so in Leipzig, in Braunschweig, in Bre« 
men, in Halle, urn einige von den wichtigsten Punkten der Opposition 
zu nennen. 

Die Instarizenmehrheiten begniigten sich aber nicht damit, die 
Organisationen zu zerreilzen und die Partei zu spalten, sie trugen 
den Bruderkampf auch auf offenem Markte aus. Durch das Urteil 
des Kriegsgerichts waren Karl Liebknecht das Mandat fur 
den Landtag im elften Berliner Wahlkreis und das Mandat fur den 
Reichstag in Potsdam-Osthavelland aberkannt worden. Ange- 
sichts der schmachvollen Behandlung, die Liebknecht erduldet hatte, 
angesichts der Tatsache, das durch J is Urteil eines solchen Gerichts 
die Neuwahlen herbeigefuhrt worden waren, hatte es fur die Instanzen 
zum mindesten ein Gebot des einfaohsten politischen Anstandes sein 
mussen, die freteewordenen Sitze so besetzen zu lassen, wie es den 
Anschauungen Liebknechts entsprach. Aber was politischer An- 
stand, was proletarisches Rechtsgefiihl: die Mehrheit ging dariiber 
mit einem Lacheln hinweg und stellte dem Kandidaten der Oppo- 
sition Franz Mehring in beiden Kreisen, besondere Kandidaten 
ihrer Richtung entgegeru 

Bei der Landtagswahl gKickte dieses frivole Spiel nicht Von 
268 Wahlmannsstimmen, die von den Urwahlem neu zu behennen 
waren, Helen 218 der Opposition zu. Der rechteFlugel hatte gefade 
sechs seiner Wahlmanner durchgebracht. Dieses Ereignis wurde ohne 
Schlepparbeit, fiir die die Krafte fehlten, erreicht Aus eigenem An- 
triebe batten die Arbeiterwahler in diesem proletarischen Viertel 
Berlins ihre Stimme fiir Liebknecht abgegeben und damit offentlich 
gegen die Kriegspolitik der Regierung und der Fraktionsmehrheit 
protestiert. Die Anhanger des Parteivorstandes dagegen hatten sich 
mit den Fortschrittlern verbunden und glaubten mit burgerlicher 
Hilfe uber die Arbeiter triumphieren zu k5nnen* Die Fortschrittler 
sollten in der dritten und zweiten Abteilung fiir ihre WahlmSnner 

m 



stimmen; als Gegenleistung dafiir veroffentlichte das „Sozialdemo~ 
kratische Wahlkomitee I. A. Pattloch" in der „Berliner Volkszeitung" 
am Abend vor der Wahl einen Aufruf, worin unter Bezugnahme auf 
„die Wahlparole der fortschrittlichen Volkspartei alle sozialdemokra- 
tischen WShler der ersten Abteilung ersucht werden, geschlossen die 
Wahlmanner der fortschrittlichen Volkspartei zu wahlen". Es war be- 
greiflich, daiz der „Vorwarts" sich htitete, die genauen Abstimmungs- 
ziffern, die ein Volksurteil liber seine Richtung enthielt, den Lesern 
mitzuteilen. . 

Nicht anders trieben es die Vorstandsanhanger bei der R e i c h s - 
t a g s w a h 1 in Potsdam-Osthavelland. Es geniigt, den Aufruf des 
liberalen Wahlvereins Potsdam wiederzugeben, den er kurz vor der 
Wahl veroffentlich: 

„Der nationalliberale Verein Potsdam hat im Verein mit den ubrigen 
burgerlichen Parteien beschlossen, bei der Reichstagswahl am 14. Marz 
den Burgfrieden zu wahren. Es wird also kein biirgerlicher 
Bewerber aufgestellt. Nur zwei sozialistische Bewerber stehen sich 
gegeniiber, namlich der Gewerkschaftsbeamte Stahl, der ais Vertreter 
der sozialdemokratischen Partei Scheidemannscher Richtung das Vater~ 
land in der Stunde der Not nicht verlassen wird, und der Schriftsteller 
Mehringr der als Vertreter der ra<Jikalen Liebknechtschen Richtung 
durch die Verweigerung der Kriegskredite und Stellungnahme gegen den 
U~Boot~Krieg die erfolgreiche Durchfuhrung des Krieges gefahrdet Die 
Wahl Mehrings wurde den Eindruck hervorrufen, als ob das deutsche 
Volk kleinmiitig und verzagt gewesen ware. Deshalb ist es die 
vaterlandische Pflicht jedes Reichstagswahlers, die Wahl 
Mehrings unter allen.Umstanden zu verhindem. Keiner 
bleibe der Wahlurne fern." 

Auch die fortschrittliche Volkspartei hatte ihre Anhanger ermahnt, 
fur Stahl und gegen Mehring zu stimmen, und seihst der Reichsver- 
band zur , Bekampfung der Sozialdemokratie reihte sdch in diese 
Phalanx ein. So war es erklMrlich, daiz der Vertreter der Opposition 
ins Hintertreffen geriet und die Wahl mit einem Siege des Vor- 
standskandidatens endete. Mehring erhielt rund 5000, Stahl etwa 
15 000 Stimmen. Auf diesen Ausgang der Wahl konnte aber die 
Opposition, wenn er sie auch nicht zufriedenstellte, doch mit grolze- 
rem Stolze zuriickblicken, als die Anhanger der sozialdemokratischen 
Kriegspolitik. 

Inzwischen war der Kriegswagen un;aufhaltsam weitergerollt. Das 
F r i e d e n s a n g e b o t der deutschen Regierung hatte, wie nicht 
anders zu erwarten war, eine glatte Ablehnung erfahren. Die 
Alliierten erklarten, daiz auch sie den Krieg zu beendigen wixnsch- 
ten; bevor aber nicht der Kriegswille Deutschlands beseitigt und 
seine Eroberungsabsichten zuriickgezogen seien, konne an die An- 
bahnung von Friedensverhandlungen nicht gedacht werden. Wilhelm 
veroffentlichte einen Aufruf, worin er an die „glorreichen Siege und 
die eherne Willenskraft" des deutschen Volkes erinnerte, die dafiir 
biirgten, daiz es auch fiirderhin nichts zu furchten habe. Der Gott, 
„der diesen herrlichen Geist der Freiheit in unseres tapferen Volkes 
Herz gepflanzt hat", werde ihm den vollen Sieg iiber alle Feinde 
geben. Anderthalb Jahre spater hat sich freilich gezeigt, daiz auch 

137 



dieses Mai, urn mit Wilhelms Vorfahren zu reden, Gott bei den star- 
keren Bataillonen, in unserem Falle also bei der Entente, war. Damals 
aber glaubte die Regierung noch an solchen Sieg oder sie tat wenig- 
stens so. Aus spateren Veroffentlichungen hat man erfahren, dalz 
schon zu dieser Zeit die einsichtigeren Elemente des Btirgertums 
von der unabwendbaren Niederlage Deutschlands liberzeugt waren. 
Auf dem rechten Fliigel der Sozialdemokratie wollte man aber von 
solcher Einsicht nichts wissen. Er stimmte in den Chorus mit ein, 
der das Verdammungsurteil iiber die Feinde Deutschlands aussprach. 
Die Opposition dage^en erkannte, dalz ohne sofortige Bekannt- 
gaben der deutschen Kriegsziele die Anbahnung des Fnedens nicht 
moglich sei und dalz an der Verlangerung des Krieges die Regie- 
rungen der Mittelmachte zum minde&ten dieselbe Schuld trugen, 
wie die Regierungen der Alliierten. 

Eine neue Hoffnung am Friedenshimmel tauchte auf, als Wilson 
am 22. Januar eine Botschaft in der Friedensfrage veroffent- 
lichte. Es war vom burgerlichen Standpunkt aus ein ideales Pro- 
gramm, das in dieser Botschaft enthalten war, aber wir wissen, dalz 
starker als der Wilsonsche Idealismus die Intetessem des siegreichen 
Imperialismus waren. Dalz der Opposition der Sinn der amerikani- 
schen Botschaft damals schon ganz klar war, das geht aus den Aus- 
fuhrungen hervor, die die „ L e i p z i g e r V o 1 k s z e 1 1 u n g " dazu 
machte. Das Blatt fiihrte aus, es sei auch unsure Hoffnung, dalz sich 
die Entwicklung der Menschheit in der Richtung bewegen werde f 
die Wilsons Note vorzeichne: 

f7 Aber wir miilzten schlechte Marxisten sein, wenn wir vor den un« 

feheuren Schwierigkeiten die Augen verschliefzen wollten, die jedem 
leinsten Schritt auf dieser Bahn entgegenstehen in einer Staats~ und 
Gesellschaftsordnung, die soeben erst den Weltkrieg geboren hat und 
deren Trager ihn vorerst nicht zu beenden vermogen. Die Zukunft der 
Volker ist der ewige Friede und die internationale Organisation, die 
sich iiber den Staaten erhebt, sich auf ihnen aufbaut. Aber ob die 
Volker diesen Zustand erreichen konnen, ehe die kapitalistische Ordnung 
durch die sozialistische abgelost ist, ob sie auch nur wesentliche Schritte 
zu diesem Ziel zu tun vermSgen, solange nicht die offentliche Ge- 
meinwirtschaft an die Stelle der auf das Privateigen* 
turn, auf das Profitstreben gebauten Wirtschafts- 
weise getreten ist, das ist die Frage . . . Mit Worten, mit 
diplomatischen Noten ist der ewige Friede nicht zu schaffen. Dim wird 
ein granitner Unterbau gegeben werden nuissen, und ihn kann a 1 1 e i n 
die Arbeiterschaft STiinden, die heute in ihrer Zersplitterung fur 
diese Aufgabe nur wenig Kraft hat" 

Die deutsche Kriegsr^egierung gab die Antwort auf diese Friedens- 
botschaft durch die Erofinung des verscharften 
U-Boot-Kriegs. Die Militarists hatten schon langst dazu ge- 
drangt, aber es waren ihnen doch bis dahin einige Schwierigkeiten 
gemacht worden, die besonders aus der Erwagung heraus geboren 
waren, dafz Amerika sich sofort an die Seite der Alliierten stellen 
wurde, sobald Deutschland den U-Boot-nKrieg ohne die geringste Riick- 
sicht auf die Neutralen fiihren werde. Nach der Ablehnung des 
Friedensangebotes vom Dezember 1916 war es aber gelungen, die 
Zweifler aus den burgerlichen Parteien dafiir zu gewinnen, und die 

138 



tmentschlossene Haltung der sozialdemokratischen Reichstagslraktion 
trug nicht wenig dazu bei, dalz die Regierung Bethmann Hollweg sich 
zu diesem folgenschweren Schritte, der den Krieg endgiiltig zu 
Deutschlands Ungunsten entschieden hat, drangen liefz. Die Mehr- 
heitsfraktion und ihre Presse hatten ganz offen erklart, dalz unter 
den jetzigen Umstanden die scharfste Durchfuhrung des Krieges eine 
unbedingte Notwendigkeit sei. Die Mehrheitspartei aber glaubte die 
Verantwortung flir den verscharften \I~Boot~Krieg mit der Begrimdung 
ablehnen zu konnen, dafz Deutschland kein parlamentarisches System 
habe und dalz die Frage des U-Boot-Krieges eine Angelegenheit der 
Kriegfuhrung sei, in die der Laie nicht hineinzureden habe. Der 
„Vorwarts" insbesondere meinte, dalz die Fragen der Kriegsfuhrung 
nicht durch Diskussionen, in Versammlungen und in der Presse, 
sondern nur in einem engen Personenkreis entschieden werden konne. 
Damit gab das Blatt den alldeutschen Kriegstreibern das Stichwort, 
mit dem sie ihre Politik ungehemmt durch die Binwirkung einer 
scharfen Opposition fortfiihren konnten. Die unausbleibliche Folge 
des ungehemmten lI~Boot-J\rieges war der Eintritt Amerikas 
in den Krieg. 

Die erste Gelegenheii zu dieser Situation einige offene Worte zu 
sprechen, bot sich in der Reichstagssitzung vom 28. Fe- 
bruar. Scheidemann als Sprecher der sozialdemokratischen 
Fraktion wulzte aber nichts anderes zu tun, als seine alten Beteuerun- 
gen zu wiederholen, dalz die sozialdemokratische Partei die baldige 
Herbeifiihrung des Friedens wiinsche. Nachher aber erklMrte er, dalz 
das deutsche Volk jetzt alle seine Krafte anstrengen musse, urn den 
Kriegswillen der Gegner zu brechen. Erst Ledebour als Redner 
der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft mufete am nachst- 
folgenden Tage aussprechen, was flir einen Sozialisten in dieser 
Stunde Pflicht war. Er sagte, dalz die Moglichkeit eines baldigen 
Fried-ens nur dann gegeben sei, wenn die deutsche Regierung sich 
bereit erklare zu einem Frieden, der keine volksfrernden Gefciete 
annektiere. Wir miilzteri alles aufhieten, urn auch die auswartigen 
Sozialisten darin weiter zu treiben, dalz auch sie im Sinne der Volker- 
versohnung, der Volkerverstandigung wirkten. Der riicksichtslose 
U~Boot-Krieg miisse grundsatzlich beHrnpft werden. Erstaunlich aber 
sei der Mangel an Verantwortlichkeit, den die Parteien in dieser 
Frage zeigten. Nur die Rechte wolle die Konsequenzen auf sich 
nehmen, alle anderen Parteien aber beriefen sich auf die Oberste 
Heeresleitung. Was die Redner, die bisher fur den Frieden ge- 
sprochen hatten, wollten, sei nur ein Waffenstillstand. Wenn wir 
den anderen einen Vergewaltigungsfrieden aufnotigten, so wiirde sich 
der Krieg sehr bald wiederholen. Urn eine Wiederholung des Krie- 
ges zu verhindern, miisse die Entscheidung dariiber den Kabinetten 
aus den Handen genommen werden. Unsere Auf gab e sei, so lange 
der kapitalistische Imperialisms noch eine Macht sei, ihm entgegen- 
zutreten und die Vorarbeit fur den Weltbund der sozialistisch orga- 
nisierten Volker zu leisten. 

Der Friede war also in immer fernere Weiten geriickt. Dafur stieg 
die Not des arbeitenden Volkes immer hoher. Immer 
grSlzere Massen Helen der Verelendung anheim. Eine Reihe von 

139 



wichtigen Lebensbeekirfnissen war uberhaupt nicht mehr aufzu- 
treiben, andere konnten nur noch zu wahren Wucherpreisen er- 
standen werden. Die blasse Not wandelte durch die Quartiere des 
Proletariats, nur in den Kreisen derer, die nach immer weiterer Ver- 
lSngerung des Krieges schrien, hatte sich die Lebensweise nicht 
merklich geSndert. Dazu kam jetzt eine neue Bedrohung des Volfces 
durch die indirektenSteuern, die eine bis daher fiir unerreich- 
bar gehaltene Hohe erklimmen sollten. Die englische Bourgeoisie hatte 
sich immerhin dazu verstanden, einen Teil der Kriegskosten schon 
jetzt auf ihre Schultern zu nehmen und nicht alles auf die Karte 
eines glucklichen Kriegsausgangs zu setzen. Das deutsche Burger- 
turn dagegen, beschrankt, wie es von je war, glaubte auch jetzt noch 
am besten damit zu fahren, dafe es die Lasten des Krieges auf die 
besitzlose Bevolkerung abwalzte. I>er Mann der Bourgeoisie war 
Helfferich. Er legte dem Reichstag eine Reihe von Steuerplanen 
vor, die auch nicht das geringste von den Versprechungen enthielten, 
die dutzendweise dem Volke gemacht worden waren. Bisher waren 
die Kosten des Krieges durch Anleihen aufgebracht worden, die den 
kapitalistischen Kreisen eine gute Verzinsung versprachen; jetzt 
schuf man dazu noch indirekte Steuern, wie die Kohlenabgabe und 
die Verkehrssteuer, oder man griff zu Besitzsteuern, die entweder den 
Besitz uberhaupt nicht belasteten oder die eine leichte AbwMlzbar- 
keit ermoglichten. Die sozialdemokratische Partei hatte bisher alle 
indirekten Steuern abgelehnt. Auch von diesem Grundsatz ging die 
Mehrheitsfraktion jetzt ab. So wurde in der , 7 Magdeburger 
Volksstimme" erklart, man durfe sich jetzt nicht tauschen, 
dafe der gesamte Bedarf des Reiches auf dem wege der Vermdgens- 
und Einkommensteuer uberhaupt nicht mehr aufzubringen sei. Auch 
Wilhelm Kolb erklMrte im Karlsruher „Volksfreund", „dalz die 
ins Riesenhafte wachsenden Staatskosten ganz unmoglich nuf auf 
dem Wege der direkten Steuern aufgebracht werden k6nnten". 
^Also'V so folgerte er daraus, „mussen auch indirekte Steuern 
bewilligt werden". Die theoretische Begrundung fur diese Preisgata 
der alten Grundsatze in der Steuerfrage gab dann noch H e i n r i c h 
C u n o w im „Harmburger Echo", indem er erklgrte, die Sozialdemo- 
kratie diirfte sich bei dfeser Gelegenheit nicht ausschalten lassen, was 
soviel bedeutete, dafz die Sozialdemokratie das Helfferichsche Steuer- 
bukett schlucken sollte. 

In diese fast hoffnungslose Stimmung fiel wie ein Ruf der Eriosung 
die Nachricht von der Revolution in Rutland, von der Al> 
dankung des Zaren an die Vertreter des Burgertums. Die Erregung 
gegen das Zarenregiment war von Monat zu Monat gewachsen; sie 
beschrankte sich nicht auf die Kreise der Bourgeoisie und der In- 
telligenz, sondern sie hatte das ganze Volk erfalzt Nur so ist es 
zu erklaren, dalz die Urmwalzung sich ohne besondere Zusammen- 
stofze vollzog. In Deutschland wurde die russische Revolution mit 
allgemeiner Preude begriilzt. Im Burgertum glaubte man, daiz nun- 
mehr einer der starksten Gegner gefallen sei und dalz der Krieg 
mit urn so gr5fzerer Kraft gegen den Westen gefuhrt werden konne, 
wenn man den Arm gegen Osten frei bekomme. Die Monarchisten 
allerdings hatten einige Bedenken; denn iiber die augenblicklichen 
Differenzen hinweg verband sie mit dem Zarismus eine alte Freund- 

140 



schaft und Gefiihle inniger Sympathie. Das Proletariat allein er- 
kannte die weltgeschichtliche bedeutung der sich jetzt in Rulzland 
vollziehenden UmwHlzung. Wenn freilich Ebert eiligst ein Tele- 
gramm nach Petersburg schickte, urn die russische Revolution der 
Sympathie des deutschen Volkes zu versichern, so wufzte man, dafz 
dahinter der Wunsch der Regierung stand, durch einen Sonderfrieden 
mit Rutland giinstigere Bedingungen fur die Weiterifuhrung des 
Krieges mit der Entente zu erlangen. Mit dieser platonischen Liebes- 
erklarung hatte das klassenbewufzte Proletariat in Deutschland nichts 
zu schaffen. Wenn eine Zusammenarbeit mit der russischen Re- 
volution uberhaupt notwendig und moglich war, so konnte sie doch 
nur dem einen Zwecke dienen, ihr den burgerlichen Charakter zu 
nehmen und sie in eine proletarische Revolution umzugestalten. 

Aber gerade das wollten die deutschen Rechtssozialisten nicht. Der 
„Vorw&rts", der jetzt das Parteivorstandsorgan war, brachte unter 
der Ueberschrift „Zur Aufklarung nach Rulzland — Republik und 
Monarchie" einen Artikel, der an Behauptungen franzosisoher BlStter 
anknupfte, wonach der russische Genosse Tscheidse erklart habe, 
das russische Proletariat konne erst nach der Absetzung der Hohen- 
zollern mit Deutschland gehen. Der „Vorwarts" sagte dazu, dalz die 
F o r d e r u n'g nach der deutschen Republik nur von 
den Deutschen selbst, nicht aber von den Angehorigen anderer 
V51ker erhoben werden konne. Bei den Reichstagswahlen im Jahre 
1912 seien 12 188 000 Stimmen fur die burgerlichen Parteien ab- 
gege'ben worden, davon seien aber nur 4 238 000 sozialdemokra- 
tische gewesen. Im Reichstag seien von 397 Abgeordneten 286 
entschiedene Monarchisten. Man solle also die Starke der Monarchie 
in Deutschland nicht unterschatzen. Das deutsche Volk sei in 
seiner Mehrheit nicht antimonarchistisch, sondern es wolie ledig- 
lich das gleiche Wahlrecht zu alien Vertretungskorperschaften. Und 
schlielzlich erklarte der „Vorwarts": 

; „Sobald die Monarchie die Wtxnsche des Volkes erfullt, 1st aller 
republikanischen Agitation der Boden unter den Ftilzen weggezogen. Die 
Frage, ob Monarchie oder Republik, wiirde dann noch viel wenigfer Dis- 
kussionsthema sein, als wie es jetzt schon ist. Und alle Wahr- 
scheinlichkeit spricht d a f ti r , dafe es so kommt. Wenn 
^auch noch Schwierigkeiten zu iiberwinden sand, so werden sie — voraus- 
sichtlich sogar in kiirzester Zeit — iiberwunden werden, ohne eine Spur 
von gewaltsamein Umturz und ohne Sturz der Monarchi e." 

Die biirgerliche Presse begruizte diesen Artikel ah ein Bekennt- 
nis des „Vorwarts" zur Monarchie. Die „Kolnische 
Zeitung" meinte, das Gestandnis von dieser Seite sei wertvoll, dalz 
in Preulzen unter dem Hohenzollernzepter ganz gut wohnen sei. In 
der deutschen Arbeiterklasse und beim russischen Proletariat hat 
man allerdings ganz anders iiber dieses Bekenntnis gedacht. 

Im Laufe des Krieges waren dem Volke unzahlige Versprechungen 
gemacht worden, von denen bisher so gut wie nichts in Erfullung 
gegangen war. Es wurde deshalb notwendig, dalz in der bestimmten 
Form von Forderungen die Regierung an die Erfullung ihrer Ver- 
sprechungen erinnert wurde. Die Fraktion der Sozialdemokratischen 
Arbeitsgemeinschaft hatte zu diesem Zweck zum Etat des Reichs- 

141 



kanzlers eine Resolution eingebracht, die zugleich das A k t i o n s - 
programm fur die social demokralisc he Opposi- 
tion darstellte. Die Resolution lautete: 

JDer Reichstag- wolle beschlielzen: den Herrn Reichskanzler zu er« 
suchen, 

a) schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch den die Bin- 
holung der Zustimmung des Reichstages bei der Einleitung 
und beim Abschlulz von Biindnissen, sowie bei Kriegserklarungen 
und Friedensvertragen sichergestellt und die verfassungsmalzige 
Verantwortlichkeit des Reichskanzlers durch die Bestimmung prazisiert 
wird r daiz der Reichskanzler zu entlassen ist, wenn der Reichstag es 
fordert; I 

b) auf den schleunigen Abschlulz eines Friedens auf- 
der Grundlage des Verzichts auf Annexionen jeder Art durch alie krieg- 
fuhrenden Staaten hinzuwirken; 

c) dem Reichstage schleunigst einen Gesetzentwurf zu unterbreiten, 
durch den bestimmt wird, daiz 

1. die Reichstagswahlen kunftig nicht innerhalb abgegrenzter 
Wahlkreise fur je einen Abgeordneten, sondern nach dem V e r h a 1 1 - 
niswahlsystem stattfinden, 

2. das Recht, zu wahlen oder gewahlt zu werden, mit dem v o 1 1 e n - 
deten 20. Lebensjahre eintritt, 

3. den F r a u e n unter den gleichen Bedingungen das aktive und 
passive Wahlrecht gewahrt wird, wie den Mannern, 

4. der W a h 1 1 a g entweder ein S o n n t a g oder ein Feiertag sein mulz; 

d) dem Reichstag schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, durch 
den Artikel 3 der Verfassung des Deutschen Reiches einen Zusatz folgen- 
den Inhalts erhalt: 

In jedem Bundesstaat mulz eine auf Grund des allgemeinen, 
gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts nach 
dem Verhaltniswahlsystem gewahlte Vertretung bestehen. Das Recht 
zu wahlen und gewahlt zu werden, haben alle uber 20 Jahre alten 
Reichsangeh6rigen ohne Unterschied des Geschlechts in dem Bundes- 
staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben. 

Die Zustimmung dieser Vertretung ist zu jedem Landesgesetz und 
zur Feststellung des Staatshaushaltsetats erforderlich. 
Noch bestehende Erste Kammein (Herrenhauser) werden aufgehoben; 

e) dafur Sorge zu tragen r daiz schleunigst alle zur Zeit bestehenden, 
gegen einzelne Parteien, Schichten oder Klassen der BevSlkerung ge- 
richteten Ausnahmebestimmungen aufgehoben werden, 
insbesondere: 

alle aus einem bestimmten religiosen oder religionslosen 
Bekenntnis abgeleiteten tatsachlich bestehenden Beschrankungen der 
Gleichberechtigung, 

das Gesetz, betref f end den Orden der Gesellschaft Jesu r 

die gegen den Gebrauch einer nichtdeutschen Mutter- 
s p r a c h e gerichteten Ausnahmegesetze und -Vorschriften., 

die preuizischen, gegen die polnisch sprechenden Teile der preufzi- 
schen Bevolkerung gerichteten Enteignungs- und A n s i e d - 
lungsgesetze, 

^ die gegen landliche Arbeiter und das Gesinde in Einzelstaaten ge- 
richteten Strafvorschriften sowie die Gesindeordnungen, 

die gegen die Arbeiter gerichteten Beschrankungen in der Verwertung 
ihrer Arbeitskraft ? insbesondere gegen die Ausubimg ihres Koaiitions- 

142 



rechtes gerichteten Strafvorschriften des § 153 der Gewerbeord- 
nung und die Anwendung der StrafvorscKriften der NStigtmg, der Er~ 
pressung und des groben Unfugs gegen die Ausubung des Koalitions- 
rechts der Arbeiter; 

f) dafttr Sorge zu tragen, dalz schleuntefst eine Sicherstellung 
des Vereinsrechts, des Versammlungsrechts, des Rechts der 
freien Meinungsaufzerung in Wort oder Schrift, des Briefgeheimnisses 
und der Wahlfreiheit gegen militarische und polizeiliche Eingriffe untec 
dem Belagerungszustande erfolgt; 

g) ^ daf iir Sorge zu tragen, dalz schleunigst die samtlichen w e g e n 
politischer Delikte ergangenen Strafen aufgehoben 
werden." 

Dieses Programm enthielt nur die Forderungen, die im Augerv- 
blick aufgestellt werden mulzten. Die Ziele, die sich eine sozialistische 
Partei stellen mufzte, brauchten bei dieser Gelegenheit nicht beson- 
ders genannt werden. Es handelte sich nur darum, dem Begriff der 
Neuorientierung, von dem gerade in dieser Zeit viel die 
Rede war, einen bestimmten Inhalt zu geben und die Regierung zu 
zwingen, iiber allgemeine Redensarten hinauszugehen. Die Folge 
hat ergefben, dafz selbst zu den bescheidenen Zugestandnissen dieser 
Art Regierung und burgerliche Parteien nicht bereit waren. 

Die Konferenz der Opposition war auf die Ostertage, 
vom 6. April I9T7 ab, nach dem Voikshaus in Gotha, einberufen 
worden. Ernst Daumig hatte ihr in Form eines Artikels ein Vor- 
wort vorausgeschickt, in dem er die Aufgaben der Zusammenkunft 
umschrieb. Es handele sich nicht allein um die Abwehr der Ge~ 
waltstreiche des Parteivorstandes, es solle der erste Schritt auf dem 
Wege sein, der zu einer Gesundung der proletarischen Bewegung 
fiihre. D&umig stellte drei Gesichtspunkte auf: 1. der Arbeiterklasse 
miisse das Vertrauen auf Demokratie und Sozialismus wiedergegeben 
werden; 2. die Neuorganisation imisse die hochste politische Ak~ 
tionsfahigkeit im alt en, sozialdemokratischen Geiste erzielen; 3. die 
Organisation der deutschen Sozialdemokratie musse in der Inter- 
nationale wieder zu Bedeutung und Ansehen gelangen und dadurch 
dem Frieden dienen. Der aus dem alten Parteiprogramm lebendig 
fortwirkende Geist solle die neue Organisation der Opposition durch- 
wehen. Der Zusammenschlufz der Opposition sei notwendig, welche 
weiteren Formen er annehmen solle, das werde davon abhan^en, 
welche Gefolgschaft die Opposition in den Massen finden werde. 
Es sei kein leichter Schritt, der in Gotha getan werden solle, aber 
es bleibe nur die Wahl, entweder inmitten eines gewaltigen Welt- 
gesohehens als politisch Heimatloser zur Ohnmacht verurteilt sein, 
oder aus den Trummern der gewaltsam auseinandergesprengten Par- 
te! ein neues Heim zu bauen und darin fur den proletarischen Be- 
freiungskampf zu wirken. 

Die Militarbehftrde hatte fiir die Konferenz einschrankende Be- 
dingungen gestellt. Sie mulzte hinter geschlossenen Tiiren tagen, 
es durfte keine Werbetatigkeit fur sie entfaltet werden, und der Be- 
richt iiber die Verhandlungen mufzte vor der Veroffentlichung dem 
stellvertretenden Generalkommando in Cassel zur Zensur vorgelegt 
werden. Diese Bedingungen haben zwar die Arbeiten der Kon- 
ferenz nicht geschadigt, alber sie hatten doch zur Folge, dalz die 

143 



Berichtersiattung nur unvollkommen war, und dalz ein stenographi- 
sches Protokoll w&hrend des Krieges iiberhaupt nicht herausgegeben 
werden konnte. 

Es waren 143 Teilnehm^r anwesend. 124 waren von Wahl- 
kreisen delegiert, dazu kamen 15 Reichstagsabgeordnete und vier 
sonstige Teilnehmer. Auf der Tagesordnu ng stand en nur drei 
Punkte: 1. Die Kampfe innerhalb der Partei. 2. Beschlulzfassung 
iiber die Organisation der Opposition. 3. Unsere Aufgaben. Die 
Diskussion iiber die ersten beiden Punkte wurde zusainmen- 
gefalzt und ein Vertreter der Gruppe ^Internationale" als Korreferent 
zugelassen. 

Haase, der die Erschienenen begriilzte, und Bock, der neben 
Dittmann sum Vorsitzenden gewahlt wurde y wie&en darauf hin, 
dalz die Konferenz auf historiscbem Boden stattfinde. Vor 42 Jahren 
sei in Gotha dem Bruderkampfe zwisehen Eisenachern und 
Lassalleanern ein Ende bereitet worden. Eine einheitliche, geschlossene 
Sozialdemokratie sei damals aus der Konferenz hervorgegangen; 

i'etzt sei sie gespalten und die Aufgabe dieser Versammlung sei, die 
^rtei zu neuem Leben zu erwecken, die Mass^n fiir die Opposition 
zu gewinnen. Die Spaltung sei nur scheinbar, nun gelte es, die 
Wiediergeburt der Sozialdemokratie vorzubereiten. 

(Referent iiber den Punkt: Die Situation in der Partei 
war Haase. Er sprach zuerst aus, dalz es sich auf dieser Konferenz 
nicht um die Erorterung theoretischer Probleme handeln konne, 
sondern dalz praktische Arbeit geleistet werden musse. Die gemein- 
same Organisation aller oppositionellen Elemente habe das Ziel, die 
Sozialdemokratie wieder zu grundsatzlicber Politik zuriickzufuhren. 
Die alte Partei sei moralisch vollig zusammengebrochen, aber der 
Krieg habe die heute in der Arbeiterbewegung bestehenden Gegen- 
sfitze nicht erst geschaffen, er habe sie nur offenbart und ver- 
schSrft. Wie kam es zu dieser Politik? Da sei zunachst die Haltung 
der Gewerkschaften, die von einer engbriistigen Bureaukratie be- 
herrscht wiirden, die nach kleinen Vorteilen hasche und eine Rechnung 
mit Pfennigen fiihre. Gemeinsam mit ihr anbeite eine andere Gruppe, 
die aus dem entgegengesetzten Lager stamme. Es seien das die 
iiberradikalen Lensch, Haenisch, Winnig usw., die jetzt die Kolonial- 
politik, wie die imperialistische Politik iiberhaupt, verteidigen. Diese 
rolitik habe dazu gefiihrt, dalz jetzt auch Amerika in den Weltkrieg 
eingetreten sei und damit in Zukunft unsere wirtschaftliche Bnt« 
wicklung noch mehr gehemmt wurde. Nun sage der Parteivorstand, 
dalz er von Anfang an fiir den Frieden gewirkt habe, fest stehe aber, 
dalz eine Reihe von Mehrheitsfixhrern sich seit Jahr und Tag iiber 
das „Friedensgeflenne" lustig gemacht habe, und dalz unter still- 
schweigender Billigung des Parteivorstandes in unzahligen Artikeln 
geschrieben worden sei, das deutsche Volk habe ganz anderes zu 
tun, als nach Frieden zu rufen. Der Parteivorstand habe gewilz 
viel von Frieden geredet, aber es waren nur Friedensdeklamationen. 
Die Politik der Regierungssozialisten bringe nicht den Frieden und 
bringe nicht die innere Preiheit Unter sturmischem Beifall schlolz 
Haase mit der Aufforderung an die gesamte Opposition, sich zu- 
sammenzuschlielzen und den Kampf fiir Freiheit und Frieden zu 
fiihren. 

144 



Daraui ' sprach Dittmann iS>er die Organisation der 
Opposition. Der von ihm vorgelegte Organisationsentwurf 
wollte die gesamte Opposition in einem einheitlichen Rshmen zu« 
sainmenfassen. Einig sei sich die Opposition darin, die Beendigung 
des Krieges und die Aufriittelung der "Massen durchzufiihren. Hierin 
sei auch der Gegensatz m den Regierungssozialisten am starksten. 
Der Entwurf beschranke sich darauf, die am alten Parteistatut 
dringend notwendigen Aenderungen vorzuschlagen. Eine umfass-ende 
Ausgestaltung der Organisationsform und des Organisationslebens 
konne erst nach dem Kriege erfolgen. Der Entwurf bedeute also 
ein Provisorium, keine endgiiltige Festlegung. Als Grundlage fur 
die Organisation sollten die Wahlkreise geiten, die zu Bezirken zu~ 
sammenzufassen seien. Die Leitung solle einer Zentralleitung irber« 
tragen werden, die aus einem Aktionskomitee und einem Beirat be« 
stehe. Das Beamtentum diirfe in der neuen Organisation nicht vor- 
herrschen, fur die Erhaitung der demokratischen Grundsatze mufzten 
die weitgehendsten Garantien geschaffen werden. Ein Kontrollaus- 
schulz werde der Kontrollkommission der alten Partei entsprechen. 
Als Hochstinstanz sei die Reichskonferenz vorgesehen. Die Wahl 
der Mitglieder zu den einzelnen Korperschaften mufzten, soweit es 
wahrend des Krieges iiberhaupt moglich sei r in demokratischem 
Sinne erfolgen. Die Hauptsache aber sei, die Massen fiir die Oppo~ 
sition zu gewinnen und den Boden fur den sozialistischen Klassen- 
kampf vorzubereiten. 

Riick (Stuttgart) als Korref erent fiir die G r u p p e ^Inter- 
nationale" legte das Hauptrewicht nicht auf das, was die Gruppen 
der Opposition einigte, sondern was sie voneinander schied, und 
von dies em Gesichtspunkt aus verlangte er, dalz seiner Gruppe die 
gTofztmogliche Bewegungsfreiheit eingeraumt werde. Es konne sich 
immer nur urn ein KartellverhSltnis handeln, und wenn die Politik 
der Arbeitsgemeinschaft der Gruppe ^Internationale" nicht mehr 
gefalle, so werde sie sich von ihr wieder trennen. Die Arbeits- 
gemeinschaft sch&tze den Parlamentarismus zu hoch ein. Sie muizte 
im Reichstag revolution^ auftreten und fiir die Aufriittelung der 
Mass en miiMen die richtigen Parolen ausgegeben werden. Die 
Kreditverweigerung geniige nicht mehr, es miisse revolutionare Po- 
litik getrieben werden. Den lokalen Organisationen mulzte die 
weitestgehende Aktionsfreiheit gewahrt wer3en, das Schwergewicht 
der Aktionen solle man in die Massen veriegen, uber schwer- 
wiegende Fragen miifete eine, Urabstimmung herbeigefiihrt werden. 
In aer neuen Organisation diirften nicht die Instanzen entscheiden, 
sondern den Arbeitern selbst miisse Gelegenheit gegeben werden, 
eine revolutionSre T&ktik einzuschlagen. 

In der Diskussion zeigte sich bald, dalz die Gruppe ,,Inter« 
nationale" nur mit halbem Herzen bei dem Zusammenschlufe der ge- 
samten Opposition war. So erki&rte Rosi Wolff stein aus 
Duisburg, dalz sie von dem Zusammenschlufz (xberhaupt nicht be- 
geistert sei, und dalz sie zur Arbeitsgemeinschaft nur geringes V>r- 
trauen habe. Haase hatte in seinem Referat mitgeteilt, dalz in 
einem Flugblatt der Spartakusrichtung von der Arbeitsgemeinschaft 
verlangt wurde, sie solle ihnen ^ein sicheres Schutzdach" gegen den 
Belagerungszustand gewfihren. Das wollten nun die Spartakus- 

ia 145 . 



anhanger nur. In dem Slnne ausgelegt wissen, dafz die Mehrheit der 
Opposition der Minderheit in alien entscheidenden Fragen Gefolg- 
schaft leiste. Kurt Eisner wies mit Recht daratif hin, dafz das 
Programm der Gruppe ^Internationale" nur dazu diene, die Arbeiter 
noch mehr zu zersplittern. Die Arbeitsgemednschaft sei bei der 
Partei solange es ging geblieben, nur um inn Interesse der Arbeiter 
die Einigikeit aufrechtzuerhalten. Von diesem Gesichtspunkte aus 
h&tte die Opposition in Bayern gear! eitet. Luise Zietz sprach 
fib* die Frauen, die in grolzer Zahi hinter der Opposition standen. 
Es war Haase in seinem Schlulzwort ein Leichtes r die Anwiirfe der 
Spartakusanhanger zuxiickzuweisen. Die Aufgabe der Arbeiterklasse 
sei es, die Beendigung des Krieges zu -erzwingen, und das allein 
rechtfertige schon die Notwendigkeit der Einheitlichkeit. Immer 
ein Satzchen zu suchen, wo man einhaken konnte, oder gar die 
Redensart r7 die Arbeitsgemeinschaft mit der Hundepeitsche vorwarts- 
zuhetzen" zu getrauchen, das fordere die Einheitlichkeit nicht An 
der Grofze unserer Aufgabe miifzten wir uns erheben. 

Wahrend der Verhandlungen (iber diesen Punkt hatte eine Kom- 
mission getagt, um eine Einigung auf gemeinsame Grundlinien fiir 
die Organisation herzustellen. Im allgemeinen ergaben sich auch 
keine Gegensatze mehr, nur noch daruber, welchen N a m e n die 
neue Organisation bekommen solle, entspann sich noch eine leb- 
hafte Diskussion. Der Entwurf hatte vorgeschlagen, die Partei zu 
nennen ^Opposition der Sodaldemokratischen Partei Deutschlands". 
Andere Antrage schlugen die Namen vor ^Internationale Sozial- 
demokratische Partei Deutschlands" und , r Sozialdemokratische 
Partei Deutschlands, Opposition". Haase, Henke, Ledebour, Herz~ 
f eld und andere traten fiir den Namen „ U n a b h a n g i g e Sozial- 
demokratische Partei Deutschlands" ein. Die Ab- 
stimm-ung ergab mit 77 gegen 42 Stimmen die Annahme des Namen 
, 7 Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutschlands'". 

Ueber „ II n s e r e Aufgabe n" sprach dann Ledebour. 
Wir alle iwiifzten, dafz der Kampf durch Massenaktionen und durch 
die parlamentarische Vertretung zu fuhren sei. Es komme auf die 
Zeitverhaltnisse und auf die Entwicklung der Dinge an, welche For- 
men der Kampf annehme. Irrtiimlich sei die Auffassung, dafz 
Massenaktionen kunstlich erzeugt oder durch Fiihrer gemacht werden 
konnten. In den vor-ereitenden Zeiten sei ernes der wichtigsten 
Mittel des politischen Kampf es die parlamentarische Betatigung. Wir 
miifzten die Demokratie in Staat und Gesellschaft herbeifiihren, und 
zu diesem Zwecke brauchten wir ein Vertretungssystem. Wenn wir 
aus irgendeinem Grunde den Parlamentarismus heute abschafften, so 
miilzten wir ihn mo r gen wieder ein fuhren. Ruck habe word gemeint, 
man m/iisse mehr Krach macheru Ledebour sei gewifz kein Gegner 
des Krachrnachens; es hange aber von der Wichtigkeit des Anlasses 
ab, ob Krach zu machen sei. Unsere Aufgabe sei vor allem, auch 
von der Reichstagstrifoune aus zum Volke zu reden. Das sei jetzt 
der einzige Piatz, wo man noch ein freies Wort spreohen konne. 

Ledebour wandte sich dann gegen den Verteidigungs~ 
n i h i 1 i s m u s , der in der Gruppe Spartakus Anhanger gefunden 
habe. Die intemationalen Kongresse hatten die Richtschnur fur unser 

148 



Verhalten im Kriege festgelegt Man solle nicht von Landesverteidi- 
gung oder Vaterlandsverteiddgung reden, sondern von der Selbst- 
bestimmung der Volker. Der sogenannte Verteidigungsnihilismus 
sei gar nicht sozialdemokratisch. Ledebour wies auf die russische 
Revolution hin; glaubte man, dalz die russischen Arbeiter die Waffen 
niederlegen wiirden, wenn sie mit der Gefahr rechnen miifzten, dalz 
ihr Land von den kapitalistischen Regierungen der gegnerischen 
Lander annektiert werden wiirde? Unter Umstanden also, wenn 
eine Regierung da ist, die in unserem Sinne die Geschafte fiihrt, sei 
eine Selbstverteidigung auch mit den Waffen in der Hand notwendig. 

Ledebour besprach schliefzlich das Aktionsprogramm, das 
von der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft in Form einer 
Resolution im Reichstag eingebracht worden war. Wir wollten die 
Gelegenheit beniitzen, urn die biirgerlichen Parteien und die Re- 
gierung darauf hinzuweisen 7 dalz es die hochste Zeit sei, Beiehrung 
anzunehmen, nicht nur aus den geschichtlichen Vorgangen der Ver- 
gangenheit, sondern aus der brennendsten Gegenwart. Wir haben 
angekiindigt, dafz, wenn es nur bei schonen Reden bleibe, es auch 
bei uns in Deutschland zu Ereignissen wie in Rufzland kommen 
werde. Es habe sich bereits eine Wandlung in der Auffassung im 
Biirgertum in Deutschland vollzogen. Aber die Geschichte lehre, 
dafz das Proletariat in der Hauptsache seinen Kampf allein durch- 
fuhren, und dafz es auch nach dem Siege standig fcereitstehen 
miisse, die plotzlichen Errungenschaften zu verteidigen. Erst wenn 
die sozialistische Gesellschaftsordnung und die Demokratisierung der 
Gesellschaft durchgefuhrt sei, sei die Welt sicher r dafz keine Ge- 
waltherrschaft mehr bestehen werde. Dann erst werde die Welt 
den Frieden geniefzen. Wir aber hatten die Pflicht, uns bereitzu- 
halten und jedes Mittel der Propaganda fur unsere Ziele anzuwenden. 

In seinem Korreferat legte Heckert (Chemnitz) dar, dalz 
nicht mehr das Programm der alten Partei und die Beschlusse der 
Parteitagungen mafzgebend sein diirften, sondern dafz eine neue 
Grundlage ftir die Arbeit gesucht werden miisse. Er richtete heftige 
Angriffe gegen Kautsky, der an der Irrefiihrung der Mass en genau 
so schuld sei, wie Scheidemann. Radek habe sohon vor dem Kriege 
die Richtung gewiesen, in der sich das imperialistische Machtstreben 
bewege. Der Imperialismus konne sich nicht friedlich entwickeln, 
daher sei alles Gerede iiber Schiedsgerichte, Abriistung usw. uto« 
pische Mache, mit der die Gehirne der Arbeiter verkleistert werden, 
Besonders ausfuhriich verweilte der Redner bei seiner Auffassung 
(iber die Land es vert eidigung. Jetzt komme es darauf an, das Ver- 
trauen der Massen zu erringen, und zu diesem Zwecke miifzten nicht 
nur die Sozialpatrioten, sondern auch die Sozialpazifisten bekampft 
werden. 

In der Diskussion wurde Heckert entgegengehalten, dafz man 
Massenaktionen ohne Massen iiberhaupt nicht machen konne, und 
dalz man nicht nach dem Gefiihl handeln durfe, sondern mit den 
tatsachlichen Verhaltnissen rechnen musse. H a a s e fragte Heckert, 
ob er nicht wisse, dalz Kautsky der erste war, der auf den Imperialis- 
mus hingewiesen habe, und dalz Hilferding, von dem alle lernen, 
sich heute noch auf ihn beziehe. Es gebe keine grolzere Torheit 

10* 147 



als auf Tag und Stirnde Aktionen an^tfkundigerL Wir wurden zu 
leeren Formeln k6mmen f wenn wir nicht bei alien Erdgnissen die 
jeweilige Ursache beriicksichtigen wollten. Kant sky stellte fest, 
dafe er niemals von einer friedlichen Bntwicklung des Kapitalismus 
gespr6chen habe. Die ganse Frage sei nicht eine Frage der okono 
mischen Notwendigkeit, sondern eine Frage der Macht Die v£r~ 
einigten Staaten von Europa konnten nur verwirklicht werden durch 
eine proletarische Revolution. Es ware verderblich, jetzt die Pa« 
role fr Alles oder nichts" aus^ugeben. Ohne gewaltige soziale und 
politische Umwalzungen wurden wir den Frieden nicht erlangen, 
wir miifeten uns jetzt reif machen zu den grofeen Kampfen, die uns 
fur die nachste Zukunft bevorstanden. 

Damit waren die Verhandlungen der Konf erenz im wesent- 
lichen beendet. Ge^en eine Stimme wurde ein Manifest 
angenommen, das von K a u t s k y verfaizt war und folgenden Work 
laut hatte: 

Genossen und GenossinnenI 

Das Sehnen vieler Tausender von KSmpfern in den Reihen des Prole- 
tariats ist erfiillt Die auf dem Boden der Opposition stehenden Kreis- 
vereine und Gruppen der Deutschen Sozialdemokratie haben sich Ostern 
1917 in Gotha eine einheitliche Organisation geschaffen, um 
ihre Kr&fte nicht zu verzetteln, sondern sie zu wuchtiger Beteiligung im 
Dienste des proletarischen Befreiungskampfes zusammenzufasseiu 

Dieser Kampf ist durch die Politik der Regierungssozia- 
listen, des Parteivorstandes, der Generalkommission der Gewerk- 
schaften und der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags aufs 
schwerste gesch&digt worden. 

Schon vordemKriege waren in unserer Partei scharfe G e g e n- 
satze aufgetaucht zwischen den Genossen, die an dem alten Charakter 
der Sozialdemokratie festhielten, und neu auftretenden Elementen, die 
dem Gedanken der internationalen Solidaritat der Proletarier national^ 
soziale Zwecke und die der Taktik unversShnlicher Opposition die Taktik 
des Nationalliberalismus entgegenzusetzen suchten. Der Weltkrieg 
hat diese^ Gegensfitze ungemein vertieft und die nationalsozialen und 
nationalliberalen Bestrebungen in den offiziellen Vertretungen und Or- 
ganen der deutschen Sozialdemokratie zur Herrschaft gebracht. 

Als Lohn fur das Aufgeben der sozialdemokratischen Politik wurden 
den Massen grolze materielle Errungenschaften in Aus- 
sicht gestellt. Alle diese vorgegaukelten Hof fnungen enden in 
grausamer Enttauschung. 

Die neue Politik sollte wachsenden Einflulz der Sozialdemokratie auf 
die Reichsregierung und damit Abkiirzung des Krieges bringen. Sie hat 
in Wirklichkeit in der au&eren Politik nichts ge&ndert und die Ver- 
schlechterung der inneren Politik nicht verhindert 

Die neue Aera wird gekennzeichnet durch die ungeheuerlichsten 
und ungerechtesten Steuerlasten, deren Druck am h&rtesten 
die breiten Massen trifft? durch politische Beschrankungen 
und Verfolgungen, unter denen die zielbewufzten Arbeiter und ihre 
Vertretungen leiden. 

Die elementarsten Rechte, das Recht auf Freizugigkeit und Freiheit der 
Berufswahl haben die Regierungssozialisten unter Vorantritt der General- 
kommission der Gewerkschaften selbst . preisgegeben, indem sie dem 
Hilfsdienstgesetz ihre Zustimmung gaben und bei seiner Durch- 
fuhrung ihre Untersttitzung gew&hrten, 

148 



Sie tauschten die Massen, als sie nach Einberufung" ihrer Vertrauens- 
manner in das Regierungsamt den Glauben zu erwecken suchten, dalz 
die Emahrung von da ab besser geregelt werden wiirde. Wie sie 
sich in Wirklichkeit gestaltete, haben wir alle nur zu sehr am eigenen 
Leibe erfahren. 

Den Ruf nach dem allgemeinen Wahlrecht in Preufeen 
beantwortete der Reichskanzler von Bethmann-Hollweg mit der Weige« 
rung, irgend etwas zur Demokratisierung Deutschlands und insbesondere 
Preu&ens vor Beendigung des Krieges zu tun. 

Das ist der Lohn fur, die nicht mehr zu ubertreffende Dienstbeflissen- 
heit des Parteivorstandes und der Generalkommission. 

Das Proletariat kann aber nicht warten. Der Krieg 
bringt rascheste Konzentration des Kapitals, rapides Schwinden des 
Mittelstandes, ungeheure Vermehrung des Proletariats, das nach dem 
Kriege einen Kampf gegen Teuerung und Arbeits- 
losigkeit, gegen iibermachtige Unternehmerverbande und erdriickende 
Steuerlasten aufs scharfste zu fiihren haben wird Einen Kampf, der 
heute schon einsetzt 

Es gilt sich zu wappnen fiir die grolzen KSmpfe der Z u « 
k u n f t , es gilt Kraft zu gewinnen, urn der Not der Gegenwart zu steuern. 
Das erheischt griindliche Umgestaltung des herrschenden Regierungs« 
systems. Sache der Massen ist es, nicht nachzulassen, bis sie das 
erreicht haben. 

Der Volkswille muiz oberstes Gesetz werden. 

Dringend geboten ist eine Amnestie fur alle aus politischen 
Griinden Verhafteten und Verurteilten. Erforderlich ist die Auf« 
hebung der Zensur, unbeschrankte Freiheit des Vereins- und 
Versammlungsrechtes sowie der Presse, Sicherung des Koali- 
tionsrechtes, Aufhebung aller Ausnahmegesetze, insbesondere 
gegenuber den Landarbeitern, den Staatsarbeitern und dem Gesinde, 
weitgehender Arbeiterschutz, namentlich Achtstundentag. 

Unaufschiebbar ist ferner die Einfiihrung des allgemeinen, 
g 1 e i c h e n , geheimen und direkten Wahlrechts aller Er- 
wachsenen vom 20. Jahre an fur den Reichstag, die Parlamente der 
Einzelstaaten, der Gemeindevertretungen und fiir die sonstigen Kdrper- 
schaften der Selbstverwaltung. 

Wir fordern das Wahlrecht fur die Frauen ebensowohl wie fur 
die Manner. Der Krieg hat den Frauen die Hauptarbeit an der Pro- 
duktion aufgebiirdet, die Not der Zeit zwingt jetzt die Frauen hinein 
in die Vorderreihen des politischen Kampfes, in den Kampf um Schutz- 
bestimmungen, aber auch um politische Rechte und um die Neugestaltung 
von Staat und Gesellschaft. Die Frauen des Proletariats, der en Herzen 
als Gattinnen und Mutter von dem Massenelend doppelt zerrissen werden, 
die sozialistischen Frauen sind es denn auch, die das Gebot der Zeit 
untxuglich erkennend, sich mit Leidenschaft hineinstiirzen in den Kampf 
fiir Recht, fiir Freiheit, fiir Brot und fiir den Frieden. 

Fiir Frauen und Manner in gleicher Weise gilt heute mehr als je der 
Satz, daiz die Befreiung derArbeiterklasse nur durch 
die Ar beiterklasse selbst errungen werden kann. 

Genossinen und Genossen, ans WerkI Ihr habt grolze Aufgaben zu 
erfiillenl 

Die oppositionellen Abgeordneten in den Parlamenten, 
namentlich die der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft im Reichs- 
tag, haben zunachst innerhalb ihrer ^Fraktion, dann offentlich im Parla- 
ment selbst eine selbstandige sozialdemokratische Politik getrieben. 

149 



Wenn audi viele Berichte uber ihre Tatigkeit nur verstiimmelt und 
entstellt in die Oejffentlichkeit gekommen sind, so werdet ihr doch ge- 
fiihlt haben, dalz hier der a 1 1 e Geist lebt, auf den ihr stolz wart, 
dei Geist des internationalen Sozialismus, der aliein eure Befreiung von 
den Fesseln der wirtschaftlichen Ausbeutung und der politischen Unter- 
driickung bringen kann. 

Eure oppositionellen Abgeordneten werden nach wie vor ihre sozial* 
demokratische Pflicht tun. Aber nur dann, wenn sie sich auf die 
sozialdemokratischen Massen stixtzen konnen, vermogen 
sie ihre voile Kraft zu entfalten. Gegeniiber den Erschwerungen des 
Belagerungszustandes miiizt ihr eure Kraft verdoppeln. 

Von den Regierungssozialisten ist nichts Durchgreifendes zu erwarten. 
Wahrend heute in R u iz 1 a n d selbst sich das Burgertum fur die demo« 
kratische Republik erklart, hat der „Vorwarts", das Organ des Parte!" 
vorstandes, diesen Zeitpunkt fur den geeigneten erachtet, einBekennt- 
nis zur Monarchic abzulegen. 

Nicht Starkung und Anfeuerung des Proletariats, sondern Schw&chung 
seiner Akticnskraft und Minderung seines Einflusses miissen die Folgen 
dieser Politik sein, die von Miizerfolg zu Miizerfolg schreitet. 

Demgegenuber haben jetzt dieArbeiterRuIzlands einleuch* 
tendes Beispiel der entgegengesetzten Politik gegeben. 

Die sozialistischen Arbeiter Ruizlands, die Trager der gewaltigsten Re« 
volution Ru&lands, haben, durchdrungen von ihrer gro&en geschicmN 
lichen Aufgabe, selbstandige sozialistische und demo« 
kratische Politik getrieben. Ihnen danken wir es, dalz das st&rkste 
Bollwerk der Reaktion, der Zarismus, zusammengebrochen ist. Jedem 
von uns mufz ihr machtvolles Auftreten stolze Zuversicht einfldfzen. Wir 
bringen ihnen unsere begeisterte Huldigung dar. 

Die Proletarier Ruizlands haben fur die Demokratie gekampft, 
fiir die Eroffnung der Bahn zum Sozialismus, aber auch 
fur den Frieden, fiir die baldige Beendigung des furchtbarsten aller 
Kriege durch einen Friedensschlulz auf der Grundlage unserer gemein* 
samen sozialdemokratischen Grundsatze. 

Kein Zweifel, die Arbeiter Ruizlands werden auch in dieser Hinsicht 
ihre Pflicht erfiillen. Aber der Erfolg ihrer Friedensarbeit hangt nicht 
von ihnen aliein ab. Er hat zur Vorbedingung das Zusammen- 
wirken der Arbeiter aller Lander in gleichem Sinne, das 
erneute Aufleben der Internationale und die Betatigung der Arbeiter in 
ihrem Rahmen. 

Fiir die oppositionellen Sozialdemokraten Deutschlands ist die Ver« 
standigung iiber den Frieden mit den Sozialdemokraten der anderen 
Nationen Tceine uniiberwindliche Schwierigkeit. Das bezeugen die Konfe~ 
renzen von Zimmerwald und Kienthal, auf denen Vertreter der 
deutschen Opposition mit franzosischen und russischen Sozialdemokraten 
zusammengewirkt haben. 

Wir konnen uns nicht damit zufriedenstellen, wie der Parteivorstand 
und seine Richtung, dalz die Regierung ihre Friedensbereitschaft kund 
gibt r dabei aber die Bedingungen nicht nennt, unter denen sie bereit ist, 
Frieden zu schliefzen. — Wir verlangen einen Frieden durch Ver- 
standigung der Volker, ohne direkte oder versteckte Annexionen, 
auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der Nationen mit internationaler 
Beschrankung der Riistungen und obligatorischen Schiedsgerichten. Wir 
sehen in diesen Einrichtungen nicht Zaubermittel, den ewigen Frieden 
zu sichern, wohl aber die kraftigsten Stiitzpunkte fiir den proletarischen 
Kampf um Erhaltung des Friedens, unsere wichtigste Aufgabe nach dem 
Kriege. Nicht auf die Regierungen bauen wir, weder in bezug auf 



150 



Herbeifiihrung noch auf Erhaltung des Friedens. Auch hier vertraueti 
wir bios auf die Kraft des Proletariats, das am starksten ist 
in seiner internationalen Zusammenfassung. 

Der nationalen Solidaritat der Klassen setzen wir entgegen die inter- 
nationale Solidaritat des Proletariats, deri internatio- 
nalen Kampf der Arbeiterklasse. 

Im Sinne dieser Grundsatze haben wir den Kampf weiterzufixhren. 
Ohne Ruhe, ohne Rast miissen wir der Verscharfung der Verfolgung-en 
die Verdoppelung unserer Anstrengungen entgegensetzeny bis unser Ziel 
erreicht ist 

Brot und Wissen fur allef 

Prieden und Freiheit alien Vdlkernf 

Der Grundungsparteitag der UnabMngigen Sozialdemokratischen 
Partei Deutschlands hat keinen Ausgleich der GegensStze innerhalb 
der Opposition herbeigeRihrt, aber er hat doch Klarheit dariiber 
geschaffen, welche Aufgaben sofort zn erfullen waxen. Die Opposition 
gegen die Kriegspolitik der alten Parteimehrheit hatte einen gesicher- 
ten Boden bekommeru Das Proletariat fand eine StMtte, an der es 
sich fur seine revolutionaren Aufgaben sammeln und schulen konnte. 
Nunmehr erst war es moglich, frei von den bisherigen organisato- 
rischen Hemmungen die Auffassungen zxi vertreten, die sich aus der 
Entwicklung der Verhaltnisse ergaben. Wenn auch die neue Parte! 
zahlenmafeig noch in den Anf&ngen steckte, so bildete sie doch den 
Kern fur die Bewegung, die das Proletariat wieder ^uf den Boden des 
Klassenkampfes und der sozialen Revolution aurUck^uluhren hatte. 



151 



<SJ»S?)©B^)<3ei ^><S&H5XS2iiB«%@i 



Der Kampf um den Frieden. 

Die Zeit der Sammlung und des Zusammenschlusses. — Der Raub der 
„Gleichheit" und der „Neuen Zeit". — Die Osterbotschaft Wilhelm II. — 
Vergebiiche Friedensbestrebungen der Russen. — Das Manifest der 
ULS. P. D. fur die Stockholmer Konferenz. — Die Friihjahrsstreikbewegung. 
— - Die Reichstagsresolution vom 19. Juli 1917. — Sturz Bethmann HoLU 
' wegs. — Gliick und Ende von Dr. Michaelis. 

Uns ist nicht die Aufgabe gestellt, eine Geschichte (iber Krieg und 
Frieden zu schreiben; wir haben jetzt nur noch notig, nachdem wir 
die Ursachen fur die Spaltung der alten Partei und fur das Ent« 
stehen der Unabhangigen Sozialdemokratie aufgezeigt haben y die 
Bntwicklung der neuen Organisation der deutschen Arbeiter- 
klasse und ihren Anteil an den weiteren Ereighissen der Kriegs- und 
Nachkriegsjahre darzustelien. Wir miissen uns dabei auf das aufzerste 
M&Iz beschranken, damit nicht die Fiille der Ereignisse den uns 

festeckten Rahmen sprenge. Die Aufgabe, alle Binzelheiten dieser 
eit zu schildern, mulz spaterer Geschichtsforschung Ciberlassen 
bleiberu 

Die deutsche Kriegspolitik war schon zusarmnengebrochen, kaurn 
dalz sie begonnen hatte. Der Beginn ihres endgiiltlgen Bankerotts 
datiert vom Friihjahr 1917, und der versoharfte iT-Bootkrieg war nur 
ein letzter verzweifeiter Versuch r den Zusammenbruch noch einige 
Zeit hinauszuschieben. Auch die russische Revolution, die die 
deutsche Ostfront zu erleichtern versprach, konnte der deutschen 
Kriegfuhrung keine Rettung mehr bringen. Es ist des'halb kein 
Zufall, dalz das Jahr 1917 mit dem Kampf um den Frieden ausgefullt 
ist, an dem schliefzlich auch solche Politiker teilnehmen muizten, die 
zweieinhalb Jahre lang an den Sieg der deutschen Waffen geglaubt 
hatten. Wir erleben die Zeit der Auflosung der inneren 
Front, der der Zusammenbruch der auizeren Front im nachsten 
Jahre folgen mulzte. 

Die folgenden Monate standen fiir die Unabhangige Sozialde-mo- 
kratie im Zeichen der Sammlung und des Zusammenschlusses. Am 
13. April erliefz die Zentralleitung der U. S.P.D. folgenden Aufruf: 

^Genossen! GenossinenI 

Die Opposition innerhalb der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands 

hat sich Ostern 1917 in Gotha zu einer einheitlichen Organisation zu« 

sammengeschlossen unter dem Namen: Unabhangige Sozial* 

demokratiscbe Partei Deutschlands. Unabhangig gegen« 

152 



uber der Regierungspolitik, unabhangig gegeniiber den Bestrebungen der 
biirgerlichen Parteien, unabhangig gegenuber den Regierungssozialisten 
wird die neugeschaffene Organisation zielbewuizt eine selbstandige 
sozialdemokratische Politik treiben. 

In einer Zeit der tiefsten wirtschaftlichen, politischen und gesellschaft* 
lichen Umwalzungen wird sie die Massen des deutschen Proletariats 
sammeln im Geiste der Internationale zur Beschleunigung des Friedens. 

Es gilt, die Volksmassen zuruckzuftihren auf den W eg. den 
tms Marx, Engels und Lassalle gewiesen, auf dem uns August Bebei, 
Wilhelm Liebknecht und Paul Singer jahrzehntelarg ruhnw und siegreich 
gefuhrt haben. Ihr Werk mit Hingebung und Tatkraft nicht nur fortzu- 
fuhxen, sondern auch fortzubilden zur Verwirklichung der Demokratie und 
des Sozialismus, zur endgiiltigen Befreiung der Menschheit von Kriegs« 
schrecken und Kriegsgreuel — das ist unsere Aufgabe. 

In dem erhebenden Bewufctsein, dalz in Gotha die alteSozial* 
demokratie neu erstanden ist, werden Hunderttausende be* 
geistert den unabhangigen Organisationen zustrdmen, die schon bestehen 
oder jetzt in alien Kreisen zur Bildung gelangen werden. 

Alle, die den Glauben an die Sozialdemokratie verloren haben, als sie 
voll Schmerz sahen, wie die Partei die alten Grundsatze preisgab und 
zu einer nationalsozialen Regierungspartei wurde, werden mit Hoffnungs- 
freudigkeit und Zuversicht Mitglieder der neuen Organisation werden, 
urn den Kampf fur das aufzunehmen und weiterzufiihren, wofiir sie fruher 
ihre besten Krafte eingesetzt, wofur sie gelebt haben — fur die 
hehren Ziele des Sozialismus. 

Genossen und Genossinnen! Wir, die Unterzeichneten, sind von der 
Konferenz in Gotha mit der Leitung der Unabhangigen Sozialdemo- 
kratischen Partei Deutschlands betraut worden. In dieser schicksals* 
schweren Zeit, in der wir unser verantwortungsvolles Amt ubernehmen, 
konnen wir es nur dann mit Erfolg ausuben, wenn wir der freudigen, 
entschlossenen zahen Mitarbeit der Genossen und Genossinnen sicher sind. 

Werbt Anhanger fiir unsere Sache in unablassiger ArbeitI Griindet 
Organisationen fur die Verbreitung und Durchiuhrung unserer Grund- 
satze in jedem Wahlkreise, in dem sie noch nicht bestehen, und baut 
die bestehenden mit Eifer aus! Schwierigkeiten, die sich hie und da 
euch entgegenstellen, werdet ihr unerschrocken uberwindenr Wir sind 
iiberzeugt: wir appellieren nicht vergeblich an den Mut und die Ausdauer 
der erprobten Kampfer fiir die Wiedergeburt der deutschen Sozial* 
demokratie. 

Auf dem Frauentage, der in der Zeit vom 5. bis 12. Mai statt* 
findet, werden die Frauen die Forderung erheben fiir ihre Gleichberechti« 
gung, fiir ihren und ihrer Kinder Schutz, fiir die Beendigung des entsetz* 
Echen Kriegsgemetzelsl 

Genossen und Genossinnenf "Wir wissen es: wir appellieren auch nicht 
vergeblich an eure oft bewahrte OpferwilligkeitI Trage jeder 
nach seiner Leistungsfahigkeit dazu bei, dalz wir nicht aus Mangel an 
Mitteln einen Teil der gewaltigen Auf gab en, die uns gestellt sind, 
unerfiillt lassen miissen. Die regelmalzige Beitragsleistung geniigt nicht. 
Sorgt fiir die Aufbringung aufzerordentlicher Mittel durch Marken, Bons, 
Sammellisten. 

Ihr wilzt, dalz die gesammelten Gelder nicht, wie es in den letzten 
Jahren seitens der Regierungssozialisten geschehen, dazu verwendet 
werden, um eine euch schadliche Politik zu treiben, sondem in eurem 
Interesse zur Forderung einer unabhangigen und selbstandigen sozia- 
listischen PolitikI 

153 



Genossen und GenossinnenI Das Eisen giuht, frisch ans Werk, es zu 
Schmieden. 

Berlin, den 12. April 1917. 

Die Zentralleitung der Unabhangigfen Sozialdemokratischen 
Partei Deutschlands. 

Das Zentralkomitee: 
Wilhelm Dittmanrv Hugo Haase, Adolf Hofer, Gustav Laukant^ Georg 
Ledebour, Robert Wengels, Luise Zietz. 

Der Beirats 

Rob. Dissmann, Frankhirt a. M.; Paxil Dittmann, Hamburg? Hermann 

Fleissner, Dresden; Willi Grixtz, Remscheid; Alfred Henke, Bremen; 

Sepp Oerter, Braunschweig; Fritz Schnellbacher, Hanau. 

Trotz der BeschrMnkungen der Kriegszeit entwickelten sich die 
Organisationen recht giinstig. Ein Vierteljahr spater konnte be- 
richtet werden, dalz 62 wahlkreisvereine geschlossen oder mit 
grofzer Mehrheit aus der alten in die neue Organisation libergetreten 
waren. Darunter befanden sich ganze Bezirke, wie Berlin, Leipzig,. 
Halle, und Wahlkreise aus den starksten Industriegebieten r z.B. 
Essen, Niederrhein, Frankfurt a. M. In 19 Wahlkreisen wurden neue 
Organisationen mit gutem Erfolg und steter Weiterentwicklung 
gegrtindet Ferner bestanden 4© Ortsvereine und Gruppeb, die zum 
Teil libergetreten oder neu ins Leben gerufen waren, 

Inzwischen war auch der Parteivorstand der alten Partei nicht 
miilzig gewesen, um auch noch die letzten Reste der Opposition aus 
seinen Reihen zu entfemen. Mitte Mai enthob er Klara Zetkin 
ihrer Redaktionstatigkeit an der „G 1 e i c h h e i f\ Dieser Zsitungs- 
raub stellte einen viel schlimmeren Gewalfcakt dar, als es sohon der 
„Vorwarts"-Raub gewesen war. Die „Gleichheit" war von Klara 
Zetkin gegnindet und jahrzehntelang von ihr geleitet worden. Sie 
war kein eigentliches Parteiorgan in dem iiblichen Sinne, sondern 
in der Zeitschrift steckte das individuelle Le^enswerk einer einzelnen 
Frau, „sie war ihr geistiges Eigentum, der Inbegriff, die Verkorpe- 
rung einer Jahrzehnte hindurch miihselig und bedeutsam geleisteten 
Arbeit", wie die „Leipziger Volkszeitung" damals zutreffend schrieb. 
Das alles gab dem Parteivorstand zu Bedenken keinerlei Anlaiz, und 
es fanden sich auch zwei Leute, Heinrich Schulz und Marie Juchacz, 
die das Henkerwerk an dem Lebenswerk Klara Zetkins vollbrachten. 
Einen notdlirftigen Ersatz fur die „Gleichheit" schuf die Unabhangige 
Sozialdemokratie, indem sie eine Frauenbeilage der „Leipziger 
Volkszeitung" herausgab, deren Leitung Klara Zetkin iibertragen 
wurde. Klara Zetkin hat das in sie gesetzte Vertrauen freilich iibel 
gelohnt. In einer auf dem Kongrefz der Moskauer Internationale im 
Jahre 1Q21 abgegebenen Erklarung behauptete sie, sie habe sich als 
Redakteurin der Frauenbeilage der „Leipziger Volkszeitung" als auf 
einem vorgeschobenen Posten in Feindesland betrachtet, in der Er- 
wartung, der Vorstand der U.S. P. D. werde die gleiche politische 
Dummheit begehen wie der Vorstand der S. P. D. mit der „Gleich« 
heit" und sie malzregeln. Sie wiirde dann ihren Austritt aus der 
U. S. P. D. erklart und einen Teil ihrer Gesinnungsgenossen in den 

154 



Spartakusbund hiniibergezogen haben. Diese nachtragliche Erklarung 
hat die Sympathien sicherlich nicht vermehrfc, die man bisher fur 
Klara Zetkin hegen mochte. 

Einen noch schamloseren Diebstahl an geistigem Eigentum beging 
der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei, als er im Herbst 1917 
Karl K a u t s k y die „N e u e Z e i t" raubte. Die wissenschaftliche 
Zeitschrift der deutschen Sozialdemokratie war noch weniger ein 
Organ der Partei als die „Gleichheit". Die „Neue Zeit" war das 
geistige Eigentum, war das grolzte Stuck der Lebensarbeit von Karl 
Kautsky. Der Parteivorstand hatte also nicht das mindeste moralische 
Recht, iiber die Zeitschrift zu verfiigen, noch viel weniger seinen Her- 
ausg^eber aus der Redaktion zu drMngen. In einem Abschiedswort 
schrieb Kautsky dariiher: 

Die „Neue Zeit" wurde nicht von der Parte! gegrundet. 
Den Plan zu dieser Zeitschrift fafcte ich im Sommer 1882. Sie sollte dem 
Marasmus dienen, seiner Verfechtung, Anwendung, Weiterentwicklung. 
Ich gewann Bebel und Liebknecht fiir die Idee, sowie Dietz 7 der das Wag- 
nis unternahm, inmitten des wildesten Tobens des Sozialistengesetzes mit 
den damals noch sehr schwachen Kraften seines jungen Verlages eine 
wissenschaftliche Zeitschrift herauszugeben, deren Redakteur nur in engem 
Parteikreise bekannt war, und in der eine Methcde und Weltanschauung 
vertreten werden sollte, die erst sehr wenig begriffen wurde, und die sich 
ihre allgemeine Anerkennung erst zu ercbern hatte. 

Es kostete uns grofee Miihe, erheischte schwere Opfer von uns, unter 
diesen widrigen Umstanden uns zu behaupten, , durchzuhalten", bis wir 
soweit kamen, die besten Kopfe des internationalen Sozialismus zu unsern 
Mitarbeitern zu zahlen. 

Was die „Neue Zeit" geleistet, daruber zu berichten oder ein Urteil zu 
fallen, steht mir natixrlich nicht zu. Fur den jetzigen Moment bemer- 
kenswert ist nur eines: die „Neue Zeit" war von ihrem Beginn an Partei- 
organ insofern, als Verleger und Redakteur wie die Mitarbeiter Partei- 
genossen waren, mit ganzer Kraft der Partei dienten und so auch die 
„Neue Zeit" selbst dem Parteiinteresse dienstbar machten. Aber dabei 
war die „Neue Zeit" Parteiorgan insof em, als sie von k e i n e r Partei- 
instanz abhangig war, keine fiir sie irgend eine Verantwortung 
trug, keine sie okonomisch oder sonstwie unterstiitzte. . . . 

Freiligrath schrieb 1849, zur Zeit des unaufhaltsamen Niederganges der 
Revolution, die in ihren entscheidenden Zentren iiberall besiegt war. 
Heute dagegen gehen die politischen Kampfe nicht einem Zustand der 
Apathie una Erstarrung, sondern aulzerster Verscharfung entgegen. Was 
Freiligrath damals rief, ich darf es mit noch grofzerer Zuversicht den bis- 
herigen Lesern der „Neuen Zeit" zurufen: 

Nun ade — doch nicht fiir immer Adel 
Derm sie toten den Geist nicht, ihr Bruderl 

So alt ich bin, ich gedenke noch die Zeit zu erleben, in der die Sache 
siegt, der die „Neue Zeit" 35 Jahre lang treu gedient hat. Und ich hoffe, 
es wird mir beschieden sein, dazu noch mein Scherflein Arbeit beitragen 
zu k6nnen. 

Wenn wir wieder zum Friihjahr dieses Jahres zuruckkehren, so 
haben wir einen Augenblick bei der Osterkundgebung W i 1 - 
h e 1 m II. zu verweilen, die endlich die „Neuorientierung" einleiten 
sollte. Es wurden darin eine Reihe sehr schoner Dinge versprochen, 

155 



aber bald stellte es sich heraus f dafe dieses Osterei uberfaul 
war. Die Umbildung des preuizischen Landtags sollte kommen, fur das. 
Klassenwahlrecht in Preulzen sei kein Raum mehr, wurde in dem 
Erlalz erklart, die Abgeordneten sollten durch unmittelbare und 
geheime W&hl bestimmt, dem Herrenbaus durch Vertreter des Volkes 
neues Blut zugefiihrt werden. Von diesen Versprechungen ist nichts 
in Erfullung gegangen. Viele Monate lang ist zwar in Preulzen urn 
die Reform des Landtags geschachert worden, aber die Junker und 
die Scbwerindustriellen wollten hochstens ein Pluralstimmrecht zu- 
gestehen, das ihre Macht unberuhrt lielz. Erst die November- 
revolution des nachsten Jahres hat mit dem elendesten aller Wahl- 
systeme endgiiltig aufgeraumt. Die deutsche Bourgeoisie, dumm und 
kurzsichtig wie sie nun einmal in politischen Angelegenheiten ist f 
hat in der Frage de$ preuizischen Wahlrechts mit besonderer Deut- 
lichkeit gezeigt, dafe sie lieber das ganze „Vaterland" in Triimmer 
gehen laizt, als zur rechten Zeit auch nur auf einen Teil ihrer Privi- 
legien zu verzichten. 

Als nicht minder kurzsiohtkf erwies sich auch die Bourgeoisie in 
R u lz 1 a n d. Die Revolution hatte zwar das zaristische Regime zer- 
brochen, aber an seine Stelle waren die Vertreter der kapitalistischen 
Klassen getreten, die bisher schon die hemmungslosen Bestrebungen 
des russischen Imperialisms gefordert hatten und nunmehr glaubten, 
mit vermehrter T&tkraft ihre Absichten verwirkliehen zu konnen. , Sie 
mulzten den kriegsmiiden Massen Friede und Land versprechen, 
beides aber konnten sie ihnen nicht geben, wenn sie sich nicht als 
Klasse selbst aufgeben wollten. Die russische Revolution blieb daher 
an dem bisher erreichten Punkte nicht stehen; da aber die als Klasse 
noch nicht organisierten Kleinhauern ihre Geschafte nicht selbst 
besorgen konnten, so mulzten schlielzlich die Bolschewiki, die 
allein den negativen Mut aufbrachten, vor dem deutschen Imperialis- 
mus zu kapitulieren, die Erbschaft der russischen Bourgeoisie 
antreten. 

An der Behandlung der Friedensfrage konnte man besonders 
deutlich die weitere Entwicklung der russischen Revolution studieren. 
Der Aufzenminister des ersten blirgerlichen Kabinetts Rufzlands, 
Miljukow, veroffentlichte am 10. April eine Erklarung, worin auf die 
en^e Gemeinschaft mit den Alliierten hingewiesen und gesagt wurde, 
dafe das russische Volk „einen dauerbaften Frieden auf Grund des 
Rechts der Volker, ihr Schicksal selbst zu bestimmen", herbeifiihren 
wolle. Das Vaterland sei in Gefahr, alle Krafte mulzten angespannt 
werden, urn es zu retten. Das Hauptgewicht legte diese Erklarung 
also auf die Gemeinschaft mit den Alliierten, der Gedanke eines 
Sonderfriedens mit den Mittelmachten wurde damals noch nicht 
erortert. Viel entschiedener war die Erklarung, die der Kongrefz der 
Arbeiter- und Soldatenrate in Petersburg Ende Juni veroffentlichte, 
Hier wurde als die wichtigste Aufgabe der revolutionSren Demokratie 
der Kampf fur die schnellste Beendigung des Krieges bezeichnet 
Es solle zwar kein Sonderfriede geschlossen werden, aber man musse 
sofort Abordnungen in die alliierten und neutralen LSnder schicken 
und alle sozialistischen Parteien dieser Lander nach Rufzland ein- 
laden, damit die Friedensfrage endlich gelost werde. Die deutsche 

15B 



Regierung hat es nicht verstanden, die durch die russische Revolution 
geschaffene Situation dazu auszunutzen, um eine Verstandigung iiber 
den Frieden herbeizufiihreru Sie erklarte ganz kiihl, dalz sie tiber 
ihre Kriegsziele nichts zu sagen und keine neuen Erklarungen ab~ 
zugeben habe. Die deutsohe Regierung werde sich auch nicht dazu 
drangen lassen, sich fur einen Frieden ohne Annexionen und Kriegs- 
entschadigung auszusprechen. Das konnte von der ganzen Welt nur 
so aufgefafet werden, dafz die deutsche Regierung auch kunftighin 
den Krieg mit dem Ziele fiihren wolle, Deutschland die Beherrschung 
der iibrigen Welt zu siohern. 

Eine Forderung der von der russischen Revolution ausstrahlenden 
Friedenstestrebungen konnte man sich von der internatio« 
nalen sozialistischen Konferenz versprechen, die auf 
den Sommer 1917 nach Stockholm einberufen worden war. Die 
Initiative dazu war von den hollandischen Mitgliedern der alten Inter- 
nationale ausgegangen. Es sollten daran alle sozialistischen Parteien 
der kriegfiihrenden wie der neutralen Lander teilnehmen. Zuerst 
schien es zweifelhaft, ob die alliierten Sozialisten sich an diesen 
Besprechungen beteiligen wiirden. Nachdem aber von der russischen 
Revolution ein neuer Impuls fiir die Ziele der Konferenz ausgegsangen 
war, konnten auch sie sich ihr nicht entziehen. Die Schwierigkeiten 
der Kriegszeit haben die Durchfiihrung des Planes verhindert, eine 
gemeinschaftliche Besprechung der sozialistischen Vertretungen aller 
L&nder ist nicht zustande gekommen. Das eine aber wurde erreicht, 
dalz die Parteien ihre Auffassungen zu Protokoll gaben, und dafz man 
daraus ein Gesamtbild uber ihre Kriegspolitik gewinnen konnte. Die 
Soziialdemokratische Partei lielz durch Eduard David in 
Stockholm einen mehrstundigen Vortrag halten, der dann als 
Broschiire verbreitet worden ist Ihr Inhalt wird dadurch gekenn- 
zeichnet, dalz es sich auch die deutsche Kriegsfuhrung nicht nehmen 
liefz, sie in Massenauflagen unter den Soldaten zu verteilen.^ David 
wiederholte in seinem Vortrag alle die Griinde 7 die die rechtssozia- 
listischen Parteifuhrer unzShligemal fiir die Bewilligung der Kriegs- 
kredite angefuhrt hatten; ihm war noch immer der Krieg ein Mittel, 
um das deutsche Vaterland vor den Anschlagen der Feinde zu retteru 

Die deutsche Delegation der Unabhangigen Sozialdemo- 
kratie fafzte ihren Standpunkt fiir die Stockholmer Konferenz in 
einem Manifest zusammen, das wHhrend des Krieges nur einmal 
durch Hugo Haase von der Tribune des Reichstags aus verlesen 
wurde, sonst aber nicht ver5ffentlicht werden konnte. Es moge 
desh&lb hier seinen Platz finden: 

Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutschlands geht in 
ihrer Friedenspolitik wie in ihrer gesamten Politik aus von den G e « 
sarntint er essen des int ernationalen Proletariats und 
dersozialen Entwicklung. 

Diese Interessen erheischen den sofortigen Frieden. Wir for- 
dem beim Friedensschlufz ein Internationales Uebereinkojjimen iiber 
allgemeine Abrtistung. Dies ist das wichtigste Mittel, den ge~ 
schwachten Volkskdrper tiberall wieder zu starkeiydem niedergetretenen 
Skonomischen LeBen der V6lker in absehbarer Zeit wieder zum Auf- 
schwung zu verhelfen. Nur so kann die Herrschaft des Militarismus 

167 



g e b r o c h e n , konnen die Beziehungen der Volker zuein&nder fur die 
Dauer friedlicK gestaltet werden. 

Wir f ordern die vollste Freiheit des international eh 
Handels und Verkehrs sowie die unbeschrankte inter- 
nationale Freiziigigkeit zur Entf altung der Produktivkrafte 
der Welt und zur Annaherung und Verbindung der Volker. 

Wir verwerfen die wirtschaftliche Absonderung oder gar den Wirt- 
schaftskampf der Staaten. Zur Schlichtung aller Streitigkeiten zwischen 
den einzelnen Staaten 1st das Internationale Schiedsgericht 
obligatorisch zu machen. 

Wir fordern internationale Vertrage zum Schutz der Arbeiter 
vor Ausbeutung, insbesondere zum Schutz der Kinder und Frauen, gemafz 
den Grundsatzen der internationalen Sozialdemokratie. Mit der gewaltig 
gesteigerten Verwertung der Frauenkraft im gesellschaftlichen Pro- 
duktionsprozelz ist die Zuerkennung voller politischer Rechte 
an die Frauen eine soziale Notwendigkeit geworden. Unerlalzlich ist 
die Anerkennung der Gleichberechtigung fur alle E i n - 
wohner eines Staates, ohne Rvicksicht auf Staatszugehorigkeit, Sprache, 
Rasse, Religion. Das schliefzt ein den Schutz der nationalen 
Minderheiten zur Betatigung ihres nationalen Lebens. 

Die nationale wie die soziale Befreiung der V61ker 
kann nicht das Werk eines Krieges der Regierungen, sondern nur das 
Werk der Demokratie sein, fiir deren voile Durchfuhrung die Volker 
unablassig den nachdriicklichsten Kampf zu fiihren haben. Die lleber- 
wachung der auswartigen Politik der Regierungen durch die 
Demokratie eines jeden Staates wird zur Verhiitung aggressiver Schritte 
fiihren. Die Geheimyertrage sind abzuschaffen. Alle Staatsver- 
trage sind fortan von der Zustimmung der Volksvertretungen abhangig 
zu machen. 

Die Aera groizer innerer llmwalzungen, vor der wir stehen, 
wird die Losung der vielen Probleme zeitigen r die der Krieg aufgeworfen 
oder verscharft hat. Diese Fragen sollen aber nicht durch Krieg und 
Kriegsgliick entschieden werden. Das Uebel des Weltkrieges ist viel 
groizer als die Uebel, die er nach der Meinung der Kriegspolitiker 
heilen soil. 

Ohne die Staatsgrenzen, die das Ergebnis von Eroberungen sind 
und vielfach im Widerspruch zu den Bediirfnissen der Volker stehen 7 als 
unantastbar zu betrachten, lehnen wir den Krieg iiberhaupt und also auch 
seine Verl&ngerung als Mittel zur Regelung der Staatsgrenzen ab. 
Grenzanderungen miissen an die Zustimmung der davon betroffenen Be- 
volkerung gebunden werden r diirfen nicht aufgezwungene Gewaltakte 
sein. 

Jeden Versuch, irgend ein Volk in irgend einer Form zu vergewaltigen, 
weisen wir mit aller Entschiedenheit zuriick. 

Seit Beginn des Krieges fordern wir konsequent einen F r i e d e n 
ohne Annexionen und Kontributionen auf Grund des 
Selbstbestimmungsrechts der Volker. Unvereinbar mit 
den sozialdemokratischen Grundsatzen ist jene Auffassung, die, aus 
militarischem Denken und nationalistischer Machtpolitik entsprungen, die 
Stellung zu einem Problem von der jeweiligen Kriegslage abhangig 
raacht und deshalb in den verschiedenen Stadien des Krieges zu einer 
verschiedenen Beurteilung einer und derselben Frage gelangt. 

Unsere Aufgabe ist es nicht, fiir alle Einzelfragen, die beim Friedens« 
schlufz eine Rolle spielen werden, hier ein Programm aufzustellen. 

Ueber die Fragen jedoch 7 die im Mittelpunkt der Erorterungen stehen, 
erklaren wir schon heute folgendes: 



158 



Die Wiederherstellung Serbians als eines selbstan- 
dig en und unabhangigenStaates istein unbedingtes Erf order- 
nis. Wir verkennen nicht,, dafz der Drang der Serben nach yereinigimg 
in einem Nationalstaat wohl begriindet ist. Die Bildung eines solchen 
Staates und eine Zusammenfassung mit den iibrigen Balkanstaaten zu 
einer republikanischen Balkanfoderation sind das sicherste Mittel, dauernd 
befriedigende Zustande auf dem Balkan zu schaffen, Intervention en des 
Auslandes auszuschlielzen und die Crientfr8ge als Kriegsursache zu be« 
seitigen. Dieses Ziel durch den Krieg zu verfolgen, bedeutet aber nur 
dessen nutzlose Verlangerung. 

Wir verstehen das tiefe Sehnen des polnischen Volkes nach 
nationaler Vereinigung. Der Standpunkt, das Recht der P o 1 e n auf 
national e Selbstandigkeit durch die Kriegslage zu bestimmen, 
dieses Recht den Polen in Russisch-Polen zuzubilligen, dagegen fur 
Preufzisch- und Gesterreichisch-Polen zu leugnen, ist im Widerspruch zu 
dem Selbstbestimmungsrecht Wir lehnen aber auch hier die Fortfuhrung 
des Krieges als Mittel zur Durchsetzung dieses Rechts ab. 

In gleicher Weise verwerfen wir dieses Mittel zur Losung der E 1 s a lz« 
Lothringischen F rage und befinden uns dabei in Ueberein- 
stimmung mit Engels und Jaures. Die Verlangerung des Krieges um 
Elsaiz~Lothringens willen bedeutet heute, dalz die ganze Welt, Elsafz- 
Lothringen einbegriffen, wegen der Streitfrage des nationalen Bedurfnisses 
dieser Bevolkerung verwixstet, und dalz mehr Menschen auf den Schlacht- 
feldern vernichtet werden, als Elsalz~Lothringen Einwohner zahlt. 

Aber wie Engels 1892, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Frank* 
furter Frieden, so konnen wir uns heute erst recht nicht der Erkenntnis 
verschliefzen, dalz die elsalz«lothringische Bevolkerung, die 1871 gegen 
ihren Willen annektiert wurde, solange nicht zur Ruhe kommen wird, 
bis ihr die Gelegenheit gegeben ist 7 sich in direkter, unbeeinflulzter Ab- 
stimmung uber Sire StaatsangehSrigkeit selbst zu aufzern. 

Wird die Abstimmung in voller Freiheit in Ruhe, vielleicht nach einer 
im Friedensvertrag festzusetzenden Zeit vollzogen und ihr Ergebnis von 
vornherein als bestimmend flir die endgiiltige Regelung der Streit- 
frage anerkannt, dann wird der unheilvolle Gegensatz begrahen, der 
Deutschland und Frankreich fast schon ein halbes Jahrhundert trennt, 
den Militarismus hiiben und driiben f6rdert r heide Staaten okonomisch 
schwer belastet und der Demokratie groize Hemmnisse in den Weg legt. 

Ein schwerer Alp ware von ganz Europa, nicht zum mindesten von 
Deutschland selbst gewalzt; das deutsche Volk wiirde okonomisch, poli« 
tisch und moralisch dabei weit mehr gewinnen, als es verlieren konnte, 
selbst wenn die Entscheidung anders ausfiele, als es sie voraussetzt. 

Die voile IXnabhangigkeit und Selbstandigkeit Bel- 
g i e n s ist unabweisbar. In Erfullung des feierlichen Versprechens, das 
die deutsche Regierung bei Kriegsbeginn gegeben hat, sind dem belgischen 
Volke auch die durch den Krieg verursachten SchMden, 
insbesondere die weggenommenen wirtschaftlichen Werte r zu ersetzen. 

Ein derartiger Ersatz hat nichts zu tun mit jener Art von Kriegsent- 
schadigungen, die eine Plimderung des Besiegten durch den Sieger be« 
deuten und die wir deshalb verworfen. 

Als Gegner jeder Eroberungspolitik und Fremdherrschaft lehnen wir 
auch nach wie vor die Politik kolonialer Eroberungen ab. 
Der Besitz einer jeden Kolonie ohne Selbstverwaltung der eingeborenen 
Bevolkerung ist nichts anderes, als der Besitz unfreier Menschen, und 
ebenso wie die Sklaverei unvereinbar mit unseren Grundsatzen. Weder 
bei der Erwerbung noch bei dem Besitzwechsel von Kolonien wird in 

159 



Wahrheit das SelBstbestimmtmgsrecht der Einwohner respektiert t)er 
Besitz von Kolonien ist iiberdies fur die industrielle Entwicklung nicht 
erforderlich. Also weder Griinde des Rechts noch das okoriomische 
Interesse der arbeitenden Klassen, sondern allein politische Einsicht er« 
fordern es, dalz auf kolonialem Gebiet durch den Friedensvertrag nicht 
Verschiebungen vorgenommen warden, die einen neuen Kriegsgnmd 
bilden konnten. 

Der Friedensvertrag wird nur gesichert sein, wenn eine inters 
nationale Kraft iiber ihn wacht. 

Diese Kraft erblicken wir nicht in einer internationalen Regierungs- 
behorde, sondern in dem internationalen sozialistischen 
Proletariat. Nur wenn die Internationale selbstandig und kraftvoll 
aufgebaut wird, wenn das Proletariat ihr iiberall seine voile Macht fiir die 
Kontrolle iiber die Regierungen und fiir die Erhaltung des Friedens leiht, 
wird in Zukunft an Stelle des verhangnisvollen Wettriistens ein Zustand 
des gegenseitigen Vertrauens der Volker treten. 

Zunachst hat das Proletariat in jedem Lande alles zu tun, urn den Ab- 
schlulz des Weltkrieges herbeizufiihren, den Frieden zu erringen. 

Die Vorbedingung fiir die Erreichung dieses Zieles ist die Unab« 
hangigkeit der sozialdemokratischen Parteien gegen« 
iiber den imperialistischen Regierungen. 

Die Aufstellung eines gemeinsamen Friedensprogramms ist wichtig. 
Aber dieses Programm ist wesentlich Schall und Rauch, wenn es nicht 
von einer energischen internationalen Aktion der V o 1 k $ « 
m a s s e n getragen wird. 

Von jeder Regierung ist die unbedingte Annahme des internationalen 
Friedensprogramras zu fordern. Die Kredite sind jeder Regies 
rung zu verweigem, die dieses Programm ablehnt oder auch nur 
ausweichend beantwortet, oder die sich nicht bereit erkl&rt, in sofortfcre 
Friedensverhandlungen auf Grundlage dieses Programms einzutreten, oie 
ist auf das entschiedenste zu bekampfen. 

Eine solche gemeinsame Friedensaktion einzuleiten und zu fdrdern, 
wird die erste Aufgabe der geplanten internationalen Friedenskonferenz 
sein. Sie hat alle wahrhaft sozialistischen Elemente zusammenzufassen, 
die entschlossen sind, in diesem Sinne mit aller Kraft fiir den Frieden 
zu wirken. 

Eine proletarische Organisation, die sich dieser Aktion entzieht, verwirkt 
damit das Anrecht, hinfort als Organisation des internationalen Sozia* 
lismus zu gelten. 

Diese Stimme der Vernunft ist im Toben des Krieges ver« 
hallt; aber sie behMlt ihren Wert iiber die Zeit hinaus, in der sie 
geboren wurde. Urn wieviel besser wiirde es heute urn die deutsche 
Anbeiterklasse, urn das international Proletariat, urn die ganze Welt 
stehen, wenn man damals auf sie gehort h&ttel 

W&hrend an der Oberflache noch eitel Sonnenglanz herrschte, 
grollte es immer vernehmlicher in den Massen des arbeitenden 
Volkes. Wiederholt schon war es hier und da zu Oberraschenden 
Arbeitsniederlegungen gekommen, so im Sommer 1916 
nach der Verurteilung Liebknechts oder im Januar besonders in 
Leipzig und Braunschweig. Im April 1917 brach nun eine grolze 
Streikbewegung aus, die Hunderttausende von Arbeitern in ihren 
Bann zog. Die Mufzere llrsache war die immer schlechter werdende 
Versorgung mit Lebensmiteln, worunter vor allem die schwer 
schaffenden Arbeiter in den Munitionsindustrien zu ieiden batten. 



Der tiefere Grund fur diese rebellische Stimmung aber war in dem 
stMndig stMrker werdenden Verlangen nach Beendigung des VSlker- 
mordens zu suchen. In fast alien grofzen Stadten bnaoh die Bewegung 
gleichzeitig aus, trotzdem es nicht leicht war, die Verbindungen 
zwischen den Streikorten aufrechtzuerhalten. Die rechtssozialistische 
Partei wandte sich ebenso gegen sie wie die Fiihrerschaft der 
Gewerkschaften. In L e i p z i g bildete sich zum erstenmal in Deutsch- 
land ein Arbeiterrat zur Leitung der Bewegung, und dieser 
Name deutete schon darauf bin, daiz die russische Revolution ihren 
Widerhall bereits in Deutschland Hand. Der Leipziger Arbeiterrat 
stellte folgendes Programm auf: 

7r Sof ortige hinreichende Versorgung der Bevolkerung mit Lebens« 
m it t e 1 n und Kohlen; Erklarung sofortiger Bereitschaft zum 
F r i e d e n ohne jede Annexionen; Beseitigung des Belagerungs~ 
zustandes und der Zensur; Abschaffung des Hilfsdienst~ 
Gesetzes; freies und gleiches Wahlrecht in alien Bundesstaaten. 
Der Deputation, die aus Lieberasch, Liebmann und Lipinski besteht, bleibt 
es vorbehalten, beim ReicKskanzler weitere Forderungen aufzustellen. Die 
Arbeit soil in Leipzig erst wieder aufgenommen werden, wenn der Reichs« 
kanzler der Deputaion befriedigende Antwort gegeben hat. Geschieht 
das nicht, dann soil iiberall sofort ein Arbeiterrat eingesetzt werden. 

Es war nun gar nicht nach dem Sinn der Regierung und der 
Kriegsfuhrung, daiz dieses Programm auch politisdhe Forderungen 
enthielt. Und der General Groener drohte den Arbeitern mit den 
Landesverratsparagraphen, wenn sie nicht sofort den Streik abbrechen 
wiirden. Schliefzlich mulzte man den Arbeitern aber doch eine Reihe 
von Zugestandnissen machen, und wenn auch nicht alles erreicht 
wurde, was damals gefordert worden ist, so hat diese Bewegung doch 
dazu beigetragen, daiz sich die revolutionare Stimmung in der 
Arbeiterschaft immer weiter verbreitete. Es verdient hervorgehoben 
zu werden, daiz trotz der gefahrdrohenden Situation die Fiihrer der 
Unabhangigen Sozialdemokratie sich selbstverstandlich an die Spitze 
der Bewegung gestellt hatten, so Laukant in Berlin, so Lipinski und 
Liebmann in Leipzig. 

Im Mai gab es wieder einmal eine Fried ensdebatte im 
Reichstag. Der sozialdemokratische Parteiausschufz hatte sich in 
einer Resolution fiir einen Frieden ohne Annexionen und ohne 
Kriegsentschadigungen ausgesprochen. Die Konservativen w r ollten 
nun von der Regierung wissen, was sie dazu zu sagen habe, und die 
Rechtssozialisten fragten an, ob die Regierung im Sinne ihrer Resolu- 
tion handeln wolle. Scheidemann drohte ein wenig mit der 
Revolution, % er fiigte ab^r als vorsichtiger Mann hinzu: glucklicher- 
weise wissen wir, daiz die Dinge gar nicht so liegen. Bethmann 
Hollweg blieb bei seiner alten Methode, weder von den Annexio- 
nisten abzuriicken, noch sich zu einem Verstandigungsfrieden zu 
bekennen. Ledebour wies in der Deibatte darauf hin, daiz von 
Deutschland noch niemals ein wirkliches Friedensangebot aus- 
gegangen sei, und daiz man jetzt den russischen Sozialisten die Auf- 
gabe erschwere, sich von den Ententeforderungen unabhansrig zu 
machen. Es stande besser um die Arbeiterklasse, wenn die Rechts- 
sozialisten sich schon zwei Jahre friiher gegen die Annexionen .aus- 
gesprochen hatten. Die Erkenntnis bei ihnen sei reichlich spat 

\% 16.1 



gekomrheru Wenn nicht bald bei uns mit dem Gewaltregiment auf- 
geraumt werde, so wiirden die Massen ihre Sache selbst in die Hand 
nehmen. 

Die hinhaltende und hinterhaltige Politik der deutscben Regierung 
in der Friedensfrage hatte dazu gefuhrt, dafz in Ruizland die imperia- 
listischen Elemente die Oberhand gewannen, die am Boindnis mit der 
Entente festhalten woilten. Seit der Revolution batten sich die 
russischen Armeen passiv verhalten, an einzelnen Stellen der Front 
war es sogar zu Verbruderungskundgebungen zwischen russiscben 
und deutscben Soldaten gekommen. Den Einfliissen Englands und 
Frankreicbs gelang es nun, die russische Regierung fur eine n e u e 
Offensive zu gewinnen. Sie errang im Anfang unter Brussilows 
Fubrung einige Vorteile, besonders gegen die Oesterreicher, mufzte 
aber schliefzlich zusammenbrechen. Neue Zebntausende von Men- 
scben waren nutzlos geopfert worden. Die Rlickwirkung auf die 
inneren Verhaltnisse Ruizlands blieb nicht aus. 

Die ieichten Erfolge iiber die Russen. batten die Stimmung in 
Deutschland keineswegs zu beben vermocbt Erzberger war urn 
diese Zeit von einer seiner Auslandsreisen zuruckgekehrt. Glaubte 
er bis dabin blindlings an den deutscben Sieg, so wechselte nunmebr 
vollig seine Stimmung. In einer Sitzung des Hauptausschusses des 
Reicbstages bielt er zu aller Ueberraschung eine grolze Rede, worin 
er zu verstehen gab, dafz nur nodb ein Friede derVerstandi- 
gung Deutschland retten konne. Von Annexionen und ahnlichen 
Dingen durfe nicht mehr gesprochen werden, eine schnelle Demo- 
kratisierung und ein Wechsel in den leitenden Stellen miisse das 
Ausland davon uberzeugen, dafz es Deutschland mit seinen Friedens- 
absichten ernst sei. Erzbergers Rede gab den Anstolz zur Bildung 
eines Blocks zwischen Zentrum, Fortschrittlern und Rechtssozialisten f 
der en Fraktionen gemeinschaftliche Sitzungen abhielten und die 
Veroiffentlichung einer Resolution, der berubmten Reichstags- 
resolution vom 19. Juli 1917, beschlossen. Zuerst v/aren auch die 
Nationalliberalen an den interfraktionellen Sitzungen beteiligt. Sie 
schieden aber bald aus der Gemeinschaft aus, da sie damals noch 
nicht genau wufzten, auf welche Seite sie sich schlagen sollten. In 
der Resolution des Mittelblocks wurde gesagt, dafz Deutschland nicht 
Broberungssucht treibe, sondern nur zur Verteidigung seiner Freiheit 
die Waffen ergriffen habe. Der Reichstag erstretbe einen Frieden 
der Verstandigung und der dauernden Versohnung der Volker. Die 
Schaffung einer internationalen Recbtsorganisation werde er tatkraflig 
fordern. Solange aber die feindlioben Regierungen einen solchen 
Frieden zuriickwiesen, sei das deutsche Volk entschloss#n, zur Ver- 
teidigung seines Recbtes auf Leben und Entwicklung unerschuttert 
zusammenzustehen. Selbst diese zahme Resolution stiefz bei der 
Regierung auf Widerspruch. Und es hat sich weiter gezeigt, dalz 
sie gar nicht daran dachte, im Sinne dieser Resolution zu handeln. 

Die Bemuhungen des Mittelblocks galten eigentlich gar nicht der 
Person Bethmann Hollwegs. Denn trotz seiner inneren Zu- 
neigung zu den Annexionisten hatte er doch aufzerlich eine Haltung 
bewahrt, die selbst von den Rechtssozialisten nicht beanstandet 
worden war. Die Alldeutschen freilich batten ihn schon langst aufs 

162 



Korn genommen, well er nicht entschieden genug ihre Plane unter- 
stiitzte. Alber zum damaligen Zeitpunkt h&tte es auch sie nicht reizen 
konnen, einen Kanzlerwechsel zu provozieren. Es wirkte daher 
ziemlich uberraschend, daiz Bethmann Hollweg pl&tzlich seinen 
Rlicktritt erkl&rte; er fiel f ohne dafz er eigentlich gestiirzt worden 
war. An seine Stelle trat Herr Dr. M i c h a e 1 i s , ein biirgeriicher 
Mann zwar, aber ein Reaktion&r von reinste<m Wasser und eine 
herzlich unbedeutende Personlichkeit dazu. In der Reichstagssitzung 
vom 19. Jul! trug er die Meinung der Regierung zu der Priedens- 
resolution vor, und bei dieser Gelegenheit fiel sein beriihmt 
gewordenes Wort: Wie ich sie auffassel Trotzdem also jetzt der 
letzte Schleier von den Absichten der Regierung gefallen war, 
erklarte Scheidemann, daiz seine Fraktion auch dieses Mai die Kriegs- 
kredite bewilligen werde. Urn so deutlicher kennzeichnete H a a s e 
fur die unabhangige Fraktion die politische Lage. Zunachst verlangte 
er, daiz in einer Zeit, wo in der ganzen Welt die grofeten Umwalzun- 
gen vor sich gehen, auch in Deutschland eine Demokratisierung des 
Reichs und der Einzelstaaten vorgenommen werden miisse, die aus- 
zumiinden habe in die soziale Republik. Das Volk sei jetzt 
aus dem Kriegstaumel allmahlich erwacht. Die Rechnung, die man 
vor dem U-Boot-Kriege aufgestellt babe, habe sich langst als Tau- 
schung herausgestellt. Der programmatische Teil der Resolution des 
Mittdblocks lasse es an Klarheit und Bestiirvmtheit fehlen, und zum 
Schlusse ende sie in schmetternde Kriegsfanfaren. Man wiirde sich 
nur neuen Tauschungen hingeben, wenn man an eine giinstige 
Wirkung dieser Resolution in der Welt glaube. Demgegenuber stellte 
Haase das von der deutschen Delegation der Unabhangigen Sozial- 
demokratie fur die Stockholmer Internationale Konferenz be- 
schlossene Manifest, dessen Veroffentlichung bis dahin von der 
Zensur untefbunden worden war. Von RuMand sei der Ruf aus- 
gegangen: Genosse, beeile didhl Und dieser Ruf habe lebhaften 
Widerhall bei den deutschen Arbeitern gefunden. Haase legte dann 
eine Resolution der Unabhangigen Sozialdemokraten vor, worin ein 
Friede ohne Annexionen und ohne Kriegsentschadigungen und die 
Wiederherstellung Belgiens verlangt wurde. Es miilzten sofort 
Friedensverhandlungen auf dieser Grundlage eingeleitet werden, die 
dringendste Vorbedingung dazu sei aber die sofortige Aufhebung des 
Belagerungszustandes und die vollige Demokratisierung des Deut- 
schen Reichs. Diese Resolution wurde abgelehnt, nur vier Mitglieder 
der Mehrheitsfraktion stimmten fur sie. 

Es kam so, wie es die Unabhangige Sozialdemokratie vorausgesagt 
hatte. Der Block der Reichstagsmitte hatte weder eine Beschleuni- 
gung der Friedensfrage, noch die Durchfuhrung des parlamentarischen 
Regierungssystems erreicht. Wilhelm II. bequemte sich iediglich zu 
einer neuen Wahlreformbotschaft, und die Regierung berief einige 
Konzessionsschulzen aus den Reichstagsparteien in ihre Aernter, wie 
den Rechtssozialisten Dr. August Mliller, der aber gleich erklarte, 
dafz er mit der Uebernahme seines Amtes an die Pflichten eines 
Parteigenossen nicht mehr gebunden sei. Was liber diese Dinge zu 
sagen war, das hat Ledebour im Hauptausschulz am 28. August 
ausgefiihrt: Das bureaukratische System sei nicht im geringsten 
geandert worden. Der freie Ausschulz, der aus Vertretern der Par- 

n* m 



teien gebildet worden war und mit dem sich die Regierung in alien 
aulzenpolitischen Angelegenheiten verst&ndigen sollte, sei nichts 
anderes als Schaumschlagerei, seine Mitglieder seien nicht die Ver- 
trauensleute ihrer Parteien, sondern der Regierung, denn man habe 
sie gegenuber ihren eigenen Fraktionskollegen zum Schweigen ver- 
pflichtet 

Der Reichskanziler Michaelis war eigentlich politisch bereits 
tot, als er sein Amt angetreten hatte. Und es kennzeichnet die 
damaligen Verhciltnisse, dalz er als ein lebender Leichnam noch 
Monate hindurch den hochsten Posten des Reiches bekleiden durfte. 
Was ihm aber an Fahigkeit abging, das suchte er durch Frechheit 
zu ersetzen. Er wufzte, dalz er von den burgerlichen Parteien und 
auch von den Rechtssozialisten nicht viel zu furdhten hatte. Urn so 
grimmiger aber hafzte er die Unabhangige Sozialdemc&ratie. Bndlich 
glaubte er die Gelegenheit gekommen, um sie unschadlich zu 
machen. In der Reichstagssitzung vom 9. Oktober ,,entbuilte" er, 
dafz unsere Partei in Venbindung mit den Mannschaften der K r i e g s- 
f 1 o 1 1 e stande und unter ihnen eine hochverraterische 
Verschworung angezettelt habe. Die Unabhangige Sozial- 
demokratie stehe fiir ihn jenseits der Linie, auf die er alle anderen 
Parteien gestellt habe. Und er werde sie dementsprechend behandeln. 
Es stehe aktenmafzig fest, dalz der Hauptagitator bei der Flotte im 
Fraktionszimmer der Unabhangigen Sozialdemokraten gewesen sei 
und den Abgeordneten Dittmann, Haase und Vogtherr seine Plane 
vorgetragen habe, die von ihnen gebilligt worden seien. Dieser 
Angriff auf unsere Partei ist dem Reichskanzler schlecht bekommen. 
Er verlielz die Sitzung als ein GestMupter. 

Haase, Vogtherr und Dittmann zeigten auf, was hinter dem Ge- 
rede des Reichskanzlers und seiner Gehilfen stand. Bei der unab- 
hangigen Fraktion sei ein Matrose erschienen, der sich daruber 
beklagte, dalz die Matrosen so wenig geistige Anregungen h&tten 
und um Ueberlassun^ von Literatur bat Etwas sp&ter wurde be- 
kannt, dalz dieser Matrose wegen Verfolgung seiner politisdhen 
Ideale von einem Kriegsgericht hingerichtet worden war und dalz 
eine Anzahl seiner Gesinnungsgenossen zu den furchtbarsten Zucht- 
hausstrafen verurteilt worden waren. Die Redner der unabhMngigen 
Fraktion wiesen dann nach, wie bei der Marine systematise)! jede 
Bekundung des Friedenswillens unterdriickt werde, wahrend man 
den Annexionisten den weitesten Spielraum lasse. Selbst die Redner 
der Mittelparteien konnten nicht umhin, der Regierung vorzuwerfen, 
dalz sie in ganz rnverantwortlicher Weise gegen unsere Partei vorge- 
gangen sei und insbesondere Ebert erklarte, dalz seine Partei jeden 
Tag begriifzen werde, der das deutsche Volke friiher von dieser Re- 
gierung befreie. So endete der Angriff des Kanzlers auf die Unab- 
hSngige Sozialdemokratie mit seiner vollstandigen Niederlage, und 
es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, wann dieser Kanzler 
endlich verschwinden werde. Die Unabhangige Sozialdemokratie 
aber hat sich gerade in dieser Zeit die Sporen verdient; wenn die 
Erorterungen iiber die Friedensmoglichkeiten jetzt in schnelleren 
Flulz kamen, so hatte sie durch ihre konsequente Politik ein nicht 
geringes Verdienst daran. 

1S4 



09S»(^^)<e^^QS^^2«a^^(^?^(e^^^&«>QQ^^^^^^^ 



Der Zusammenbruch. 

Sozialdemokratischer Parteitag- in Wiirzburg. — Die bolschewistische 
Herrschaft in RuizlancL — Die Gewaltfriedensschliisse von Brest-Litowsk 
und Bukarest. — Streikbewegungen in Oesterreich und Deutschland. — 
Dittmann wird auf die Festung geschickt. -r- Der Zusammenbruch der 
Mittelmachte. — Die revolutionaren Fcrderungen der Unabhangigen 
1 Sozialdemokratie. 

Die Fiihrung der RechtssozialistischenPartei hatte es 
fiir geraten gehalten, auf Mitte Oktober des Jahres 1917 einen 
Parteitag nach Wiirzburg einzuberufen. Sie brauchte sich nicht 
darum zu sorgen, dafz dort ihre Politik heftige Anfeindungen er- 
fahren wurde. Was noch an Opposition zuruckgeblieben war, hatte 
jeden Einflufz verloran, Scheidemann und Ebert, Kolb und Lensch 
beherrschten die Situation. So nahm denn der Parteitag den vor- 
schriftsmalzigen Verlauf, die Politik vom 4. August wurde gebilligt, 
die heftigsten Angriffe auf die UnabhSngige Sozialdemokratie und 
auf die „marxistische Scholastik" erfuhren kaum Widerspruch. Man 
schlug zwar auch einige kraftige Tc5ne gegen die Regierung an, 
weil bisher von der versproohenen Neuorientierung so gut wie nichts 
in Brfullung gegangen war; aber dieser Vorstofz konnte schon des- 
halb keine wirkung auslosen, weil die rechtssozialistische Partei in 
alien entscheidenden Fragen mit dieser gleichen Regierung* durch 
Gedeih und Verdenb ging. Auch iiber die Moglichkeit einer Wieder- 
vereinigung wurde g^esprochen. Aber der Parteitag verstand sie so, 
dafz alle von ihm hinausgeworfenen Genossen reumiitig in den alten 
Parteipferch zuriickkehren und die Instanzenpolitik nunmehr ruck- 
haltlos anerkencnen sollten. Dem Wiirzburger Parteitag wurde von 
der hurgerlichen Presse das Zeugnis ausgestellt, dafz er brave Arbeit 
geleistet babe; was vom Standpunkt des Sozialismus und der Arbeiter- 
klasse dazu zu sagen war, das wurde in einem A u f r u f ausgefuhrt, 
den das Zentralkomitee der Unabhangigen Sozialdemokratie bald 
dartach veroffentlichte. lleber die Frage der Einigung hiefe es dort: 

„Niemand 1st mehr als wir von der Notwendigkeit durchdrungen, 
die sozialdemokratischen Massen zu einer einheitlichen Front 
zusammenzuschweifzen. Aber es mulz eine Front gegen den g e « 
meinsamen Feind sein, nicht eine Front, die sich anschickt zura 
Abmarsch ins feindliche Lager. 

Heute gibt es nur eine wahrhaft sozialdemokratische Partei in Deutsche 
land: die llnabhangige Sozialdemokratische Partei! 

Im Zusammenschlulz aller Manner und Frauen, die sozialdemokratisch 
fuhlen und denken, auch wenn sie heute noch aus Unkenntnis cder 
fakchen Riicksichten im andern Lager stehen, gewinnt sie die Kraft, in 

165 



Ueberemstimmung imt cfer Internationale den Priedensscfiluiz xix 
beschleunigerv die Demokratie und den Sozialismus zu vcr~ 
wirklichen. 

Im Anschlulz an die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutsch- 
lands und unter ihrem Banner vollzieht sich heute praktisch die Einigung 
der deutschen Sozialdemokraten. 

Inzwiscben vollendeten sich au£ der Weltenbuhne die Schicksale 
der Volker. Micbaelis wurde durch H e r 1 1 i n g abgelost, einen 
muden Orafen aus dem Zentrum, der nur noch die eine FShigkeit 
auLrachte, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Von der Demokrati- 
sierung und vom Parlamentarismus, den der interfraktionelle Block 
herbeifuhren wollte, war nicht viel mehr die Rede; Ludendorff 
regierte die Stunde, und lediglioh in der Handhabung der Zensur 
trat eine geringfiigige Erleichterung ein. Der P a p s t leitete eine 
Friedensaktion ein, und in England schien es eine Zeitlang, als 
ob sich unter Fixhrung von Lansdowne eine starkere Bewegung fiir 
den Frieden sammeln wollte. Beides blieb ergebnislos, ebenso wie 
ein Versuch des am Ende seiner Kraft angelangten Oesterreich? 
durch Benutzung seiner dynastischen Beziehungen zu den royali- 
stischen Kreisen Frankreichs einen billigen Frieden zu erlangen. 
In Deutschland blieben die regierenden Kreise, die nach wie vor 
von den Military beherrscht wurden, harthorig; sie glaubten nach der 
Weiterentwicklung der russischen Revolution noch immer nicht die 
Hoffnung aufgeben zu miissen, an das Ziel ihrer Wiinsche zu 
kommen. 

In Ruiz land war Anfang November die Regierung Kerenski 
gestiirzt und durch die Herrschaft der Bolschewilci abgelost 
worden. Das Kleiribiirgertum, das bisher am Staatsruder salz, konnte 
seine Versprechungen, Frieden und Land dem Volk zu geben, nicht 
einlosen. Und es war nur logisch, dalz die Bolschewiki, die die 
gieichen Losungen aufnahmen, nunmehr zu Vollstreckern der Revo- 
lution wurden. In der Beurteilung der Vorgange in RuMand be- 
stand in den Reihen der Unabhangigen Sozialdemokratie keine Ein- 
heitlichkeit. Die Spartakusanhanger sa'hen in der Machtergreifung 
der Bolschewiki nur die „Aktion". Die Kenner der Verhaltnisse 
a-:er r und diejenigen, denen auch in aufgewiihlter Zeit der wissen- 
schaftliche Sozialismus, wie ihn Marx und Engels gelehrt haben, der 
sichere Kompalz bleibt, erkannten sofort die wahre Natur der neuen 
Umwalzung. Es handelte sich in Rufzland nicht um eine proletarische 
Revolution in dem Sinne, dafz die kapitalistische Wirtschaft durch 
eine hohere, die sozialistische, abgelost wurde, sondern um eine 
Agrarrevolution, deren Exekutive in den HSnden des Pro- 
letariats lag. Den Bolschewiki war also die historische Aufgabe zu- 
gefallen, die Vorkampfer des Kleinbauerntums zu werden, die 
feudalen, vorkapitalistischen Produktionsverhaltnisse in der Land- 
wirtschaft aufzulosen, das Privateigentum an Grund und Bod-en den 
Grofzgrundbesitzern zu entreifzen und in die Hande der Bauem zu 
leg-en r und so erst die Grundlage dafur zu schaffen, dafz der moderns 
Kapitalismus sich entwickeln konnte. Indem aiber die Bolschewiki 
die okonomischen Verhaltnisse ihres Landes mifzachteten und das 
wahre Wesen der dem Proletariat zugefallenen Aufgabe nicht er- 

166 



kannten, schufen sie In Rufzland erne K a r i k a t u r auf den 
Sozialismus und trugen damit zugleich Verwirrung und Auf- 
losung in die Reihen des westeuropaischen Proletariats. 

Die bolschewistische Regierung fiihrte die Losungen der Kerenski- 
Regierung aus, freilich auf negative Art. Sie riefen den in Soldaten- 
rocken steckenden Bauern zu, sie sollten den Groizgrundbesitz ent- 
eignen. Und die Soldatenbauern verstanden das so, dafz sie die 
Front verlie&en und in ihre Dorfer eilten, urn bei der Teilung des 
Landes nicht zu spat und nicht zu kurz zu kommen. So zerfiel das 
russische Heer, zuriick blieb in der Hauptsache nur der Teil des 
Proletariats, der keine Verbindung mehr mit dem Lande hatte. Damit 
war auch die Erfiillung der zweiten Parole gesichert: die Herstellung 
des Friedens. Was a!ber in dies-em Falie soviel hieiz, dafz die 
bolschewistische Regierung sich voilig dem Diktat der deutschen 
Sieger fugen mufzte. Die Bolschewisten hatten den demokrati- 
schen rrieden, die Anerkennung des unbedingten Selbst- 
bestimmungsrechtes der Volker, gefordert. Sie erboten sich, alle 
friiher von RuMand okkupierten Gebiete bedingungslos wieder her- 
auszugeben, sie wollten auch alien fremdstammigen Volkern das 
Selbstbestircimungsrecht uber ihre kiinftige Staatsangehorigkeit zu- 
gestehen. Die deutsche Regierung lehnte das rundweg ab; denn das 
hatte die weitere Konsequenz haben miissen, dalz auch den fremd- 
sprac'higen Volksstammen, die zu den Zentralmachten bisher ge~ 
horten, die gleichen Rechte eingeraumt werden mu&ten. Die 
deutsche Regierung verweigerte sogar den Bewohnern der balti- 
schen Gebiete das Recht, selbst liber ihr kimftiges Schicksal zu be- 
stimmen, und mit aller Offenheit forderte sie die Annexion 
ehemaliger russischer Gebie t e. Die deutsche Regie- 
rung rechnete mit der militarischen Ohnmacht der Bolschewisten, 
und sie glaubte, ihnen alles bieten zu durfen. Darin hat sie sich 
denn auch nicht getauscht. 

Die deutschen Unterhandler provozierten die Bolschewisten so 
lange, bis es zum Abbruch der Verhandlungen kam. 
Nunmehr glaubten sie freie Hand zu haben. Sie unterstiitzten die 
Loslosungsibestrebungen einiger ukrainischer Nationalisten, erklarten, 
dalz die Ukraine gar nicht zu Rufzland gehore, und schlossen mit 
den von ihnen herausgesuchten Vertretern dieses Landes einen 
Sonderfriedensvertrag ab. Die Alldeutschen hatten auf der ganzen 
Linie gesiegt. Weite Gebiete des ehemaligen Kongrefepolens sollten 
an Deutschland angegliedert werden, fur die baltischen Provinzen 
hatte man schon Fiirsten und Herzoge aus den verschiedenen deut- 
schen Dynastien hereit, und auch Oesterreich-Ungarn wollte sich 
ein gehoriges Stiiak aus dem russischen Kuchen herausschneiden. 
Der wahre Sinn des Krieges hatte sich nun so deutlich ge- 
zeigt, dafz keinerlei Zweifel irber die Absichten der deutschen Krieg- 
fiihrung mehr bestehen konnten. Nur der rechte FJugel der rechts- 
sozialistischen Partei glaubte immer noch an den Verteidigungskrieg, 
und man schamte sich dort nicht, selbst die Gewaltpolitik gegeniiber 
dem wehrlosen Rufeiand mit nationalen Floskeln zu beschonigen. 

Die Bolschewisten erklarten nunmehr, dafz sie unter diesen Um- 
standen auf die Unterzeichnung eines formellen Friedensvertrages 

167 



mit den Mittelmachten verzichten wollten und den Kriegszustand fur 
beendet erklaren wiirden. Die deutsche Regierung ging aber darauf 
nicht ein, sie verlangte die Unterzeichnung des von ihr vorgelegten 
Vertrages. Urn ihrer Forderung grofzeren Nachdruck zu verleihen, 
kundigte sie den Waffenstillstand mit Ruizland und lielz ihre 
He ere weitermarschieren. Den Bolschewisten blieb nichts 
anderes ixbrig, als sich nunmehr damit einverstanden zu erklaren, 
den Frieden unter den Bedingungen zu unterzeichnen, die von den 
Delegationen des Vierbundes in nrest-Litowsk gestellt worden waren. 
Der deutsche Vormarsch in Ruizland wurde trotzdeim nicht einge- 
stellt; das geschah erst, als die Truppen der Mittelmachte sich alle 
Sicherungen verschafft hatten, deren die deutschen und die oster- 
reichischen Annexionisten bedurften. 

Trotzdem also der G e w a 1 1 c h a r a k t e r der Friedensvertrage 
mit dem Osten feststand, konnten es die Rechtssozialisten nicht iiber 
sich bringen, ihnen ihre Zustimmuno- zu versagen. Ja, sie haben 
sogar dem Vertrag mit der Ukraine ihre Zustknmung gegeben. Sie 
begrundetn das damit, dalz es sich dabei doch immerhin um einen 
VerstMndigungsfrieden handele, und dafz ihre Partei, die doch immer 
fur den Frieden gearbeitet habe, sich jetzt nicht gegen ihn efklSren 
k6nne, auch wenn der Vertrag nicht alien ihren Wunschen ent* 
spreche. Mit aller Scharfe ging dagegen L e d e b o u r mit der 
Annexionspolitik der Regierung im Reichstage ins Gericht. Den 
Rechtssozialisten sagte er, dalz selbstverstandlich jeder Mensch den 
Abschlulz irgendeines Friedens wtinsche. Es komme nur darauf an, 
welchen Frieden man abschliefee. Die Bolschewisten hatten die Ver« 
handlungen eingeleitet, um einen Frieden auf Grand des freien 
Selbstbestimmungsrechtes der Volker abzuschlieizen, und Herr von 
Kuhlmann, der Aulzenminister, habe seine Bereitwilligkeit zu Ver- 
handlungen auf dieser Grundlage erklSrt. Hinter den Kulissen sei 
dann aber auf Annexionen hingearbeitet worden, und diesen Ein« 
fliissen sei Kiihlmann gefolgt. Mit der Ukraine kSnne gar kein selb- 
stSndiger Vertrag abgeschlossen werden, da es sich hier nicht um 
einen selbstandigen Staat handele, sondern um einen Bestandteil der 
russischen Republik. Im iibrigen wisse man noch gar nicht, wie sich 
die VerhMltnisse in Ruizland weiter gestalten wurden; es stehe aber 
jetzt schon fest, dalz die ukrainischen Unterhandler nicht im Namen 
des ukrainischen Volkes auftreten konnten. Der Vertrag mjt der 
Ukraine solle der deutschen Heeresleitung nur den Vorwand liefern, 
um weitere Eroberungsztige vorzunehmen. Das Allerbedenklichste 
bei dem ukrainischen Friedensvertrag aber sei, dalz er dem Selbst- 
bestimmungsrecht der Volker vollkommen widerspreche, denn er be- 
ziehe sich auch auf Gebiete mit rein polnischer Bevolkerung. Die 
Vertreter der Polen hatten denn auch bereits erklart, dafz sie den 
Vertrag als eine Beraubung des polnischen Volkes empfanden. Der 
Sondervertrag mit der Ukraine sei (iberhaupt nur zu dem Zweck ab« 
geschlossen worden, um aus dem Lande Getreide herauszuholen. 
Und nur aus diesem Grunde treibe man das ganze polnische Volk 
zur Feindschaft gegen das Deutsche Reich. In weiten Kreisen des 
deutschen Volkes sei jetzt die Erkenntnis aufgedammert, dalz diese 
Vergewaltfeungs- und Annexionspolitik zum Verderhen des Volkes 
fiihren musse. Die gro&e Streikbewegung, an der sich uber eine 

168 



haibe Million Arbeiter beteiligt batten, sollte der Regierung endlich 
die Augen iiber die Lage offnen. Aber die Arfbeiterschaft erwarte 
weder von der deutscben Regierung, nocb von den Regierungen der 
anderen Lander einen wirklich dauernden Frieden, sondern der 
Weltfriede werde erst kommen, wenn das Proletariat die politiscbe 
Macht erobert babe. 

Einige Tage spater, am 27. Februar, rechnete auch Haase mit 
der Annexionspolitik der Regierung ab. Er wies nach, dafz RuMand 
ein Gewaltfrieden aufgezwungen werden solle, wie er schlimmer 
nicbt gedacht werden konne. In Polen und in den balrischen Pro- 
vinzen babe der deutscbe Militarisnuis ein Schreckensregiment auf- 
gericbtet. Tausende von webrlosen Arbeitern seien niedergemetzelt 
worden, weil sie das ibnen zugfestandene Selbstbestimmungsrecht fiir 
sich in Anspruch nebmen women. Die revolutionare Befwegung in 
Ruizland solle mit deutschen Truppen unterdrixckt werden. Mit der 
Ukraine sei zwar ein Vertrag abgeschloss-en worden, das binders 
das deutsche MilitSr aber nicht, das ganze Land zu besetzen und die 
Bevolkerung zu drangsalieren. Nach den Anschauungen, die in mat- 
gebenden Kreisen Deutschlands herrschten, sei es sicher, dalz wir 
zu einem Frieden in der nachsten Zeit nicbt kommen wiirden. Und 
dieselbe Gewaltpolitik, die die auswMrtige Politik beherrsche, wende 
man aucb im Inlande an. Den Januarstreik babe man mit den bru- 
talsten Mitteln zu unterdriicken gesucht. Aber erreicht word-en sei 
dadurcb nur, daiz der Groll und die Erbitterurtg in den Aitbeiter- 
kreisen aufs bocbste gestiegen seien. Die streikenden Arbeiter seien 
vom General Groener als „Hundsfotte" b-escbimpft word-en, dieselben 
Arbeiter, deren man sich zur Herstellung des Kriegsmaterials be- 
diene. Der politiscbe Streik sei aber eine Waffe, die sich das Pro- 
letariat nicht entwinden lassen werde. Die unabhangige Fraktion ins- 
besondere erklMre, dafz sie mit den streikenden Arbeitern in engster 
Fuhlung gestanden babe, und dalz sie die Gedanken und Gefiihle, 
die sie zum Streik getrieben hatte, durchaus telle. Die Arbeiter 
wiirden unablassig dafiir eintreten, dafz aucb Deutschland demokra- 
tisiert und der Boden fur eine sozialistische Gesellschaftsordnung ge- 
schaffen werde. 

Auch R u m a n i e n mufzte sich bald dem Diktat der Mittelmacbte 
beugen und den Zwangsfrieden von Bukarest annehmen. Die 
deutsche Regierung hatte den Wiener Annexionisten vollig freie 
Hand gelassen und unter dem Vorwand der Beschaffung von Siche- 
rungen fur die Donaumonarchie wurden Rumanien erhebliche 
Stucke des Landes entrissen. 

Als diese Friedensvertrage vor den Reichstag kamen, konnten 
die Annexionisten ihre voile Befriedigung dazu aufzern, wenn sie 
freilich auch nicht verscbwiegen, dalz sie eigentlich nocb mehr er- 
wartet und besonders erhebliche KriegsentschMdigungen 
erhofft hatten. Die Koalitionsparteien war en ein wenig verstimmt, 
denn weder die Vertrage von Brest-Litowsk noch der von Bukarest 
stimmten mit der Juli-Resolution des vorigen Jahres ixberein, die sie 
mit so schoner Geste der Welt gezeigt hatten. Trotzdem aber 
stimmten sie diesen Gewaltfriedensschliissen zu, oder sie enthielten 
sich zum mindesten der Abstimmung, mit der oberflSchlicheri Aus- 

169 



rede, dalz es doch Immerhin Friedensschliisse seien. Indem sie aber 
kurz danach wieder einmai Kriegskredite in der von der Regierung 
gewiinschten Hohe bewilligten, ubernahmen sie die voile Verant- 
wortung auch dafiir. Das stellte L e d e b o u r im Reichstag am 
19. Marz fest. Er sagte ganz richtig voraus, dalz diese Friedens- 
schliisse auf die Dauer die schaversten Gefahren fur den Weltfrieden, 
fur das Deutsche Reich, fur das deutsche Volk in ihrem Scholze ent- 
hielten. Er enthullte bei dieser Gelegenheit auch die Bestrebungen 
der Monarchisten, aus den haltischen Provinzen deutsche Vasallen- 
staaten mit Prinzen aus regierenden H&usern Deutschlands an der 
Spitze zu machen. '^> 

Aber das arbeitende Volk wollte sich nicht langer tSuschen lessen. 
Im Januar war ein grofzer Streik der osterreichischen Ar- 
beit e r ausgebrochen, dem bald auch eine neue grolze Streik- 
bewegung in Deutschland folgte. Den aulzeren Anlafz 
dazu gab diesmal nicht die Forderung nach Verbesserung der Er- 
nahrung, sondern mit besonderer Scharfe wurden jetzt politische 
Ziele aufgestellt. So lauteten die Forderungen der Berliner Arbeiter: 

1. Schleunige Herbeifiihrung des Friedens ohne Annexionen 
und Kriegsentschadigungen auf Grund des Selbstbestimmungsrechts der 
Volker, entsprechend den Ausfuhrungsbestimmungen, die dafiir von den 
russischen Volksbeauftragten in Brest-Litowsk formuliert wordeii sind; 

2. Hinzuziehung der Arbeitervertreter aller Lander zu den 
Friedensverhandlungen; 

3. ausgiebige Nahrungsmittelversorgung durch Erf assung 
der Lebensmittelbestande in den Produktionsbetrieben wie in den Handels* 
lagern zur gleichmafzigen Zufuhrung an alle Bevolkerungskreise; 

4. der Belagerungszustand ist , sofort aufzuheben, das Vereins* 
recht tritt vollstandig wieder in Kraft, ebenso das Recht der freien Mei- 
nungsaulzerung in der Presse und in Versammlungen; die S c h u t z - 
gesetze fiir Arbeiterinnen und Jugendliche sind sofort wieder in 
Kraft zu setzen, alle Eingriffe der Militarverwaltung in die Gewerk- 
schaftstatigkeit sind riickgangig zu machen und neue zu ver- 
hindern; 

5. die Militarisierung der Betriebe ist gleichfalls aufzuheben; 

6. alle wegen politischer Handlungen Verurteilten und Ver- 
hafteten sind sofort wieder freizulassen; 

7. durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatsein- 
richtungen Deutschlands und zwar zunachst die Einfuhrung des gleichen, 
direkten und geheimen Wahlrechts fiir alle Manner und Frauen im Alter 
von mehr als 20 Jahren fiir den preu&ischen Landtag. 

Der Streik nahm besonders in Berlin grofzen Umfang an. Die Re- 
gierung weigerte sich, mit den Vertreter der streikenden Arbeiter 
zu verhandeln, weil diese durch ihr Verhalten die Fortsetzung des 
Krieges beeintrachtigt hatten. Der Name Arbeiterrat, den sich 
die Streikleitung beigelegt hatte, war den Militars besonders zuwider; 
erinnerte er doch zu sehr an die russische Revolution, und darum 
wurde er kurzerhand verboten. Besonders heftig wurde die Unab- 
hangiee Sozialdemokratie angepriffen, weil man ihr nicht mit Unrecht 
zum Vorwurf machte, dafz sie die Streikbewegung begiinstige. Ende 
Januar nahm die Bewegung verscbarftenCharakter an r und die Streiks 
breiteten sich liber das ganze Reich aus. In Berlin kam es zu 
Straizendemonstrationen, b$i denen auch Blut flofe. Die 

170 



Militars glaubfen der Bewegung dadurch ihre Wirkung zu rau&en, 
dafz sie den verscharften Belagerungszustand verhangten und Stand- 
gerichte gegen die Streikenden errichteten. Ein Teil der rechtssozia- 
listischen Presse, so die JDresdener Volkszeitung" des nachmaligen 
Ministers Gradnauer, beeilte sich zu erklaren, daiz sie fur den Streik 
keinerlei Verantwortung trage. Die Schuldigen an seinem Ausbruch 
seien an anderen Stellen zu suchen. 

Bei solch loyaler Haltung konnte den Rechtssozialisten freilich 
nights geschehen, uin so schlechter aber ging es den „Hetzern" von 
der U. S. P. Grofz war die Freude, als man den Reichstagsabgeord~ 
neten Dittmann auf fdscher Tat, namlich nach einer Ansprache 
im Treptower Park fassen und vor ein KriegsgerichJ^ schleppen 
konnte. Er wurde auch prompt wegen Landesverrats oder ahnlicher 
Dinge zufiinf JahrenFestungshaft verurteilt, nachdem der 
Staatsanwalt gar sechs Jahre Zuchthaus heantragt hatte. Erst der 
Zusammenbrudh im Herbst gab ihm die Freiheit wieder. 

Im Westen bereitete sich nun das letzte Auffiackern des 
K r i e g e s vbr. Alle Welt wu&te, daiz die Deutschen eine gro&e, 
Offensive durchfuhren wollten, urn die Franzosen und Englander 
schnell noch niederzuwerfen, bevor noch die Amerikaner, die nach 
den Ausspruchen deutschnationaler Parteifuhrer „weder fliegen noch 
schwimmen" konnten, auf den Kriegsschauplatzen den Ausschlag 
gaben. Die Juliresolution war ein wertloses rapier geworden, selbst 
die Rechtssozialisten muizten, wie Hermann Wendel in der 
^Frankfurter Volksstimme", bekennen, dafz sie vor einern Scher- 
benhaufen ihrer Politik standen, oder wie man im „Vorwarts" 
im Mai lesen konnte: „Freiheit, nicht Eroberung wurde uns im 
August 1914 verheilzen, und diese Verheifzung wurde im Juli 1917 
wiederholt Eroberung, nicht Freiheit spricht die harte Sprache der 
Tatsachen zu uns im Mai 1918." Nichtsdestoweniger hahen die 
Rechtssozialisten bis zum bitteren Ende bei der Regierungsstange 
gehalten, sie waren zu Gefangenen ihrer eigenen Illusionen geworden. 

Unsere Genossen brauchten weder einen Scherbenhaufen zu be- 
weinen, noch geplatzten Seifenblasen nachzutrauern. Im Juni war 
auch Herr von Kiihlmann, der Leiter des Auswartigen Amts, zum 
Teufel gejagt worden, trotzdem er sich bei den Friedensschliissen 
im Osten nach Kraft en bemliht hatte, die Wunsche der Annexionisten 
zu befriedigen. Immerhin hatte er sich in der Oeffentlichkeit einer 
gemalzigten Sprache befleifzigt, um nicht die Hoffnungen auf einen 
Friedensschlufe mit dem Westen noch grundlicher zu zerstoren. Um 
so deutlicher war aber die Sprache, die die deutschen Militars in den 
eroherten Gebieten des Ostens fuhrten. Es wird eine ewige Schmach 
bleiben, wie das Volk in Finnland, im Baltikum, in Polen, in der 
Ukraine damals von den deutschen Behorden behandelt worden ist. 
Und die Redner der Unabhangigen Sozialdemokratie, H a a s e und 
Ledebour, erwarben sich ein besonderes Verdienst dadurch, dafz 
sie diese Dinge unverhiillt und ungeschminkt im Reichstag zur 
Sprache brachten. 

Wahrend Ludendorff an der Westfront die letzte Karte seines 
Vabanquespieles einsetzte, wahrend immer neue Menschenmassen 
dem Kriegswahnsinn geopfert wurden, machte bei den Mittelmachten 

171 



die innere Auflosung reiizende Fortschritte. Oesterreich tau- 
melte von einer Krise in die andere, die regierungstreuen Truppen 
mulzten von der Front zuriickgerufen werden, damit sie die rebellisch 
gewordenen Nationen, besonders die Tschechen, zur Raison brMchten. 
Nicht viel besser ging es Deutschland, wenngleich hier die 
Flamme der Bmporung mehr rauchte als leuchtete. Das Gemauer 
in dem Kriegsgebaude der Mittelmachte war morsch geworden, es 
muizte zusammenfallen, wenn auch nur eine Lucke darin entstand. 
B u 1 g a r i e n fiel zuerst, es mufzte bedingungslos kapitulieren, 
Deutschland konnte keine Rettung mehr bringen. Oesterreich 
und die T u r k e i folgten bald nach. Die Donaumonarchie suchte 
im letzten Augenblick noch durch die Loslosung von Deutschland 
einen Sonderfrieden zu erlangen, der das bisherige Staatsgebilde 
im wesentlichen erhalten sollte. Es war zu spat, die Schdpfung der 
Habsburger fiel wie ein Kartenhaus in sich zusammen. 

Als die Hiobsposten immer schneller einander folgten, da hatte 
fiir das alte Regime auch in Deutschland die Stunde geschlagen. 
Noch bis zuletzt suchten die Alldeutschen in ihrem Kriegswahn zu 
verharren. Als die „Hindenfcurgfront" unter den Schlagen der 
Fochschen Reservearm.ee, die nach den verlogenen Meldungen der 
Obersten Heeresleitung gar nicht mehr bestehen sollte, zertrummert 
war, als die Italiener schon in den Alpen, die mazedonische Armee 
der Alliierten vor Ungarn standen, wollten sie noch immer nicht ein- 
sehen, daiz ihr Spiel endgiiltig verloren war. Aber auch fur 
Deutschland blieb nur noch der we g der Kapitulation Cibrig, 
und damit fiel auch das bisherige politische und militarische System. 
Die Monarchisten suchten noch das letzte zu retten. Sie mulzten 
sich notgedrungen dazu bequemen, dem Parlamentarismus gewisse 
Zugest&ndnisse zu machen, aber sie glaubten genug damit getan zu 
hanen, daiz sie den Prinzen Max von Baden an die Spitze 
der neu sich gestaltenden Dinge beriefen und einige Liberale und 
Rechtssozialisten in das Kabinett nahmen. Wilhelm II. und seine 
Dynastie sollten auch kiinftig die Dekoration des Reichs bilden. In 
dieser Situation erlielz der rarteivorstand der UnabhMngigen 
Sozialdemokratie folgenden Aufruf: 

An das werktatige Volk Deutschland sf 
Das System des Militarismus hat einen Schlag erhalten, von dem es 
sich nicht mehr erfrolen wird. Der Imperialismus ist bei uns zu« 
sammengebrochen. Die Idee des Sozialismus und der Demokratie 
ist siegreich auf dem Marsche. Die deutsche Regierung hat ein Waffen- 
stillstandsangebot gemacht und das Programm des amerikanischen Prasi~ 
denten Wilson als Grundlage fur Friedensverhandlungen angenommen. 
Dieser Schritt war beschlossen, bevor die neue Regierung ans Ruder kam. 
Das Friedensangebot kommt unsem unausgesetzten Friedensbestrebun- 
gen entg-eg-en. 

Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei hat von Anfang an 
die Katastrophe des Imperialismus vorausgesehen. Sie ist 
den Grundsatzen des Sozialismus und der Demokratie treu geblieben. 
Sie hat als einzige Partei gegen die Vertrage von Brest«Litowsk 
und den Vertrag von Bukarest gestimmt, die jetzt auch die anderen Par- 
teien nicht mehr zu verteidigen wagen. Getreu unserer Ueberzeugung 
als internationale Sozialisten haben wir in jeder Kriegslage 

172 



gegen die Vergewaltigung irgendeines Volkes gekampft Diese gibt uns 
das moralische Recht, auch jeden Versuch der Unterdruckung des deut- 
schen Volkes zuriickzuweisen. 

Alle anderen Parteien sind durch den ehernen Gang der Ereignisse ge~ 
zwungen, ihre Kriegsziele ahzu&ndern. Sie miissen abermals U m - 
lernen, und sie haben bereits umgelernt. Nur die Unabhangige Sozial- 
demokratische Partei braucht nichts von ihrem Friedensprogramm auf- 
zugeben. Das von ihr im Juli 1917 in Stockholm verfafzte Memorandum, 
das die Zensur damals imterdrtickte und das von den ubrigen Parteien, 
auch von der Sozialdemokratischen Partei angegriffen wurde, kommt 
jetzt zur Geltung. ' 

Die Politik der Sozialdemokratischen Partei, der 
Scheidemann und Ebert, der David und Lensch, ist ebenso z usammen- 
gebrochen wie die der herrschenden Klassen. Die Sozialdemokrati- 
sche Partei war ohnmachtig und einfluizlos, solange das Kriegsgliick 
den Imperialisten giinstig war, obwohl sie, oder richtiger: weil sie jede 
kapitalistische Regierung in ihrer Kriegspolitik unterstutzte und ihr die 
Kriegskredite bewilligte. Nicht das geringste hat sie wahrend der langen 
Kriegszeit fin* den Frieden, fur die Freiheit, fiir den Schutz der Arbeiter 
und Arbeiterinnen gegen Ausbeutung erreicht. 

In dem Moment, da die burgerliche Gesellschaft in alien Fugen kracht, 
sind mehrere Sozialdemokraten, so Scheidemann und Bauer, zu Ministern 
gemacht worden. Die Sozialdemokraten sind damit auch offiziell zu 
Regierungssozialisten gestempelt. 

Die Sozialdemokratische Partei ist in die Regierung berufen, um nach 
dem Zusammenbruch des Imperialismus die burgerliche Gesell- 
schaft zu stutzen. Sie hat die Aufgabe ubernommen, die Rationale 
Verteidigung" zu organisieren und die burgerliche „Ordnung" zu 
schiitzen. Sie hat die Forderung der internationalen Kongresse preis- 
gegeben, dalz die Katastrophe des Weltkrieges von der Sozialdemokratie 
ausgeniitzt werden miisse, an Stelle des kapitalistischen 
Systems das sozialistische zu setzen. 

Das Programm, das die Sozialdemokratische Partei als Bedingung fiir 
ihren Eintritt in die Regierung aufstellte, war so bescheiden, dalz es sogar 
verschiedenen biirgerlichen Zeitungen nicht weit genug ging. Nicht die 
Amnestie fur politische Delikte, nicht einmal die Aufhebung des Belage- 
rungszustandes werden verlangt, nicht die geringste sozialpolitische For- 
derung ist in ihm enthalten. Und obwohl die Sozialdemokratische Partei 
ihr Programm als Mindestprogramm bezeichnete, von dem sie nicht ab- 
handeln lassen werde, hat sie den biirgerlichen Parteien und der Regierung 
doch in mehreren Punkten noch nachgegeben. 

So schwachlich zeigt sich die Sozialdemokratische Partei schon bei 
ihrem Eintritt in die Regierung. Selbst eine vorgeschrittene burgerliche 
Regierung miifzte mindestens folgende Forderungen ohne Auf- 
schub verwirklichen: 

„Sofortige Raumung der von den deutschen Truppen besetzten 
G e b i e t e des ehemaligen russischen Reichs, Finnlands, der Qstsee- 
provinzen, Polens, der Ukraine, ferner Rumaniens und Bulgariens. 

Abanderung der bereits geschlossenen Friedensvertrage 
nach den Grundsatzen der Demokratie. 

Amnestie fiir alle wegen politischer Vergehen und Verbrechen ver- 
urteilter Zivilpersonen, Soldaten und Matrosen, Oeffnung der Gefangnisse 
und Zuchthauser, namentlich fiir alle aus Anlafz von S t r e i k s wegen 
angeblichen Landesverrats Verurteilier, Niederschlagung der wegen poli- 
tischer Vergehen und Verbrechen schwebenden Strafverfahren, Sofortige 

A>£H 



Entlassung aller wegen poiitischer Vergehen zum Heere Eingezogenen. 
Loschung aller politischen Vermerke in den militarischen und polizeilichen 
Akten, insbescndere des Vermerks r ,B 18". Aufhebung der S c h u t z •« 
haft und Entlassung aller Internierten, 

Aufhebung des Belagerungszustandes. Freies Vereins* und 
Versammlungsrecht. Freiheit der Presse. Beseitigung aller Schranken 
fur die Herausgabe neuer Zeittmgen. Strenge Durchfiihrung des Post** 
geheimnisses^ Beseitigung der selbst nach dem bestehenden Rechts- 
zustande vollig unzulassigen ftffentlichen und geheimen Briefkontrolle. 

Einftihrung des Proportionalwahlrechts. Ausdehnung des 
Wahirechts auf die Frauen. Uebertragung des gleichen 7 allgemeinen 
und direkten Wahlrechts durch Reichsgesetz auf alle Bundesstaaten. 

Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes. Wiederherstellung 
und Ausbau der Schutzbestimmungen fiir Frauen und Jugendliche. Ein« 
f iihrung des achtstiindigen Maximalarbeitstages. 

Sofortige Abanderung der Verfassung in folgenden Punkten: 
Staatsvertrage sind nur mit Zustimmung der Volksvertretung giiltig. Ohne 
solche Zustimmung darf kein Krieg erklart, kein Friede geschlossen 
werden. Jeder Minister ist zu entlassen, wenn dieses durch einen Mehr* 
heitsbeschlufz der Volksvertretung verlangt wird." 

Als internationale Sozialisten erheben wir viel weitgehendere 
Forderungen. Unser Ziel ist die sozialistische Republik. 
Sie allein ermoglicht es, die Welt von den Verwiistungen des Krieges zu 
erldsen. 

Tiefe Umwalzungen gehen in alien Staaten vor sich. Die "Welt erhalt ein 
vollig anderes Antlitz. Aber es sieht nicht so aus, wie Cunow und Lensch, 
wie David und Renner jahrelang mit Selbstsicherheit gepredigt haben. 

Bei diesem Umgestaltungsprozefe eine ftihrende Rolle 
zu ubernehmen, ist die historische Auf gabe des intemationalen Proletariats. 
Begeisterung, Opferfreudigkeit und Geschlossenheit sind unbedingt zu 
ihrer Losung erforderlich. Die Methoden des Regierungssozialismus 
fuhren nur zur Lahmung der selbstandigen Betatigung der Arbeiterklassen 
und zur Starkung der burgerlichen Gesellschaft. 

Die Einigkeit des Proletariats kann sich aber ebensowenig 
unter dem Banner des Zentrums, der Fortschrittlichen Volkspartei, der 
Nationalliberalen wie der Regierungssozialisten vollziehen. 

Einigkeit unter dem unbefleckten Banner der Unab* 
hangigen Sozialdemokratischen P a r t e i r des internatio* 
nalen Sozialismus, mufz die Parole des deutschen Proletariats sein. 

Nur dann ist auch der Friede gesichert, nur dann ist die Zu« 
kunft des Proletariats und der Menschheit verbiirgt. 

Auff Sammelt euchl Schlielzt die Reihen. Das HSchste gilt es zu 
erringen. Die Befreiung der Menschheit! ' 

Berlin, den 5. Oktober 1918. 

Die Par teilei t ung und die Reichs t agsf r ak tion 

der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei 

Deutschlands. 

Aber selbst in dieser Situation brachte das Biirgertum noch nicht 
die Erkenntnis fiir das unbedingt Notwendige auf. Nur zogernd 
ging die Regierung des Prinzen Max von Baden an die Amnestie- 
rung der politischen Gefangenen heran, nur langsam begannen die 
Zuchthauser und Gefangnisse sich zu entleeren. Erst die November- 
tage gaben dem alten Regime den letzten Stofz. Immerhin kehrten 
Ditimann, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, viele 

174 



andere Ka'mpfer des Proletariats in die Freiheit zuruck, stiirmisch 
von der Arbeiterschaft willkommen geheiizen. 

Die letzten Tage des Oktober brachten v 6 1 1 i g e Klarheit 
uber die Lage. Nun erst wurde dem Volke bewiifzt, wie sehr es 
viereinhalb Jahre lang belogen und betrogen worden war. Am 
24. Oktober hielt Hugo Haase im Reichstag grtindliche Ab- 
rechnung mit der bisherigen Politik. Er stellte fest, dafz der deutsche 
Imperialismus das blutige Spiel im vollen Umfang verloren habe. 
Wir empfinden, so rief er aus, iiber einen Frieden, der zwar den 
deutschen Kapitalismus in seiner Entwicklung stort, der aber den 
Kapitalismus der Entente starkt, ihm andere Lander zur Ausbeutung 
(iberliefert, keine Befriedigung. Es ware verbrecherisch, wenn man in 
Deutschland auch jetzt noch versuchen wiirde, die Lage zu ver- 
schleiern. Das deutsche Volk begreife nicht, dafz nach den unzahligen 
Siegesmeldungen der vergangenen Jahre die deutsche Regierung 
jetzt bedingungslos kapitulieren miisse. Jetzt werde auch in den 
anderen Parteien erkannt r dalz die Unabhangige Sozialdemokratie 
die wahre Sachlage am fruhesten erkannt und das Volk (iber den 
Tatbestand aufzuklaren versucht habe. 

Es ware anders um Deutschland bestellt, w>enn nicht schon im 
Fruhjahr 1915 die ersten Friedensf&den, die sich zwischen England 
und Deutschland anspannen, zerrissen worden waren. Damals habe 
aber sekst Dr. David, einer der Fiihrer der Rechtssozialisten, be- 
hauptet, dafz Haase die Interessen des Auslandes vertrete. Auch 
im Jahre 1916 bestand die Moglichkeit, einen Frieden der Ver- 
standigung zu schlielzen. Die Regierung habe damals die Be- 
miihungen des Prasidenten Wilson abenso durchkreuzt, wie sie im 
Herbst 1917 die Anstrengungen des Papstes um einen Frieden ver- 
nichtet hat. An dem Ergebnis dieser Entwicklung batten alle Par- 
teien mit Ausnahme der unabhSngigen Fraktion schuld. Man diirfe 
nicht vergessen, dafz die erste U-Boot~Resolution von Graf Westarp 
und Heydebrand bis zu Scheidemann und Ebert gefaizt und unter- 
schrieben worden sei. Die Parteien, die hinter ihnen standen, 
seien schon deshalb mitverantwortlich, weil sie bis zum letzten 
Augenblick dem alten System die Mittel zum Krieg bewilligt hatten. 
Wenn die Mehrheitsparteien sich jetzt auf ihre Friedensresolution 
vom 19. Juli 1917 beriefen, so miisse man sie daran erinnern, wie 
diese bei den Friedensvertragen von Brest-Litowsk und von Bukarest 
angewendet worden sei. Dalz diese Friedensvertrage einen Ge<walt- 
frieden und nicht einen Rechtsfrieden bedeuten, das bestreite heute 
niemand. Jetzt aber gelte es, jede Zweideutigkeit unter alien Um- 
standen zu vermeiden, weil Unaufrichtigkeit das starkste Friedens- 
hindernis bilde. Diese Klarheit lasse jedoch das Friedensangebot der 
jetzigen Regierung noch immer vermissen. Selbst Hindenburg und 
Ludendorff, die in diesem Kriege die politischen Beschliisse bestimmt 
hatten, hatten jetzt zum Abschlufz des Friedens geraten. Aber es 
gebe selbst jetzt noch Leute, wie den Grafen Westarp, die zur 
nationalen Verteidigung aufrufen und das Blutvergielzen fortsetzen 
wollen. 1st aber einer unter Ihnen, so rief Haase der Reichstags- 
mehrheit zu, der daran glaubt, dalz es moglich sei, nach einigen 
Monaten in besserer militarischer Lage dazustehn und dann einen 
gunstigeren Frieden zu erlangen? 

175 



Haase erinnerte bei dieser Geleg-enheit an das, was F r i € d r i c h 
E n g e 1 s vorausgesagt hatte: es sei fiir Preufzen-Deutschland kein 
anderer Krieg moglich als ein Weltkrieg, bei dem ganz Europa ka'hl* 
gefressen werden wixrde. „Die V-erwtiistungen des 30jahrigen 
Krieges zusammengedrHngt in drei bis vier Jahren und ub^r den 
ganzen Kontinent verbreitet, Hungersnot, Seuche, allgemeine, durch 
akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volks- 
massen, rettungslose Verwirrung unseres kiinsflichen Betriebes in 
Handel, Industrie und Kredit und am Ende ein allgemeiner 
Bankrott, Zusammenbruch der alten Staaten und 
ihrer tradition ellen Staatsweisheit derart, dalz die Kronen z u 
Dutzenden iiiber die Strafeenpfl, aster rollen und 
niemand sich finder, der sie aufhebt, absolute Unmoglichkeit, vorher- 
zusehen wie das alles enden wird und wer als Sieger aus diesem 
Kampfe hervorgehen wird. Nur e i n Resultat absolut sicher: d i e 
allgemeine Erschopfung und die Herstellung der Bedin- 
gungen des schlieizlichen Sieges der Arbeit er« 
k 1 a s s e." Jedes Wort ist zur Wahrheit geworden, so konnte Haase 
jetzt feststellen, aber dennoch erklaren wir: 

Das deutsche Volk wird nicht untergehen — wird nicht unter« 

fehen, wie auch dieser Friede aussieht. Aber freilich, die Errettung 
ann dera deutschen Volke aus seiner Not, aus dem unerhorten Druck 
nicht kommen in der gegenw&rtig bestehenden Gesellschaftsordnung. 
Die Produktivitat der Landwirtschaft und der Industrie kann aufs hochste 
gesteigert werden, wenn an Stelle der Wirtschaftsordnung, deren einzige 
Triebfeder der Profit ist r die sozialistische Wirtschafts* 
ordnung tritt. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist not« 
wendig. Auf Rulzland konnen Sie nicht hinweisen, weil die Zustande in 
Deutschland okonomisch viel reifer sind als in Rulzland. In Deutschland 
und in England — das gestehen auch bxirgerliche Professoren, National* 
Skonomen zu, — hat die Produktion einen solchen Reifegrad erreicht, 
dalz es mftglich ist, ohne starke Erschutterung die kapitalistische 
Ordnung in eine sozialistische W irtschaf tso rdn un g 
ii b e -r z u f \i h r e n, 

Wie der Kapitalismus zusammengebrochen ist, wird dem Kapitalismus 
auch bald seine Sterbestunde lauten. Die G6tzendammerung fur das alte 
System sehen wir. Aber schon zeigt sich die MorgenrSte einer 
neuen Zeit. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen 
wird aufhoren; nur Freie und Gleiche wird es dann geben. Von der 
Kuhnheit und Entschlossenheit der Arbeiter, namentlich auch der 
deutschen Arbeiter, wie freilich der Arbeiter aller Lander, wird es ab~ 
hangen, ob diese die Menschheit befreiende Umwalzung bald kommt, 
oder ob wir noch schwere Zeiten bis dahin durchzumachen haben. 
Wir haben Vertrauen zu den Arbeitern; wir sind uberzeugt, 
dalz aus all dem El end am letzten Ende doch hervorgehen wird die 
voile Befreiung der MenschenI 

Einen Tag daruf hielt es die rechtssozialistische Fraktion fiir ange- 
bracht, Herrn N o s k e als Redner vorzuschicken, der die Gelegenheit 
wahrnahm, um die Kriegspolitik seiner Partei zu verteidigen und die 
Unabhangige Sozialdemokatie aufs heftigste anzugreifen. Er behaup- 
tete, dalz auch die Unabhangige Sozialdemokratie an dem traurigen 
Ergebnis des Krieges mit schuld sei, denn sie habe ja am 4. August 
1914 die Kriegskredite ebenso bewilligt, wie die Vertreter der rechts- 
sozialistischen Partei. Es war deshalb notwendig, dalz Ledebour, 

176, 



der nunmehr zu Worte kam, noch einmal klarstellte, dafz die damalige 
Minderheit in der Fraktion sich nur dem disziplinarischen Zwange 
beugte, als sie im Plenum fur die Kriegskredite stimmte. Im librigen 
aber zeigte Ledebour, wie windig es um den neuen Parlamentarismus 
stehe, wie er bis jetzt in Deutschland durchgefuhrt sei. Nicht die 
Regierung sei parlamentarisiert worden, sondern man habe einige 
Abgeordnete bureaukratisiert. Jetzt komme es darauf an r dafz mit 
kraftigem Besen ausgefegt werde. Es sei absolut notwendig, dafz an die 
Spitze der Staaten nicht nur andere Personen, sondern ganz andere 
Einrichtungen gesetzt wurden. Das monarchische System, in dem 
das bureaukratisch-militarische Regierungssystem gipfelte r habe voli- 
kommen abgewirtschaftet Die Unabhangige Sozialdeimokratie sei der 
Ansicht, dafz das deutsche Volk aus dem furchtbaren Zusammen- 
bruch sich nur dann eine gluckliche Zukunft sichern konne, wenn 
es sich republikanisc he Einrichtungen schaff e r die die 
verderbliche kapitalistische Produktionsweise durch die sozialistische 
ersetzen. Aus dem furchtbaren Ungluck, das dieser Weltkrieg (iber 
alle Volker heraufbeschworen habe, erwachse fiir die Arbeiterschaft 
aller Welt die Notwendigkeit, ube-rall die Macht zu er- 
greif en, um den Sozialismus zur Durchfuhrung zu bringen: 

Denn solange die kapitalistischen Einrichtungen bestehen r ist es ganz 
unmofflich, da£s die furchtbaren Nachteile wettgemacht, dafz sie aus- 
geglichen werden konnen. Allein die finanzielle Zerriittung aller euro- 
paischen Lander, die der Krieg notwendigerweise zur Folge haben muiz, 
und die sich in Friedenszeiten durchsetzen wird, drangt geradezu 
zum Sozialismus hin. Dafe die burfferlichen Klassen, die dabei 
ihre Sonderrechte verlieren wiirden, nicht aaf iir zu haben sind, ist mir 
nicht zweifelhaft. Aber die Proletarier aller Lander, nicht nur die 
Proletarier Deutschlands, nicht nur die bisherigen Proletarier, sondern 
alle diejenigen Manner und Frauen, die durch das Elend des Weltkrieges 
in das rroletariat hinabgestoizen wurden, werden sehr bald zu dieser Er- 
kenntnis kommen und dann werden sie zu dem schreiten, was mit dem 
Sozialismus auch endgiiltig der Welt den Frieden bringen wird. 

Wieder <einen Tag darauf rechnete Genosse Oscar Cohn mit 
dem Militarismus ab. Erst hatten namlich Hindenburg und Luden- 
dorff zum schleunigen Abschlufz eines Friedens geraten, inzwischen 
besannen sie sich aber wieder eines anderen, und sie behaupteten, 
daiz Heer und Flotte lieber bis zum letzten kampfen wurden, als den 
Waffenstillstands Wilsons, der die bedingungslose Unterwerfung ver- 
langte, anzunehmen. Die Konservativen hatten bereits einen Aufruf 
erlassen, worin sie erklarten, dalz unter Umstanden Heer und Flotte 
auch gegen die Krone fiir die nationale Verteidigung sich etablieren 
wiirden. In diesem Augenblick iwar es notig, die Schuld des mon- 
archischen Systems fiir den grauenvollen gesellschaftlichen Zustand, 
wie es dieser Krieg war, festzustellen. Die burgerlichen Parteien 
allerdings, so sagte Cohn dazu, hatten Monarchic und Militarismus 
gehatschelt aus Angst vor der Sozialdemokratie. In dieser histo- 
rischen Situation gebe es aber kein Ausweichen mehr vor der Frage: 
Krieg mit den Hohenzollern oder Friede ohne die 
Hohenzollern? Das starkste Friedenshindernis in diesem 
Augenblick seien die Krafte, die zwar die militarische Lage richtig 
sahen, aber, um ihre soziale Existenz und um das monarchisch-auto- 
kratische System aufrechtzuerhalten, nicht die Konsequenzen daraus 

12 177 



z8gen 7 sondern dazu bereit seien, den Rest unserer Volkskraft in den 
grolzen Schmelzkessel zu werfen, in der Hoffnung, sich noch ein paar 
Monate fristen zu konnen. Jetzt imisse die Bevolkerung aufgerufen 
werden, damit sie sich imit aller Kraft, die ihr zur Verfugung stehe, 
gegen die eigene Vernichtung zur Wehr setze. Der Hauptfeind des 
deutschen Volkes stehe i in Lande und nicht aulzerhalfo des 
Landes. Gegen diesen Hauptfeind wiirden sich Soldaten und Arbeiter 
zur Wehr setzen. 

In diesem Gedanken bin ich und sind meine Freunde vereinigt mil 
der gesamten Internationale der Arbeiter und 
B a u e r n. Wir sehen den Krieg nicht als nationales Problem an r wir 
vergessen auch in dem jetzigen Stadium der Losung des Krieges nicht 
seinen Ausgangspunkt. Wie die Menschheit hineingetrieben worden ist 
in diesen Krieg durch die Machte des Kapitalismus und Militarismus, 
Machte, die internationaler Art r wenn auch national verschieden in ihrem 
Wirkungsgrade waren, so wird sich auch die Internationale Menschheit 
— das ist ihre Pflicht — zusammentun gegen diese Machte und auf den 
Weltimperialismus und Weltmilitarismus wird folgen und ihn uber« 
winden die Weltrevolution. Indem die deutschen Arbeiter sich 
der Pflicht zur Revolution bewulzt werden, werden es auch die 
Arbeiter anderer Lender. Diesen unseren Freunden jenseits der fran« 
zosischen, jenseits der italienischen, jenseits der iibrigen Landesgrenzen 
reichen wir heute im Geiste die Hand. Wir stehen zu einander, mit« 
einander, Qfegen den gemeinsamen F e i n d , den inter- 
national en Kapitalismus! 

Die Tragodie war zu Ende. Sie schlofz mit einer Komodie ab. 
Wilhelm und sein Sohn flohen nach Holland, Ludendorff entwich 
nach Scbweden, die Bourgeoisie verkroch sich feige vor dem Zorn 
des Volkes. Es kamen die Novembertage, die der Arbeiterklasse die 
Erfullung ihrer Sehnsuchte zu bringen schienen. 



178 



<&%!Mi$gt@i®gtt<iG&SQ^^ 



Die Tage des November. 

Der Zusammenbruch. — Unterschiede zwischen Deutschland imd 
Rufzland. — Schwierigkeiten rechts und links. — Die Antwort der 
Gegenre volution. — Die 1. Konferenz der A.« und S.«Rate. — Austritt 
der Unabhangigen aus der Regierung. — Die Warden zur National* 
versammlung. — Ermordung Kurt Eisners. — Der M&rzparteitag der 

IIS.P.D. 

Wenn wir heute, drei Jahre nach den Ereignissen, auf die 
Novembertage des Jahres 1918 zuriickblicken, so wissen wir, aus 
welchen Griinden der Zusammenbruch des alten politischen 
und militarischen Systems nicht in die vollstandige UrnwHlzung 
der kapitalistischen Wirtschafts- und Staatsverfassung ausmunden 
konnte. Die Arbeiterbewegung stellte kein geschlossenes Ganzes 
dar. Sie war wohl nach dem Betruge der Kriegsjahre endlich er« 
wacht, aber sie war nicht von dem klassengemaizen Bewufetsein 
durchdrungen, dafz es nur durch die Zusammenfassung aller Krafte 
moglich ware, die sozialistischen Ziele zu erreichen. Auf dem linken 
Flugel stand der Spartakusbund r der wie hypnotisiert auf das russische 
Vorbild hinstarrte und sich auch fur Deutschland den Ablauf der 
Revolution nur so vorstellen konnte, wie wir es an RuMand erlebt 
hatten: die Besitzergreifung der politischen und milit&rischen Macht 
durch einen kiihnen Vorstolz, ausgefiihrt von einer kieinen Schar 
entschlossener Kampfer und die rucksichtslose Auslibung der Diktatur 
auch gegen den Willen der Mehrheit des Volkes, selbst gegen den 
Willen der Mehrheit der Arbeiterklasse. Er erkannte nicht das 
Wesen der Revolution, sondern sah nur deren Begieiterscheinungen. 

{ Zwischen Deutschland und RuMand bestanden aber gewaltige 
Unterschiede. In Rulzland eine vollkommene Desorgani- 
sation des wirtschaftlichen, militarischen und staatlichen Apparats; 
weder das Biirgertum noch die Bauernschaft war als Klasse organi- 
siert, denn weder die wirtschaftliche noch die politische Verfassung 
des Landes unter der Herrschaft des Zaren hatte die Moglichkeit zur 
Bildung von Parteien gegeben, die nach dem Zusammenbruch des 
alten Regimes als Vertreterinnen bestimmter Klassen die politische 
Macht an sich reilzen und erh alten konnten. Den Bolschewiki kam 
nun zu Hilfe, dafz sie durch die Uebernahme der biirgerlichen Parolen 
„Frieden und Land" sowohl die Bauern als auch die politisch noch im 
Urzustande sich befindenden Arbeiter fur sich gewinnen konnten. 
Nur aus solchen Umstanden ist es zu erklaren, dafz der Handstreich 
der Bolschewiki im November 1917 gelang und dafz sie durch die 
Eroberung des Regierungs apparats in den beiden Hauptstadten 

12 179 



Petersburg und Moskau sich sofort die Herrschaft iiber ganz Rulz- 
land sichern konnten. Die Bolschewiki folgten nicht Karl Marx, 
sondern Michael Bakunin; und seitdem sind es auch anarchistische 
Prinzipien, von denen ihre Herrschgewalt durchdrungen 1st. Sie 
konnen sich darin nur so lange behaupten, als sie unter dem Deck- 
mantel kommunistischer Theorien die Entwicklung der vorkapitali- 
stischen Epoche des Landes zu der Periode des Kapitalismus fordern. 
Die Gegensatze zwischen kommunistischen Thesen und wirtschaft- 
lichen Tatsachen miissen die bolschewistische Herrschaft verschlingen, 
sobald das Bauerntum sich als Klasse organisiert hat und die Grund- 
lagen der bauerlichen Wirtschaft, das Privateigentum an Grund urid 
Boden, von den Bolschewiki ernstlich bedroht wird. Die Hauptstiitze 
der bolschewistischen Herrschaft ist denn auch nicht die organisierte 
Macht und die sozialistische Erkenntnis des Proletariats, sondern die 
dem Bauer und dem Arbeiter gemeinsame Abneigung gegen die 
friiheren Trager der wirtschaftlichen und politischen Herrschaft 
Besteht diese Gemeinsamkeit der Interessen nicht mehr, miissen die 
Bauern befurchten, durch die Verwirklichung der kommunistischen 
Theorien ihres Privateigentums beraubt zu fwerden r so hat die Sterbe- 
glocke der bolschewistischen Herrschaft geschlagen. Darum sehen 
wir r wie die Kommunisten r urn sich an der Herrschaft zu halten, 
gerade das Gegenteil von dem tun, was die Grundsatze des Sozia- 
lismus und was ihre eigenen Grundsatze von ihnen verlangen. Sie 
sichern den Bauern das Privateigentum an Grund und Boden, sie 
schaffen durch die Freigabe des Handels die Vorbedingungen fiir 
neue kapitalistische Entwicklungen, sie rufen das auslandische 
.Kapital zur Ausbeutung der natiirlichen Schatze ins Land. Die wirt- 
schaftlichen Tatsachen erweisen sich eben als stacker, als alle anarchi- 
stisch-kommunistischen Glaubenssatze. 

D e u t s c h 1 a n d ist okonomisch reif fiir die Verwirklichung des 
Sozialismus. Aber die politischen Verhaltnisse lagen hier 1918 noch 
weit ungiinstiger als 1Q17 fiir Rufzland. Das Land war wehrlos den 
Anspriichen der Entente preisgegeben. Das Biirgertum r wenn es 
sich auch im ersten Schreck der Novembertage feige verkroch r 
besalz doch starke wirtschaftliche und politische Organisationen. 
Die Bauern waren konterrevolutionar gesinnt r die Proletarier 'im 
Waffenrock hatten die geistverwiistenden Kriegsjahre hinter sich r sie 
wollten zumeist nur wieder nach Hause und endlich zur Ruhe 
kommen. Die Eroberung der politischen Macht in Berlin bedeutete 
noch langst nicht die Beherrschung des ganzen politischen Apparats 
des Reichs. Die Ausrufung der Rateherrschaft in der Reichshaupt- 
stadt ware noch lange nicht die Feststellung der Tatsache gewesen, 
dalz die Herrschaft an das Proletariat libergegangen war. Die Parole: 
Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenraten, konnte nicht verwirk« 
licht werden, solange ihr selbst in Berlin nur eine Minderheit folgte, 
Millionen von Arbeitern aber teilnahmslos oder gar widerstrebend 
beiseite standen. Nur die Zusammenfassung aller proletarischen 
Krafte auf ein Ziel r die Verwirklichung der sozialen Demokratie, 
konnte damals die Herrschaft der Arbeiterklasse sichern; nicht durch 
die Zertrummerung der Produktivkrafte, wie in Rulzland, sondern nur 
durch ihre Erhaltung und ihre Sozialisierung konnten die unend- 
lichen Schwierigkeiten uberwunden werden. 

180 



Hier ebev tiirmten sich die Hindernisse von der anderen Seite auf. 
Die rechtssozialistische Ftihrung war wahrend der Kriegszeit eine zu 
•enge Bindung mit der Bourgeoisie eingegangen, als dalz sie sich 
jetzt so schnell harte darauf besinnen konnen, dalz die Urkraft des 
Proletariats nur in seiner Selbstandigkeit als Klasse liege/ Ihr erster 
Gedanke wahrend des Zusammenbruchs war nicht die Verwirk- 
lichung des Sozialismus, sondern sie sann nur darauf, wie sie durch 
das Festhalten an der Koalition mit Liberalen und Klerikalen wenig- 
stens einige Konzessionen aus dem Bankrott retten konnte. Bis zum 
9. November reichen ihre Bemuhungen, den offenen Ausbruch der 
Revolution zu verhindern und die Errichtung einer vom sozialisti- 
schen Geist beherrschten Gemeinschaft unmoglich zu machen. 
Heinrich Strobel, den man gewiiz als unparteiischen Zeugen 
ansprechen darf, da er ein Jahr spater den Weg zu der rechts- 
sozialistischen Partei wieder zuriickfand r hat in seiner Schrift: rr Die 
Kriegsschuld der Rechtssozialisten" die Situation des November 
folgendermalzen geschildert: 

Vier Jahre lang hatten die Mehrheitssozialisten alle Kriegskredite 
b e w i 1 1 i g t r die Legende des Verteidigungskrieges verbreitet, jede deut« 
sche Kriegsbarbarei besch5nigt und nur da zielbewulzte Rucksichtslosigkeit 
betatigt, wo es gait, den Burgfrieden gegen die Auflehnung unabhangiger 
Parlamentarier, Redakteure und streikender Arbeitermassen zu schtitzen. 
Noch in den letzten Tagen vor der Berliner Revolution, als sich bereits die 
gesamte Marine erhoben und ganz Nordwestdeutschland die Republik 

groklamiert hatte, warnte das Zentralorgan der Mehrheitler die Ber« 
aer Proletarier noch immer vor jeder Strafeendemonstration. 
Als freilich die Berliner Arbeiter und Soldaten unbekiimmert urn die War^ 
nungen des „Vor warts" am 9. November in einem Anlauf den ganzen 
Ordnungsplunder uber den Haufen geworfen und im Schloiz und auf dem 
Reichstag die rote Fahne gehilzt hatten, verstanden sich die Scheidemanner 
der veranderten Situation ebenso plotzlich anzupassen wie in den ersten 
Augusttagen des Jahres 1914. Wie sie damals militarfromme Patrioten 
geworden waren, so wurden sie jetzt innerhalb weniger Stunden martia« 
Bstische Revolutionare. Die Geschwindigkeit war freilich keine Hexerei, 
denn diesmal wenigstens handelte sichs wirklich nur urn einen Kostiim« 
w e c h s e 1. 

Die Unabhangige Sozialdemoikratie brauchte diesen Kostumiwechsel 
nicht mitzumachen. Sie blieb, was sie von Anfang an gewesen war, 
die Partei des proletarischen Klassenkampfes und der sozialistischen 
Erkenntnis. Sie wurde weder von der Novemb err evolution tiber- 
rascht, noch durfte sie sich einer Selbsttauschung uber deren Grund- 
lage hingeben. Freilich hat auch sie Irrungen und Wirrungen durch- 
zumachen gehabt, bis zwei Jahre danach die Spaltung von Halle 
auch die letzten Reste anarchistischen Denkens aus ihren 
Reihen entfernte. Aber was ihre offiziellen Kundgebungen in der 
damaligen kritischen Zeit offenbaren, den Geist marxistischen Wissens 
und Verstehens der Verhaltnisse, das wird in der Geschichte der 
Arbeiterbewegung als ihr dauerndes Ruhmesblatt bestehen bleiben. 

Am 12. November erliefz die Partei diesen A u f r u f : 

ParteigenossenI 
Mit Freude und Stolz sprechen wir zu EuchI 

Das scheinbar gegen alle Sturme festverankerte Gebaude des preuMsch« 
deutschen Militarismus ist zusammengebrochen. 

181 



Die Kronen der deutschen Furstenhauser, die Krone des deutschen Kaiser* 
turns sind wie Glas zerschellt. 

Verheilzungsvoll tritt an Stelle der Monarchie die sozialistische 
R e p u b 1 i k. 

Das revolutionare Volk hat kurzen Prozelz gemacht mit den Tragern der 
alten Regierungsgewalt, den Generalen und Bureaukraten. Es hat die 
Macht der Offiziere in der Armee, die Herrschaft der Junkerkaste in der 
Verwaltung, die Herrschaft des kapitalistischen Klungels im dffentlichen 
Leben gebrochen und die Regierungsgewalt an sich gerissen. 

Die Trager dieser Gewalt sind heute die Arbeiter* und 
S oldat en~Rate. 

In derselben Stunde, in der die Mauern der alten Verwaltung zertrummert 
sind, ist der Grund gelegt fur den gewaltigen Bau der neuen s o z i a « 
listischen Ordnung. Jetzt gut es mit dem Aufgebot aller schopfe* 
rischen Krafte den Frieden zu sichem, die revolutionaren Errungenschaften 
zu festigen, um mit der politischen auch die okonomische Betreiung der 
Arbeiterklasse zu vollenden. 

Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat vom ersten 
Tage ihres Bestehens an das bevorstehende Ende des Militarismus und des 
Imperialisms verkiindet und alles getan, um die revolutionaren 
Krafte der Arbeiterklasse zu entf esseln. Heftig bekampft von 
der Sozialdemokratischen Partei, die noch beim Ausbruch der Revolution 
verstandnislos diesen Ereignissen gegenuberstand und die Vorkampfer der 
Revolution schmahte. 

Die Not der Stunde verlangte gebieterisch die Herstellung einer Re« 
gierung, die dem blutigen Gemetzel ein Ende machen, die begonnenen 
Waff enstillstandsverhandlung-en zum Abschlulz bringen und den Frieden 
sicherstellen sollte. Erne Regierung, die mit Nachdruck an die V e r * 
wirklichung der sozialistischen Grundsatze herantritt. 

Dafur war aber eine Gewahr nur gegeben, wenn unsere Partei entschei* 
denden Einflulz auf die Regierung bekam, deshalb verlangten wir, das 
neue politischeKabinett musse ein rein sozialistisches 
sein, in dem beide sozialdemokratischen Parteien zu gleichen Teilen mit 
gleichen Rechten vertreten sind. 

Diese Regierung konnte die Gewalt nur aus den Handen der Arbeiter* 
und Soldaten»Rate empfangen. Die Regierunsf wurde deshalb auch erst in 
dem Augenblick konstituiert, als die erste Vollversammlung des Berliner 
Arbeiter- und Soldaten«Rats die Bildung eines provisorischen Kabinetts in 
dieser Zusammensetzung billigte. 

Durchdrung-en von dem f esten Glauben an die Durchfuhrbarkeit 
unseres Endzieles gehen wir an die schwere Arbeit der Be-s~itigung 
der Kriegsiibel und des Kriegselends, an den Wiederaufbau der i storten 
Volkswirtschaft, an die durchgreifende Umg-estaltung aller Gebiete nseres 
offentlichen Lebens, an die Ausmerzung aller Machtpositionen dei bisher 
herrschenden, besitzenden Minderheit. 

Wirksam kann dieses nur geschehen, wenn die Arbeiter in Massen zu 
uns stehen und unsere Arbeit fordern. 

Sobald die Parteigenossen von den revolutionaren Posten, auf denen sie 
jetzt Wache halten, sich entfernen konnen, werden wir einen Parteitag em- 
berufen. Dort sollen unsere Genossen entscheiden uber die Schritte, die 
wir unternommen haben. 

Und nun auf zu ra^stloser Arbeit! Sammelt das Proletariat unter 
dem Banner der Parte\ die kuhn und klar sehend die Massen zu dem 
revolutionaren Ziel gefuhrt hat, das nun erreicht ist. 

182 



Es lebe die grundsatztreue, revolutioriare Sozialdemokratie, die Unab« 
hangige Sozialdemokratische rartei Deutschlandsl 

1 Es lebe die sozialistische Internationalel 

Der Vorstand der Unabhangigen Sozialdemokrati* 
schen Partei Deutschlands. 

Die Unabhangige Sozialdemokratie war also, auf das Drang-en der 
Soldaten- und Arbeiterrate, die stiirmisch nach der Einigung 
des Proletariats rief en, in die Regierung der Volksbeauftragten 
eingetreten; aber sie hatte dort von Anfang an mit den grofzten 
Schwierigkeiten zu kampfen. Links von ihr standen die Spartakus- 
leute, die mit ihrer „Vorhut" die Revolution durchfuhren wollten 
und denen die tatsachlichen wirtschaftlichen und politischen Ver- 
hSltnisse nur dazu dienten, urn sie zu milzachten; rechts stand die 
Sozialdemokratische Partei, die nur widerwillig sich vom Biirgertum 
gelost und an das Proletariat angeschlossen hatte. Hinter sich aber 
hatte sie kaum 100 000 organisierte Mitglieder; sie war noch keine 
Landespartei, weite Gebiete des Reichs waren bisher von der unab- 
hangigen Be<wegung noch gar nicht beriihrt worden. Zu Anfang 
besalz sie erst wenige Blatter, nur mit der groizten Anstrengung 
gelang es, bis zum Dezember ihre Zahl auf etwa zwanzig zu erhohen. 
Die Volksbeauftragten regierten nicht miteinander, sondern gegen- 
einander und es stand schon nach wenigen Tagen fest, dalz es 
bald wieder zum Bruche kommen wiirde. 

Die Geister schieden sich vor allem in der Frage, wie der neue 
Staat aufgebaut werden solle. Die Rechtssozialisten wollten die 
alten Organe des Staates erhalten wissen und sie hochstens mit 
Hilfe der formalen Demokratie umgestalten. Ihnen war die Revo- 
lution nur eine vorii'bergehende und dazu noch hochst unerfreuliche 
Erscheinung; deshalb verlangten sie, dafz die Arbeiter- und Soldaten- 
rSte wieder verschwinden sollten, sobald sie ihre Aufgaie, die alte 
burgerliche Ordnung wieder herzustellen, erfiillt hatten, und daiz die 
Nationalversammlung iiber die endgultige Gestaltung des 
Staats entscheiden sollte. Die Unabhangigen Sozialdemokraten da- 
gegen f orderten die Anerkennung der Rate als der Organe 
der Revolution; Demokratie und Ratesystem sollte nicht als Gegen- 
satz aufgefaizt werden, sondern das Ratesystem als die Organisation 
der werktMtigen und produzierenden Bevolkerung wiirde die wahre 
demokratische Verfassung des Landes sein. Kaum, dalz das alte 
Regime gestiirzt war, so riefen die Rechtssozialisten schon nach der 
Nationalversammlung; die Unabhangigen aber wollten der Arbeiter- 
klasse erst Zeit lassen, von den Forderungen des Sozialismus soviel 
wie nur immer moglich durchzusetzen. Die Regierung der Volks- 
beauftragten sollte durch Taten das Proletariat iiberzeugen, dalz es 
kein Zuriick mehr gabe. Die Demokratie, so formulierte das 
Hi If erding in einer der ersten Nummer des neuen Organs der 
Berliner Parteigenossen, der JPreiheit", miisse so.verankert werden, 
dafe eine Reaktion unmoglich werde. Vor allem aber mlifzten wir 
beweisen, dalz wir nicht nur Demokraten, sondern auch Sozialisten 
seien. Die Durchfiihrung einer Reihe wichtiger sozialistischer 
Uebergangsmalznahmen sei ohne weiteres moglich, es miilzten Stel- 
lungen geschaffen werden, die jedem kapitalistischen Gegenangriff 

183 



unangreifbar seien. Unsere Taten miiizten jetzt unsere Propaganda 
sein. In aieser Situation erlieiz die UnabhMngige Sozialdemokratie 
folgenden Aufruf: 

Parteigenossen, ParteigenossinnenI 

Die Ketten der politischen Unterdruckung sind zerbrochen, die Fesseln 
okonomischer Ausbeutung nur gelockert. Auch sie miissen fallen. Die 
Arbeit er und Soldaten sind die Werkmeister der Um« 
walzung. In alien Arbeiter- und Soldaten«Raten liegt Kraft des Rechts 
der Revolution die politische Gewalt. Die Regierung ubt sie aus, weil und 
solange sie das Vertrauen der Arbeiter* und Soldaten~Rate hat. Die Orga* 
nisation der Arbeiter« und Soldaten~Rate erweitert und befestigt sich. 
Bezirksrate bilden sich an manchen Stellen. Bald wird ein Zentralrat fur 
das ganze Deutsche Reich geschaffen werden. 

Eine Zusammenfassung aller Krafte ist erforderlich, damit aus den Ruinen 
neues Leben bluhen kann, damit die deutsche Republik mit 
s'ozialistischem Inhalt erfullt wird. 

Die Bourgeoisie ruft mit verdachtiger Eile, nachdem sie sich vom ersten 
Schrecken der Revolution erholt hatte, tagein, tagaus nach der s o f o r t i « 
gen Einberufung der Konstituante. Am lautesten gebarden 
sich dabei die alten Vertreter des Scharfmachertums, die wiitendsten Feinde 
der Arbeiterklasse. Die Verrater des Volkswillens berufen sich jetzt, mit 
einem Mai auf das Volk, aber sie wollen nicht den Ausdruck der Volks* 
meinung. Eine sofortige Zusammenberufung der Konstituante bedeutet 
Raub des Wahlrechts fiir Millionen, die seit Jahren taglich unter den grdlz- 
ten Entbehrungen dem Tod ins Auge geschaut haben. 

Ist das der Dank an die Soldaten, dafz uber die kixnftige Gestaltung, uber 
das kiinftige Schicksal Deutschlands durch eine Wahl entschieden werden 
soil, von der ein grolzer Teil der Soldaten ausgeschlossen ist? Von einer 
konstituierenden Versammlung kann erst die Rede sein, wenn die Soldaten 
wieder in ihrer Heimat bodenstandig geworden sind, wenn die Arbeiter erst 
eine feste Arbeitsstatte, ein Heim gefunden haben. 

Von einer konstituierenden Versammlung kann erst die Rede sein, wenn 
es feststeht, dafz die Bevolkerung der auf Grund des Waffenstillstandes 
besetzten Gebiete frei und unbeeinflufzt wahlen kann. Oder wird es jemand 
wagen, diesen das Wahlrecht zu entziehen? 

Jeder Politiker weifz, dafz die technischen Vorbereitungen einer Wahl 
schon friiher langere Zeit erforderten. Jetzt sind iiberall neue Listen fiir 
alle uber 20 Jahre alten Frauen und Manner anzulegen. Es darf nicht vor- 
kommen, dafz bei einem solch wichtigen Akte infolge Uebersturzung Wahl*, 
berechtigte unregistriert bleiben und ihres Wahlrechts beraubt werden. 

Eine Wahl hat nur dann Wert, wenn die Wahler auch uber die ihr zu« 
grunde gelegten politischen Fragen aufgeklart werden. Millionen von Sol« 
daten sind durch den sogenannten vaterlandischen Aufklarungsdienst uber 
die politischen Vorgange dauernd belogen worden. Sie zu unterrichten, 
mufz Zeit bleiben. 

Konstituante — ja, sie wird kommen, aber sie kann erst kommen, 
wenn alle technischen und politischen Voraus« 
setzungen erfullt sind, wenn in ihr wirklich derWille 
des aufgeklarten Volkes ausgepragt ist. 

Die Scharfmacher im Lande wissen sehr gut, daiz die Wahl, wenn sie 
nicht zur Komodie gemacht werden soil, nicht in kurzester Zeit vorgenom* 
men werden kann. Sie suchen die sozialistische Regierung zu diskreditieren 
und scheuen sich nicht, selbst das Ausland aufzupeitschen, daiz es nicht 
eher Frieden gewahren soil, bis die Konstituante zusammentritt. Sie werden 
so in der Zeit der grofzten Not Friedensverhinderer. 

184 



Mitschuidig an diesem verbrecherischen Tun sind alle, die es still- 
schweigend oder ausdrucklich unterstiitzen. Merken die Rechtssozialisten 
noch immer nicht, dalz sie die Geschafte der Reaktion betreiben, .wenn sie 
in das Geschrei der Arbeiterfeinde einstimmen? 

Die Bourgeoisie verfolgt mit ihrem Kampfgeschrei noch einen anderen 
Zweck. Sie will alle tiefergreifenden sozialen Umgestal* 
tungen aufhalten, indem sie glauben machen will, dalz die sozia- 
listische Regierung kein Recht habe, vor Zusammentritt der Konstituante 
Gesetze zu erlassen oder gar an die Sozialisierung" der Betriebe vorher zu 
gehen. Die Regierung hat das Recht dazu, weil sich in ihr die gesetz- 
gebende Macht des souveranen Volkes verkorpert, und sie hat die Pflicht 
dazu, wenn sie die Massen, die die Trager der Revolution sind, nicht im 
Stich lassen will. Diese Pflicht gilt es nunmehr zu erfullen. 
Parteigenossen, Parteigenossinnenl 

Seid auf dem PostenI Werbt mit dem groizten Eifer neue Anhanger fur 
unsere Partei. Je starker unsere Partei ist, desto sicherer ist es, dalz d i e 
Forderungen des Sozialismus verwirklicht werden. 

Urn die Errungenschaften der Revolution festzuhalten und auszubauen, 
gibt es kein wirksameres Mittel, als die Starkung unserer Organisation, der 
Hnabhangigen Sozialdemokratischen Partei. Wahrend des ganzen Krieges 
hat unsere Partei die Kriegspolitik bekampft, ihre Anhanger mit dem Geist 
des Sozialismus erfullt. Ihre geschichtliche Aufgabe istes, das 
Proletariat zu sammeln, zur Beseitigung jeder Klassenherrschaft, zur Auf « 
richtung der sozialistischen Gesellschaft. 

Die Parteileitung der Unabhangigen Sozialdemo« 
kratischen Partei Deutschlands. 

Die Bourgeoisie hatte zuerst als mit einer Selbstverstandlichkeit 
damit gerechnet, dalz es mit ihren Privilegien nunmehr fiir immer 
voruber war. Kannte sie doch von alien biblischen Spriichen den 
am besten, der da heilzt „Auge um Auge, Zafin um Zahn", und wie 
sie bisher das Proletariat niedergetreten hatte, so erwartete sie jetzt 
umgekehrt, dafz die Arbeiterklasse ihre bisherigen AJnterdnicker ohne 
Gnade niederwerfen wiirde. Als nun aber gar nichts von dieser Art 
geschah, da sammelten sich nach den ersten Tagen der Verwirrung 
wieder jene Krafte, die auf die Revolution mit der Gegenrevo- 
1 u t i o n zu antworten gedachten. In Berlin wurde der Versuch 
unternommen, Herrn Ebert zum Reichsprasidenten zu machen, damit 
er als Platzhalter fiir den zuriickzuhdlenden Monarchen diene. W<ar 
bis jetzt die Umwalzung fast friedlich vor sich gegangen, so kam es 
nunmehr zu grofzeren Blutvergiefzen. Und als ob nichts geschehen 
sei, versuchte Herr Fehrenbach, der bisherige Reichstags- 
prasident, im Dezember den Reichstag einzuberufen, damit er die 
Ordnung vollig wieder herstelle. 

Das Starkeverhaltnis der revolutionaren Krafte 
zeigte sich auf der ersten Konferenz der Arbeiter~ und 
Sold'atenrate Deutschlands, die Mitte Dezember in Berlin 
zusammentrat. Die Una'bhangige Sozialdemokratie bildete nur eine 
Minderheit, der Spartakusanhang war auf eine lacherlich geringe 
Vertreterzahl angewiesen, die aber einen um so grofzeren Larm 
machte. Die Masse der politisch ununterrichteten Soldatenrate hing 
dem Kongrelz wie ein Bleigewicht an. Gerade wegen dieser unzu- 
verlassigen und unberechenbaren Zusammensetzung des Kongresses 
hatte man versuchen miissen, ihn, so gut es ging, fiir die noch zu 

185 



losenden Hauptaufgaben der llmwalzung zu verwenden. Man konnte 
unmoglich die Forderung aufstellen: alle Macht den Raten, diese 
Forderung aber nur in dem Falle anerkennen, wenn sie dem 
Willen einer Minderheit entsprach. Unter dem Einfluiz der Bralz, 
Koenen und Kurt Geyer stellte sich aber die Unabhangige Fraktion 
schmollend beiseite, als die Konferenz die Einsetzung eines Zentral- 
rats beschlofz, der den Berliner Vollzugsrat in seinen Machtbefug- 
nissen ablosen sollte. Beide Korperschaften haben von da an nur 
noch ein Schattendasein gefiihrt: der Vollzugsrat, indem ihm 
keine neuen revolutionaren Krafte mehr zuflossen, und der Z e n t r a 1- 
rat, indem sich ihm die Mitarbeit der revolutionaren Krafte ent- 
zog. Das Feld blieb im Zentralrat ganz den Rechtssozialisten 
liberlassen, ihre Tatigkeit erschopfte sich darin, die Episode der 
Soldaten- und Arbeiterrate fur Deutschland zu Ende zu bringen. 

Die Konferenz hatte den Beschlulz gefalzt, die Nationalversammlung 
einzuberufen, die Volksbeauftragten setzten dann den W a h 1 « 
termin auf den 21. Februar fest. Die Parteileitung der Unab- 
hSngigen Sozialdemokratie erlielz am 27. Dezember dazu einen Auf- 
ruf, in dem es hieiz: 

Die Tage seit der Revolution haben gezeigt, dalz die historische 
Aufgabe der Partei damit nicht e r f u 1 1 1 ist. Die Massen in 
Stadt und Land haben zwar erkannt, dafz nur im vollstSndigen politischen 
und wirtschaftlichen Neuaufbau die Rettung fur die ungeheuren Kriegs* 
schaden zu finden ist. Aber die rechtssoziaGstische Fuhrerschaft geht nur 
allzu zaudernd und zogernd ans Werk. Sie ftirchtet den Bruch mit den 
burgerlichen Parteien, mit denen sie solange in enger Gemeinschaft gelebt 
hat. Sie schreckt zuriick vor der ktihnen Fortfuhrung der Revolution, vor 
den notwendigen Maiznahmen ihrer Sicherung und der Niederhaltung der 
Gegenrevolution. 

Der Verlauf der Reichskonferenz der Arbeiter* und Soldaten-R&te hat 
erneut den Beweis erbracht, dalz alle energischen und durchgreifenden Mafz« 
nahmen auf den Widerstand der Rechtssozialisten stolzen. Die wichtigen 
und unumganglich notwendigen Forderungen der Soldaten begegneten ihrem 
Widerstreben, und die Ausfiihrung der Beschlusse ist bei dem Widerstand 
der Heeresleitung nicht gesichert. Die Antrage der Unabhangigen Sozial* 
demokratie auf Wahrung der Rechte des Zentralrates wurden von ihren 
Anhangern niedergestimmt. Die revolutionare Energie wurde nicht ge« 
starkt, sondern geschwacht. Die USPD. erhalt so die Aufgabe, als Tra* 
gerin einer prinzipiellen sozialistischen Politik fur 
die Verwirklichung des Sozialismus in der revolutionaren Epoche bis zum 
endgiiltigen Siege zu kampfen. Die Partei verkennt nicht, dalz die Haupt- 
schlacht geschlagen werden mulz zwischen dem vereinigten Biirgertum auf 
der einen Seite und dem Proletariat auf der andern Seite. Denn in diesem 
Wahikampf handelt es sich nicht mehr um einzelne politische oder wirt« 
schaftliche Forderungen der Arbeiterklasse, sondern es geht um die Auf* 
hebung der Klassenherrschaft iiberhaupt, um die Ersetzung 
der kapitalistischen Ausbeutung durch die sozialistische Gesellschaft, der in 
Freiheit und Gleichheit verbundenen Menschheit. Soil aber dieses hSchste 
Ziel, um das je gerungen worden ist, erreicht werden, so bedarf es der Vor* 
kampfer, die unbehindert um jede Riicksicht auf die Gegner, unbelastet von 
einer schuldbeladenen Vergangenheit die Wegbereiter des Neuen sein konnen. 
Um ungehindert diese Aufgabe erfiillen zu konnen, mufz die USPD. in 
v oiler Geschloss enheit und Selbstandigkeit in den 
Wahikampf eintreten. 

186 



Die Partei erwartet von alien ihren Genossen, dafz sie mit ganzer Kraft 
die Zeit ausniitzen zur Werbung fur die sozialistischen Ideen, zur Aufriitte« 
lung- der Massen, zur Gewinnung neuer Kampfer. 

Inzwischen ging die Gegenrevolution zum Angriff auf das 
Proletariat ixber. Die rechtssozialistische Fiihrung hatte mit 
dazu beigetragen, dafz im alten Heere, das von den Fronten zuriick- 
stromte, und nun wieder im Innern erschien, die Kommandogewalt 
bei den bisherigen Inhabern verblieb. Und diese saumten nicht, die 
giinstige Situation in ihrem Sinne auszubeuten. Die Spartakus- 
anhanger gaben ihnen bald Gelegenheit dazu, um unter dem Vor- 
wande, die republikanische Regierung vor dem Terror der Straize 
zu schiitzen, den eigenen Terror gegeniiber der Arbeiterklasse aufzu- 
richten. Wir konnen auch an dieser Stelle wiedergeben, was 
Strobel in seiner Schrift (iber die nun folgende Periode der deutschen 
Revolution ausgefiihrt hat: 

Mit der Wiederherstellung des alten Militarismus 
begannen die bisher so unblutig verlauf enen Kampf e der Revolution sof ort 
einen mafzlos brutalen Charakter anzunehmen. Ohne die Ben 
drohung der Revolution durch den neuerstandenen Militarismus, ohne die 
g-egenrevolutionaren Putschversuche der Offiziers* und Unteroffiziersgarden 
xm Dezember hatte der Spartakismus niemals eine Bedeutung gewonnen. 
Und ohne das Massaker in der Chausseestralze, ohne die Niederschieizung 
unbewaffneter Demonstranten, ohne die eifersiichtigen Intrigen gegen 
Eichhorn w&re die blutige Januarwoche unmdglich gewesen. Aber fur den 
neuen Militarismus war dieser Burgerkrieg ja das „moralische Stahl« 
bad", der einzige Nachweis seiner Existenzberechtigung. Er konnte nur 
grolz werden und sich uber das ganze Reich ausdehnen, wenn es an mog« 
Echst vielen Orten „Putsche*' und „Aufstande" zu unterdriicken gab. Je 
brutaler man auftrat, desto eher konnte man mit neuen Ausbruchen der 
Volkserbitterung rechnen. So verfuhr man denn nach diesem Rezept. Die 
sogenannte Spartakus~Woche, die Ermordung von Liebknecht, Rosa 
Luxemburg, Jogiches, der 82 Mariner, die Exekution gegen Bremen, Dussel^ 
dorf, Braunschweig, Magdeburg, die Bluttaten im Berliner Csten, in Mim* 
chen, kurz, all die Taten des Noske-Militarismus haben sich ja 
so tief in die Seele aller ehrlichen Demokraten und Sozialisten eingebrannt, 
dafz eine liickenlose Auflosung der endlos langen Kette dieser Greuel wahr* 
haftig nicht vonnoten ist. 

Fiir die Unabhangige Sozialdemokratie war nunmehr die Zeit ge- 
kommen, wo sie den Bruch mit den Rechtssozialisten 
vollziehen und aus der Regierung ausscheiden mufzte. 
Man hat damals den unabhangigen Volksbeauftragten zum Vorwurf 

gemacht, dafz sie rnit diesem Schritte zu lange gezogert hatten. 
ieser Vorwurf war nicht berechtigt; sie mufzten solange in der 
Regierung bleiben, als noch die Moglichkeit bestand, die Revolution 
zu schiitzen. Erst als die Beteiligung an der Regierung eine offene 
Parteinahme fiir die Gegenrevolution bedeutet hatte, schlug die 
Stunde, in der der Bruch vollzogen werden mufzte. Hugo Haase 
hat liber die damit abgeschlossene erste Phase der Revolution in der 
Neujahrsnummer der „Freiheit" ausgefiihrt, dafz die Arbeit der unab- 
hangigen Volksbeauftragten nicht nur bei den Rechtssozialisten 
Schwierigkeiten fand, sondern dafz sie sich auch der Angriffe zu 
erwehren hatten, die von den eigenen Parteigenossen ausgegangen 
waren. Dadurch erschwerten sie deren Tatigkeit und trugen eine 
unheilvolle Verwirrung in die Reihen der Partei. Es werde auch 

187 



kunftig unbegreiitich erscheinen, dalz namhafte Mitglieder der Parte! 
dariiber diskutieren konnten, ob die Beteiligung der Wahlen an der 
Nationalversammlung geboten sei. Hatte die U. S. P. auf dem Ron- 
greiz der Arbeiter- und Soldatenrate nicht trotz aller Warnungen 
den schweren taktischen Fehler begangen, den Zentralrat allein 
den Mehrheitssozialisten zu ttberlassen, so ware jetzt eine andere 
politische Situation. Die Rechtssozialisten hatten aus der Regierung 
ausscheiden miissen, da selbst deren eigene Anhanger im Zentralrat 
keineswegs durchweg auf ihrer Seite standen. Dann erst hatte die 
IL S. P. die Moglichkeit gehabt, die sozialistischen Forderungen zu 
erfiillen und sich damit das Vertrauen der groizen Massen r die bis 
dahin noch den Rechtssozialisten folgten, zu erwerben. Trotz der 
bisher begangenen Fehler aber ha'be die U. S. P. keinen Anlalz zurn 
Verzagen, die Revolution sei noch nicht abgeschlossen und der 
Partei harrten noch grolze Aufgaben. 

Urn die Jahreswende traten die Spartakusanhanger 
aus der Unabhangigen Sozialdemokratie aus. Sie 
hatten damit wahr gemacht r was sie schon vor dem Grundungs- 
parteitag in Gotha angekundigt hatten r daiz sie namlich die U. S. P. D. 
nur als schiitzendes Dach fur sich benutzen wollten 7 das sie wieder 
verlassen wurden, sobald die politische Situation fur sie nicht mehr 
gefahrdrohend sei. Sie betrieben schon langst innerhalb der 
II. S. P. D. eine vollig selbstandige Politik, ihre Wortfuhrer wulzten 
nichts Besseres zu tun r als die Politik der Partei standig zu durch- 
kreuzen. Mit dem Ausscheiden der Spartakusanhanger aus der 
Partei waren jedoch noch langst nicht alle halbsozialistischen und 
anarchistischen Elemente davongegangen; sie belasteten die Partei 
noch anderthalb Jahre lang, weniger mit dem Gewicht ihrer Griinde, 
<als mit dem Schwall ihrer Phrasen. Erst im Oktober 1920 kam die 
•endgultige Trennung auch von diesen Schichten, und damit die Her- 
stellung einer einheitlichen und klaren Linie in Grundsatzen und 
Taktik. 

Die Wahlen zur Nationalversammlung hatten der 
U. S.P.D. 2186 305 Stimmen und 22 Mandate gebracht. Wenn 
sie damit auch weit hinter der rechtssozialistischen Partei zurlxck- 
geblieben war, die 11 112 450 Stimmen und 165 Mandate musterte, 
so konnte dieses Ergebnis doch nicht als ein ungiinstiges Zeichen 
bewertet werden. ;Nur in wenigen Wahlbezirken besafz damals die 
Partei eine eigene Presse und eine schlagfertige Organisation. In 
vielen industriellen Bezirken, in manchen Grofzstadten waren nur 
wenige Stimmen abgegeben worden, denn dort bestand bisher nicht 
die Moglichkeit, aufklarend unter den Massen zu wirken. Wo da~ 
gegen Organisationen und Presse gearbeitet hatten, da stand die 
Mehrzahl der Arbeiterschaft zur Unabhangigen Partei; so in Berlin, 
in Mitteldeutschland, in Leipzig, in Thiiringen und am Niederrhein. 

Immerhin hatten die beiden sozialistischen Parteien 47 Prozent 
aller Wahler fur sich gewonnen. Erwagt man, dafz der Spartakus- 
bund zur Wahlenthaltung aufgefordert hatte, dalz viele Tausende von 
Proletariern im Soldatenrock noch nicht in die Heimat zuriickgekehrt 
waren, so kann man wohl sagen, dalz sich bei den Wahlen zur 
Nationalversammlung die Mehrheit des Volkes fiir die 

188 



Parteiender Arbeiterklasse erklart hatte. Welche Auf- 
gabe war nunmehr von diesen Parteien zu erfullen? Sie mulzten den 
Willen der Massen vollstrecken, die Front gegen die Bourgeoisie, 
gegen den Klassenstaat, gegen die kapitalistische Ordnung nehrnen 
und sofort an die Verwirklichung der sozialistischen Forderungen 
gehen. Die rechtssozialistische Partei versagte auch diesmal wieder. 
Sie st elite ein Rechenexempel auf, bei dessen Losung sich ergeben 
mtisse, dalz nur eine Koalitionsregierung mit biirgerlichen Parteien 
in Frage komme. Sie muteten dem Proletariat von vornherein zu, 
auf die Weitertfiihrung der sozialen Revolution zu verzichten. Die 
Zeit bis zum Zusammentritt der Nationalversammlung nutzten denn 
auch die rechtssozialistischen Volksbeauftragten, die die Regierung 
inzwischen allein weiterfiihrten, nach Kraften dahin aus, urn die 
Revolution zu liquidieren und die Arbeit erschaft zu „Ruhe und Ord- 
nung", will sagen, zur Anerkennung der alten wirtschaftlichen und 
staatlichen Verhaltnisse zu zwingen. Sie wirkten in dieser Richtung 
positiv durch die llnterdruckung der Arbeiter- und Soldatenrate, der 
typischen Organisation des revolutionaren Kampfes, und negativ 
dadurch, dafz sie die Inangriffnahme der von der Konferenz der 
Arbeiter- und Soldatenrate geforderten Soziaiisierung verschleppten 
und schliefzlich ganz verhinderten. Dieser Periode hat Noske, 
dieser wildgewordene Unteroffizier und Spielzburger, seinen Stempel 
aufgedriickt. Es ist nicht notwendig, alle Schandtaten gegen die 
Arbeiterklasse aufzuzahlen, die mit dem Namen dieses Mannes ge- 
deckt sind. Es geniigt zu sagen, dalz seine Ministerkollegen, dafz die 
rechtssozialistische Parteileitung und schliefzlich auch die ganze 
Partei ihm oft genug ihr Vertrauen ausgesprochen und damit vor der 
Geschichte die voile Verantwortung fiir die bemchtigte Noskepolitik 
mit ubernommen haben. Mit vollem Recht ist in einem Aufruf, den 
die Parteileitung der II. S. P. D. und die Unabhangige Fraktion der 
Nationalversammlung am 8. Februar veroffentlicht haben, gesagt 
warden, dalz die VerfalschungderRevolution nur moglich 
geworden sei, weil die Fixhrer der Rechtssozialisten niemals den Mut 
zu einer sozialistischen Politik besessen hatten. 

Die vollige Niederwerfung des Militarismus, so heilzt es in dem Aufruf, 
war das erste Gebot der Revolution; die Rechtssozialisten haben es preis* 
gegeben. Die Forderung des Kongresses der A.« und S.-Rate nach A b « 
schaffung der alten Kommandogewalt und nach sofor* 
tigem Beginn der Soziaiisierung haben sie mifzachtet. Wie 
die Regierenden im alten Staate stiitzten sich die Ebert r Scheidemann, 
Noske, Landsberg in der ^sozialistischen Volksrepublik" nur auf die Gewalt 
der Waffen. Gewalt war ihr einziges Mittel, streikende Arbeiter und 
revolutionare Kampfer zur Ruhe zu bringen. Im Namen von „Ordnung, 
Ruhe und Sicherheit" verweigerten sie Verhandlungen und giitlichen Aus« 
gleich, be waff net en sie Offiziere und Studenten, be waff net en sie das Burger* 
turn gegen die Arbeiter und fuhrten in Berlin und Bremen die schrecklichen 
Tage des Brudermordes herauf, den sie auch anderen Orten androhten. 

Die Regierung der „Sozialistischen Volksrepublik" ist die Gefangene des 
von ihr ins Leben zuruckgerufenen Militarismus. Sie mulz es daher dulden, 
dafz die personliche Freiheit, das Hausrecht, die Gesundheit, das Leben der 
revolutionar gesinnten Arbeiter angetastet werden, schlimmer und frecher 
als jemals unter dem Belagerungszustand des alten Staates. Sie mulzte es 
dulden, dafz Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die ver« 
haftet und deshalb im Schutz der Regierung waren, von entarteten Sold* 

189 



knechten des neuen Militarismus ermordet, dafe wehrlose Gefangene 
in grofzerer Zahl feige und hinterlistig erschossen wurden. Die Morder 

gehen frei herum, gedeckt von den Generalen, den Herren der Regierung. 
>ie revolutionaren Kampfer dagegen ubergibt die sozialistische Regierung 
nicht einem revolutionaren Tribunal, sondern den bur^erlichen Gerichten, 
die im Namen von „Ruhe 7 Ordnung und Sicherheit ' Schreckens« 
urteile aussprechen. 

Wie der Militarismus, so triumphiert wieder der Kapitalismus. Wer 
immer geglaubt hat, dalz nocK vor dem Zusammentritt der National- 
versammlung die Grundlage fiir die Sozialisierung der Betriebe geschaffen 
wurde, er ist bitter enttauscht worden. Starkung des Kapitalis- 
mus ist die Losung der Bourgeoisie, deren Diktat die rechtssozialistischen 
Fuhrer auch hier gehorchen. Sie planen die Einfuhrung des Arbeits- 
zwanges und der Auirechterhaltung des kapitalistischen Systems. Sie ver« 
dachtigen die Arbeiter, die durch Unterernanrung, Ueberarteit, Kriegsleiden 
korperlich geschwacht und erschopft sind, der Tragheit und der Arbeits* 
scheu. Aber sie dulden es, daiz Kapitalisten trotz vorhandener Bestellungen 
und Rohstoffe die Produktion einschranken. 

Wenn die Unabhangige Sozialdemokratie lediglich auf die Wahrung 
der Interessen der eigenen Partei bedacht gewesen ware, so hatte 
sie mit dieser Entwicklung der Dinge durchaus zufrieden sein konnen. 
Ununterbrochen stromten ihr S char en neuer Anhanger zu, unauf- 
horlich stieg die Mitgliederziffer ihrer Organisationen, der Leser- 
kreis ihrer Presse. Es waren, wenn auch nicht die schlechtesten, so 
auch nicht immer die geschultesten Krafte aus dem Proletariat, die 
zu ihr stielzen. Neben sehr wertvollen Elementen dr&ngte sich auch 
manche Spreu in die Reihen der Partei, die spater, als die hoch« 
gespannten Brwartungen nicht in Erfullung gingen und die Wogen 
der politischen Bewegung nicht mehr so hoch rollten, wieder von 
ihr ging, entweder, urn in dem anarchistisch-kommunistischen 
Hexenkessel von links das neue Heil zu suchen oder wieder in die 
fruhere Gleichgultigkeit zu versinken. Der Parteileitung erwuchs die 
Aufg<abe, die neuen Krafte zu schulen, agitatorische und journali- 
stische Befahigungen zu entwickeln, aus den mancherlei, sich oft 
widerstrebenden Ideen eine einheitliche Linie der Taktik 
zu bilden. Zugleich aber mufzten die Mittel beschafft werden, mit 
denen der Karnpf zu fiihren war. Die Partei verfugte nicht iiber 
den alten Organisationsapparaf, der bei den Rechtssozialisten zu 
linden war, es muizte fast alles von Grund auf neu geschaffen werden. 
Schon bei den wenige Wochen nach den Wahlen zu der National- 
versammlung vorgenommenen Wahlen fiir die Gemeinden 
zeigte sich, wie das Vertrauen der Arbeitermassen zu der Una'b- 
hangigen Sozialdemokratie wuchs. Die rechtssozialistischen Stimmen 
gingen rapide zuriick, dagegen wuchs die Stimmenzahl, die auf die 
Kandidaten der Unabhangigen Sozialdemokratie entfiel. In Berlin, 
wo die U. S. P. D. noch bei derWahl zur Nationalversammlung hinter 
den Rechtssozialisten marschierte und an zweiter Stelle der Parteien 
stand, riickte sie jetzt an die Spitze vor. Auch bei den Wahlen in 
den Einzelstaaten zeigte sich das gleiche Bild. 

Einen schweren Verlust erlitt die Unabhangige Sozialdemokratie 
am 21. Februar 1919 durch die Ermordung Kurt Eisners, 
des bayerischen Ministerprasid'enten. Kurt Eisner mag kein Politiker 
von grofzem Wurf gewesen sein; aber er war ein wahrhaf tiger und 

190 



darum grolzer Mensch, einer der Edelsten und Reinsten, die je an 
der Spitze der deutschen Arbeiterbewegung gestanden hatten, ein 
Gegner der Luge und der Gewalt. Sein Leben hatte der Arbeiter- 
klasse gehort, und sein erstes Wort, als er in Miinchen die Revolution 
zum Siege gefiihrt hatte, war: Einigung des Proletariats. Er war ein 
Prophet des neuen Geistes, der die Menschheit aus dem Dunkel 
unserer Tage hinfiihren sollte zu einer neuen hoheren Gemeinschaft. 
So wurde er vom Miinchener Proletariat geliebt, und so empfand das 
bayerische Proletariat die Ermordung Eisners als einen Schlag, der 
die ganze Arbeiteriklasse treffen sollte. Nur so ist es zu erklaren, 
dalz die Tat des graflichen Meuchelmorders eine Erregung ausloste, 
die in dem Versuche ausmiindete, eine Raterepublik fur Bayern zu 
begriinden. 

In den Sturmen dieser Zeit, die im einzelnen zu schildern an dieser 
Stelle zu weit fiihren wiirde, tagte in Berlin vom 2. bis zum 6. Marz 
1919 der zweiteParteitagderllnabhMngigen Sozial- 
d e m o k r a t i e. Die Partei sollte sich selbst Rechenschaft ablegen 
iiber ihre bisherige Tatigkeit, sie sollte sich neues Riistzeug schaffen 
fur die in der kommenden Zeit zu erwartenden schweren Kampfe. 
Es waren 180 Delegierte anwesend, dazu eine Reihe von Mitgliedern 
der Parteileitungen und auch mehrere auslandische Gaste. Im Ruhr- 
revier und in Mitteldeutschland waren gerade um diese Zeit grolze 
Streiks ausgebrochen und auch die Berliner Arbeiterschaft riistete 
sich zum Generalstreik. In vielen Fallen war der Eisenbahnverkehr 
lahmgelegt, zeitw-eise blieb die Nationalversammlung, die sich nach 
Weimar verzogen hatte, ohne jede Verbindung mit der Aufeenwelt. 
In Berlin tobte der letzte Kampf zwischen den Ueberresten der 
Arbeiterwehren und der Soldlinge des Noske-Militarismus. Das alles 
wirkte auch hemmend auf den Parteitag ein, eine Anzahl Delegierte 
konnten entweder nicht erscheinen, oder sie mufzten vorzeitig wieder 
abreisen, die Verhandlungen selbst verliefen in nervoser Spannung. 

Zwei Stromungen rangen auf dem Parteitage um die Oberhand, 
Die eine Auffassung ging von den realen wirtschaftlichen und poli- 
tischen Tatsachen aus; ihr Hauptsprecher war Hugo Haas e. Er 
verlangte, dalz klare Trennungslinien gezogen werden sollten, sowohl 
gegen die reformistische Politik von rechts, wie gegen die putschi- 
stische Taktik von links. Ebenso wie es eine Illusion sei, dalz man 
durch die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie die Forderungen des 
Sozialismus erfiillen konne, so sei es unmoglich, wie es der Spartakus- 
bund glaube, dalz eine kleine entschlossene Schar die politische 
Macht erobern und dauernd sichern konne. Die Unabhangige 
Sozialdemokratie mtisse auf Grund der sozialistischen Erkenntnis die 
Massen des Proletariats fiir sich gewinnen und sie in den Kampf 
um den Sozialismus fiihren. Dann werde die Herrschaft des Prole- 
tariats, seine Diktatur kommen. 

Ernst Daumig, der als Wortfiihrer der anderen Auffassung 
das Korreferat hielt, verlangte, dalz die Partei zugunsten des Rate- 
systems abdanke. Er baute fiir diesen Zweck ein sehr kiinstliches 
Gedankengebaude auf, das nur an dem einen, allerdings entschei- 
denden Fehler litt, dafz es die tatsachlichen wirtschaftlichen und 
politischen Verhaltnisse unberticksichtigt lielz. Das Ratesystem kann 

191 



nie das Z i e 1 des Sozialismus sein, sondern es darf nur ein M i 1 1 e I 
zur Umwalzung der kapitalistischen Produktionsweise in die soziali- 
stische bilden. Daumigs Ausfiihrungen gipfelten aber darin, dafe 
er dieses Mittel zum Zwecfce machen wollte, und von diesem Stand- 
punkt aus zur Verneinung des Parlamentarismus, zur Absage an die 
politische Partei r zur Verachtung der muhevollen agitatorischen Klein- 
arbeit in der Arbeiterschaft kam. Viel ware der Unabhangigen 
Sozialdemokratie und der Arbeit erbewegung im ganzen erspart ge- 
blieben, wenn Ernst Daumig und seine Freunde damals schon den 
Mut der Konsequenz gehabt und sich dem Spartakusbunde ange- 
schlossen hatten. Dort war aber nur eine kleiner Haufe von 
Arbeitern zu finden, wahrend in der unabhangigen Sozialdemokratie 
die Mass en des revolutionaren Proletariats sich vereinigten. Und so 
blieben denn Daumig und seine Gesinnungsgenossen so lange in der 
Partei, bis im Herbst 1920 der Machtspruch von Moskau ihrem 
zweideutigen Spiek ein Ende setzte. 

lleber den Stand der Organisation konnten L u i s e 
Z i e t z und W i 1 h e 1 m Dittmann giinstiges berichten. Vor der 
Revolution zahlte die Parte! ungefahr 100 000 Mitglieder, in den 
wenigen Monaten seitdem war ihre Zahl auf iiber 300 000 gestiegen, 
unter denen sich ungefahr 70 000 Frauen befanden. An Parted 
zeitungen zahlte die U. S. P. D. 45 r Rudolf Breitscheid gab als unab- 
hangige Wochenschrift den rr Sozialist" heraus. Das Fundament der 
Partei war also gegeben, die organisatorische Voraussetzung fur die 
Ausbreitung der Bewegung geschaffen. 

Die Gegensatze zwischen den beiden in der Partei herrschenden 
Auffassungen kamen noch bei einer anderen Frage r bei der Stellung 
zu den Gewerkschaften, zum Ausdruck. Robert Difz- 
m a n n verlangte r dafz die oppositionellen Krafte r die die Gewerk- 
schaften wieder auf den Boden des Klassenkampfes zuruckfuhren 
wollten und die die von den Gewerkschaftsleitungen mit den Unter- 
nehmern abgeschlossene Arbeitsgemeinschaft ablehnten r in den 
Organisationen bleiben und an deren Revolutionierung arbeiten 
sollten. Richard Miiller dagegen, von dem man bei jeder Ge- 
legenheit eine neue, sich bald als falsch erweisende Prophezeiung 
horen konnte, sagte diesmal voraus, dafz die Gewerkschaften nicht 
bestehen bleiben, sondern dalz sie vom Ratesystem aufgesaugt werden 
wiirden, Wer also das Ratesystem wolle r der miisse die Gewerk- 
schaften ablehnen. Diese Auffassung hat Richard Miiller und seine 
Freunde spater r als sie schon bei den Kommunisten waren und die 
Spaltungsarbeit auch in den Gewerkschaften mit dem grofzten Eifer 
betrieben r nicht daran gehindert, zu behaupten, dafz sie die bewahr- 
testen Freunde der Gewerkschaften seien. 

Das Ergebnis der Beratungen des Parteitages wurde in folgende 
p r o g r a m m a t i s c h e K u n d g e b u n g zusammengefafzt: 

Unter Aufrechterhaltung der leitenden Gedanken des gnmdsatzlichen 
Teils des Erfurter Programms erklart der Partei tag: 

Im November 1918 haben die revolutionaren Arbeiter und Soldaten 
Deutschlands die Staatsg-ewalt erobert. Sie haben aber ihre Macht nicht 
befestigt und die kapitalistische Klassenherrschaft nicht uberwunden. Die 

192 



Fiihrer der Rechtssozialisten haben den Pakt mit den bitrgerlichen Klassen 
erneuert und die Interessen des Proletariats preisgegeben. Sie treiben eine 
Verwirrungspolitik mit den Worten „Demokratie" und „Sozialismus'\ 

In der kapitalistischen GeseUschaftsordnung sind demokratische Rechts* 
formen Truggebilde. Solange der politischen Befreiung nicht auch die wirt« 
schaftliche Befreiung und Unabhangigkeit gefolgt ist, besteht kerne waKre 
Demokratie. Die Sozialisierung, wie die Rechtssozialisten sie be* 
treiben, ist ein Gaukelspiel. Sie begniigen sich, unter Schonung der kapi* 
talistischen Interessen, mit einer ,,gemischt*wirtschaftlichen" Bewirtschaf* 
tung und sogar nur mit der „6ffentlichen Kontrolle" der nach ihrem eigenen 
Urteil fur die sofortige Vergesellschaftung reifen Betriebe. 

Das klassenbewufzte Proletariat hat erkannt, dafe sein Befreiungskampf 
nur von iron allein und nicht nur mit den bisherigen Organisationen durch* 
gefuhrt werden kann, sondern dafz dazu auch eine neue proleta* 
rische Kampforganisation erf orderlich ist. 

Im Ratesystem hat sich die proletarische Revolution diese Kampf* 
organisation geschaffen. Sie fafzt die Arbeit ermassen in den Betrieben zu 
revolutionarem Handeln zusammen. Sie schafft dem Proletariat das Recht 
der Selbstverwaltung in den Betrieben, in den Gemeinden und im Staate. 
Sie fuhrt die Umwandlung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in die 
sozialistische durch. 

In alien kapitalistischen Landern entwickelt sich das Ratesystem aus den 
gleichen wirtschaftlichen Bedingungen und wird zum Trager der proleta* 
rischen Weltrevolution. 

Die geschichtliche Aufgabe der U. S. P. ist es r die Banner* 
tragerin des klassenbewuizten Proletariats in seinem revolutionaren Be* 
freiungskampf zu sein. Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei stellt 
sich auf den Boden des Ratesystems. Sie unterstiitzt die Rate in ihrem 
Ringen um die wirtschaftliche und politische Macht. Sie erstrebt die 
Diktatur des Proletariats, des Vertreters der grolzen Volks* 
mehrheit, als notwendige Vorbedingung fiir die Verwirklichung des 
Sozialismus. Erst der Sozialismus bringt die Beseitigung jeder Klassen* 
herrschaft, die Beseitigung jeder Diktatur, die wahre Demokratie. 

Um dieses Ziel zu erreichen, bedient sich die U.S. P. aller politischen 
und wirtschaftlichen Kampfmittel, einschliefzlich der P a r 1 a * 
m e n t e. Sie verwirft planlose Gewalttatigkeiten. Ihr Ziel ist nicht die Ver* 
nichtung von Personen, sondern die Beseitigung des kapitalistischen 
Systems. 

Die n&chsten Forderungen der U. S. P. D. sind: 

1. Einordnung des Ratesystems in die Verfassung. Entscheidende 
Mitwirkung der Rate bei der Gesetzgebung, Staats* und Gemeindeverwal* 
tung und in den Betrieben. 

2. Vollige Auflosung des alten Heeres. Sofortige Auflosung 
des durch Freiwilligenkorps gebildeten Soldnerheeres. Entwaffnung des 
Burgertums. Errichtung einer Volkswehr aus den Reihen der klassen* 
bewuizten Arbeiterschaft. Selbstverwaltung der Volkswehr und Wahl der 
Fiihrer durch die Mannschaft. Aufhebung der Militargerichtsbarkeit. 

3. Die Vergesellschaftung der kapitalistischen U n * 
ternehmungen ist sofort zu beginnen, Sie ist unverziiglich durchzu* 
fuhren auf den Gebieten des Bergbaues und der Energie*Erzeugung (Kohle; 
Wasser, Kraft, Elektrizitat), der konzentrierten Eisen* und Stahlproduktion, 
sowie anderer hochentwickelter Industrien und des Bank* und Versiche* 
rungswesens. Groizgrundbesitz und grofze Forste sind sofort in gesell* 
schaftliches Eigentum zu iiberfuhren. Die Gesellschaft hat die Aufgabe, die 
gesamten wirtschaftlichen Betriebe durch Bereitstellung aller technischen 
Und wirtschaftlichen Hilfsmittel, sowie Forderung der Genossenschaft zur 
hSchsten Leistungsfahigkeit zu bringen. In den Stadten ist das private 



Eigentum an Grand und Boden in Gemeindeeigentum zu uberfuhren und 
ausreichende Wohnungen sind von der Gemeinde auf eigene Rechnung 
herzustellen. 

4. Wahl der Behorden und der R i c h t e r durch das Volk. So- 
fortige Einsetzung eines Staatsgerichtshofes, der die Schuldigen am Welt- 
kriege und an der Verhinderung eines zeitigeren Friedens zur Verantwor* 
tung zu ziehen hat. 

5. Der wahrend des Krieges geschaff ene Verm5genszuwachs ist 
voll wegzusteuern. Von alien grofzeren Vermdgen ist ein Teil an den 
Staat abzufixhren. Im tibrigen sind die Sffentlichen Ausgaben durch stufen- 
weis steigende Einkommens*v Vermogens* und Erbschaftssteuern zu decken. 
Die Kriegsanleihen sind zu annullieren unter Entsch&digung 
der Beduntigerv der gemeinnutzigen Vereine, Anstalten und der Ge- 
meinden. 

6. Ausbau der sozialen Gesetzgebung. Schutz und Fursorge 
fur Mutter und Kind. Den Kriegerwitwen und -waisen und den Verletzten 
ist eine sorgenfreie Existenz sicherzustellen. Den Wohnungsbedurftigen 
sind uberflussige Raume der Besitzenden zur Benutzung zu tfbergeben. 
Grundlegende Neuordnung des offentlichen Gesundheitswesens. 

7. Trennung von Staat und Kirche und Trennung von Kirche 
und Schule. Oeffentliche Einheitsschule mit weltlichem Charakter, die nach 
sozialistisch-npadagogischen Grundsatzen auszugestalten ist. Anspruch jedes 
Kindes auf die seinen Fahigkeiten entsprechende Ausbildung und die Be« 
reitstellung der hierzu erforderlichen Mittel. 

8. Einfuhrung eines 6ffentlich«rechtlichen Monopols fiir 
Inserate und Uebertragung an die Kommunalverbande. 

9. Herstellung freundschaftlicherBeziehungen zu alien 
N a t i o n e n. Sofortige Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zur 
russischen Raterepublik und zu Polen. wiederherstellung der Arbeiter* 
Internationale auf dem Boden der revolutionaren sozialistischen Politik im 
Geiste der internationalen Konferenzen von Zimmerwald und Kiental. 

Die II. S. P. D. ist der Ueberzeugung, dalz durch die Zusammen- 
fassung aller proletaris c n en Krafte, die sie erstrebt, der 
vollstandige und dauernde Sieg des Proletariats beschleunigt und gesichert 
wird. Das Bekenntnis in Wort und Tat zu den Grunds&tzen una Forde- 
rungen dieser Kundgebung ist aber die notwendige Voraussetzung der 
Einigung der Arbeiterklasse. 

Diese Kundgebung spiegelt die zwiespSltigenTendenzen, 
von denen die Parte! noch erfiillt war, deutlich wieder. Sie lehnt sich 
an das alte Erfurter Programm an, versucht jedoch auch den in der 
Revolution aufgetauchten Forderungen Rechnung zu tragen, indern 
sie das Ratesystem und die Diktatur des Proletariats als die von der 
Partei zu erstrebenden Ziele nennt. Insofern haben die spateren 
Kritiker dieser Kundgebung recht gehabt, als sie darauf hinwiesen, 
dalz man entweder das eine oder das andere fordern musse. Sie 
haben aber darin unrecht gehabt, dafz sie das Ratesystem und die 
Diktatur des Proletariats als die letzten Errungenschaften des Prole- 
tariats verkiindeten, wahrend doch auch diese beiden Forderungen, 
wie der Parlamentarismus und die Gewerkschaftsbewegung, nur 
Mittel zu dem Zwecke sein diirfen, den Sozialismus zu verwirklichen. 
Grundsatzliche und taktische Fragen wirbelten noch durcheinander; 
diese Unklarheit bildete den eigentlichen Grund fiir die Streitigkeiten, 
mit denen sich die Partei bis zum Oktober nSchsten Jahres noch 
befassen mufzte. 

194 



Die GegensStze prallten noch elnmal bei der Wahid erPartei- 
vorsitzenden aufeinander. Haase hatte 154, Daumig 109 Stim- 
men erhalten. Da aber Daumig bei der Wahl zur Nationalversawim- 
lung erklart hatte, dalz er es aHehne, mit Haase auf einer Liste zu 
kandidieren und weil er auch wahrend der Verhandlungen des Partei- 
tages immer wieder betonte, dalz er in seinen Auffassungen ganzlich 
von denen Haases abweiche, so lehnte dieser die Wahl ab. Es 
folgten langere Verhandlungen in den Landsmannschaften, bis man 
eine neue Regelung fand. Nunmehr lehnte Daumig seine Auf- 
stellung zur Kandidatur des Parteivorsitzenden ab und es wurden 
schlieizlich Haase und C r i s p i e n gewahlt. 



13* 195 



03&^<S8^Q98^<S8^Q9^ 



Das Leipziger Akiionsprogramm. 

Der Hohepunkt der Entwicklung. — Ungarn und Bayern. — Der zweite 
Ratekongrelz. — Erfolgreicher Kampf fiir Abschluiz des Friedens. — 
Moskauer Spaltungsrezepte. — Die Frage der Internationale. — Die 
Reichskonferenz der II. S. P. D. — Ermordung von Hugo Haase. — 
Der Parteitag von Leipzig. 

Vor ungeheure Aufgaben war das internationale Proletariat ge« 
stellt. Der Krieg hatte die Weltwirtschaft in einen Triimmerhaufen 
verwandelt und beide Telle, die Sieger wie die Besiegten, zu Leid- 
tragenden gemacht Die Hauptlasten des Krieges wurden nun auf 
die Arbeiterklasse gewalzt, sie konnte sich dagegen nur wehren, indem 
sie das Banner des Sozialismus aufpflanzte und den Kampf um die 
Umgestaltung der Produktionsverhaltnisse aufnahm. Eine wahrhaft 
tragische vSituation wurde nun fiir das Proletariat dadurch geschaffen, 
dafc es weder die Einheitlichkeit der Front wiederfand, noch sich 
selbst in semen fortgeschrittensten Teilen iiber dte nun einzuschla- 
genden Wege klar war. Der Streit r der bald in der Unafbhangigen 
Sozialdemokratie einsetzte, drehte sich aufzerlich um die Frage, ob 
Ratesystem oder Parlamentarismus, ob Diktatur oder Demokratie, ob 
Revolution oder Reform. Der tiefere Gegensatz war aber begrundet 
in der verschiedenartigen Auffassung dariiber, ob der Kampf mit 
russischen oder mit westeuropaischen Methoden zu 
fuhren sei, oder genauer: ob fiir alle Lander, gleichviel welche 
staatlichen und wirtschaftlichen Verfassungen sie aufwiesen, die 
Taktik von einem einzigen Schema bestimmt werden solle, oder ob sie 
sich nach den jeweils gegebenen politischen und okonomischen Ver« 
haltnissen richten musse. Diese gegensatzlichen Auffassungen haben 
am Ende der Periode, die wir jetzt schildern miissen, den weiteren 
Aufstieg der IX. S. P. D. gehemmt und sie schliefzlich durch die 
Spaltung im Herbst 1920 dazu gezwungen, die Organisierungs- und 
Aufklarungsarbeit von einem schwacheren Punkte aus von neuem 
zu beginnen. 

Noch aber, im Fruhjahr 1919, eilte die Partei dem Hohepunkt 
ihrer Entwicklung zu. Von Woche zu Woche steigerte sich 
die Zahl ihrer Mitglieder, vermehrte sich die Leserschar ihrer Presse. 
Die burgerliche Welt furchtete nicht die kleine kommunistische Sekte, 
wenn sie auch noch so trotzige Gebarden machte, sondern die Unab- 
hangige Sozialdemokratie war es mit ihrer unermudlichen sozialisti- 
schen Erziehungsarbeit, die die bange Sorge der Bourgeoisie erregte. 
Einen besonderen Schlag glaubten ihre militarischen und juristischen 

196 



Werkzeuge dadurch zu flihren 7 dalz sie Ledebour wahrend der 
Januarkampfe verhaften und ihn dann monatelang im Gefangnis 
schmachten liefzen. Wenn es nach den Wlxnschen der biirgerlichen 
Henkersknechte gegangen ware, so hatte man Ledebour dasselbe 
Schicksal bereitet 7 das Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Jogiches 
und unzahlige andere revolutionare Kampfer getroffen hatte. Der 
Prozefz, der sich an diese Verhaftung anschloiz und der im Mai und 
Juni vier Wochen lang vor einem Schwurgericht gefiihrt wurde 7 
endete mit der Freisprechung Ledebours von der Anklage der Bil- 
dung eines bewaffneten Haufens 7 des Landfriedensbruchs und eines 
Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz. Der Bericht liber den 
Verlauf dieser Gerichtsverhandlung ist stenographisch festgehalten 
und dann besonders veroffentlicht worden. Es geniigt deshalb, wenn 
wir zusammenfassend feststellen 7 dafz der Prozelz aus einer Anklage 
gegen Ledebour zu einer Anklage gegen die Regierung Ebert- 
Scheidemann, gegen die von ihr geforderte Gegenrevolution, gegen 
den neuen Militarismus und das eng mit ihm verbundene politische 
Spitezelsystem wurde. Das eine verdient noch besonders hervor- 
gehoberi zu werden r dafz Ledebour vor den Geschworenen trotz seines 
hohen Alters und der vorausgegangenen monatelangen Unter- 
suchungshaft seine Sache als Mann und wahrhafter Revolutionar 
fiihrte. 

Holten sich die reaktionaren Elemente bei dieser Gelegenheit eine 
griindliche Niederlage, so fielen ihnen an zwei anderen Punkten 
grolzere Erfolge zu. Das war in II n g a r n und in B a y e r n. Unter 
Verkennung der objektiven wirtschaftlichen und politischen Verhalt- 
nisse liefz sich ein Teil des ungarischen Proletariats dazu verleiten, 
als Protest gegen den dem Lande drohenden Gewaltfrieden die Rate- 
republik auszurufen. Ihre Herrschaft dauerte nur so lange, als das 
den alliierten Machthabern gefiel. Von der rumanischen Soldateska 
auf der einen 7 von den nationalistischen Mordbanden auf der anderen 
Seite angegriffen 7 aller wirtschaftlichen Hilfsmittel entblofzt 7 mulzte 
die Raterepublik nach wenigen Wochen kapitulieren und einer Herr- 
schaft des weifzen Schreckens Platz machen. In Bayern hatte sich 
der Arbeiterschaft aller Richtungen nach der Ermordung Kurt Eis- 
ners eine mafzlose Erregung bemachtigt 7 die nach politischer Aktion 
drangte. Was Eisner bis dahin gelungen war 7 die proletarischen 
Krafte auf einen Punkt zu konzentrieren 7 und sie den gegebenen 
wirtschaftlichen und politischen Verhaltnissen anzupassen, das war 
nun auf einmal vergessen. Unverantwortlicher Putschismus 7 unklare 
Schwarmgeisterei und anarchistische Ideologie gewannen liber einen 
Teil der Arbeiterschaft die Oberhand. Bald gesellten sich auch poli- 
tische Geschaftemacher und politische Ignoranten dazu r um die Be- 
wegung vollig zu diskreditieren. Noch schneller als in Ungarn brach 
das Rateexperiment in Bayern zusammen v Unter dem Oberbefehl 
von Noske sammelten sich die Weifzen Garden ganz Deutschlands 7 
um einen Generalsturm auf Mlinchen zu unternehmen. Mit alien 
Mitteln der modernen Kriegskunst, aber auch mit alien ihren 
Schrecken und mit ihrer ganzen Barbarei wurde die Rateherrschaft 
niedergeworfen, Tausende von Arbeitern wurden massakriert 7 Lan- 
dauer 7 Levin£ 7 noch andere von den Besten des revolutionaren Prole- 
tariats dahingemordet. Bald schlug in Bayern der Pendel. von der 

197 



extremsten Linken nach der extremsten Rechten aus; die Rateherr- 
schaft wurde abgelost dirrch das Kahr-Poehner-Regiment, das noch 
jahrelang fede freie Bewegung der Arbeiter mit den brutalsten Mit> 
teln unterdriickte. 

Aehnliches wiederholte sich in diesen Monaten in zahlreichen 
anderen Orten und bei vielen ahnlichen Gelegenheiten ohne Unter- 
laiz. Die Noskegarden waren ununterbrochen in Bewegung, urn jede 
selbstandige Regung der Arbeiterklasse niederzuwerfen. Bald war 
es Hamburg, bald Braunschweig, wo die „Ordnung" wiederherzu- 
stellen war, in dieser Woche bot Leipzig, in der andern Hannover 
oder Breslau den Noskegeneralen die Gelegenheit, den Belagerungs- 
zustand zu verhangen und die grauenvollsten Szenen in der Verf olgung 
der Arbeiterschaft aufzufvihren. Mit unbeschrankter Machtvollkom- 
menheit, so stellte damals ein Aufruf der Unabhangigen Sozialdemo- 
kratie fest, herrschte die Gardekavallerie-Schvitzendivision unter der 
Leitung des Noskefreundes General Liittwitz. Tausende von Per- 
sonen, zum groizten Teil Arbeiter und Arbeiterinnen, wurden ver- 
haftet, hunderte grausam hingemordet, wehrlose Gefangene roh miiz- 
handelt 

Streikende Arbeiter, so wird in dem Aufruf festgestellt, werden mit 
Maschinengewehren unter Entziehung der Lebensmittel bedroht. Streik- 
brechergarden werden von der Regierung gebildet, um das Streikrecht, das 
elementarste Recht der Arbeiter, fur das sie ohne Unterschied der Partei* 
anschauungen seit Jahrzehnten gekampft haben, niederzuknutteln. Der 
Boden des Gesetzes wird mit vollem Bewulztsein verlassen. Der Belage* 
rungszustand wird iiber immer weitere Gebiete verhangt. Die Klassen der 
Bevolkerung werden mit verschiedenem Maize gemessen. Den Biirgerlichen 
und Offizieren wurde in Berlin erlaubt, auf den Stralzen Demonstrationen 
zu veranstalten. Die Arbeiter dagegen werden in der Ausubung ihres Ver* 
sammlungsrechts verhindert. Noch niemals im Deutschen 
Reiche, selbst unter dem reaktionarsten Regime des alten Kaisertums 
nicht, sind die Arbeiter so verachtlich be handelt 
w o r d e n. 

Im Zeichen dieser fortschreitenden Reaktion trat am 8. April 1919 
der Zweite Ratekongreiz zusammen. Es waren auf ihm 
130 Rechtssozialisten, 55 llnabhangige, denen sich auch eine neun 
Kopfe starke osterreichische Delegation anschlolz, 20 Soldatenrate 
und einzelne Vertreter anderer Parteigruppen, darunter ein Kommu- 
nist, anwesend. Wie gering der Einflulz der Rate geworden war, 
stellte sich heraus, als er das Verlangen stellte, Genossen Ledebour 
aus der Haft zu entlassen. Die Regierung ebensowenig wie die Justiz 
kiimmerte sich um diese Forderung. Die Beratungen befalzten sich 
in der Hauptsache mit der Frage, wie das Ratesystem weiter auszu- 
bauen sei. Die Rechtssozialisten vertraten lediglich die Forderung der 
Schaffung einer zweiten Kammer, die aus den Raten gebildet werden 
sollte. Die Alleinherrschaft der Rate, die Ratediktatur, lehnten sie ab. 
Die Unabhangigen, fur die Daumig sprach, verlangten dagegen, dalz 
die Rate die hochste Macht im Staate ausiiben sollten und daiz die 
Regierung ihre Direktiven vom Ratekongreiz zu empfangen habe. Der 
Kongrelz machte sich, wie nicht anders zu erwarten war, die Auf- 
fassungen der rechtssozialistischen Fraktion zu eigen, und das be- 
deutete nichts anderes f als daiz der Rategedanke fiir Deutschland vor« 
laufig begraben war, 

198 



Anf ang Mai gaben endlich die Alliierten ihre F r i e d e n s b e d in- 
gungen fiir Deutschland bekannt. Sie machten auf die 
burgerlichen Parteien und auch auf die Rechtssozialisten einen nieder- 
schmetternden Eindruck. Hatte man sich nicht auf die beruhmten 
14 Punkte des amerikanischen Prasidenten Wilson berufen, als man 
vor einem halben Jahre urn Frieden bat? Und nun enthielten die Be- 
dingungen der Entente so gar nichts vom Selbstbestimmungsrecht 
der VoBcer, von der Versohnung der Nationen und von all den andern 
schonen Dingen, die in den 14 Punkten versprochen waren. Fiir die 
Unabhangige Sozialdemokratie kam das Diktat der Alliierten nicht 
iiberraschend. Sie hatte immer vorausgesagt, dak der Krieg, wenn 
er nicht mit einer Verstandigung enden wiirde, nur in einen Frieden 
der Gewalt und der Niederwerfung ausgehen konne. Sie hatte da- 
mals, als die deutsche Regierung den Russen und den Rumanen ihre 
Gewaltfrieden aufzwang, angekiindigt, dalz die Entente, wenn das 
Spiel zugunsten Deutschlands umschlagen sollte, sich diese Ge- 
waltfriedenschliisse zum Beispiel nehmen wiirde. Und so war es 
jetzt gekommen. Die biirgerlichen Parteien allerdings, und mit ihnen 
die Rechtssozialisten, die die voile Verantwortung fur diese Entwick- 
lung zu tragen hatten, sie jammerten jetzt dariiber, dalz ihr Glaube 
enttauscht, dalz ihr Vertrauen auf Wilson verraten worden sei. Die 
Deutschnationalen forderten, dalz der Krieg von frischem beginnen 
sollte und die Militaristen wetzten schon das Schwert, um neues Ent- 
setzen iiber die Welt zu verbreiten. Die Demokraten glaubten kluger 
zu handeln, wenn sie die passive Resistenz gegeniiber den Entente- 
forderungen vorschlugen; sie meinten, wenn man die alliierten Heere 
das Ruhrgebiet, Berlin, Hamburg, Mitteldeutschland, alle Statten der 
Arbeit und des Handels besetzen lasse, dann werde die Entente schon 
einsehen, dalz von Deutschland nichts zu holen sei, und erst dann 
wiirden sie billigere Bedingungen zu stellen bereit sein. 

Die UnabhMngige Sozialdemokratie wandte sich sofort gegen diese 
Politik der Torheit und des Verbrechens, und ihrem Einflufz, der da- 
mals unbestritten war, ist es zu danken, dalz das Burgertum, das die 
Verantwortung fiir den Krieg trug, nunmehr auch die Verantwortung 
far den Frieden iibernehmen muizte. Die Partei rief sofort das Prole- 
tariat zum Kampfe fiir den Frieden auf. Sie stellte fest, dalz sie unab- 
lassig den Abbruch des Krieges schon gefordert hatte, als noch keine 
der kriegfuhrenden Gruppen das Uebergewicht iiber die andere er- 
langt hatte. Damals aber hatte das alte Regime, unterstiitzt von alien 
Parteien mit alleiniger Ausnahme der USPD. die Gewaltfrieden von 
Brest-Litowsk und Bukarest abgeschlossen und dadurch den Halz 
gegen Deutschland vermehrt. In dem Aufruf hieiz es weiter: 

Wir haben keine Hoffnungv dalz die Entente-Imperialisten, die auf die 
Friedensverhandlungen den malzgebenden Einflulz haben, die Bedingungen 
wesentlich erleichtem werden, zumal die Zusammensetzung der Regierung 
und der Friedensdelegation den anderen Regierungen kein Vertrauen ein« 
flolzen kann. Selbst wenn bei den eingeleiteten Verhandlungen erhebliche 
Veranderungen nicht erreicht werden sollten, so bleibt doch letzten Endes 
nichts anderes \ibrig r als sich dem Zwange zu fiigen 
und den Vertrag zu unterzeichnen. Nichtunterzeichnung be« 
deutet die Zuruckhaltung unserer Kriegsgefangenen r die Besetzung unserer 
Rohstoffgebiete, die Verscharfung der Blockade, bedeutet ArbeitSosigkeit, 

109 



Hungersnot, Massensterben, bedeutet eine entsetzliche Katastrophe, die erst 
recht den Zwang zur Unterzeichnung herbeifiihrt. Es sind die Proletaries 
die am fiirchterSchsten unter den Folgen zu leiden hatten. 

Der Frieden, so hart und driickend er auch immer sein mag, ist die not- 
wendige Voraussetzung fur die Lebensmoglichkeit sowie fur den Aufbau 
unseres Gesellschafts- und Wirtschaftslebens, im Geiste des revolutionaren 
Proletariats. ' 

Wie der Friede von Brest-Litowsk und Bukarest nur von kurzer Dauer 
gewesen ist, so wird nach unserer Ueberzeugung auch. der Friede von 
Versailles durch die revolutionare Entwicklung zunichte gemacht werden. 

Die Unabhangige Sozialdemokratie lieiz es nicht bei Worten be- 
wenden, sondern sie rief das Proletariat zur Tat auf. Und sie hatte 
die Genugtuung, da(z die Arbeiterklasse ihren Ruf verstand und in 
gewaltigen Kundgebungen von der Regierung die Unterzeichnung des 
Friedens verlangte. In der Nationalversammlung gebrauchte 
Scheidemann das Wort von der Hand, die verdorren solle, die 
diesen Vertrag unterschreibe. H a a s e dagegen stellte als Ver- 
pflichtung derjenigen Parteien, die die Kriegspolitik unterstiitzt hatten, 
auch den Abschluiz des Krieges herbeizufvihren fest. Durch sechs 
Wochen zog sich der Kampf um den Friedensvertrag hin. Scheide- 
mann mufzte zuriicktreten, denn mit einer verdorrten Hand hatte er 
nicht langer regieren konnen. Eine andere Regierung wurde gebildet, 
nachdem sich auch die Rechtssozialisten und ein Teil des Burger- 
turns zu der Ueberzeugung durchgerungen hatten, dafz die Unter« 
zeichnung des Friedensvertrages eine absolute Notwendigkeit sei. In 
einem Aufruf konnte die USPEX feststellen, dalz es nur der Wachsam- 
keit und Entschlossenheit der revolutionaren Arbeitermassen, die sich 
in wachsender Zahl um die Unabhangige Sozialdemokratie scharten, 
zu danken sei r wenn das FurcMtbare verhlitet wurde, das die Verant- 
wortlichen fiir den Krieg iiber das deutsche Volk zu verhangen ge~ 
dachten. 

Befestigte sich durch diese erfolgreiche Arbeit das Vertrauen der 
Arbeiterschaft in die Unabhangige Sozialdemokratie in standig zu- 
nehmendem Mafze, so mufzte die rechtssozialistische 
P a r t e i die Wirkungen ihrer Politik bald am eigenen 
Leibe spiiren. In der Pfingstwoche hielt sie ihren Parteitag in Weimar 
ab. Schon in den Mitgliederversammlungen, die sich mit den Be- 
ratungsgegenstanden des Parteitags beschaftigten, machte sich eine 
tiefe Unzufriedenheit bemerkbar, besonders mit dem Kurse, der unter 
dem Namen der Noske und Heine gesteuert wurde. Wiederholt wurde 
dort geaufzert, man miisse sich schamen, mit Leuten von dieser Gat- 
tung in einer Parte! zu sitzen. Zahlreich waren die Antrage an den 
Parteitag, die heftige Kritik an der bisherigen Politik tibten. Freilich 
wurde die Kritik nicht von grolzen und schopferischen Gedanken be- 
wegt r sondern sie hangte sich mehr an einzelne und aufzere Erschei- 
nungen, ohne den Mut zu finden, die Riickkehr zum Klassenkampf, 
das Aufsagen des Biindnisses mit der Bourgeoisie zu fordern. Auf 
dem Parteitag selbst setzte sich diese verdrossene Stimmung in hoff- 
nungslose geistige Versumpfung und Teilnahmslosigkeit um. Die 
grofzen Probleme, die die Revolution aufgeworfen hatte und die die 
Arbeiterbewegung in ihren Tiefen aufwuhlten, weekten dort nur ein 
schwaches Echo. Die wenigen Leute, die, wie Cohen fiir die Rate- 

200 



iYage, oder wie Wissell mit seinem Plan einer Gemeinwirtschaft, 
immerhin noch etwas Neues zu sagen hatten, stieizen auf allgemeine 
Verstandnislosigkeit. Der Parteitag hatte im Hause der National- 
versammlung getagt, und diese aufzerliche Gemeinschaft driickte sich 
auch in der beiden Korperschaften gemeinsamen Ideenlosigkeit aus. 
Kein Wunder, dalz sich der Parteitag mit der Gewaltpolitik Noskes 
solidarisch erklarte und ihn dadurch aufmunterte, die bisherigen Ge- 
leise weiter zu benutzen. 

Noske und die Seinen liefzen sich das denn auch nicht zweimal 
sagen. So hatte die llnabhangige Sozialdemokratie auf den 21. Juli 
grofee offentlicheKundgebungen veranstaltet, gemein- 
sam mit den Sozialisten Frankreichs, Italiens und anderer Lander, um 
fur den Willen der Arbeiterklasse zum Weltfrieden, zur Volker- 
versohnung zu zeugen. Noske verbot diese Kundgebungen 7 womit er 
freilich nicht die deutsche Arbeiterschaft schadigte, sondern die Ge- 
waltpolitik der deutschen Rechtssozialisten vor der ganzen Welt aufs 
neue blolzstellte. Die Versammlungen wurden dann in die Sale ver- 
legt, wo sie unter ungeheurer Beteiligung der Arbeiterschaft Berlins 
in voller Ruhe, aber auch in fester Entschlossenheit, den einmal ge- 
wahlten Weg weiterzugehen, verlaufen konnten. 

Ein anderer Gewaltstreich Noskes richtete sich gegen den V o 1 1 - 
zugsrat der Berliner A.- und S. -Rate. Kurz vorher waren 
die Rechtssozialisten aus dieser Korperschaft ausgetreten und hatten 
sich einen besonderen Vollzugsrat beigelegt Noske glaubte die Ge« 
legenheit nicht vonibergehen lassen zu sollen, um jetzt den entschei- 
denden Streich gegen die Arbeiterrate, das letzte Bollwerk aus der 
Revolution, zu f iihren. Er liefz den Vollzugsrat aus den Raumen In 
den Zelten, die ihm von der Regierung selbst zugewiesen worden 
waren, gewaltsam vertreiben und die Lokalitaten militarisch besetzen. 
Aulzerdem untersagte er ihm die Ausschreibung von Neuwahlen zu 
den Arbeit errat en im Wirtschaftsgebiet Grolz-Berlins. An der Stel- 
lung, die der Vollzugsrat im offentlichen Leben noch einnahm, hat 
dieser Streich Noskes nicht viel geandert. Es waren andere Krafte, 
die sie untergruben, es war nicht zuletzt die eigene Schuld des Voll- 
zugsrats, dalz er schlielzlich ganz aus dem Gesichtskreise der Arbeit er- 
bewegung ausscheiden mulzte. 

Andere Krafte als die Gewaltpolitik Noskes und die erstarkende 
gegenrevolutionare Bewegung waren es auch, die das stolze 
Gebaude der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei unterminier- 
ten und zum Einsturz zu bringen suchten. Die Kommunistische 
Partei, die Nachf olgerin des Spartakusbundes, befand sich in voller 
Zersetzung und Auflosung. Aus dem offentlichen Leben war sie fast 
ganzlich ausgeschieden, und selbst der Spartakusschreck vermochte 
keine Wirkung mehr auszmiben. Die russische Sowjetregierung 
brauchte aber fur ihre aufzenpolitischen Zwecke starke Parteien im 
Auslande, und da mit den bisherigen Methoden keine grolzere An- 
hangerschaft fur die kommunistisch-anarchistischen Ideen zu ge- 
winnen war, so schlug man jetzt andere Wege ein. Diese Wege 
sollten iiber die Spaltung derjenigen revolutionaren Parteien gehen, 
die sich bisher der kommunistischen Internationale nicht ange- 
schlossen hatten. Das erste Ziel ihres Angriffs war die llnabhangige 

201 



Sozialdemokratische Partei Deutschlands. Einem Kurier der Konv 
munistischen Partei Deutschlands wurde auf einer Reise nach RuMand 
an der litauischen Grenze ein Brief abgenommen, der mit W. Ma- 
chowski unterzeichnet und an Bucharin und Tschitscherin, zwei der 
bekanntesten Bolschewisten, gerichtet war. Die wichtigsten Stellen 
daraus mogen als historisches Zeugnis dafiir, von welcher Seite die 
spatere Spaltung der Unabhangigen Sozialdemokratie eingeleitet 
wurde, hier ihren Platz finden. In dem Brief e hielz es: 

Jrlierbei lenke ich nodimals mre Aufmerksamkeit auf den Umstand, dalz 
bei der Beurteilung und den Verhandlungen mit den Unabhangigen eine 
scharf e lYennuno- zwischen den Anhangern Hilferding~Haase und 
Daumig-Muller zu machen ist. Letztere Stromung kann man 
fehlerlos^ kommunistisch bezeichnen, und wenn sie irgendwie 
mit den offiziellen Fuhrern der Kommunisten auseinandergeht, so nur in der 
Taktik und Methode der Erlangung ihrer Ziele — der Diktatur des Prole* 
tariats mit Hilfe der Ratemacht. Nach dem Ausscheiden der Scheidemanner 
und Demokraten aus dem Berliner Vollzugsrat hat ein offener Kampf 
zwischen den Kommunisten und Unabhangigen begonnen. Ich fuge hinzu, 
dafz im Berliner Rat die Unabhangigen aile zur Stromung Muller«Daumig 

fehoren und von irgendeinem Einfhxlz Haase-Hilferding keine Rede sein 
ann. Viele Mitglieder der Kommunistischen Partei und ebenso die Mehr« 
zahl der Mitglieder der Fraktion der Kommunistischen Partei des Berliner 
Rats haben ihre Unzufriedenheit mit der Taktik der Z. K. (Kommunistischen) 
Partei zum Ausdruck gebracht, die mit der gesamten Unabhangigen Partei 
Kampf fuhrt, ohne zwischen Haase und Daumig zu unterscheiden . . . Mir 
personlich scheint es r dafz die Bewegung in Deutschland durch eine Ueber* 
einstimmung der Tatigkeit der Kommunisten mit den linken Un- 
abhangigen und eine Beilegung des Kampf es mit der Unabhangigen 
Partei nur gewinnen kann. Das schliefzt naturlich nicht den Kampfgegen 
die Stromung Haase«Hilferding aus. Dieser muiz fort- 
gesetzt werden. Daumig und Muller, die selbst gegen sie kampfen, 
schaffen dadurch eine Plattform, auf der eine Verstandig-ung herbeigefuhrt 
werden kann. Die zu Ihnen kommenden Genossen wollen sich mit Ihnen 
beraten, ehe sie einen Beschlufz fasseii." 

Diese Anweisung deckte sich allerdings mit der Losung, die der 
Kongreiz der Moskauerlnternationale im Marz 19IQ 
ausgegeben hatte. Dort hielz es in einer Resolution iiber die II. Inter- 
nationale: 

„Das „Zentrum" (Sozial-Pazifisten, Kautskyaner, Unabhangige) besteht vom 
Beginn des Krieges an auf JEinheit" mit den Sozial-Chauvinisten. Nach der 
Ermordung von Liebknecht und Luxemburg" predigt das /r Zentrum" weiter- 
hin die gleiche „Einheit" r d. h. die Einheit der Arbeiterkommunisten mit den 
Mordern der kommunistischen Fuhrer Liebknecht und Luxemburg . . . 

Es ist unbedingt notwendig, die revolutionary ten Ele~ 
mente vom rr Zentru m" abzuspalten, was nur durch schonungs* 
lose Kritdk und Blofzstellung der Fuhrer des 77 Zentrums" zu erreichen ist" 

Nach diesem Rezept haben dann die Moskauer Diktatpren und ihre 
deutschen Stipendiaten gearbeitet, bis das Werk vollbracht und die 
Unabhangige Sozialdemokratie gespalten war. Es hatte sich in der 
Tat in der Partei ein sogenannter linker Fliigel gebildet, dessen Haup- 
ter Daumig, Richard Miiller, Kurt Geyer und Walter Stoecker waren. 
Er nahm Fuhlung mit den kommunistischen Hauptlingen und aribei- 
tete unausgesetzt an der „Diskreditierung" der bisherigen Fuhrer der 
Partei. Man mag annehmen, dalz sie ihr Spiel zwar mit Hinterlist und 

202 



Heimtiicke, aber doch aus Ueberzeugung getrieben haben; zum min- 
desten kam ihnen selbst nicht zum Bewulztsein, dalz sie damit gegen- 
revolutionare Arbeit leisteten. Vor der Geschichte werden sie jedoch 
als diejenigen dastehen, die der Arbeiterklasse hundertfach grolzeren 
Schaden zufiigten, als es den Noskes und Heines, den Generalen 
Liittwitz und Marcker ie gelungen war. Wenn die revolutionare Be- 
wegung, nachdem sie durch das stolze Anwachsen der Unabhangigen 
Sozialdemokratie und deren Konsolidierung einen prachtigen Auf- 
schwung genommen hatte, wieder zum Versumpfen verurteilt war, so 
tragt die Schuld daran jene von Moskau ausgegangene Unduldsam- 
keit, die das geistige Leben der Arbeiterbewegung nur in die eine 
Schablone pressen wollte, die von ihnen selbst ausgegeben worden 
war. 

Die erste Phase der Revolution war in Deutschland 
zum Abschlulz gekommen. Was aus der Novemberzeit an Errungen- 
schaften noch libriggeblieben war, mulzte von der Arbeiterschaft mit 
Zahnen und Klauen verteidigt werden. Die veranderte Situation er- 
forderte auch eine veranderte Taktik der Unabhangigen Sozialdemo- 
kratie. Das wollte aber der sogenannte linke Flugel nicht einsehen, 
der sich unter Revolution nur gewaltsame Erhebungen, bewaffnete 
Zusammenstolze, offenen Biirgerkrieg und ahnliche Dinge vorstellen 
konnte, die von jeher das geistige Arsenal aller Revolutionsroman« 
tiker gebildet hatten. Die politischen Arbeiterrate hatten ihre Be- 
deutung vollstandig verloren; die Muller und Daumig aber beschimpf- 
ten jeden als Verrater, der nicht unbedingt an dem „reinen Rate- 
gedanken" als den alleinseligmachenden Glauben der Revolution fest- 
hielt. Die Kampfe um den Einflufz auf den Staat wurden langst wieder 
in den Parlamenten ausgefochten; das hatte selbst die Kommunisti- 
sche Partei veranlalzt, ihre bei der Griindung der Partei ausgegebene 
Parole der Wahlenthaltung wieder aufzugeben. Der , r linke Fliiger' 
dagegen hoffte von Monat zu Monat auf einen neuen revolutionaren 
Ausbruch, und darum uberschuttete er jeden mit Hohn und Spott, 
der dafur eintrat, da^ die Arbeiterklasse sich auch des Parlamentaris- 
mus als einer Waffe in ihrem Kampfe bediente. Die Gewerkschaften 
waren wieder zu den Haupttragern der wirtschaftlichen Bewegung der 
Arbeiterschaft geworden; die Richtung Muller aber verlangte, dalz 
man ihnen fernbleibe und abseits der grolzen Organisationen der 
Arbeiterschaft im luftleeren Raum eine wirtschaftliche Rateverfassung 
aufstelle. 

Der Hauptgegenstand des Streits war aber die Frage der Inter- 
nationale. Seit der Beendigung des Krieges waren wiederholt 
Versuche gemacht worden, die internationalen Beziehungen der 
Arbeiterklasse wieder herzustellen. Es mulzte jetzt alles darauf an- 
kommen, das revolutionar gesinnte Proletariat der ganzen Welt auf 
einem einheitlichen Boden zu versammeln und die reformistischen 
und nationalistischen Elemente zu isolieren. Die Bolschewiki hatten 
aber aus innen- und aulzenpolitischen Griinden keine Zeit, um den 
Ablauf dieses Prozesses abzuwarten. Sie griindeten eine n e u e 
Internationale, die sie die dritte nannten und die schon durch 
ihren Sitz in Moskau zeigte, dalz sie einen starren dogmatischen, auf 
die kommunistischen Heilslehren eingeschworenen Charakter tragen 
sollte. Die Unabhangige Sozialdemokratie hatte dagegen an zwei 

203 



Konferenzen in Genf und Luzern teilgenommen, und es war ihr 
gelungen, eine wertvolle Vorarbeit fiir den Wiederaufbau der 
Internationale in wahrhaft revolutionarem und sozialistischem 
Sinne zu leisten. Worauf es ankam, das hatte Hilferding in 
Luzern ausgefiihrt Der kiinftige Kongrelz der Internationale sollte 
dariiber entscheiden, ob sie sich auf den Boden der revolutionaren 
sozialistischen Entwicklung stellen wolle. Bis dahin sollte die Unab« 
hangige Partei ihre Stellungnahme offenlassen: 

Wenn die Internationale auf einer Grundlage errichtet wird, die tatsach- 
lich die revolutionaren Krafte des Proletariats zusammenfaJzt und sie zu 
gemeinsamen Aktionen steigert, dann wird diese neue Inter- 
nationale das sein, was wir immer gehofft haben, 
dann wird wahr werden konnen, weil die Situation sich unterdessen revolu- 
tionar gestaltet hat, was wir von der 2. Internationale immer gesungen 
haben 7 dann wird es moglich sein 7 dalz die Internationale die Menschheit 
sein wird. Die Befreiung der Menschheit ist aber eine Sache des Kampfes. 
Die Internationale mufz Kampfesorganisation werden, und sie kann nicht in 
ihren Reihen Glieder haben, die in diesem Kampfe nicht auf der Seite des 
Proletariats, sondern auf der Seite der Bourgeoisie, gegen das Proletariat 
stehen. 

Von dieser Zusammenfassung des gesamten revolutionaren Prole- 
tariats zu einer geschlossenen Kampfesfront gegen die Bourgeoisie 
wollten nun allerdings weder die Gotter in Moskau noch ihre Nach- 
beter in Deutschland etwas wissen. Kurt Geyer lehrte, dalz Re- 
volutionen nur durch „entschlossene Minderheiten" gemacht werden 
konnten, und er verlangte, dalz das in dem neuen Programm der 
Partei dadurch zum Ausdruck komme, dafz die hinter der Forderung 
der Diktatur des Proletariats stehenden Worte: „des Vertreters der 
grofzen Volksmehrheit" gestrichen werden sollen. Im Parlament durfe 
keine Kleinarbeit geleistet werden, denn das wlirde nur Kraftevergeu- 
dung bedeuten. Ueberhaupt sei die Beteiligung an Wahlen nur eine 
Schwachung der revolutionaren Stofzkraft Die Situation in Deutsche 
land sei „vorrevolutionar". Die USP. mlisse also im Ratesystem die 
Hauptwaffe im Kampf um den Sozialismus erblicken, wahrend sie die 
anderen Kampf mitt el einschliefzlich der Parlamente als Hilfsmittel 
dieses Kampfes betrachte. Das Ziel miisse sein, die rechtssozialisti- 
sche Partei niederzukampfen und eine Vereinigung mit den Kom- 
munisten zu suchen, Es sei hotwendig, dafz der kommende Parteitag 
offen ausspreche, dafz die II. Internationale fiir die USPD. erledigt sei. 
Die USP. miisse den Anschlufz an Moskau suchen, denn grundsatz- 
lich trenne sie nichts mehr von der III. Internationale. 

Geyers Angriff e kamen kurz vor der Reichskonferenz, die 
die USPD. im September 1919 veranstaltete. H a a s e stellte dort 
in seinem Referat iiber die politische Lage fest, dafz im Proletariat 
eine gewisse Ermiidung eingetreten sei, und dalz selbst die Kommu- 
nisten mit der Moglichkeit rechneten, dafz die revolutionare Stimmung 
noch weiter abflaue. Es sei daher ganz falsch, dafz Geyer einen neuen 
Ausbruch der Revolution schon fiir die nachsten Monate als ganz 
sicher ankiindige und von der Partei verlange, sie moge ihre Taktik 
darauf einstellen. Man durfe nicht alles auf eine Karte setzen, sondern 
mit alien Moglichkeit en rechnen. Sei die Zeit vor den Wahlen noch 
nicht reif fiir die Diktatur des Proletariats, so diirfen wir keinesfalls 
die Wahlen boykottieren. Die Massen wurden eine antiparlamenta- 

204 



rische Taktik auch gar nicht begreif en. Die Aufgabe der Parte! miisse 
es sein, das revolutionare Bewulztsein zu st&rken, die Situation rich- 
tig zu erkennen, sie aber auch auszunutzen. Geyer r der als Kor- 
referent zu Worte kam, milderte jetzt seine Angriffe wesentlich. Er 
wolle lediglich verhindern, daiz ein Kompromilz zwischen Ratesystem 
und Parlamentarismus beschlossen und der Kampf fiir die Revolution 
abgeschwacht werde. In der Diskussion stellte sich heraus, daiz die 
Anschauungen Geyers bei den Vertretern der Partei keine Gegen- 
liebe fanden, und daiz die iiberwiegende Mehrheit der Reichskonfe- 
renz dazu entschlossen war, alle Mittel, auch den Parlamentarismus, 
im Kampfe fiir die Ziele des Proletariats anzuwenden. 

Der zweite Gegenstand der Beratungen der Reichskonferenz war 
das Problem der Internationale. Hilferding, der liber 
die Luzerner Konferenz berichtete, verlangte, daiz die USP. sich nicht 
von der Arbeiterbewegung des Westens, wo im Kampfe mit dem ent- 
wickelten Kapitalismus sich das Schicksal des Sozialismus entscheiden 
werde, leichthin isoliere. Er erwartete von der sozialrevolutionaren 
Entwicklung eine Umgestaltung der nationalen Parteien, die die Er- 
richtung einer von wahrhaft sozialistischem Geiste erfiillten Inter- 
nationale ermoglichen wurde. Stoecker dagegen verlangte r daiz 
die Trennung von den sozialreformistischen Parteien in der zweiten 
Internationale sofort vollzogen und der Anschlulz an die III. Inter- 
nationale vorgenommen werde. Der Hinzutritt anderer Parteien zu 
Moskau, wie der norwegischen und schweizerischen, st^nde bevor r 
deshalb sei zu erwarten, daiz die III. Internationale ihres rein bolsche- 
wistischen Charakters bald entkleidet werde. Ueber diese Frage 
wurde nicht diskutiert, und da die Reichskonferenz auch keine Be- 
schlusse fassen konnte, so mulzte die Entscheidung darliber auf den 
fiir die nachste Zeit einzuberufenden Parteitag verschoben werden. 

In der Konferenz konnte D i 1 1 m a n n berichten, daiz das Wachs- 
tumderBewegung in den vorauf gegangenen Monaten geradezu 
sprunghaft gewesen sei. Es habe aber einen Mangel an Schulung 
bewiesen, daiz dort r wo die Hinzugekommenen sich vornehmlich aus 
friiheren Unorganisierten rekrutierten, das Verlangen nach Aktionen 
vielfach am starksten gewesen sei. Es sei versucht worden, die Rate 
mit der Parteiorganisation in engere Beziehungen zu bringen. Ueber 
erste Anfange sei man dabei nicht hinausgekommen. Eine grolze 
Anzahl von Zeitungen war neu gegriindet worden. Die Zentrale der 
Partei mulzte erweitert werden, da die Anspriiche, die an sie gestellt 
wurden, standig wuchsen. 

Einen unersetzlichen Verlust erlitt die Partei durch die Ermor- 
dung ihres Fiihrers Hugo Ha'ase. Am 8. Oktober 1919 
hatte ein wahnsinniger pder irregeleiteter Arbeiter mehrere Revolver- 
schiisse auf Haase ^abgegeben, als dieser gerade im Begriffe war, den 
Reichstag zu betreten. Zuerst schienen die Verletzungen nicht gefahr- 
lich zu sein, aber es trat Blutvergiftung hinzu, und nach wochenlanger 
Krankheit wurde Hugo Haase am 6. November, ein Jahr nach dem Zu- 
sammenbruch des alten Regimes, aus diesem Leben abberufen. Es 
ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden, ob der Mordbube aus poli- 
tischen Griinden gehandelt hat oder ob er nur den Eingebungen einer 
verzerrten Phantasie gefolgt war. Wenn auch das Btirgertum, bei dem 

205 



auch von seiner Seite anerkannten lauteren Charakter Flaases, nicht 
in offene Freude uber den Tod des Fiihrers der Unabhangigen Sozial- 
demokratie ausbrechen konnte, so verhehlte die burgerliche Presse 
doch nicht ihre Genugtuung daniber, dafz das revolutionare Prole- 
tariat eines seiner Besten beraubt war. Die Beisetzung der Ueber- 
reste von Hugo Haase gestaltete sich zu einer machtigen und dabei 
ergreifenden Kundgebung fur die Gedanken der Unabhangigen 
Sozialdemokratie, als deren Verkorperung Hugo Haase in den Vorder- 
reihen des Kampfes gestanden hatte. Das Schonste iiber den toten 
Fiihrer hat Rudolf Hilferding am Tage seiner Bestattung in der „Frei~ 
heit" geschrieben; es moge hier seinen Platz finden: 

Die tiefste Fahigkeit Haases war die Gabe der Selbstentaulze- 
rung. Die Charakteranlage, die den Menschen zum wahrhaft guten 
Handeln befahigt, nennt Schopenhauer die Agape, das Mitleid. Es ist 
jene Gabe, die den Menschen fremdes Leid als eigenes empfinden lalzt, 
die bewirkt, dalz die Kluft zwischen dem Ich und Du iiberbruckt wird 

Die Agape" war der Grundcharakter Haases. Fur ihn gab es daher 
nicht die Schranke des Engpersonlichen, egoistischen Wirkens. Dieser 
Mann konnte nur Befriedigung finden in dem Schaffen fxir die 
Allgemeinheit, in der sozialen Arbeit, in der Hilf e fur alle 
Leidenden. 

Was er als Fiihrer geleistet hat, gehort der Geschichte an und wird 
von ihr gewurdigt werden. Sein Ainerschutterlicher Charakter lielz ihn 
nie abirren von den Grundsatzen des Sozialismus und bewahrte ihn vor 
den Versuchungen eines grundsatzlosen Opportunisms. Jede Demagogic 
war diesem wahrhaftigen fremd 7 und fern blieb diesem Ueberlegenen 
politische Phantastik. Klug und abw&gfend im Rat, tapfer und ent* 
schlossen bei der Tat, war er zum grolzen politischen Fiihrer berufen. 

Und als der Krieg kam, als die Kultur zusammensturzte, die Humanit&t 
ein Fremdwort wurde, da erhob sich Haase zur Groize des Sprechers 
der beleidigten, erniedrigten Menschheit, zu historischer Grofze. Der 
Kampf gegen den Krieg, das Morden, die Luge, war ihm nicht 
nur Sache des Verstandes, es war ihm Sache des Herzens. Lit! er doch 
alle Leiden als eigene, und nie war seine Leidenschaft grofzer, nie seine 
Anklage heifzer, nie die Verteidigung der Menschheit gliihender. In 
jenen schweren und finsteren Zeiten hat uns alien Haase den Glauben 
an die Menschheit, den Glauben an den Sieg des weltbefreienden 
Sozialismus erhal^en. 

In den schwierigsten Zeiten hat dann Haase, dessen Charakter ihm 
in immer steigendem Maize das instinktive Vertrauen der Massen erwarb, 
die Partei zusammengehalten, vom Abgrund des Putschismus 
wie vom Graben des Opportunisms zuriickgehalten, sicher ^ geleitet von 
der marxistischen Einsicht in die historisch«6konomische Bedingtheit aller 
und gerade der revolutionaren Politik. 

Nun ist er von uns gegangen, der unersetzliche Berater, der 
beste und edelste Mensch, der kampferprobte Fiihrer. In schlimmen 
Zeiten geht er von uns, in denen die Partei, in denen die Arbeiterklasse, 
in denen dieses ungliickliche Deutschland mehr als je des einzigen 
Mannes bedurft hatte. Er geht von uns in dem Augenblicke, wo seine 
Autoritat grower, sein Wort geachteter als je gewesen ist. Er geht von 
uns zu einer Zeit, wo das Proletariat mehr denn je der klugen, sicheren 
Fuhrung bedarf und wo es nottut, die Flammen der ^ revolutionaren 
Entschlossenheit, des proletarischen Trotzes mit der sozjalistischen Er* 

206 



kenntnis zii vereinen, bis zti dem Aug-enblick, wo sie zur gwaltigen, 
den Sieg verburgenden Kraft wird. Unersetzlich ist dieser 
Verlust, der so sinnlos und unfaizbar uns zugefugt worden ist 
Die Schatten dieses Verlustes lagen liber den Vorbereitungen zum 
Parteitag der Unabhangigen S oziald emo kr atie r 
der vom 30. November bis zum 6. Dezember in L e i p z i g zusammen- 
trat Es gait diesmal die Resultate aus der bisherigen Entwicklung 
zu Ziehen und die Taktik fur die kommende Zeit festzustellen. Es 
waren erst neun Monate seit dem Marzparteitag vergangen; aber 
seitdem hatte sich die wirtschaftliche und politische Lage Deutsche 
lands vollstandig geandert und der Charakter der Revolution ein 
anderes Gesicht bekommen. Die Bourgeoisie war wieder in den Be- 
sitz ihrer alten Machtmittel gelangt, sie beherrschte den militarischen 
und bureaukratischen Apparat, sie verstand es auch, die demokrati- 
schen Methoden fiir ihre Zwecke zu gebrauchen. Weiter Kreise der 
Arbeiter hatte sich eine gewisse Kampfesmlidigkeit bemachtigt, ihre 
Verelendung war zwar fortgeschrirten, aber das vermochte nicht r die 
Aktivitat der Arbeiterklasse zu steigern. Das auf dem MMrzparteitag 
beschlossene Programm entsprach dem damaligen Stande der revolu- 
tionSren Bewegung, die in sich unklar und gespalten war und deshalb 
einen entsprecnenden Ausdruck in der Kundgebung der Partei fand. 
Jetzt aber mulzte die Partei auch fur ihre programmatischen Be- 
schlusse jene Klarheit finden f die sie berechtigte, die Fuhrerin des 
Proletariats zu sein. 

D i 1 1 m a n n r der auf dem Parteitag den GeschMftsbericht 
der Zentralleitung gab, konnte auf das ununterbrochene Wachstum 
der Partei hinweisen. Was der Marzparteitag sich zur Aufgabe ge~ 
stellt habe r sei inzwischen weiter verfolgt worden: die Sammlung des 
deutschen revolutionSren Proletariats auf dem Boden des Klassen- 
kampfes. Hatte die Partei im M&rz rund 300 000 Kampf er in ihren 
Reihen, so zahlte sie jetzt dereh mehr als dreiviertel Millionen. Im 
Laufe des Sommers sei eine reiche Broschlirenliteratur entstanden 
und eine Anzahl Flugblatter liber aktuelle politische Fragen in Massen 
herausgegeben worden. Die Partei zahle jetzt 55 Tageszeitungen im 
Reiche r trotzdem infolge der Not an Papier und des Mangels an 
Materialien die Schwierigkeiten zur Grundung neuer Blatter aufzer- 
ordentlich grofe gewesen waren. Zur Unterstiitzung der Redaktionen 
war ein Pressebureau errichtet worden r dem ein eigener Parlaments- 
dienst angegliedert wurde. Fiir die Frauen erschien die „Kampferin'\ 
fiir die jungen Arbeiter die „Freie Jugend". Als Hilfsmittel fiir die 
Arbeit in den Kommunen gab die Partei eine besondere Zeitschrift r 
die „Sozialistische Gemeinde", heraus. Dieses Jahr war aber nicht 
nur mit Erfolgen gefiillt, sondern es war zugleich ein Jahr der Opfer. 
Die besten Kampfer des Proletariats waren niedergemetzelt oder in 
Zuchthauser geworfen. Die edelsten Fiihrer der Arbeiterklasse waren 
durch Morderhand gefallen. Niemals hatte die Klassenjustiz so ge« 
wiitet wie in diesem Jahr. Nunmehr miisse die Organisation der 
USP. zu einem Bollwerk des proletarischen Klassenkampfes gemacht 
werden, denn nur dadurch komme man zu einer Einigung des ge« 
samten sozialistischen Proletariats. 

Nachdem Diizmann einen Bericht iiber die Arbeiten fiir ein 
neues Organisationsstatut gegeben hatte, kam es zu 

207 



einem Zwischenfall, der die Situation in der Partei scharf beleuchtete. 
Es wurde festgestellt, dafz einige Mitglieder der Partei, wie Stoecker 
und Geyer, geheime Verhandlungen mit Levi, dem Vor- 
sitzenden der Kommunistischen Partei, gefuhrt und sich von ihm 
Instruktionen fur ihr Verhalten auf dem Parteitage geholt hatten. Die 
Spaitungsabsichten der Kommunistischen Internationale, deren Ver- 
treter Paul Levi war, waren also bereits soweit gediehen, dalz sie 
ihren Niederschlag schon auf dem Parteitag der Unabhangigen Sozial- 
demokratie fanden, Es wurde bei dieser Gelegenheit auch fest- 
getellt, dafz sich bereits der „linke Flugel" eine besondere Organic 
sation gegeben hatte, der im Sinne der Moskauer Auftraggeber arbei- 
tete und im ganzen Reiche Anschluiz zu finden suchte. 

Zu einem neuen Zusamenstofz mit der kommunistischen Zelle in 
der Partei kam es nach einem kurzen Ref erat Emanuel Wurms 
iiber die Steuerfrage. Wurm hatte ein Steuerprogramm auf- 
gestellt, das der Arbeiterklasse ermoglichen sollte, innerhalb der 
kapitalistischen Wirtschaft sich gegen die Angriffe des Kapitals zur 
Wehr zu setzen. Dalz eine Gesundung des Wirtschaftslebens und 
damit auch eine gesunde Steuerpolitik erst erreicht werden konnte, 
wenn die Arbeiterklasse die politische Macht erobert hatte, dariiber 
hatte Wurm keinen Zweifel gelassen. Nichtsdestoweniger fuhlten 
sich die Vertreter des „reinen Rategedankens" veranlalzt, eine Re- 
vision der Steuertaktik der Partei in der Richtung zu verlangen, dalz 
man sich an der Steuergesetzgebung im kapitalistischen Staat iiber- 
haupt nicht beteiligen, sondern es ihm selbst iiberlassen solie, wie er 
seine Lasten zu decken plane. In welcher Form auch die Steuern 
aufgebracht wiirden, immer sei im kapitalistischen Staat die Arbeiter- 
klasse der leidtragende TeiL Auch hier zeigten sich also die anarchistic 
schen Tendenzen der kommunistischen Auffassungen, nach denen 
der Arbeiter iiberhaupt nichts zur Besserung seiner Lage im kapita- 
listischen Staate unternehmen brauche, sondern dalz er lediglich auf 
den Umsturz der kapitalistischen Ordnung hinarbeiten miisse, um 
damit mit einem Schlage aller seiner Sorgen entledigt zu sein. Der 
kommunistische Flligel hatte mit seinem Vorstolz immerhin soviel er- 
reicht, dalz das griindliche Steuerprogramm Wurms auf dem Partei- 
tage nicht beraten wurde; die Kommission, die sich mit dieser Frage 
beschaftigen sollte, hat ihre Arbeiten niemals beendet 

Den Hohepunkt der Beratungen bildete das Ref erat Crispiens 
iiber Programm und Taktik der Partei. Er gab erst eine 
Darstellung iiber die weltpolitische Lage, wie sie sich wahrend des 
Krieges und nach dessen Beendigung entwickelt hatte. Er schilderte 
dann die Geschichte der bisherigen Programme der sozialistischen 
Bewegung, deren letztes Ergebnis das Erfurt er Programm von 1891 
war. Das Marzprogramm der Unabhangigen Sozialdemokratie konnte 
nur eine knappe Darstellung der wichtigsten sozialrevolutionaren 
Grundsatze geben, jetzt aber erfordere der Stand des. proletarischen 
Klassenkampfes eine grundlichere Arbeit. Fur den grundsStzlichen 
Teil des Pro^ramms, das einer spateren Durcharbeitung vorbehalten 
blieb, gab Crispien vorlaufig einige Leitgedanken. Die praktische 
Anwendung dieser Grunasatze und der sich daraus ergebenden For- 
derungen wurde in einem Aktionsprogramm festgelegt, das schliefe^ 

20S 



lich der Parteitag zum Beschlufe erhob. Das Leipziger 
Aktionsprogramm hat folgenden Wortlaut: 

Die proletarische R e v o lu tion hat zwei grofze Epochen: den 
Kampf urn die Eroberung der politischen Macht und ihre Behauptung 
fiir die Uebergangszeit vcm Kapitalismus zum Sozialismus. 

Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur das Werk der 
Arbeiterklasse selbst sein, weil alle anderen Klassen, trotz der Inter esserw 
gegensatze untereinander, auf dem Boden des Privateigen turns an Pro« 
duktionsmitteln stehen und die Erhaltung der Grundlagen der kapha* 
listischen Gesellschaft zum gemeinsamen Ziel haben. 

Die Interessen der Arbeiterklasse sind in alien Landern 
gleich. Mit der Ausdehnung der kapitalistischen Weltwirtschaft wird 
die Lage der Arbeiter eines jeden Landes immer abhangiger von der 
Lage der Arbeiter in den anderen Landern. Die Befreiung der Arbeiter** 
klasse erfordert also den internationalen Zusammenschkuz und den ge« 
meinsamen Kampf der Arbeiter der ganzen Welt. In dieser Erkenntnis 
fiihlt und erklart die Unabhangige Sozialdemokratische Partei Deutsche 
lands sich eins mit den klassenbewufeten Arbeitern aller Lander. Dem 
imperialistischen Kapitalismus setzt das klassenbewulzte Proletariat aller 
Lander den internationalen Sozialismus entgegen. 

Die Eroberung derpolitischen Macht durch das Proletariat 
leitet die Befreiung der Arbeiterklasse ein. Zur Durchfuhrung dieses 
Kampfes bedarf die Arbeiterklasse der Unabhangigen Sozialdemokratie, 
die rlickhaltlos auf dem Boden des revolutionaren Sozialismus steht, 
der Gewerkschaften, die sich zum unverfalschten Klassenkampf bekennen 
und zu Kampforganisationen der sozialen Revolution umzugestalten sind, 
und des revolutionaren Ratesystems, das die Arbeiter zum revolutionaren 
Handeln zusammenfa&t. ' 

Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei steht auf dem Boden 
des Ratesystems. Sie unterstutzt alle Bestrebungen, die Rate* 
organisation schon vor der Eroberung der politischen Macht als prole* 
tarische Kampf organisation fur den Sozialismus auszubauen und in ihr 
alle Hand* und Kopf arbeiter zusammenfassen und sie zu schulen fiir die 
Diktatur des Proletariats. 

Die politische Herrschaftsorganisation des kapitalistischen Staates 
wird mit der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat 
zertrummert. An ihre Stelle treten die politischen Arbeiterrate als 
Herrschaftsorganisation des Proletariats. Sie vereinigen in sich Gesetz* 
gebung und Verwaltung. Ihre Wirksamkeit bedeutet die Umwandlung 
und Neugestaltung des kapitalistischen staatlichen Verwaltungsapparates, 
einschliefzlich der Gemeinden; sie bedeutet aber auch die Verwirklichung 
des Selbstbestimmungsrechtes der Arbeiterklasse und ihren Zusammen* 
schlufz zwecks Abschaffung jegHcher Klassenherrschaft. Die Un- 
abhangige Sozialdemokratische Partei setzt der Herrschaftsorganisation 
des kapitalistischen Staates die proletarische Herrschafts* 
organisation auf der Grundlage des politischen Ratesystems ent- 
gegen, dem burgerlichen Parlament, als dem Ausdruck des Machtwillens 
der Bourgeoisie, den revolutionaren Ratekcngrefz. Die Umwand^ng- der 
kapitalistischen Wirtschaftsanarchie in die planmafeige sozialistische Wirt* 
schaft erfolgt durch das wirtschaftliche Ratesystem. 

Zur Ueberwindung des Kapitalismus und zur Verwirklichung 
der sozialistischen Gesellschaft sind f olgende Maiznahmen 
zu treffen: 

1. Die Auflosung fedes konterrevolutionaren 
Soldnerheeres, Auflosung aller militarischen Zivil* und Polizei- 

14 209 



formationen, Einwohnerwehren in St&dt und Land, Technischen Nothilfe, 
Polizeitruppen, Entwafmung des Burgertums und der Grundbesitzer. 
Errichtung einer revolutionaren Wehr. 

2. Umwandlung des Privateigentums an Pro** 
duktionsmittelnin gesellschaftlichesEigentum. Die 
Vergeselischaftung ist unverziiglich durchzufuhren auf den Gebieten des 
Rank* und Versicherungswesens, des Bergbaues und der Energies 
erzeugung — Kohle, Wasser, Kraft, Elektrizitat ~~ r der konzentrierten 
Eisen~ und Stahlproduktion des Transport*- und Verkehrswesens sowie 
anderer hochentwickelter Industrien. 

3. Grofzgrundbesitz und grolze Forste sind sofort in 
gesellschaftliches Eigentum zu iiberfuhren. Die gesamten landwirtschaft* 
lichen Betriebe sind durch Bereitstellung aller technischen und wirt- 
schaftlichen Hilfsmittel, durch Forderung der Genossenschaft zur hochsten 
Leistungsfahigkeit zu bringen. Urbarmachung von Gedland. 

4. In den S t a d t e n und vorwiegend industriellen Gemeinden ist das 
Privateigentum an Grund und Boden in Gemeindeeigentum zu 
uberfuhren; ausreichende Wohnungen sind von den Gemeinden her« 
zustellen. 

5. PlanmaJfcige Regelung des Ern&hrungswesens. 

6. Verges ellschaftung des gesamten 6 ffent lichen Gesund** 
heitswesens. 

7. Vergesellschaftung aller offentlichen Erziehungs- und 
Bildungseinrichtungen. Oef f entliche Einheitsschule mit welt- 
lichem Charakter. Die Schule ist nach sozialistisch«padagcgischen 
Grundsatzen auszugestalten, die Erziehung mit der mateiiellen Produktion 
zu verbinden. 

8. Erklarung der Religion zurPrivatsache. VSllige Trennung 
von Staat und Kirche. Erklarung der kirchlichen und > religiosen Gemein- 
schaften zu privaten Vereinigungen, die ihre Angelegenheiten selbstandig 
ordnen. 

9. Sozialistische Steuerpolitik durch progressive Ein« 
kommens", Vermogens« und Erbschaftssteuer zur Bestreitung aller offent- 
lichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind. Abschaffung 
aller indirekten Steuern, Zolle und sonstigen wirtschaftspolitischen Malz« 
nahmen, welche die Interessen des Proletariats den Interesseh einer bevor- 
zugten Minderheit ppfern. 

10. Abschaffung aller Gesetze r welche die Frau in offentlicher und 
privatrechtlicher Beziehung dem Manne gegenuber benachteiligen. 

11. Einfuhrung eines offentlich-rechtlichen Monopols fur das An** 
zsigen- und Werbewesen und Uebertragung an die Kommunal« 
verbande. 

12. Umgestaltung des gesamten Sffentlichen Rechtswesens nach 
sozialistischen Grundsatzen. 

13. A r b e i t s p f 1 i c h t fur alle Arbeitsfahigen. Schutzmalznahmen 
zur Erhaltung der Arbeitskraft. 

14. Herstellung f,eundschaftlicher Beziehungen zu 
alien Volkern. Sofortige Anbahnung von Biindnissen mit sozia- 
listischen Republiken. 

Die Diktatur des Proletariats ist ein revolutionares Mittel 
zur Beseitigung aller Klassen und Aufhebung jeder Klassenherrschaft, 



210 



zur Erringung der sozialistischen Demokratie. Mit der Sicherung der 
sozialistischen Gesellschaft hort die Diktatur des Proletariats auf, und 
die sozialistische Demokratie kommt zur vollen Entfaitung. 

Die Organisation der sozialistischen Gesellschaft erfolgt nach dem 
Ratesystem. In der sozialistischen Gesellschaft kommt audi das 
Ratesystem in seinem tiefsten Sinn zur hochsten Geltung. Der tiefste 
Sinn des Ratesystems ist, dafz die Arbeiter, die Trager der Wirtschaft, 
die Erzeuger des gesellschaftlichen Reichtums, die Forderer der Kultur, 
auch die verantwortlichen Trager aller, rechtlichen Einrichtungen und 
politischen Gewalten sein mussen. 

Urn dieses Ziel zu erreichen, bedient sich dje Unabhangige Sozial- 
demokratische Partei planmafcig und systematisch gemeinsam mit den 
revolutionaren Gewerkschaften und der proletarischen Reorganisation 
aller politischen, parlamentarischen und wirt- 
schaftlichen Kampfmittel. Das vornehmste und ent« 
scheidende Kampfmittel ist die Aktion der Masse. Die Unabhangige 
Sozialdemqkratie verwirft gewaltsames Vorgehen einzelner Gruppen und 
Personen. Ihr Ziel ist nicht die Vernichtung von Prcduktionsinstraraenten, 
sondern die Beseitigung des kapitalistischen Systems. 

Die geschichtliche Aufgabe der Unabhangigen 
Sozialdemokratischen Partei ist es r der Arbeiterbewegung 
Inhalt, Richtung und Ziel zu geben und dem revolutionaren Proletariat 
in seinem Kampfe fur den Sozialismus Fuhrerin und Bannertragerin 
zu sein. ! 

Die Unabhangige Sozialdemokratische Partei ist der Ueberzeugung, 
dafz durch die Zusammenfassung der proletarischen 
Massen, die sie erstrebt, der vollstandige und dauernde Sieg des 
Proletariats beschleunigt und gesichert wird. In diesem Sinne erstrebt 
die Unabhangige Sozialdemokratische Partei auch die Schaffung einer 
revolutionaren aktionsfahigen Internationale der Arbeiter aller Lander- 
Das Bekenntnis in Wort' und Tat zu den Grundsatzen und Forderungen 
dieses Programms ist die Voraussetzung zur Einigung der Arbeiter* 
klasse. ' 

Nur durch die proletarische Revolution kann der Kapitalis* 
mus uberwunden, der Sozialismus verwirklicht und damit die Befreiung 
der Arbeiterklasse durchgefuhrt werden. ' 

Zu stiirmischen und zeitweise sehr hafzlichen Szenen kam es, als 
man an die Beratung des nachsten Punktes, die Frage der Inter- 
nationale, ging. Die Redner der beiden Richtungen waren Hil« 
f erding und Stoecker. H i 1 f e r d i n g ging von okonomischen Fest- 
stellungen aus und verlangte, daiz die Partei ihren Zusammenhang 
mit dem westeuropaischen Proletariat nicht verlieren diirfe. Die Ent« 
scheidungskampfe zwischen Kapital und Arbeit wtirden in den hoch« 
industriell entwickelten LSndern geschla<?en werden und nicht in dem 
wirtschaftlich riickstandigen Rufzland. Bei aller Sympathie mit dem 
russischen Proletariat, das in opferreichen Schlachten die Bourgeoisie 
niedergeworfen habe, das von der Internationale des Kapitals hart 
bedrangt werde, von der Internationale der Arbeit aber noch nicht 
die notwendige Unterstutzung gefunden habe, diirfe man doch nicht 
die Fuhlung mit dem Proletariat der Weststaaten verlieren, auch 
wenn dessen revolutionare Auffassung hinter der des russischen Pro- 
letariats zuriickstehe. Stcecker dagegen verlangte den sofortigen 
Anschluiz an die Moskauer Internationale und die Loslosung von den 

14* 211 



Arbeiterparteien der anderen Lander, soweit sie sozialreformerischen 
Charakter triigen. Die anderen Parteien, die auf dem St&ndpunkt 
der Unabhangigen Sozialdemokratie standen, wurden deren Beispiel 
von selbst nachfolgen. Einen vermittelnden Vorschlag machte 
Ledebour; man solle die endgiiltige Beschlufzf assung noch hin- 
ausschieben, urn mit den revolutionaren Sozialisten und Kcmmu- 
nisten aller Lander den Bail einer neuen, wirklich revolutionaren und 
aktionsf&higen Internationale zu beginneru Wir durften jetzt nicht 
nach Moskau gehen und uns von dem westlandischen Proletariat 
isolieren, sondern wir mufzten alles tun, um das Proletariat aller 
Lander zur revolutionaren Aktion aufzurufen und zusammenzufassen. 

Da es nicht moglich war, in offener Sitzung des Parteitages zu einer 
Verstandigung zu gelangen, wurden die Verhandlungen stundenlang 
vertagt, um den beiden Gruppen der Delegierten Gelegenheit zur 
internen Aussprache zu geben. Es schien fast so, als ob eine weitere 
Zusammenarbeit gar nicht mehr moglich sei. Schlieizlich gelang es 
aber, fur eine Resolution, die die Unterschrift von Parteileitung und 
Kontrollkcmmission trug, die Mehrheit des Parteitages zu gewinnen. 
In dieser Resolution wurde mit der II. Internationale 
endgiiltig gebrochen und weiter verlangt, dafz durch die 
Sammlung der sozialrevolutionMren Parteien aller Lander eine Inter- 
nationale der Tat geschaffen werde. Zugleich aber gab sie der Partei 
die notwendige Bewegungsfreiheit, um zu verhuten, dalz ihr die Ge- 
setze des Handelns von Moskau vorgeschrieben wurden. Damit war 
die M6glichkeit zur S chaff ung einer die ganze Welt umfassenden 
Internationale des revolutionaren Proletariats gegeben. Wenn es 
nicht dazu gekommen ist, so darf die Schuld daran nicht bei der 
•Unabhangigen Sozialdemokratie gesucht werden. 

Die Spaltung der Partei ist damals noch verhirtet worden. Es zeugte 
von der ihr innewohrienden StSrke, dalz sie die heftigen Auseinander- 
setzungen ertragen konnte, ohne auseinanderzufallen. Das neue 
Aktionsprogramm hatte der Partei eine Plattform gegeben, auf der 
sich das ganze Proletariat sammeln konnte. Es hat auch zunachst 
seine Wirkung getan, bis durch das Moskauer Diktat der Aufschwung 
der Unabhangigen Sozialdemokratie gehemmt und der deutschen 
Arbeiterbewegung unsaglicher Schaden zugefiigt wurde. 



212 



©fe^3Q&^39^ 



Das Werk von Moskau. 

Die Demonstration vor dem Reichstag. — Der Streit urn die Betriebs- 
rate. — Der Kapp-Putsch. — Tod von Emanuel Wurm. — Groizer 
Erfolg bei den Reichstagswahlen. — Das Antwortschreiben aus 
Moskau. — Polnisch-russischer Krieg. — Die 21 Bedingungen. — Die 
Reichskonferenz. — Der aufzerordentliche Parteitag von Halle. — 
Rededuell Sinowjew~Hilferding. — Die $paltung. 

Die Partei hatte einProgramm f u r die A k t i o n , sie hatte 
eine Fahne, die der Arbeiterklasse in ihrem Befreiungskampfe vcran- 
schweben sollte. Was das Proletariat in jenen Tagen erfullte, wo- 
nach es sich sehnte und wofur es stritt, das war im Aktionsprogramm 
der Unabhangigen Sozialdemokratie niedergelegt Seine Form und 
sein Inhalt entsprachen den Forderungen jener Zeit; es gluhte in 
ihm der Trotz der Revolution, es war erfullt von dem Gedanken sozia- 
listischer Erkenntnis. Es knupfte an die Bedurfnisse des Tages an, 
liefz sich aber nicht zu reformistischen Zugest&ndnissen an die kapi- 
talistische Ordnung herbei. Es stellte ein Kampfesziel auf, ohne sich 
in utopische Spielereien zu verlieren. Es war das Ergebnis eines 
Revolutionsjahres und dessen Erfahrungen berechtigte es, jeder Re- 
volutionsromantik Valet zu sagen. . So wurde es einstimmig und unter 
sturmischem Beifail der Delegierten vorti Leipziger Parteitage an- 
genommen, so wurde es von der Parteipresse, von den geistig reg- 
samsten und kampfeslustigsten Teilen des Proletariats begriiizt. Das 
Aktionsprogramm war nicht fur die Ewigkeit bestimmt. Aber es gab 
die Richtung an, in denen sich die K&mpfe der Arbeiterklasse in der 
kommenden Zeit bewegen mulzten, Wenn eine Vereinigung 
des Proletariats iiberhaupt moglich war, so konnte sie nur auf der 
Grundlage erfolgen, die durch das Leipziger Aktionsprogramm der 
Unabhangigen Soziaidemokratie gegeben war. 

Die Voraussetzung flir diese Wirkung des Aktionsprogramms 
mulzte sein, dalz die drei Organisationen, die alsTrager der 
sozialenRevolution anzusprechen waren, gemeinsam, mit Ver- 
trauen und in Treue zueinander, an dessen Verwirklichung arbeiteten. 
Das waren die Partei, die Gewerkschaften und die Rateorganisationen. 
Es zeigte sich aber bald, dalz die Vertreter des „reinen Rate- 
gedankens" alles andere im Sinne hatten, als mit den beiden anderen 
Organisationen als gleichwertigen Faktoren zu arbeiten. Ihnen war 
das Ratesystem zum Fetisch, zum Selbstzweck geworden. Sie hatten 
den G 1 a u b e n an den Rategedanken, und diesen Glauben hielten 
sie fiir den allein seligmachenden. Ein Glaubensstreiter aber ist 
blind fiir jede andere Meinung, er erkennt keine Lehrsatze an, 

213 



sondern halt sich nur an sein Dogma. So entriistete sich Ernst 
Daumig lebhaft daruber, daiz Ledebour in seiner Besprechung 
des Parteitags der parlamentarischen Arbeit die ihr gebiihrende Bedeu- 
tung beigemessen hatte. Mochte Daumig sich ein halbes Jahr spater 
recht gem an der Verteilung der Reichstagsmandate beteiligen, so war 
er damals noch recht antiparlamentarisch gesinnt, und er und seine 
Freunde waren leicht dazu geneigt, jeden aus der Liste der revolu- 
tionaren Kampfer zu streichen, der nicht an den „reinen Rate- 
gedanken" als die hochste Potenz in der Arbeiterbewegung glaubte. 

Das alles gab aber nur den Suizeren Anlaiz, urn die Kluft in den 
Auff assungen in der Frage der Internationale aufs neue 
aufzureiizen. Der sogenannte linke Fltigel war verstimmt daruber, 
daiz sein Wunsch, den Anschlulz an Moskau sofort zu vollziehen und 
damit den westeuropaischen Arbeiterparteien den' Riicken zu kehren, 
nicht sofort in Erfulking gegangen war. Seine Verbindung mit den 
Moskauern war schon so eng, daiz er den, vom Parteitag zum Beschluiz 
erhobenen Antrag Ledebours, erst mit den andern spzialrevolutio- 
naren Parteien gemeinsam den Anschlulz an die kommunistische 
Internationale vorzunehmen, fast als eine Ehrenkrankung ansah. 
Und so wurde Ledebour von Daumig als ein Vertreter jener 77 refor« 
mistischen und opportunistischen Tradition" der alten Partei bezeich~ 
net, die noch nicht vdllig aus den Kopfen vieler Parteigenossen ge« 
schwunden sei. 

Wohin die deutsche Arbeiterklasse gefuhrt worden ware, wenn sie 
sich vorbehaltlos der Fiihrung der Apostel des „reinen Rateglaubens 4 ' 
anvertraut hatte, das sollte sich bald an einem viberaus traurigen 
Ereignis zeigen. Die Regierung hatte das Betriebsrategesetz vor- 
bereitet, durch das den revolutionaren Rfiten vollig der Garaus ge- 
macht werden sollte. Es verstand sich von selbst, daiz die Arbeiter 
sich diesen Rest der Errungenschaften aus den Novembertagen nicht 
ohne Widerstand rauben lassen wollte. Als der Reichstag am 13. Ja« 
nuar 1920 mit den Beratungen des Betriebsr&tegesetzes beginnen 
wollte, wurden die Berliner Arbeiter von der Leitung der Partei und 
der Ratebewegung zu einer grclzen Demonstration vcr dem 
Parlamentsgebaude aufgerufen. Die Fiihrung bei dieser Kundgebung 
und damit auch die Verantwortung fur ihren Verlauf batten die 
Spitzen der R&teorr anisationen. Es erpab sich aber bald, dafz sie 
wohl auf dem Papier recht schone Tabellen fur den Aufbau des 
Ratesystems aufstellen konnten, daiz sie aber unfahig warerv, eine 
wirkliche Organisation der Massen vorzubereiten. Zu Hunderttausen* 
den waren die Berliner Arbeiter vor dem Reichstagsgebllude er« 
schienen. In musterhafter Ordnung batten sie die Betrlebe^ vorlassen 
und waren demonstrierend durch die Stralzen gezogen. Die Leiter 
der Kundgebung aber hatten nicht dafiir gesorgt, daiz sie ein Ziel 
und einen wirkungsvollen Abschlulz fand. Stundenlang standen die 
Massen vor dem Reichstag; bald hatten sich provozierende Elemente 
in ihre vcrdersten Reihen gedrangt, und nun fand die Polizei Ge- 
legenheit, wieder einmai ein furchtbares Blutbad unter den 
Arbeit ern anzurichten. Zahllos waren die Opfer, die den Schiissen 
der Militarpclizei zum Opfer fielen. Mit Maschinengewehren hatte 
die burgerliche Ordnung einen neuen Sieg iiber das Proletariat er-' 
rungen. 

214 



Die Blutschuld, die seit diesem Tage besonders an den HSnden 
des rechtssozialistischen Polizeimnisters Heine klebt 7 soil gewilz nicht 
verkleinert werden. Wir brauchen uns auch das Geschrei der rechts- 
sozialistischen Presse aus jenen Tagen nicht zu eigen zu machen, die 
aus den Vorgangen des 13. Januar einen Putschversuch konstruieren 
zu konnen glaubte und einiges von den 77 intellektuellen llrhebern" 
aer greuelvollen Vorgange faselte. Nichtsdestoweniger bietet die 
geschichtliche Wahrheit die Feststellung, dalz damals die Vertreter 
des 77 reinen Rategedankens" 7 die Klinder der zukiinftigen Orgar\isa« 
tion der Arbeiterklasse, einen g&nzlichen Mangel an Organisations- 
f&higkeit bewiesen haben. Nur dem Solidaritatsgefiihl des so^enann« 
ten rechten Fliigels hatten sie es zu verdanken, dalz diese Tatsache 
damals nicht sofort festgestellt wurde. 

Mit besonderer Heftigkeit kamen die in der Partei herrschenden 
zwei Auffassungen dann wieder bei der Anwendung des Be- 
triebsrategesetzes zurn Ausdruck. Wenn die BetriebsrMte 
zum Nutzen der Arbeiterschaft wirken soliten r so mufzten sie gemein- 
sam mit den Gewerkschaften arbeiten. Nicht allein r dalz mit dem 
Abflauen der revolutionaren Stimmung in der Arbeiterklasse die Be~ 
deutung der Gewerkschaften wieder zunahm, war es doch von vorn« 
herein klar 7 dalz die gev/altige Mehrzahl der Betriebsrate den Wei- 
sungen folgen wiirden, die ihnen von gewerkschaftlicher Seite ge- 
geben wurden. Auch dieser Erkenntnis suchten sich die Vertreter 
des 77 reinen RHtegedankens" zu verschlielzen. Sie verfochten die Auf- 
fassung 7 dalz fiir die im revolutionaren Proletariat wurzelnden RHte 
besondere Organisationen geschaffen werden miilzten 7 die den Kern 
fiir spat ere revoluticnare Erhebungen und die Grundlage fiir die 
kommende Umwalzung der kapitalistischen Produktionsweise bilden 
sollten. Derartige 77 wirtschaftliche" Rateorganisationen sind spater 
auch in einigen Bezirken des Reichs gebildet worden 7 so in Mittel- 
deutschland und im Ruhrgebiet, ohne dalz es ihnen gelungen ware 7 
eine groizere Bedeutung als die einer Spielerei zu erlangen. In Berlin 
hat noch einige Monate lang die Betriebsratezentrale in der Miinz- 
stralze eine gewise Rolle gespielt, freilich nicht als Tragerin und For- 
derin des Rategedankens, sondern als Keimzelle fiir den Spaltungs- 
prozelz in der unabh^ngigen Sozialdemokratie. 

Als Zwischenspiel sei vermerkt 7 dalz sich im Februar 1920 der 
kommunistische Splitter den Luxus einer S p a 1 1 u n g 
gestattete. Unter der Fuhrung vcn Paul Levi wurde eine Reihe von 
Bezirksorganisationen aus der Kcmmunistischen Partei aus- 
geschlossen 7 weil sie deren Mauserung zum Parlamentarismus nicht 
mitmachen wollten. Diese Hinausgeworfenen haben sich dann eine 
neue Partei geschaffen, die Kommunistische Arbeiter- 
partei. 

Hatten die bisherigen VorgSnge in der revolutionaren Entwicklung 
Deutschlands die Krafte der Arbeiterbewegung zersplittert und sie 
dadurch ihrer Aktionsfahigkeit immer mehr beraubt 7 so sollte ein Er- 
eignis jetzt die Moglichkeit ihrer Zusammenfassung schaffen. Das 
war der K a p p - P u t s c h vom 13. Marz 1920. Noch am Vorabend 
dieser militarischen und nationalistischen Revoke safe N ske seelen- 
vergnugt mit seinen Offizieren aus der Reichswehr beisammen und 

215 



iiefe sich von ihnen berichten, dalz ihr Trachten nur darauf eingestellt 
sei, die Republik und deren Regierung zu schutzen. Wenige Stunden 
spater waren die Mannen des Korvettenkapitans Ehrhardt, die Lands- 
knechte aus dem Baltikumabenteuer und ahnliche Elemente, die 
durch Noskes Fursorge Zeit und Mittel erhalten hatten, sich auf neue 
Taten zu riisten, in den Berliner Regierungsgebauden und die 
Herren Ebert, Noske und ihre Kollegen aus der Regierung mufeten 
Hals iiber Kopf aus der Reichshauptstadt entfliehen. Die r e c h t s - 
sozialistische Politik hatte zum zweitenmal ihren 
Bankrott erlitten. Der Noskekurs, der zur Bewaffnung der Gegen- 
revolution, zur Wiederaufrichtung des Militarismus gefuhrt hatte, 
war schwachlich zusammengebrocnen. Nun stand die ganze Arbeiter- 
klasse einmutig und geschlossen auf, urn sich diejenigen Rechte zu 
sichern, die zur Durchfuhrung ihrer Ansprixche notwendig waren. 
Arbeiter, Angestellte und Beamte, gleichviel welcher Partei sie an- 
gehorten, sie alle traten in den Generalstreik ein, ohne dalz 
dafiir eine besondere Vorbereitung notwendig gewesen ware. Und 
nun gait es, diese Situation fur das Proletariat nutzbar zu machen. 
Wenn eine einheitliche politische Fiihrung der Arbeiterklasse da- 
gewesen ware, mit einem bestimmten Ziele und mit einem einheit- 
lichen Willen, so ware damals manches erreicht worden. Die Kom- 
munisten aber gaben zuerst die Parole gegen den Generalstreik aus 
und lielzen erst, als sie merkten, dalz kein Mensch auf sie h8rte, von 
ihrer Tolpelhaftigkeit ab. Und die Rechtssozialisten glaubten die 
Bewegung dahin deuten zu konnen, dalz sie aus der Sorge um die 
damalige Regierung entstanden sei. So erkl&rt es sich, dalz die 
Leitung des Gewerkschaftsbundes sich an die Spitze der Bewegung 
stelien und ihr einen ihr gemafzen Stempel aufdrucken konnte. Sie 
stellte eine Reihe von Forderungen auf, ihre beriihrnten acht 
Punkte, die ohne Zweifel zur Reinigung des politischen Lebens 
gefuhrt und der Arbeiterschaft den ihr gebiihrenden Platz zugewiesen 
hatten 7 wenn sie durchgefiihrt wcrden waren. Das scheiterte auf der 
einen Seite an der Passivitat der rechtssozialistischen Partei und auf 
der anderen Seite ari der von den Kommunisten und dem sogenann- 
ten linken Fliigel der Unabhangigen Partei gepredigten Enthaltsam- 
keit von allem wirklichen politischen Einflusse. So kam es, dalz die 
Bewegung, die so prachtvoll einsetzte und eine so erfreuliche Einheit 
zeigte, schliefzlich im Sande verlief, ohne bedeutende Spuren zu 
hinterlassen. Der einzige Leidtragende war Noske, dessen Dasein 
als Wehrminister mit dem Kapp-Putsch beendet war; das hat seine 
Partei nicht daran gehindert, ihn fur seine Verdienste um die Gegen- 
revolution mit einer oberprasidialen Pfriinde zu belohnen. 

Der Kapp-Putsch zitterte noch einige Wochen lang im Ruhr- 
r e v i e r und in Mitteldeutschland nach. Im Westen war 
es den Arbeitern aller Richtungen gelungen, die Freikcrps aus dem 
Felde zu schlagen und sich mit Waffen zu versehen. Sie hielten 
den ganzen Bezirk besetzt und stellten eine ansehnliche Macht vor. 
Aber die Bewegung war isoliert, und es war leicht vorauszusehen, dalz 
sie in einem Blutbade enden wlirde, wenn sie nicht rechtzeitig abzu- 
brechen war. Schon riistete sich die Reichswehr, um mit ihren alten 
Methoden noch einmal die Niederwerfung der Arbeiterschaft zu ver- 
suchen. In die Bewegung selbst hatten sich anarchistische Elemente 

216 



feingeschiichen, denen nicht an der Verwirklichimg bestimmter gozia- 
listischer Forderungen, sondern mehr an der Befriedigung person-* 
licher Bediirfnisse gelegen war. Dem Einflusse der Unabhangigen 
Sozialdemokratie ist es zu danken, dalz die Bewegung, wenn auch 
nicht mit einem vollen Erfolg der Arbeiterschaft, so doch mit einem 
Ergebnis liquidiert wurde, das einen neuen Aderlafe an der Arbeiter- 
klasse verhutete. 

Einen neuen schmerzlichen Verlust erlitt die Partei, erlitt die 
Arbeiterbewegung mit dem Tode von Emanuel Wurm. Ein 
Menschenalter hatte er seine Kenntnisse und seine F&higkeiten in 
den Dienst des Proletariats gestellt. Auf den Gebieten der Wirt- 
schaft und der Steuerges-etzgebung war er eine unbestrittene Autoritfit. 
Fruhzeitig schon hatte ihn die alte Partei auf die vordersten Posten 
gestellt, und niemals haben die Arbeiter eine EnttSuschung an ihm 
erlebt. Er war kein hinreifzender Redner. Aber wenn er sprach, 
dann fesselte er seine HSrer durch den Inhalt seiner Ausfiihrungen, 
dann gewann er die Aufmerksamkeit durch die Fulle seiner Kennt~ 
nisse. In der Partei, im Parlament war er ein unermudlicher Arbeiter. 
Er besaiz den Willen zur Tat, und er vermochte, wie nur wenige aulzer 
ihm, sozialistische Erkenntnis mit der Einsicht in die MSglichkeiten 
des Tages zu verbinden. Sein Tod rilz in die Partei eine schmerzlich 
empfundene Liicke. 

Der Kapp-Putsch und seine Folgen hatten die KrSfte der Partei 
aulzerordentlich in Anspruch genommen, sie aber zugleich sammeln 
und nutzen gelehrt. Mochten nach dem Abbruch des Kampfes ge« 
wisse Mifestimmungen ubriggeblieben sein, well besonders der so« 
genannte linke Fliigel der Meinung war, der Kampf hMtte von der 
Partei auch isoliert von der iibrigen Arbeiterschaft weitergefiihrt 
werden musen, so drangte doch die Nctwendigkeit, auf dem nMchsten 
Kampffelde geschlossen aufzutreten, diese Differenzen bald wieder 
in den Hintergrund. Die nun zu verrichtende Arbeit gait den Neu- 
wahlen fur den Reichstag. Die Partei eroffnete den Wahi- 
kampf mit einem Aufruf, in dem sie den Arbeitern sagte, daiz 
sie ihre Interessen gemeinsam wahren, dalz sie sich nicht gegen- 
einander ausspielen und milzbrauchen lassen durften. Aus dem Zu- 
sammenbruch, in den die Welt durch Kapitalismus und Militarismus 

§efiihrt worden sei, gebe es nur eine Rettung, den Kampf fiir den 
ozialismus. Mit ihrem Programme sammle die Unabhtogige Sozial- 
demokratie die Massen des Proletariats, sie vertrete es jetzt auch 
im Wahlkampf . Gegen das einheitlich und geschlossen handelnde 
Proletariat konne in Deutschland keine Maclvt aufkommen. Als sofort 
zu erfiillende Uebergangsmalznahmen wurden dann 
gefordert: 

1. Entwaffnung und Auflosung aller konterrevolutionaren 
Formationen. Mannschaftsersatz aixs den Reihen der organisierten 
Arbeiterschaft, politisch zuverlSssige Fiihrer. 

2. Aufhebung des Ausnahmezustandes. Freilassung 
aller verhafteten Revolutionskampfer und umfassende Anuiestie. 

8. Bestrafung aller an dem Kappschen Umsturz beteiligten 
Gegenrevolutionare und der fiir das Hinmorden von re^volutionaren 
Kampfern Verantwortlichen. ' 

217 



4. Durchf uhrung der Sozialisierung, beginnend auf dem Gebiete 
des Bergbaus und der Energieerzeugung — Kohle, Wasser, Kraft, 
Elektrizitat — , Weiterfuhrung der Sozialisierung der konzentrierten 
Eisen~ und Stahlproduktion, des Transport- und Verkehrswesens sowie 
anderer hochentwickelter Industrien, umfassende Kommunalisierung. 

5. Ueberfuhrung des Grolzgrundbesitzes und der g r o Jz e n 
Forsten in gesellschaftlich.es Eigentum. Die gesamten landwirtschaft* 
lichen Betriebe sind durch Bereitstellung aller technischen und wirt* 
schaftlichen Hilfsmittel, durch Forderung der Genossenschaft zur 
hochsten Leistungsfahigkeit zu bringen. 

6. Sicherung der Lebensmittelversorgung der st&dtischen 
Bevolkerung. Scharfste Bekampfung des Leber smittelwuchers. 

7. Ausbau der Sozialgesetzgebung, Anpassung der LShne, 
Gehalter, Renten und Unterstiitzungen an die Kosten der Lebenshaltung. 
Wirksame Schutzmalznahmen zur Erhaltung der Arbeitskraft 

8. Freundschaf tliche Beziehungen zu alien Vdlkern. 
Frieden mit Ru&land. Erfullung der sich aus dem Friedensvertrag 
ergebenden Verpflichtungen. 

Der Wahltag vom 6. Juni brachte der Partei einen glHnzenden 
E r f o 1 g. Sie war mit einem Ruck an die zweite Stelle geriickt, nicht 
viel mehr fehlte, dalz sie die rechtssozialistische Partei tiberflugelte. 
Die SPD. erhielt 5 614 452 Stimmen und 112 Mandate, die USPD. 
4 894 317 Stimmen und 81 Mandate. Die Unabhtingige Sozialdemo 
kratie, der man in der ersten Zeit ein so ungiinstiges Prognostikon 
gestellt hatte, war zu einer achtunggebietenden Macht geworden, 
sie dr&ngte danach, zu der entscheidenden Macht zu werden. 

Bald sollte die Partei vor ein neues Problem gestellt werden. Die 
bisherige Koalition war aulzerordentlich geschwMcht aus dem Wahl- 
kampf hervorgegangen. Den Rechtssozialisten war fiir den Augen- 
blick die weitere Lust am Zusammenregieren mit den Biirgerlichen 
vergangen 7 und sie glaubten ihre Stellung dadurch verbessern zu 
konnen, dalz sie die Unabhangige Sozialdemc kratie zur Teilnahme 
an ihrer Koalition einluden. Das Zentralkomitee der USPD. 
antwortete darauf, dalz die Partei nicht in eine Regierung eintreten 
konne, die sich die Wiederaufrichtung der kapitalistischen Ordnung 
zum Ziele gesetzt und zur Niederhaltung des Proletariats den Mili- 
tarismus neu belebt habe. Der Eintritt der USPD. in eine solche Re- 
gierung wiirde eine Unterstiitzung der konterrevolutionMren Politik 
und einen Verrat an den Interessen der Ar eiterschaft bedeuten. Zur 
Erkampfung ihres Zieles, der Beseitigung der kapitalistisch-militMri- 
schen Klassenherrschaft sei die USPD. zu Beginn der Revolution in 
eine gemeinsame Regierung mit der rechtssozialistischen Partei ein- 
getreten. Sie habe sich gezwungen gesehen r aus der Regierung aus- 
zutreten, um an der von den Rechtssozialisten betriebenen Politik 
nicht mitschuldig zu werden. Fiir die USPD. konne also n u r eine 
sozialistische Regierung in Betracht kommen 7 in der sie 
die Mehrheit habe, den bestimenden Einflulz ausiibe, und in der ihr 
Programm die Grundlagen der Politik bilde. 

Diese Absage an die Koalitionspolitik fiihrte zu einer aulzerordent- 
lich scharfen Kampagne der Rechtssozialisten gegen die Partei, der 
sie die Schuld daran gab, dalz nunmehr eine ganz burger liche Re- 

218 



gierung gebildet werden mttsse. Auch in den eigenen Reihen 
herrschte eirdge Mi&stimmung daruber, dalz es nicht wenigstens zu 
Verhandlungen ixber die Regierungsbildung gekommen war. Riick- 
schauend kdnnen wir sagen, dafe die Taktik des Zentralvorstandes 
nicht ganz gliicklich gewesen ist. Sie hatte bestimmte Forderungen 
aufstelien miissen, aui deren Durchiiihrung sie bestehen konnte. Die 
burgerlichen Parteien waren sicherlich nicht eine Koalition mit einer 
Partei eingegangen, die das Leipziger Aktionsprogramm als die 
Grundlage ihrer Politik betrachtete. Und wenn auch die Rechts- 
sozialisten die Zusammenarbeit auf Grund dieses Programms ab- 
gelehnt hatten, so war vor aller Welt festgestellt, dalz sie die Schuld 
an dem Nichtzustandekommen einer rein sozialistischen Regierung 
trugen. 

Ende Juni begab sich eine Abordnung der Partei, 
Crispien, Dittmann, Daumig und Stoecker, nach Moskau, urn 
an den Beratungen des Kongresses der Internationale teilzunehmen 
und "fiber den Anschlulz der USPD. zu verhandeln. Vorher berichtete 
das Zentralkomitee daniber, was es zur Ausfuhrung des Leipziger 
Beschlusses in der Frage der Internationale getan hatte. Es waren 
Verbindungen mit alien Parteien des Auslandes, die sozialrevolutio- 
naren Charakter trugen, angekniipft worden, urn mit ihnen gemeinsam 
der III. Internationale beizutreten. Es kamen eine Reihe von Ant- 
worten, die das Vorgehen der USP. zumeist billigten und die Ab- 
haltung einer Konferenz zur Besprechung der weiteren Schritte vor- 
schlugen. Nur aus Moskau kam keine Antwort, und um die Ver- 
handlungen mit der III. Internationale nicht zu erschweren, lehnte 
die Parteileitung die Veranstaltung einer Konferenz ohne Moskau ab. 
Der Kapp-Putsch brachte eine Unterbrechung dieser Verhandlungen. 
Die Kraite der Partei waren in der inneren Politik so in Anspruch 
genommen, dalz die Regelung der international Beziehungen nicht 
gefordert werden konnte. Endlich im April kam ein Antwort- 
schreiben des Moskauer Exekutivkcmitees, das aber, was das hinter- 
haltige Verhalten dieser Exekutive deutlich kennzeichnet, in erster 
Linie an „alle Arbeiter Deutschlands", in zweiter Linie an die 
77 Reichszentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands" und erst 
in dritter Linie an den „Vorstand der Unabhangigen Sozialdemo- 
kratischen Partei" gerichtet war. 

In diesem Antwortschreiben war im Widerspruch mit den Tat- 
sachen behauptet warden, dalz die USPD. die KundgeDungen des 
Moskauer Exekutivkcmitees unterschla&en und den Anschlulz an die 
III. Internationale sabotiert habe. Das Zentralkomitee der Partei 
mu&te erst den Wahikampf vortiDergehen lassen 7 ehe es sich dazu 
aulzern konnte. Es steilte nun fest, dalz das Mcskauer Exekutiv- 
komitee in ganz unmarxistischer Weise behaupte, die Massen der 
Partei lielzen sich von einem Hauflein opportunistischer Fiihrer irre- 
fiihren, und es miilzten erst diese Fiihrer beseitigt werden, ehe die 
USP. in die III. Internationale aufgenommen werden konne. Durch 
solche Methc de werde, statt sachliche Kritik zu iiben, der G e i s t 
der Spaltung in eine Partei hineingetragen, die den Anspruch 
darauf erheben kenne, als Reprasentantin des revolutionaren Prole- 
tariats zu gelt en. Die Partei hate durch ihre ganze bisherige Tatig- 
keit bewiesen, dalz sie von revolutionarer Tatkraft erfullt sei, und die 

219 



Teilnahme an der ersten Revokitionsregierung, die das Exekutlv- 
komitee der USP. jetzt zum Vorwurf mache, habe nur den Forde- 
rungen des gesamten Proletariats entsprochen. Das Antwortschreiben 
des Exekutivkcmitees stelle (iberhaupt eine Sammlung von schiefen 
oder ganzlich unwahren Darsteilungen und Anklagen dar. Die Durch- 
fiihrung der sozialen Revolution vollziehe sich nicht iiberall nach den 
Bedingungen, die die Bolschewisten in Rutland gefunden hStten, 
sondern sie hingen ab von den Verhaltnissen jedes einzelnen Landes. 
Die USPD. habe durch den Bruch mit der II. Internationale bewiesen, 
dalz sie mit deren reformistischen Parteien nichts zu tun haben wolle. 
Das Schreiben der Zentraieitung schlieizt mit der Hoffnung, dalz es 
der nach Moskau gesandten Komission gelingen werde, mit guten 
Ergebnissen fur die Schaffung einer geschlcssenen internationalen 
Front des klassenbewulzten revolution&ren Proletariats aller LMnder 
heimzukehren. 

Diese Hoffnung ist griindlich enttHiischt worden. Was die Kom- 
mission mitbrachte, das war nicht die Einigung des revolutionSren 
Proletariats der ganzen Welt, sdndern ihre Zersplitterung, nicht die 
Starkung der sozialrevolutionMren Parteien in alien Landern 7 sondern 
deren Spaltung. Wie kam es aber, dalz die Moskauer Exekutive so 
ganzlich alle marxistischen Lehren und jede sozialistische Erkenntnis 
beiseite schob und mit anarchistischen Methoden ihre eigene Isolie« 
rung von dem kampfentschlossenen Proletariat der Westlander durch« 
setzte? Das war begriindet in der innen- wie auizenpoliti- 
schen Stellung der Sowjetregierung, deren aus« 
fiihrendes Organ die III. Internationale werden sollte. 

Im Friihjahr 1920 glaubte die Entente zum letzten entscheidenden 
Schlage gegen Sowjetrufzland ausholen zu konnen. Nachdem die 
russischen Arbeit er und Bauern die gegenrevolutionSren Bewegungen 
der Koltschak, Denikin und Judenitsch niedergeworfen hatten, be- 
diente man sich jetzt des polnischen Imperialismus als Werkzeug. 
Polen erhob Anspriiche auf weite Gebiete des eigentlichen Rufzlands, 
und es fand sich bald ein Vorwand, um einen Krieg vom Zaune zu 
brechen. Es gelang den Sowjetarmeen, die Polen zuriickzuschlagen, 
im Sommer 1920 standen die bolschewistischen Truppen vor war- 
schau und an der ostpreulzischen Grenze. Eine Zeitlang schien es, 
als ob Sowjetrufzland den Frieden diktieren, als ob es ihm gelingen 
werde r die bolschewistischen Methoden auch in Polen zur Durch- 
fiihrung zu bringen und die Revolution getreu nach russischem Vor- 
biid nach Deutschland zu tragen. Diese Plane fanden die lebhafteste 
Unterstiitzung bei den deutschen Nationalist en; es fanden sich zahl- 
reiche Stimmen aus den reaktionaren Parteien, die den Abschlufz eines 
Biindnisses mit SowjetruMand verlangten und an dessen Seite den 
Revanchekrieg gegen die Entente beginnen wollten. Das war der 
Nationalbolschewismus. Fiir ieden einsichtigen Politiker 
war es aber klar, dalz eine solche Politik nur zum sicheren Unter- 
gange Deutschlands fiihren konnte. Die Entente hatte sofort die 
wichtigsten wirtschaftlichen Gebiete besetzt, um sie niemals wieder 
herauszugeben, und Deutschland ware zum Kriegsschauplatz ge- 
worden. Der Ausgang eines neuen Gemetzels aber wSre nicht 
zweifelhaft gewesen. 

220 



Von dieser Situation wurde die Haltung der Unabhangigen Sozial- 
demokratie bestimmt. Sie mulzte alle Anstrengungen machen, urn 
zu verhiiten, dafz der Krieg nach Deutschland hineingetragen wurde, 
zugleich aber hatte sie dafur zu sorgen r dafe Transprrte von Truppen 
oder von Kriegsmaterial zur Unterstutzung der Polen verhindert 
wurden. Dieser Pflicht hat sich die Partei mit vollem Erfolge ent- 
ledigt, was freilich nicht ' hinderte, dalz die Ententeunterstiitzungen 
fur Polen andere Wege als den nachsten durch Deutschland wahlten. 
Der pclnisch-russische Krieg endete nicht mit einem Sieg der Roten 
Armeen. Die militarischen Ftihrer der Sowjetregierung hatten wohl 
zuviel gewagt, als sie in das Herz Polens vorstiefzen. Sie erlitten 
eine Reihe von Niederlagen, mufzten den Riickzug antreten, und das 
fiihrte schliefzlich zu einem Frieden, der an den politischen Verhalt- 
nissen im Osten nicht viel Snderte, insbesondere aber die Sowjeti- 
sierung Polens in weite Fernen riickte. 

Auf dem Hohepunkt der Erfolge der Sowjet- 
regierung wurde das Schreiben des Exekutivkomitees an die 
USPD. abgesandt, und im Glanze der kriegerischen Unternehmungen 
durfte sich auch der Moskauer Kongrelz abspielen, an dem die Kom- 
mission der USPD. teilnahm. Dieser siegessicheren Stimmung ent- 
sprachen denn auch die Forderungen, die an den Anschlufe 
der Unabhangigen Sozialdemokratie an die III. Internationale gekniipft 
wurden. Sei haben den Anlalz zur Spaltung der Partei gegeben, sie 
haben es dahin gebracht, dalz die revolutionare Bewegung der deut- 
schen Arbeiterklasse auf lange Zeit hinaus geschwacht wurde. 

Die Kommission brachte ein ganzes Biindel von Bedingungen r 
Statuten, Beschlussen und Thesen mit. Die Haupt- 
rolle dabei spielten die 21 Bedingungen zur Aufnahme in die 
kommunistische Internationale. Zuerst' waren sich alle vier Dele- 
gierten dariiber einig, dalz ein Teil dieser Bedingungen fur deutsche 
Verhaltnisse unannehmbar seien. Daumig und Stoecker lielzen sich 
aber von den gewiegten Intriganten in Moskau dafiir gewinnen, fur 
die Annahme samtlicher Bedingungen in Deutschland einzutreten, 
was nichts anderes bedeutete, als den Hinauswurf einer Anzahl sol- 
cher Genossen aus der Partei zu verlangen, mit denen sie bis dahin 
in vollem Einvernehmen gehandelt hatten. Das war ein Bruch von 
Treu und Glauben, wie ihn sich in gleicher Weise hochstens die 
Rechtssozialisten wahrend des Krieges gegenuber der Opposition 
haben zuschulden kommen lassen. Als die Bedingungen in Deutsch- 
land bekannt wurden, rief en sie im grofeten Teile der Partei geradezu 
Entsetzen hervor. Was hier verlangt wurde, hatte so wenig mit dem 
Wesen der sozialistischen Bewegung zu tun, dalz es die Verleugnung 
der bisher so erfolgreichen Arbeit der Partei bedeutet hatte, wollte 
man sich ihnen vorbehaltlos unterwerfen. 

Die Diktatur einer auserwahlten Fiihrerkaste, die fur russische Ver- 
haltnisse passend erscheinen mochte, sollte auch in Deutschland 
durchgefiihrt werden. Wer nicht die Moskauer Heilslehren blindlings 
und unbedingt anerkannte, der wurde als reformistischer Ketzer und 
als Zentrist verschrieen und zum Hinauswurf aus der kcmmunistischen 
Kirche verdammt. Die einzige Form der Revolution sollte der be- 
waffnete Biirgerkrieg sein, und um ihn durchzuflihren, sollte neben 

221 



der legalen Organisation noch eine illegale mit alien Hilfsmitteln 
einer langst iiberholten Revolutionsromantik ausgestattet werden. 
Eine Anzahl der hervorragendsten Fiihrer der internationalen 
Arbeiterbewegung, wie Turati in Italien, Kautsky und Hilferding in 
Deutschland, Longuet in Frankreich, Hillquith in Amerika sollten 
ausgeschlossen werden. Alle Parteien sollten sich zur Zertriimmerung 
der Gewerkschaften und zum Kampfe gegen die Amsterdamer Ge- 
werkschaftsinternationale verpflichten. Kein Beschlufz sollte durch- 
gefuhrt werden, wenn er nicht vcrher von Moskau sanktioniert war. 
Wer die Bedingungen und Leitsatze Moskaus jetzt ablehne, miisse 
aus der Partei ausgeschlossen werden. 

Daumig und Stoeeker traten in der Parteipresse fiir die Annahme 
der Bedingungen ein, wobei sie es freilich vermieden, auf Einzel- 
heiten einzugehen. Crispien und Dittmann dagegen zeigten auf, 
wie nctwendig es sei, sich die Bedingungen genau anzusehen, bevor 
man sich fur ihre Annahme entscheide. Dittmann insbesondere hielt 
sich fiir verpflichtet, einige nahere Mitteilungen (iber die wahren 
Zustande in Rutland zu machen, damit die deutschen Arbeiter sich 
selbst ein Urteil dariiber bilden konnten, ob die kritiklcse Nach- 
ahmung des russischen Vorbilds auf Deutschland zu empfehlen sei. 

Auf Anfang September rief die Parteileitung eine R e i c h s - 
konferenz aus den Vertretern der Parteibezirke nach Berlin ein, 
die eine Vorberatung iiber die in der Frage der Internationale zu 
fassenden Beschlusse vornehmen sollte. Die endgiiltige Entscheidung 
dariiber hatte ein Parteitag zu treffen. Auf der Reichskonferenz kam 
es bereits zu heftigen Zusammenstoizen zwischen den Freunden und 
den Gegnern der Moskauer Bedingungen. Wenn auch auf dieser 
Tagung keine Beschlusse gefalzt wurden, so war doch der Eindruck 
der Ausfiihrungen von Crispien und Dittmann so stark, dafz man an- 
nehmen konnte, dafz die iibergrolze Mehrheit der Vertreter sich gegen 
die Annahme der Bedingungen ausgesprochen haben wiirde. Stoeeker 
und Daumig fielen dagegen ganzlich ab. Es war klar, dafz bei un« 
beeinflufzter Aussprache, bei luckenfreier Unterbreitung des Materials 
und bei genauer Darstellung der Verhaltnisse die gewaltige Mehrheit 
der Partei sich fiir die Ablehnung der Bedingungen aussprechen und 
versuchen wiirde, neue Verhandlungen mit Mcskau anzuknupfen. 
Das aber mufzte verhindert werden und nun setzte ein Spiel ein, 
das in der Geschichte der Arbeiterbewegung und wahrscheinlich 
auch in der Geschichte der politischen Parteien kein Seitenstiick 
mehr hat. 

Der sogenannte linke Fliigel der Partei stellte sofort die organi- 
satorische Verbindung mit der Kommunistischen Partei her. Mit 
rursischem Material reichlich unterstiitzt, konnte er sofort die ein- 
seitige Beeinflussung der Parteigenossen beginnen. Das ganze Reich 
wurde mit Korrespondenzen iiberschwemmt, iiberall entstanden 
Sonderorganisationen, keine Parteiversammlung konnte mehr statt- 
finden, ohne dalz die Gegner der Bedingungen ven organisierten 
Radaumachern mit den grobsten Beleidigungen iiberschiittet und so- 
gar tatlich angegriffen wurden. Nur mit Ekel erinnert man sich an 
diese Zeit des wiistesten Bruderkampfes, und es sei daher gestattet, 
mit diesen wenigen Andeutungen dariiber hinwegzugehen. Das 

222 



tollste StOck aus diesem Treiben war wohl, dalz vier Mitglieder des 
Zentralvorstandes, D&umig, Stoecker, Adolf Hoffmann und Koenen, 
in der „Roten Fahne", also in dem Zentralorgan einer immer noch 
gegnerischen Partei, einen Aufruf „An die Parteimitglieder" ver- 
dffentlichten. Das war, wie sieben andere Mitglieder des Zentral- 
komitees sofort feststellten r die stMrkste Belastungsprobe, der die 
Partei in dieser Situation ausgesetzt war, die Parteigencssen sollten 
die Partei schiitzen und sich ihre Waffen im Befreiungskampfe des 
Proletariats nicht zerbrechen lassen. 

Der aufeerordentliche Parteitag der Unabhangigen 
Sozialdemokratie, der endlich Klarheit schaffen sollte, war auf den 
12. Oktober nach Halle einberuf en worden. Den Befurwortern 
der Moskauer Bedingungen kam dieser Termin zu friih. Und das 
hatte seine guten Griinde. ZunMchst wollten sie Zeit gewinnen, urn 
den Verleumdimgs- und Vergiftungsfeldzug in der Partei bis aufs 
aulzerste auszudehnen, dann aber hofften sie auf Hilfe von aulzen. 
Sie wufzten im voraus, dalz der Parteitag eine ahnliche Stimmung 
zeigen wiirde, wie die Reichskonferenz r wenn die Delegierten sich aus 
den Ausfiihrungen der vier Kommissionsmitglieder allein ein Urteil 
bilden scllten. Darum riefen sie das Mcskauer Exekutivkomitee an r 
und da man dort sofort erkannte, welche Bedeutung eine Spaltung 
der Unabhangio-en Sozialdemokratie haben miisse r entsandte es deren 
Vorsitzenden Sinowjew nach Deutschland. 

Die Hallische Organisation^ die zum iiberwiegenden Teil aus 
Befurwortern der 21 Bedingungen bestand, hatte dafiir gesorgt, dalz 
die Besucher des Parteitages den Eindruck empfingen, als ob man 
sich auf einer kommunistischen Veranstaltung befande. Die 
Embleme stellten zumeist Verherrlichungen des Sowjet-Regimes vor r 
die Kommunistische Partei hatte einen grolzen Schriftenvertrieb 
organisiert An den fiir die Presse bestimmten Tischen wimmelte es 
von fragwiirdigen Gestalten, die sich als Vertreter kommunistischer 
Blatter ausgaben. Im Saale war die Scheidung bereits vollzogen: auf 
der einen Seite safeen die Delegierten, die die USP. erhalten wissen 
wollten, auf der anderen Seite jene Leute, die ihren Uebergang zu 
den Kommunisten bereits vollzogen und hier nur noch ihre formelle 
Scheidung von der Partei vorzunehmen hatten. Die Anhanger der 
beiden Richtungen hielten gesonderte Besprechungen ab f in denen 
die Taktik festgestellt und die zu fassenden Beschllisse vorbereitet 
wurden; die offentliche Beratung hatte lediglich noch den einen Zweck f 
die durch die Bestimmungen des Organisaticnsstatuts gebotenen 
Formen zu wahren. 

Es wurde allffemein erwartet, dalz es bereits bei der Eroffnung des 
Parteitages una bei der Feststellung der Tagesordnung zu der ent- 
scheidenden Kraftprobe kommen wiirde. Aber der sogenannte linke 
Fliigel, die Neukommunisten, wie sie jetzt treff end genannt 
wurden, hatten sich auf Anraten ihrer Moskauer Auftraggeber dazu 
entschlossen, keinen Anlalz zu geben, um die Verhandlungen auf- 
fliegen zu lassen, bevor noch die Entscheidung iiber die Frage der 
Internationale gefallt war. Dazu kam noch etwas anderes. Die 
Neukommunisten erwarteten Herrn Sinowjew, und da er bei Eroff- 

223: 



hung des Parteitags in Halle noch ,#icht eingetroffen war, so iibten 
sie zuerst noch verhaltnismSfcige Z$riickhaltung. Allerdings platzten 
sch^n beim ersten Punkt der Tagesordnung, bei dem Bericht der 
Zentralleitung, den Luise Zietz gab, die Meinungen heftig auf~ 
einander. Und wenn es nach den Heifzspornen der Neukommunisten 
gegangen wHre, so wSre es schon hierhei zum Brucbe gekommen. 
Die Regie von Adolf Hoffmann und Emil Eicbborn verstand es aber 
immer rechtzeitig, die Wogen der Erregung bei ihren Anhangern zu 
besanftigen. 

Der eigentliche Zweck des Parteitags war die Beschluizfassung 
tiber Annahme oder Ablehnung der Aufnahmebedingungen fur die 
HI. Internationale. Referenten waren wie auf der Reichskonferenz 
die vier Mitglieder der nach Moskau entsandten Kommission, also 
Crispien, Daumig, Dittmann und Stoecker. Crispien und Dittmann 
waren nicht nur rednerisch, scndern auch inhaltlich den beiden 
andern weit uberlegen. Und es stand fest, dalz nach diesen Referaten 
die Moskauer Richtung in eine ungliickliche Lage geraten war. 
Endlich aber erschien Gregor Sinowjew, der dazu bestimmt war r 
die Schi-acht fiir Moskau zu retten. Er wurde von seinen Getreuen 
wie ein K6nig von seinen Untertanen empfangen. 

Das Referat Sinowjews stellte nun ohne Zweifel materiell 
gesehen eine gewaltige rednerische Leistung dar. Der Vorsitzende 
des Moskauer Exekutivkomitees beherrschte vollkommen den Geist 
der deutschen Sprache, wenngleich er zuweilen nach einem Ausdruck 
suchen mufzte, was aber nur geeignet erschien, der Rede einen 

Eikanten Beigeschmack zu geben. Er ist damals als einer der grolzten 
temagogen des Jahrhunderts bezeichnet worden. Und damit ist ihm 
sicherlich kein Unrecht geschehen. Er verstand es, eine Reihe von 
Allgemeinheiten zu sagen, tiber die es unter Sozialisten keine 
Meinungsverschiedenheit gab. Aber indem er sie in eine Urn- 
rahmung stellte, die nach Moskauer Eigengewachs aussah, konnte er 
bei unkritischen und kenntnislosen Zuhorern den Eindruck erwecken, 
als ob in der Tat zutreff e, was die Leiter der Moskauer Internationale 
immer wieder behauptet hatten, dalz namlich die „Hilferdinge" Ver« 
rater am Proletariat seien. Vier Stunden lang prasselte der Redestrom 
auf die Horer nieder. Sinowjew sprach iiber sehr vieles, was die 
Arbeiterklasse bewegte. Aber auf die 21 Bedingungen ging er nur 
so nebenher ein. Das Wichtigste an der Rede war die Frage an die 
USP., welche Aenderungen sie an den Bedingungen wiinsche; damit 
hatte Moskau sein Spiel selbst entlarvt, denn wenn es selbst schon 
die Hand zu einer Aenderung seiner Bedingungen bieten wollte, wie 
konnte es dann noch iemanden zum Hinauswurf aus der III. Inter- 
nationale verurteilen, der eben das erreichen wollte, namlich eine 
Aenderung der Bedingungen? 

Die Rede Sinowjews iibte auf seine AnMnger einen tiefen Eindruck 
aus. Sie glaubten schon den Sieg in der Tasche zu haben, sie er- 
warteten, dalz der Vorsitzende der Moskauer Exekutive auch manchen 
von der anderen Richtung iiberzeugt haben wlirde. Es sind auch 
wirklich zwei oder drei Delegierte zu den Kommunisten abgeschwenkt; 
dafiir aber erlebte der der USP. treugebliebene Teil des Parteitags r 

224 



dalz einige der besten und Sltesten Kampfer aus der Arheiter- 
bewegung, wie Paul Hennig in Halle, nun erst recht dem 
Moskauer System eine Absage erteilten. Der sogenannte rechte 
Fliigel verlangte nunmehr, dalz ihm nach dem vierstundigen Referat 
von Sinowjew gleichfalls em Referent zugestanden werden solle. Die- 
sem Verlangen mulzten die Neukommunisten nachgeben, wenn sie 
sich nicht vor aller Welt ins Unrecht setzen woilten. Es sprach also 
nach Sinowjew Hilferding. Die Bedeutung dieses Rededuells 
lag darin, dalz zum erstenmal in Deutschland sich ein Vertreter des 
russischen Bolschewismus, der zu Bakunins Lehren zuruckgekehrt 
war, und ein Vertreter des westeurcpaischen Sozialismus, der auf 
Marx fufzte, einander gegenUbertraten. Sinowjews Gedankengange 
waren ganz auf das Wesen der russischen Revolution eingestelit. 
Er wollte mit Absicht nicht sehen, wie verschiedenartig die wirt- 
schaftlichen und die politischen Verhaltnisse in den einzelnen LSndern 
der Welt sind, und dalz von dieser Verschiedenartigkeit der materiellen 
Verhaltnisse auch die Verschiedenheit der politischen Taktik abh&ngig 
sein mufz. Die bolschewistische Lehre geht davon aus, ganz wie 
es der Anarchismus tut, den Bakunin lehrte r dalz die proletarische 
Revolution nur eine gewaltsame UmwSlzung sein konne, mit Burger- 
krieg, Stralzenkampf r Barrikadenbau und Terror. Dalz schon Marx 
nachgewiesen hat, dalz die scziale Revolution ganz andere Fcrmen 
annehmen konne, als sie die burgerlichen Revolutionen gezeigt haben, 
und dalz beispielsweise die Durchsetzung des Maximailarbeitstages in 
England ein Vorgang von ungeheuerer revolutionarer Bedeutung war, 
das war den Kommunisten ganz aus dem GedSchtnis entschwunden. 

Hilferding, unbestritten einer der fahigsten Vertreter des wissen- 
schaftlichen Sozialismus, wies nach, dafz die Befreiung der Arbeiter- 
klasse nicht einfach dadurch sich vollziehen konne, dalz man die Er- 
fahrungen eines bestimmten Landes auf andere Lander iibertrage. 
Der Prozelz der Revolutionierung der Massen kQnne nur voran- 
getrieben werden durch eine Politik, die die Massen nicht spaite um 
irgendwelcher Formen willen, scndern die die Massen vor ganz 
konkrete Ziele stelle und sie im Kampfe um diese Ziele vorwarts- 
treibe. Was die Arbeiterklasse brauche, sei eine Taktik, die auf alle 
EventualitSten gefafzt sei, die geistig, organisatorisch und politisch 
bereit sei, wenn die revolutionise Situation eintrete, sie auszunutzen 
und das Proletariat zum Siege zu fuhren. Und auf die Frage, welche 
Aenderungen die USP. an den Bedingungen vorzunehmen wiinsche, 
antwortete er: „Wir wollen in der Internationale eine kameradschaft- 
liche, vertrauensvolle Zusammenfassung aller Krafte der Arbeiter- 
klasse in alien Landern." Habe aber Sinowjew liberhaupt die 
Legitimation, ein seiches Angebpt zu machen, nachdem er diejenigen, 
mit denen er jetzt verhandeln wclle, bisher als Gauner, als Schurken, 
als Verrater beschimpft habe? In Wirklichkeit bedeute dieses An- 
gebot nur ein neues Tauschungsmanover, auf das die Vertreter der 
USP. nicht eingehen wiirden. 

Was nunmehr auf dem Parteitag noch folgte, das war lediglich eine 
weitere Verlangerung der Spaltungsqualen. Martow, von der 
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rufelands, liefe eine Ansprache 

iR* 225, 



verlesen, die durch ihre Kennzeichnung des brutalen bolschewisti- 
schen Systems einen tiefen Eindruck auf die Zuhorer machte. 
Losowsky, der Vertreter der russischen Gewerkschaften, ubte 
sich in so kraftigen Beschimpfungen der Amsterdamer Gewerk- 
schafts-Internationale, dalz es w&hrend seiner Rede zu stundenlangen 
Unterbrechungen kam. Es folgte nunmehr die Abstimmung uber 
die von den beiden Flugeln vorgelegten Resclutionen. Fur die An- 
nahme der Bedingungen erklarten sich 236 Delegierte, 156 Delegierte 
stimmten mit Nein. C r i s p i e n als Vcrsitzender des Zentral- 
komitees gab darauf die Erklarung ab r dalz diejenigen Delegierten, 
die fur die Aufnahmebedingungen gestimmt batten, dadurch ihren 
Uebertritt in eine andere Partei vollzogen und aus 
der USPD. aus^etreten seien. Diese Versammlung habe aufgehort, 
Parteitag der USPD. zu sein. Trotz des unzweifelhaften Rechts der 
Mitglieder der USPD. 7 die die Aufnahmebedingungen abgelehnt 
haben, allein in diesem Saale weiter zu tagen, fordere er diese jetzt 
noch allein vertretungsberechtigten Delegierten der USPD auf, zur 
Vermeidung eines etwaigen Kampfes um das Lokal, diesen Saal zu 
verlassen und den Parteitag der USPD. an einem andern Tagungsort 
fortzusetzen. Diese Erklarung rief einen Sturm der Entrustung bei 
den Neukommunisten hervor. Sie belegten die Delegierten der 
USP., die jetzt den Saal verliefzen, mit den unflStigsten Schimpf- 
worten; Sinowjew aber, der Vertreter der Mcskauer Internationale, 
stand mit breitem LScheln an ihrer Spitze und sah befriedigt der 
Vollendung seines Werkes zu. Was fur die deutsche Arbeiterklasse 
ein Trauerspiel war, das erschien ihm wie eine Komodie! 

Der Parteitag wurde tags darauf in einem andern Lokale fortgesetzt. 
Die Resolution Ledebour, die die Ablehnung der 21 Bedingungen 
enthielt, wurde einstimmig angenommen. Es wurde weiter be- 
schlossen, dak noch die politische Lage und die Aufgaben der USPD. 
und au&erdem die Frage der kunftigen Organisation behandelt werden 
sollten. Vorher protestierte auf Antrag von Toni Sender der 
Parteitag gegen die Beschimpfungen der Amsterdamer Gewerkschafts- 
Internationale durch Sinowjew und Losowsky. Nach einem Vor- 
trage von C r i s p i e n iiber die politische Lage folgte eine 
angeregte Diskussion, die sich mit den Aufgaben befafzte, die von 
der Partei nach dem Ausscheiden der Neukommunisten zu I6sen 
seien. Ein von Crispien vorgelegtes ,,M a n i f e s t der UnabhSngigen 
Sozialdemokratie an das deutsche Proletariat" wurde einstimmig an- 
genommen. Es hat folgenden Wortlaut: 

Die Entscheidung ist gef alien. Ein Teil der Delegierten zu dem vom 
Zentralkomitee der U. S. P. D. einberufenen Parteitag hat seinen Austritt 
aus der Partei vollzogen und ist in das kommunistische Lager 
ubergegangen. Die revolutionary Arbeiterbewegung ist durch 
diese Spaltung fur den Augenblick g-eschw&cht worden. Statt Zu- 
sammenfassung aller Krafte im Kampf fur die Eroberung der Macht und 
fur die Verwirklichung des Sozialismus haben die Kommunisten unter 
dem Druck von aufeen die revolution&re Massenpartei des deutschen 
Proletariats zerfetzt und ihre Kraft zersplittert. Die U. S. P.D. 
hat stets unerschutterlich und unter grolzen Opf ern den Kampf fur die 
Grundsatze des re volution Sr en in t er n ational en So- 
zialismus gefuhrt Sie ist entstanden im Kampf e gegen die Preis~ 

226 



fabe der sozialistischen Prinzipien durch die Reformsozialisten, und sie 
at schon wahrend des Krieges in Zimmerwald und Kienthal fur eine 
Internationale der revolutionaren Tat zur Beendigung des imperialistic 
schen Krieges und zur Niederringung des Kapitalismus gewirkt. 

Wahrend der Revolution setzte sich die Partei ein fur die D i k t a t u r 
des Proletariats bis zur endgultigen Sicherung der proletarischen 
Herrschaft und der Beseitigung ailer politischen und okonomischen 
Machtpositionen der Bourgeoisie. Die Politik der U.S. P.D. wurde ver« 
eitelt durch die Rechtsso2ialisten. Sie hielten an der Ko edition 
mit demBiirgertum f est, politisch, indem sie ihnen die Ministerien 
uberlieizen, die sofortige Einberufung der Nationalversammlung forderten 
und der Ablosung der proletarischen Diktatur durch den burgerlichen 
Parlamentarismus die Wege ebneten; okonomisch, indem sie an Stelle 
der sofortigen Verwirklichung des Sozialismus in den entscheidensten 
Wirtschaftszweigen die Politik der Arbeitsgemeinschaft mit dem kapita« 
listischen Unternehmertum fortsetzten, 

Auf der anderen Seite haben die Kommunisten in dieser Entwicklungs- 
zeit die gemeinsamen Aktionen des revolutionaren Proletariats aus Eigen- 
siichtelei durch die sklavische Nachahmung russischer 
Methoden durchkreuzt und geschwacht. Die U.S. P.D. hat solchen 
sinnlosen Putschereien, hat konfusen syndikalistischen und antiparla- 
mentarischen Parolen stets ihre Politik der Sammlung aller Energien der 
Arbeit erklasse zum Kampf fur die Erobe runs' der politischen Macht ent« 
gegengestellt. Erfullt von dem Bewulztsein, dalz die Krise des Kapitalis- 
mus von der Arbeiterklasse zum revolutionaren Vorstofz aus« 
genutzt werden muiz, aber auch im Besitz der marxistischen Einsicht in 
die okonomischen Bedingungen des Kampf es, vertrat sie in jeder Phase 
der revolutionaren Entwicfiung das Gesamtinteresse der Bewegunsr 

fegentiber der rechtssozialistischen Kompromiizpolitik wie gegenuber der 
ommunistischen Revolutionsmache. 

In diesem Kampf e wurde die U. S.P. zur revolutionaren 
Massenpartei und die Hoffrtung war begrundet, unter ihrer Fahiie 
das gesamte Proletariat zu sammeln, zu einigen, und es so bereit zu 
machen fur den Entscheidungskampf gegen den Kapitalismus. In diesem 
Augenblick wurde die Partei uDerfallen. Die russischen Kommu« 
nisten fordern zu ihrer Unterstiitzunaf die sofortige Entfachung des 
Biirgerkrieges und der Revolution in alien Landern, ohne Rucksicht auf 
die Verscruedenheit der okonomischen und politischen Voraussetzungen 
fur das Proletariat und ohne Rucksicht auf die Folgen. Die deutschen 
Kommunisten sind infolge ihrer Politik eine einflulzlose 
S ek t e geblieben, zu schwach, um als revoluticnarer Sto&trupp gebraucht 
zu werden. Deshalb sollten die Massen der U. S. P. D. unter die kommu- 
nistische Diktatur kommen. Damit aber diese Diktatur widerstandslos 
ausgeubt werden konne, muizte die U. S. P. gespalten werden. 
Alle, die den kommunistischen Wahn erkannt hatten, die russischen Me* 
thoden auf Deutschland uneingeschrankt zu ubertragen, mulzten fern- 
gehalten werden. Daher die Bedingungen und Thesen der Moskauer 
Internationale, die die Spaltung der Arbeiterparteien fordert. um iiber den 
verbleibenden Rest uneingeschrankt herrschen zu konnen. Die II. S. P. D. 
hatte mit der Annahme der 21 Bedingungen nicht nur ihr Wesen ge« 
opfert, sondern auch die Zukunft der revolutionaren Arbeiterbewegung 
in Deutschland. Diese ware rettungslos ausgeliefert worden den Bedurf* 
nissen der russischen kommunistischen Partei. Die deutsche Arbeiter* 
bewegung ware das Obfekt einer Hasardpolitik geworden, 
auf die sie keinen selbstandigen Einflulz mehr gehabt hatte. 

Das durfte nicht geschehen und das wird nicht geschehen. Die 
U.S. P.D. bleibt bestehen als die deutsche revolution 

is* 227 



n&re r sozialistische Parte! i Si© mufe bestehen bleiben, well 
nur sie imstande 1st, die Aufgaben zu Idsen, die die revolution&re Situation 
der Arbeiterklasse stellt. 

Wir halten fest an unserem Leipziger Aktionsprogramm. 
Wir erstreben mit alien Mitteln die Eroberung der politischen Macht und 
ihre Behauptung durch die Diktatur des Proletariats. Wir fiihren den 
Kampf weiter gegen die rechtssozialistische Politik des Reformismus,. der 
Koalition mit den biirgerlichen Parteien und den Arbedtsgemeinschaften 
mit dem Unternehmertum. 

Wir lehnen es aber ab r die Arbeiterschaft mit t&glich wechselnden 
Parolen in neue Putsche hineinzuhetzen und durch T&uschung ttber die 
wirklichen Macht verhaltnisse unerfullbare Illusionen zu wecken. Das 
Proletariat fuhrt in Deutschland einen harten und schweren Kampf gegen 
einen gutgerusteten, gutorganisierten, starken Gegner, der ihm einig 
und geschlossen entgegentritt In diesem Kampf kann die deutsche 
Arbeiterklasse nur den Sieg in einem zahen Ringen erobern, wenn sie 
selbst einig ist. Geeint kann das Proletariat nicht werden durch 
Einigungszentralen, voreilige Schafhmg politischer Arbeiterrate und an« 
dere Organisationsspielereien oder durcn ausgeklugelte Parolen. Einig 
kann das Proletariat nur werden im revolution&ren Kampf um 
Ziele, die aus seiner Klassenlage, aus seinem Klassenbewufztsein sich mit 
Notwendigkeit ergeben. Deshalb mufe das Proletariat in den Kampf um 
konkrete Ziele, die ihm reale Machterweiterung bringen, gefuhrt werden. 
Nur in diesen K&mpfen 7 die mit zunehmender Energie, zunehmender Ge- 
schlossenheit und Einigkeit gefuhrt werden mussen, werden die Massen 
zum Entscheidungskampf um die Eroberung der politischen Macht ge« 
sammelt werden, Im Vordergrund dieser Kampfe mulz aber immer die 
Verwirklichung des Sozialismus stehen. 

Deshalb fordern wir in der gegen wartigen Situation die proleta* 
rische Massenaktion zur sof ortigen Inangriffnahme der S o z i a 1 i« 
s i e r u n g in den entscheidenden Wirtschaftszweigen, insbesondere den 
Kampf um die sofortige Sozialisierung im Bergbau. 

Wir fordern angesichts der schweren okonomischen Krise die Arbeiter 
und Angestellten auf zum Kampf um die Erweiterungder Rechte 
der Betriebsr&te zur Brringung der Produktionskontrolle. 

Die wichtigste Aufgabe ist gegenw&rtig der Kampf gegen die 
Arbeitslosigkeit. Da die Arbeitslosigkeit die untrennbare Begleit- 
erscheinung des kapitalistischen Wirtschaftssystems ist, so ist die Ver« 
wirklichung des Sozialismus die wirksamste Hilfe fur die Arbeitslosen. 

Wir fordern das Verbot der Stillegungder Betriebe, ihre 
Fortfiihrung zur Herstellung von Bedarfsgegenstanden des Massen* 
konsums. 

Wir fordern zur Linderung der augenblicklichen Not ausreichende 
Arbeitsgelegenheit fur die Arbeitslosen und durchgreifende 
Erhahune 1 der llntersttitzung bis zur Garantie des Existent 
minimums, aas unter Mitwirkung der Gewerkschaften und Betriebsrate 
festzusetzen ist. 

Unsere , Vertreter in den Gemeinden mussen eine energische 
Kommurialisierungspolitik betreiben, insbesondere eine so« 
zialistische Wohnungspolitik, unterstiitzt durch eine Soziali* 
sierung des Baugewerbes und der Bauhilfsindustrien und der Forsten. 

Wir fordern die sofortige rucksichtslose Erhebung der Besitz* und 
Vermogenssteuern, die Durchbrechung der burgerlichen Finanz* 
politik durch die sofortige Sozialisierung der entscheidenden Produktions- 
zweige. 

228 



Wir fordern ausreiche n d e soziale F ii r s o r g e , insbesondere 
fur die Kriegsbeschadigten und Hinterbliebenen, Arbeit sin validen und 
Altersrentner. 

Die Partei ist sicb bewufzt, daiz die Erfiillung aller ddeser Forderungen des 
Proletariats eine Machtfrage ist, die nicht durch parlamentarische Ent- 
scheidungen gelost werden kann. Die gesamtepolitischeundoko- 
nomische Macht der Arbeiterklasse miilz in diesen K&mpfen 
zur Anwendung gelangen. Deshalb miissen auck die okonomischen Or- 
ganisationen der Hand- und Kopfarbeiter mit revolutionfirem 
Geist erfullt werden. Deshaib verpflichtet die Partei ihre V ertreter 
in den Gewerkschaften und Betriebsraten, unablassig die Politik der 
Arbeitsgemeinschaften zu bekampfen. Sie lehnt alle paritatischen Selbst- 
verwaltungskorper ab und erblickt in einer von diesen getragenen „Plan- 
wirtschaft" auf kapitalistischer Grundlage eine schadiiche Illusion, die 
die Arbeiterklasse von dem Kampf urn den Sozialismus ablenkt. Ge« 
werkscbaften und Betriebsr&te miissen sicb vor allem als 
Organisation zur Verwirklicbung des Sozialismus betracbten. Die Ge- 
werkscbaften werden diese Aufgabe urn so besser erfiillen, je mehir sie 
sicb auch organisatorisch fiir die Kampfe starken. Deshaib unterstdtzen 
wir die Umwandlung der Gewerkscbaften in Industrieorganisationen und 
lehnen jede ZerspHtterung und Spaltung der Gewerkscbaften auf natio- 
naler oder internationaler Basis mit after Entscbiedenbeit ab. 

Getreu ibrer bisberigen Haltung ruftdiell. S. P» D. alleArbeiter 
auf, sicb im Kampf um sie zu scbarenl 

Die Entwicklung seit dem 9. November bat den Bankerott des 
Reformsozialismus besiegelt Seine Politik bat der Bourgeoisie 
zur Herrscbaf t gebolf en, das Proletariat gelahmt. Die k o m m u ~ 
nistiscbe Partei aber bat ebenfalls die Politik des wissenschahv 
lichen Sozialismus aufgegeben und verfallt immer mebr dem Aben« 
teurertum durcb putscbistiscbe Aktionen von Minderheiten, die Re- 
volution erzwingen zu wollen. Diese Politik fubrt nur zur neuen ZerspHtte- 
rung und zu gefahrlichen Niederlagen. 

Die U. S. P. D. ruft die Arbeiterklasse auf gegen den O p p o r t u « 
nismus recbts und den Putscbimismus links zur running 
einer energischen Politik, die den Kampf um konkrete Ziele der Arbeiter- 
klasse steigert bis zur Entscheidung um den Besitz der politiscben Macht 

Es lebe die Unabbangige Sozialdemokratie 
Deutscblandsl 

Es lebe der international revolutionare 
Sozialismus! 

Schliefzlich wurde nocb durch Bestimmungert Vorsorge dafiir ge« 
troffen, daiz die Abspaitung der Neukommunisten mit moglichst ge« 
ringen Sohwierigkeiten uberwunden werde. In seinem Schlulzwort 
stellte Dittmann unter Zustimmung des Parteitages fest, daiz es 
schmerzlich sei, mit einem Teil derjenigen, mit denen man bisher als 
Parteigenossen in Reih und Glied gestanden babe, jetzt Kampfe 
ausfechten zu mussen. Es bleibe aber nichts anderes iibrig, wenn 
man die notwendige Klarung im deutscben Proletariat schaffen wolle. 
Jetzt musse alles getan werden, um die innere Zerrissenheit des 
deutschen Proletariats, die durch die von Moskau verursachte Spal- 
tung der USPD. aufs neue verscharft worden sei, zu iiberwinden. Jeder 
Parteigenosse miisse dafiir sorgen, daiz die Sammlung des deutschen 
revolutionaren Proletariats unter dem Banner der USPD. so schnell 
wie moglich zur Tat werde. 

229 



<^^i^Q^^<m^&^^^^^^^^&^&^^(m^<m^^^)^Q^^ 



Ausblick. 

Es ist eine Binsenwahrheit, dalz groize Bewegungen nicht von 
einzelnen Personen gemacht werden konnen, sondern dalz sie von 
historischen Notwendigkeiten getragen sein miissen. So ist auch die 
Unabhangige Sozialdemokratie das legitime Kind ihrer 
Zeit, nicht der Bastard irgendwelcher Quertreiber und Unzufriedener, 
wie es eine Zeitlang von der Rechten her behauptet wurde. Vielleicht 
hatte sich die Zerreiizung der deutschen Arbeiterbewegung verhindern 
lassen, wenn man den verschiedenen Anschauungen in ihr wahrend 
des Krieges einen grolzeren Spielraum gew&hrt hatte. Auch in den 
Arbeiterparteien anderer LMnder gingen die Meinungen iiber die 
Kniegspolitik auseinander; aber wie in Frankreich und in Oesterreich 
gelang es dort doch, die Einheit der politischen Organisation der 
Arbeiterklasse zu bewahren und sie bis in die Nachkriegszeit hinein 
zu erhalten. Es ware miifzig, danach zu fragen, wie die politische 
Entwicklung sich in Deutschland vollzogen haben wurde, wenn die 
Spaltung nicht gekommen ware, wie ja uberhaupt die Geschichte nicht 
dazu dient, urn iiber ihren Verlauf nachtraglich zu jammern, sondern 
um daraus die Lehren fur unsere zukiinftige Arbeit zu schopfen. Aber 
ohne Zweifel ware die Stellung der deutschen Arbeiterklasse heute 
viel starker, wenn sie eine geschlossene politische Einheit darstellte. 

Soil das nun soviel sagen, dalz die Unabhangige Sozialdemokratie 
nunmehr ihre historische Aufgabe erfiillt habe und 
jetzt wieder verschwinden miilzte, um der einen grofcen sozialistischen 
Partei Platz zu machen? Es hiefze den Sinn der gro&en Bewegung, 
die sich in der Unabhangigen Sozialdemokratie verkorpert, ganzlich 
verkennen, wenn wir diese Frage mit Ja beantworten wcllten. Man 
lese doch nach, was erst die Opposition in der alten sozialdemokrati- 
schen Partei und hernach die Unabhangige Sozialdemokratie in ihren 
zahlreichen Aufrufen und Kundgebungen gesagt hat: sie wollte das 
Proletariat auf dem Bcden des Klassenkampfes sammeln, sie wollte, 
dafz es seine Kampfe nach den Grundsatzen der sozialistischen Er- 
kenntnis fuhre, sie wollte kurzum, dafz der Gegensatz zwischen blirger- 
licher und proletarischer Auffassung nicht verwischt werde, sondern 
den Arbeitern in unausloschlicher Eririnerung bleibe. Denn so oft 
auch Bcurgeoisie und Proletariat eine Einheitsfront gebildet oder 
einen Burgfrieden geschlossen haben, sei es in national en, sei es in 
sozialen Fragen: immer waren die Arbeiter die Geprellten, stets hat 
das Blirgertum seine Vorteile daraus gezogen, noch jedesmal ist die 
kapitalistische Wirtschaftscrdnung aus einer Periode des Zusammen- 
arbeitens zwischen Bourgeoisie und Proletariat gestarkt hervor* 

230 



gegangen. Wir aber wollen doch den Kapitalismus nicht verewigen, 
sondern ihn durch den Sozialismus ersetzen, und wenn ie, so hat in 
Zeiten gewaltiger wirtschaftlicher und politischer Umwalzungen das 
Wort Geltung, dalz die Befreiung der Arbeiter nur ihr 
eigenes werk sein kann. 

Wie aber immer die Zukunft der Unabhangigen Sozialdemokratie 
sieh gestalten mag, sie kann von der geschichtlichen Btihne nicht 
eher abtreten, bevor nicht die von ihr vertretenen Grundsatze ver- 
wirklicht sind. Kein Mitglied der Unabhangigen Sozialdemokratie 
hat den Wunsch, die Partei als Selbstzweck aufrechtzuerhalten, auch 
iiber die Stunde hinaus, in der ihre geschichtliche Aufgabe erfullt ist: 
das von sozialistischem Blute erfiillte Herz der Arbeiterbewegung zu 
sein, Solange aber rechts von ihr noch grofze Arbeiterschichten eine 

f>olitische Gemeinschaft mit dem Biirgertum aufrechterhalten, solange 
inks von ihr noch verwirrte Massen sich anarchistischen Glaubens- 
sfitzen hingeben, solange hat die Unabhangige Sozialdemokratie den 
Platz zu behaupten, auf den sie von der Geschichte gestellt worden ist 

Je weiter die Zeiten des Krieges unserer Erinnerung entschwinden, 
desto eher durfte der Zeitpunkt kommen, an dem die Grundsatze der 
UnabhSngigen Sozialdemokratie zu den GrundsStzen der 
ganzen deutschen Arbeiterklasse geworden sein wer« 
den. Die wirtschaftliche und die politische Entwicklung werden von 
selbst die Fehler korrigieren, die wShrend des Krieges begangen 
wurden. Schon wird der Ruf nach der Einheitsfront des 
Proletariats immer starker, schon hammern die harten Tat« 
sachen alien Arbeitern die Erkenntnis ein, dalz sie in geschlossener 
Front dem Biirgertum gegeniibertreten mlissen, wenn sie tiberhaupt 
noch einen Weg aus dem Chaos unserer Tage finden wollen. Noch 
ist dieser Drang nach der Wiederherstellung der politischen Einheit 
mehr von unbewulztem Fuhlen, als von einem klaren Wollen erfullt. 
Aber die wirtschaftlichen VerhMltnisse drangen die Arbeiter immer 
mehr auf den Boden des Klassenkampfes, und immer deutlicher wird 
es, dalz der Neuaufbau der Welt nicht in gemeinsamer Arbeit von 
Bourgeoisie und Proletariat geleistet werden, sondern nur im Kampf 
der Klassen gegeneinander erstehen kann. 

Die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen und auch der politi- 
schen VerhSltnisse und damit auch die der Arbeiterbewegung in 
Deutschland wird voraussichtlich abh&ngen von der Entwicklung 
dieser VerhSltnisse in den anderen Landern. Da durfte es zunHchst 
darauf ankommen, wie sich die kiinftigenGeschicke Rufzlands gestalten. 
Qhne daiz wir den heroischen Kampf, den die russischen Arbeiter 
und Bauern gefiihrt haiben, irgendwie verkleinern wollen, so wissen 
wir heute dcch, dalz sich in dem ehemaligen Zarenreiche die Dinge 
anders gestaltet haben, als kommunistische Glaubensseligkeit bis vor 
kurzem noch annehmen mochte. Wie aber auch die politische Ver- 
fassung Rufzlands in der nachsten Zeit aussehen wird, das eine ist 
sicher, dalz dort Aufgaben wirtschaftlicher Art in geradezu riesen- 
haftem Ausmalze zu leisten sind. Deutschland durfte schon aus 
geographischen Griinden dazu berufen sein, bei dem Wiederaufbau 
RuMands eine hervorragende Rolle zu spielen* Auch die anderen 

231 



ostlichen und sudostlichen Staaten Europas haben noch Gro&es zu 
leisten, wenn sie die Verwtistungen des Krieges iiberwinden wollen. 
Auch hier diirfte die deutsche Industrie einen betrachtlichen Anteil 
nehmen, und von ihrem BeschSftigungsgrad wird die Lage der 
Arbeiter bestimmt werden. 

VorlSufig aber ist Deutschland gezwungen, urn die Rep a ra- 
tion sverpflichtungen zu erf ixllen, seine industriellen 
Leistungen auf das hftchste zu steigern und seinen Export ununter- 
brochen auszudehnen. Das ist bisher nur dadurch gelungen, dalz die 
deutsche Industrie auf dem Weltmarkt ihre Waren zu wesentlich 
niedrigeren Preisen als die tibrigen kapitalistischen Lender anbieten 
konnte, was wiederum eine Folge der in Deutschland gezahlten unsag- 
lich niedrigen Lohne ist Die deutsche Wirtschaft bewegte sich bisher 
zwischen Prosperitat und Krise auf und ab. Ob schon in der nachsten 
Zeit eine Stetigkeit der Konjunktur zu erwarten ist und ob bald der 
Zeitpunkt kommen wird 7 an dem die deutschen Arbeiter den Kampf 
um die Erhohung ihrer Lebenslage bis wenigstens auf den Stand der 
Arbeiterklasse in den andern kapitalistischen LSndern aufnehmen 
kftnnen, ist noch -ungewiiz. Aber dieser Kampf wird kommen, und 
ob er mit Erfolg wird durchgef iihrt und weitergetragen werden k5nnen 
bis zur Verwirklichung sozialistischer Forderungen, das wird von der 
Tiefe der sozialistischen Erkenntnis und von der Starke des Willens 
in der deutschen Arbeiterschaft abhangen. 

Hier aber ist das Gebiet, auf dem die Unabhangige Sozialdemo- 
kratie sich in erster Linie betatigen mufe. Es diirfen nicht noch ein- 
mal die Tage vom August 1914 und vom November 1918 wieder- 
kehren, in denen die Zeit ein kleines Arbeitergeschlecht fand. Die 
Massen des Proletariats mit dem Geiste des wissenschaftlichen 
Sozialismus zu erfiillen, sie mit Klarheit und Wollen zu durch~ 
dringen, ihren KMmpfen fiihrend voranzugehen, das wird auch kunftig 
die Aufgabe der Unabhangigen Sozialdemokratischen Partei Deutsch- 
lands sein. 



232 



<JBMiiS©M^^ 



REGISTER 

(Die Zahlen bedeuten die Seiten im Buch) 



A. Sachregister 



Abgeordnetenhaus, Preulzisches, 41. 
Abstimmungen in der Reichskonfe* 

renz 114. 
Aktionsprogramm der Opposition 

142, 147. 
Aktionsprogramm, Leipziger, 209, 

212, 213, 214, 228. 
Alldeutsche Kriegsparolen 86, 61, 99, 

162, 172. 
Amnestie 149, 173. . 
Annexiorasten, Plane der, 88, 57, 61, 

62, 68, 69, 72, 78, 80, 81 y 84, 85, 87, 

99, 112, 116, 167. 
Antwortschreiben des Moskauer Exe« 

kutivkomitees 219. 
. Arbeiterrat, Der erste, 163, 170.t 
Arbeitsgemeinschaft, Soziaidemo- 

kratische, 96, 113. 
Aufruf gegen den Krieg 21. 
Aufruf des Parteivorstandes fur den 

Frieden 78. 
Aufruf des Parteivorstandes gegen 

die Opposition 102. 
Aufruf zur Organisierung der Oppo- 
sition 133. 
Aufruf nach der Grundung der 

U.S.P.D. 152. 
Autrui der U.S.P.D. zum Wtirz- 

burger Parteitag 165. 
Aufruf der U. S.r.D. zum Zasanv 

menbruch der Kriegspolitik 172. 
Aufruf der U. S. P. D. zur Revolution 

181. 
Aufruf der ILS. P. D. zur Konsti- 

tuante 184. 
Aufruf der U.S.P.D. zur Wahl der 

Narionalversammlung 186. 
Aufruf der U.S.P.D. zum Noske* 

kurs 1,8. 
Aufruf der II.S.P.D. zur Unter- 

zeichnung des Friedensvertrages 

199. 
Aufruf fur die Reichstagswahlen 217. 
Auslandsstimmen 29, 30. 
Ausnahmegesetze 58. 
Ausschlulz aus der Fraktion 64, 88, 

90, 95. 



Ausschlulz aus der Partei 52, 53. 
„Avanti" 119. 

Bagrdadbahn 36. 

Baltische Provinzen 167, 170. 

Barbarische Kriegsfuhrung 59, 73, 
122. 

Bedingungen der Moskauer Inter- 
nationale 221,222,223,224,225, 
227. 



Belagerungszustand 44, 53, 57, 58, 
-95, 97, fr '" "' Jn " '~~ ""' 
173, 174. 



121, 134, 163, 170, 171, 



Belgien, Annexion von, 38. 
Belgien, Neutralitatsbruch in, 24, 44, 

45, 53, 70. 
„Bergische Arbeiterstimme" 50, 81. 
„Bergwacht", Waldenburg 63. 
Berliner Gewerkschaftskommission 

53. 
„Berliner Tageblatt" 64. 
Betriebsrategesetz 214, 215. 
Bolschewiki 156, 166, 179, 203. 
Bolsckewistische Regierung 167, 180, 

203, 220, 221. 

„Bremer Burgerzeitung' 4 33, 77. 
Budgetbewilligung 55, 56, 58, 60, 63, 

133. 
Bulgariens Zusammenbruch 172. 
Burgfrieden 35, 37, 39, 57, 65, 67, 69, 

77, 129, 230. 

„Chemnitzer Volksstimme" 48, 50, 
79. 

Danenpolltik 58. 

Demonstration vor dem Reichstag 

am 18. Januar 1920, 214. 
Deportation belgischer Arbeiter 121, 

122. 
,JDeuteche Tageszeitung" 63. 
Diktatur des Proletariats 191, 193, 

204, 210, 227. 

Diskutierklub „Vorwarts" 125, 134. 
Dreibund 11. 
Dreiklassenwahlrecht, Preulzisches, 

„Dresdner Volkszeitung" 171. 



233 



Burchhaheparole 48, 49. 50, 62, 57, 

78. 

Einfrabe an den Reichskanzler 78. 
Einheit der Partei 84, 88, 112, 113, 

130, 131, 132. 
Einigung der Opposition 146. 
Einigung des Proletariats 165, 183, 

191, m, 213, 228, 231. 
Elsaiz~Lothringen 58, 81, 159. 
England, Krieg gegen, 33, 37, 48, 
England vor dem Kriege 10, 11, 

12, IS. 
EntwicKlung der IL S. P. D. 152, 153, 

183, 188, 190, 192, 205, 207. 
Erklarung der „Vorwarts"~Redaktion 

zur Kreditbewilligung am 4. Au« 

gust 1914 24. 
Erklarung der Preuiz, Landtagsfrak- 

tion 41, 55. 
Erklarung der Preizkommission des 

,,Vorwarts" 42. 
Erklarung zur Kreditbewilligung am 

2. Dezember 1914 46. 
Erklarung des Fraktionsvorstandes 

gegen Liebknecht 46. 
Erklarung gegen George Weill 49. 
Erklarung gegen Grumbach und 

Radek 49. 
Erklarung Liebknechts 54. 
Erklarung Scheidemanns gegen 

Ledebour 59. 
Erklarung der Instanzen gegen das 

„Gebot der Stunde" 74. 
Erklarung gegen „Parteizerruttung" 

77. 
Erklarung der burgerlichen Parteien 

84. 
Erklarung zur Abstimmung vom 

29. Dezember 1915 §7. 
Erklarung der Fraktion gegen die 

Kreditverweigerer 88, 95. 
Erklarung der Fraktionsminderheit 

88, 90, 96. 
Erklarurig der Arbeitsgemeinschaft 

zum Friedensangebot der Regie- 
rung 123. 
Erkl&rung der Opposition 146. 
Ermordung von Liebknecht und 

Luxemburg 187, 189. 
Ermordung von Kurt Eisner 190. 
Ermordung von Hugo Haase 205, 

206. 
Ern&hrungsfrage, Die, 52, 57, 95, 

108, 110, 111, 140 r 149, 163, 170, 210. 
Eroberungskrieg 23. 

„Facker, Die, 92, 111. 
Fluq-blatt von Grolz-Berlin 78. 
Fraktionsdisziplin 83, 89, 91. 
Fraktionssitzungen 23, 44, 53, 56, 
57, 59, 81, 88, 95. 



Fraktionsvdrstand 5£, 94, 98, 
^Frankfurter Zeitung' 4 64. 
Frankreich, Krieg gegen, 37, 48. 
Frauenkonferenz 
Frauentag 153. 



2g m 
z, Int 



Frauenkonferenz, Internationale, 64. 



„Freie Jugend" 207. 

JVeiheir 183, 187, 206. 

Frieden, Kampf um den, 55, 56, 64, 

65, 72, 74, 78, 82, 87, 95, 100, 104, 

105, 110, 112, 113, 138, 144, 156, 

163, 166, 170, 172, 177. 
Friedensangebot der Regierung 122, 

124, 129, 137. 
Friedenskundgebungen 22, 123. 
Friedensbedingungen 74, 123. 
Friedensvertrag von Versailles 199. 
Frontveranderung 36, 38. 

„Gebot der Stunde", Das, 72, 74, 75, 

76, 77, 7a 
Gegenrevolution 185, 187, 189. 
Generalkommission der Gewerk« 

schaften 42, 53, 77. 
Gewerkschaitsbewegung 16, 42, 53, 

121, 170, 192, 194, 213, 222, 226. 
Gewaltiriedenschlusse im Osten, Die, 

167, 168, 169, 172, 175, 199. 
Gewaltmafznahmen gegen die Oppo« 

sition 39, 42, 82, 97, 101, 103, 116, 

124, 128, 129, 134. 
Gewerkschaftskommission, Berliner, 

53. 
„Gleichheit", Raub der, 154. 
„Glocke*', Die, 100. 
Grtindungsparteitag der U. S, P. D. 

135, 143, 150. 

^Hamburger Echo" 82, 48, 63, 77, 

140. 
hamburger Echo' 4 , Erklarung im, 

82, 
Jiannoverscher Courier*' 64. 
Herrenhaus 57. 
„Het Volk" 59. 
Hilfsdienstgesetz 121, 122, 134, 148, 

163, 174.^ 
„Humanit6" 119. 

Imperialismus, Deutscher, 11, 12, 19, 

20, 69, 79, 97, 113, 147, 172. 175. 
Internationales sozial. Bureau 22, 105, 

106. 
Internationale Kongresse, Beschltisse 

28. 
Internationale, Zusammenbruch der, 

49, 113. 
Internationale, Neuaufbau der, 65, 

67, 79, 82, 113, 178, 202, 204, 205, 

211, 214, 219. 
Internnationale Konferenzen in der 

Schweiz 79, 82, 104. 



234 



Internationale sozlalistische Kom~ 
mission in Bern 82. 

Internationale Konferenz von Stock- 
holm 157. 

Internationale Sozialisten 126. 

Internationale", Die, 67, 68. 

^Internationale Korrespondenz" 39, 

., 71, 100. 

Interpellation uber den Frieden 84. 

JtsWestiia" 18. 

Italian 40, 68, 104, 

Italienisches Manifest 40. 

Jugendorganisationen 88. 
Juncrdeutschlandbund 58. 

„Kampf", Der, 30, 91. 

„Kampferin ' 207. 

Kapitulation Deutschlands 172, 175. 

Kapp-Putsch 215, 217. 

Kienthal, Konferenz von, 104, 106, 

150,227. 
Klassenkampf 18, 20, 35, 42, 45, 49, 

51, 62, 69, 83, £8, 110, 115, 125, 145, 

150, 192, 200, 230, 231. 
Koalitionspolitik 181, 189, 200, 218, 

227 230. 
Kolonien 11, 113, 115. 
Kommimistische Partei 76, 180, 201, 

215, 223, 227. 
Kommunistische Arbeiterpartei 215. 
Konferenz im Haag 195 (106). 
Konferenz der O^osition 124, 129, 

135. 
Konferenz der A.« tmd S.~R&te 185, 

186, 188, 198. 
Kons urn ver erne 16. 
Kontrollkommision 108. 
Konzentrierung des Kapitals 10. 
„Korrespondenzblatt" der General- 

kommission 77, 115. 
Kreditverweigerung 44, 46, 53, 54, 

87. 
Kriegsausbruch 13, 21, 22, 45, 51, 

Kriegsflotte, Angebliche Verschw5« 

rung bei der, 164. 
Kriegsg'efahr 12. 
Kriegsvorwande 21, 36, 51. 
Krieg, Kanvof eregen den, 21, 22, 40, 

45, 51, 64, 65, 78, 206. 
Kriegskredite 23, 24, 80, 37, 40, 43, 

44, 45, 54, 55, 56, 57, 62, 63, 70, 81, 

86, 99, 104, 109 r 111, 112, 133, 137, 

170, 176, 177, 181. 
Kriegspatriotismus 34, 66, 69. 
Kriegsregie 28. 
Kriegsschuld 50, 65, 111. 
Kriegsstimmung, Abflauende, 68. 
KriegssoTialismus 39. 
Kriegsziele, Kampf urn die, 61, 62, 70, 



jLabour Leader" 49. 
Landtagsfraktion, Preufzische, 41, 55. 
Landtagsnachwahl fur Liebknechr 

136. 
Lebensmittelwucher 39. 
LeirHger AViionsprogramm 209, 221, 

213, 214, 228. 
JLeipziger Volkszeitung" S3, 37, 67,. 

72, 75, 84, 89, 120, 138, 154. 
Leitsatze zur Jhriedensirage 81. 
JLichtstrahlen" 77. 

Manifest der italienischen Partei 40, 
Manifest an die Fraktion 65. 
Manifest des Bxekutivkomitees 79. 
Manifest der Konferenz von Kienthal 

wald 82. 
Manifest der Konferenz von Kienthal 

105. . 
Manifest der Oppositionskonferenz 

127. 
Manifest des Grimdungsparteitags 

der U.S.P.D. 148. 
Manifest der IL S. P. D. fur Stocks 

holm 157, 163, 173. 
Manifest der 1XS.P.D. von Halle 

226, 
Marne, Niederlage an der, 48. 
Marokkokrisen 12, 19. 
Milzbilligungserklarung gegen Lieb« 

knecht und Riihle 59. 
Monarchie und Monarchismus 62, 

141, 150, 177. 
Mord an Jaures 23. 
Moskauer Internationale 76, 202, 205, 

211, 214, 219, 224. 
„Munchner Post" 119. 

Nationalversammlung 183, 184, 186, 

188, 191, 200. 
JSfeue ZerT 83. 
„Neue Zeit", Raub der, 155. 
Neukommunisten 223, 225, 229. 
Neujahrsbrief Scheidemanns 49. 
Neuorientierung 143, 155. 
Neutralitatsbruch in Belgien 24. 
„New Yorker Volkszeitung" 29. 
Notetat 93, 94. 

Opportunismus 17. 

Opposition gegen die Kriegspolitik 
27, 30, 32, 41, 42, 47, 49, 51, 52, 
53, 57, 67, 68, 72, 76, 77, 81, 83, 
85, 86, 89, 92, 93, 97, 98, 100, 101, 
102, 104, 105, 106, 107, 112, 113, 
116, 124, 129, 130, 230. 

ODpo^itionskonferen^ 124, 129, 135. 

Organisation der Opposition 125, 
1l9, 155, 136, 143, 145. 

Organisationsstatut der U. S. P. D. 
207. 



235 



Oesterreich, Zusammenbruch in, 166, 
172. 

Parlamentarismus 145, 192, 193, 203, 

210, 214. 
Parlamentarisches System 168, 166, 

172. 
Parteiarbeit vor dem Krieg, 14, 16. 
Parteiau^chulz 56, 77, 80, 81, 90, 101, 

102, 129. a 
„Parteikorrespondenz" 92, 100. 
Parteibureaukratie 14, 17. 
Parteitag Jena 18. 
Parteitag Chemnitz 29. 
Parteitag Liibeck 58, 64. 
Parteitag Numbers' 64. 
Parteitag der S.P.D. in Wiirzburg 

165. 
Parteitag der U.S.P.D. M&rz 1919 

191. 
Parteitag der S.P.D. in Weimar 

200. 
Parteitag der U.S. P. D. in Leipzig 

207. 
Parteitag der II. S. P. D. in Halle 223. 
Parteitaigsbeschlusse, Friihere, 28, 56, 

64. 
Parteitag, Abhaltung des, wShrend 

des Krieges, 102, 107. 
Parteivorstand 49, 74, 76, 77, 83, 86, 

90, 101, 108, 116, 119, 125. 
Patriotismus in der Sozialdemokratie 

22 

Polenpolitik 58. 

PoHtik, Aeuizere, der Partei vor dem 

Kriege, 19. 
JPost" 62, 63. 
Press©, Sozialdemokratische, 35, 110, 

126. 
Prekkommission des „Vorw&rts" 42. 
Preuizisches Abgeordnetenhaus 41. 
Programm des MSrzparteitags der 

U.S.P.D. 192, 208. 
Prozefz Ledebour 197. 

Quertreiberei 51, 52, 79, 230. 

Ratebewegung 180, 182, 183, 191, 

193, 198, 200, 201, 203, 204, 207, 

209, 213, 215. 
Raterepublik in Bayern 191, 197. 
Raterepublik in Ungarn 197. 
Redakteurkonferenz 85. 
Reformismus in der Sozialdemokratie 

15, 17, 20, 37, 62 63. 
Reichskonferenz 108, 109, 118, 115. 
Reichskonferenz, September 1919, 

204. 
Reichskonferenz, September 1P20, 

222, 223. 
Reichtagsnachwahlen 120, 184, 136, 

137. 



Reichstagswahl 1920 217, 218. 
Republik, Forderung nach der, 62, 

141. 
Resolution der Oppositionskonferenz 

Resolution gegen die Opposition 129. 
Resolution des Reichstags vom 

19. Juli 1917 162. 
Revolution in Deutschland 178, 179, 

181, 189, 200, 203, 204, 209, 225, 

228. 
Revolution in RuMand 140, 141, 150, 

15| 163, 166 7 170. 
Revolution, Wesen der, 17, 18, 221, 

225. 
„Rheinisch~Westfalische Zeitung" 21. 
„Rote Fahne" 223. 
Rucktritt Bethmann~Hollwegs 163. 
Rumanian, Gewaltfrieden mit, 169. 
Rundschreiben gegen Zimmerwald 

83. 
Russische Sozialdemokratische Par- 
te! 64, 119, 225. 
RuMand, Krieg gegen, 37, 48. 
Ritetungen Deutschlands vor dem 

Kriege 10, 11. 

„$chlasfwig4iolsteinasche Zedtung" 50. 
Schreiben an den Parteivorstand 69, 

76. 
„Schwabische Tagwacht" 33, 39, 52. 
Sozialdemokratische Arheitsgem ein« 

schaft 96, 100, 101, 102, 103, 104, 

106, 108, 110, 112, 113, 139, 141. 
^Sozialdemokratische Feldpost" 100. 
„Sozialist" 192. 
Sozialisierung 193, 210. 
Sozialistengesetz 16, 49, 97. 
„Soziali$tische Auslandskorrespon- 

denz ' 100. 
„Sozialistische Gemeinde" 207. 
Sozialistische Monatshefte 115. 
Sozialistische Republik, Forderunp-en 

der, 163, 174, 176, 182, 185, 189, 

191. 
Spaltung der Landtagsfraktion 133. 
Spaltung der Partei 40, 76, 77, 89, 

96, 101, 104, ,u% 130, 131, 132, 134, 

144, 11% 230. 
Spaltung der U.S.P.D. 76, 98, 181, 

188, 196, 211, 208, 214, 219, 222, 

226 227 229 
Spartakusbund 42, 76, 89, 97, 98, 

104, 106, 109, 113, 125, 129, 145, 

166, 179, 183, 187. 
Steuergesetze 95, 140, 148, 194, 207, 

210, 228. 
Stockholm, Konferenz von, 157, 173. 
Strafzendemonstrationen 170. 181, 

201. 
Streikbewegung 107, 111, 160, 168, 

170, 173. 



236 



Turkei 38, 172* 

U-Bootkifeg 113, 124, 137, 138, 139, 

152, 175. 
Ukraine 167, 168. 
Unabhangige Arbeiterpartei Eng« 

lands 49, 64, 71. 
Urproduktion Deutschlands 10. 

Verbote von Zeitungen 39, 48. 
Vereinigte Staaten vor dern Kiiege 10. 
Verhaftung Ledebours 197. 
Verhaftung Liebknechts 196. 
Verhaftung Rosa Luxemburg 48, 55. 
Verstandigungsfrieden 43, 50, 53, 57, 

74, 112, 139, 150, 157, 164. 
Verurteilung von Dittmann 171. 
Volksbeauftragten, Regierung der, 

182, 183, 187, 220. 
f ,Volksblatt" in Kassel 48. 
„Volksblatt" fur Halle 83, 62, 120. 
„Volksireund", Braunschweig 120. 
„Volksfreund", Karlsruhe 50, 51, 

116, 140. 
„Volksstimme", Chemnitz 48, 50, 79. 
„Volksstimme", Frankfurt a. M. 171. 
„Volksstimme", Magdeburg 140. 



„VorwMrts" 22, 30, 39, 42, 46, 53, 58, 
60, 80, 81, 92, 93, 94, 100, 103, 107, 
115, 118, 119, 120, 125, 139, 141 150. 

,,Vorwarts", Erklarung der Redaction 
des, 30. 

„Vorwarts"-Raub 103, 116, 117, 118, 
124, 133, 154. 

Wahlrechtskampf 142, 149, 156, 162, 

170, 174. 
,Wahre Jacob" Der, 35. 
Weihnachtsgrufze nach England 49. 
Weltmarkt 9, 11, 12, 13. 
Weltpolitik 12, 19. 
Wettriisten 19. 

Wilsons Botechaft 138, 172 f 199. 
Wirtschaftliche Entwicklung, Die, 

9,10. 
Wiirttembergischer Landesvorstand 

39, 52. 

Zarismus, Gegen den, 33, 58, 140. 
Zensur 39, 48, 57, 58, 64, 68, 77, 82, 

92, 97, 116, 117, 143, 149, 163. 
Zimmerwald, Konferenz von, 82, 105, 

106, 150, 227. 
Zusammeribruch 152, 179. 



EL Personenverzeichnis 



Adler, Fritz 30, 91. 
Adler, Victor 45. 
Albrecht 26, 58, 60, 81, 86. 
Antrick 26, 56, 58, 60, 81, 86. 
Axelrod 82, 83, 104. 

Bakunin 118. 225. 
Baudert 45, 58, 60, 81, 86. 
Bauer, Gustav 121. 
Baumeister 39, 71, 100. 
Bebel 19, 26, 82, 35, 64, 93, 155. 
Bernste'n 37, 54, 58, 60, 72, 81 7 83, 96. 
BethmannnHollweg 55, 60, 85, 98, 99, 
110, 112, 116, 122, 125, 139, 162, 163. 
Bismarck 10, 11, 16. 
Bluntschli 19. 
Bobroff 83. 

Bock 26, 58, 60, 81, 86, 96, 114. 
Borchardt 77, 125. 
Bourderon 83, 104. 
Bracke 104. 
Bralz 186. 

Brandes 58, 60, 81, 86. 
Braun, Adolf 132. 
Braun, Otto 103. 
Breitsche T d 190, 192. . 
Brizon 104 e 



Brussilow 164. 
Bucharin 202. 
Buechner 58, 60, 81, 86, 96. 

Caillaux 26. 

Caprivi 11. 

Chamberlain 12. 

Cohen 44, 50, 58, 200. 

Cohn, Oscar 58, 60, 81, 86, 96, 177. 

Crispien 30, 39, 100, 195, 208, 219, 

222, 224, 226. 
Cunow 31, 34, 50, 86, 100, 140. 

Daumig 31, 116, 143, 191, 192, 195, 
198, 202, 214, 219, 221, 222, 223, 
224. 

David 25, 26, 37, 44, 55, 57, 58, 81, 
157, 175. 

Davidsohn 60, 81. 

Delbriick 46. 

Denikin 220. 

Dllzmann 56, 154, 192, 207. 

Dittmann, Paul 154. 

Dittmann, Wilhelm 58, 60, 81, 86, 
96, 144, 145, 154, 164, 171, 174, 
192. 205, 207, 219, 222, 224, 229. 

Dietz 155. 

Doseher 31. 



237 



Duncker, Kathe 67, 113, 111 

Ebert £8, £9, 88, 71, 87, 101, 108 r 1C9, 
110, 111, 114, 113, 129, 164, 135, 
175, lP. p . 189. 

Eckstein 32. 

Ehrhardt 216. 

Eichhom 224. 

Eisner, Kurt 127, 146, 190, 197. 

Emmel 45, £8, 59, 60, 81, 86. 

Engelhardt 92. 

Eng-els 19, 27, 35, 153, 159, 166, 176. 

Eromann 81. 

Ernst, Eugen 107. 

BribergeT 44, 162. 

Ewald 86. 

Fehrenbach 185. 

Fendrich 100. 

Fischer, Edmund 54, 81. 

Fischer, Richard 40, 41, 103, 107, 116, 

117, 118. 
Fleifener 56 7 101, 156. 
Frank 26 7 37, 49. 
Frassek 109. 
Freiligrath 155. 
Frohme 54. 
Fuchs 58, 60, 81, 86. 

Geyer, Fritz 26, 58, 60, 81, 86, 87, 96. 

Geyer, Kurt 186, 202, 204, 205, 208. 

Graber 104. 

Gottschalk 101. 

Gradnauer 171. 

Greulich 104. 

Grey 12. 

Grimm 83, 104. 

Grcger 107. 

Groener 163, 169. 

Grumbach 49. 

Gruetz 154. 

Guilbeaux 104. 

Haas* 23, 24, 25, 26, 27, 29, 44, 45, 
46, 56, 58, 60. 62 r 63, 72, 74, 75, 77, 
80, 81, 85, 86, 87, 88. 89, 90, 93, 
94, 95, 96, 99, 101, 103, 111, 112, 
114, 121, 124, 125, 135, 144, 145, 
146, 147, 154, 157, 163, 164, 169, 171, 
175, 187, 191, 195, 200, 202, 204, 205. 

Hanecki 83. 

Hanisch 23, 33, 34, 50, 55, 62, 100, 
144. 

Heckert 147. 

Heilmann 50, 79, 115. 

Heine 26, 27, 59, 62, 79, 86, 94, 100, 
111, 200, 203, 215. 

Helfferich 94, 140. 

Henke 26, 45, 58, 60, 81, 86, 96, 146, 
154. 

Hennig 56, 101, 225. 

Herre 100. 



Hertling, Graf 166. 

Herz 32. 

Herzfeld 2-3, 58, 60, 81, 88, 96, 146. 

Heydebrand 175. 

Kisrl £8. 

Hilferding 31. 147, 183, 202, 204, 205 7 

206, 211, 222, 225. 
Hillquith 222. 
Hindenburg 59, 79. 
H rsch 183. 

Hoch 5, 26, 46, 60, 81, 86, 89. 
Hofer 41, 133, 154. 
Hoffmann, Adolf 41, 82, 83, 118, 133; 

223, 224. 
Hoffmann, Kaiserslautern 58. 
Hoffmann, Paul 41, 133. 
Hofrichter 58, 60, 81, 86. 
Hoeglund 83. 
Horn 58. 60, 81, 86, 96. 
Hcernle 39 7 100. 
Hu^el 58, 86. 

Jansson 47, 115. 

Jaures 23, 26, 32, 40, 159. 

Jogiches 197. 

John 31. 

Juchacz 155, 

Judenitsch 220. 

Kaliski 115. 

Kampf 94. 

Kapp 116, 215. 

Karski 67, 83, 92. 

Katzlerowitsch 104. 

Kautsky 26, 72, 83, 84, 127, 129, 147, 

148, 155, 222. 
Keil 39, 94. 
Kerenski 166. 
Kirdorf 38. 

Kolb 15, 116. 140, 165. 
Koltschak 220. 
Konen 186, 223. 
Krupp 38. 

Kiihlmann 168, 171. 
Kuhnert 25, 58, 60, 81, 86, 96. 

Labinski 83, 104. 

Lange, Paul 67. 

Landsberg 38, 58, 85, 86, 87, 189. 

Lassalle 19, 35, 153. 

Laufenberg 32. 

Laukant 154, 18f. 

Laz7;arri 83. 

Ledabour 26, 29, 53, 54, 55, 58, 59, 
60, 83- 81, 82. 83. 85, 81 91.. 93, 109, 
114. 118, 124, 135, 139, 146, 147, 
154, 163, 164, 168, 170, 171, 176, 
197, 198, 212, 214, 226. 

Legien 89, 50, 53, 54, 58, 59, 89. 

Leimpeters 62. 

Lenin 82, 83, 104. 



238 



Lensch 26, 84, 89, 45, 62, 86, 100, 113, 
144, 165. 

Leutert 58, 60, 81. 

Levi 208, 215. 

Lieberasch 163. 

Liebknecht, Karl 18, 25, 26, 29, 38, 
41, 42, 44, 46, 49, 53, 54, 55, 56, 58, 
59, 60, 63. 81, 85, 86, 89, 90, 91, 
95, 100, 106, 107, 111, 113, 136, 174, 
189, 197. 

Liebknecht, Wilhelm 35, 64, 155. 

Liebmann 163. 

Linde 56. 

Lipinski 101, 121, 125, 16|. 

Lobe 129. 

Longuet 222. 

Losowsky 226. 

Ludendorff 171, 17a 

Liittwitr 198, 203. 

Luxemburg", Rosa 23, 29, 34, 48, 49, 
55, 65, 67, 100, 174, 189, 197. 

Machowski 202. 

Marker 203. 

Martow 204, 225* 

Marx 10, 15, 35, 64, 67, 153, 166, 180, 

225. 
Max von Baden, Prinz 172, 174. 
Mehring 15, 49, 67, 100, 186. 
Merrheim 83, 104. 
Meyer, Ernst 103. 125. 
Michaelis, Dr. 163, 164, 166, 
Miljukow 156. 
Modigliani 83. 
Molkenbuhr 45, 99. 
Morgan! 104. 
#WW, Dr. August 163. 
Muller, Herrmann 108, 117. 
Muiier, Richard 192, 202, 208. 
Muller, S-Mteuditz 100. 
Mussati 104. 

Naine 83, 104. 
Nestriepke 31. 
Niebuhr 82, 100. 
Normann 83. 

Noske 176, 187, 189, 191, 197, 198, 
200, 201, 203, 215, 216. 

Oerter, Sepp 154. 

Parvus 100. 

Pattloch 187. 

Payer 46. 

Peirotes 26, 58, 60, 81. 

Peus 115. 

Platten 104. 

Pokorny 104. 

Quessel 115, 



Radek 18, 49, 82, 104. 

Raute 58, 60, 81, 86. 

Redehel 39. 

ReiJzhaus 81, 8a 

Racovski 83. 

Rohrbach 36. 

Rochlingr 88. 

Roland-riolst 83. 

Ruck 145. 

Rufin-Dugins 104. 

Ruhle 26, 59, 60, 81, 86, 89, 91. 

Scheidemann 26, 49, 50, 52, 57, 59. 

62, 63, 68, 84, 87, 98, 99, 109, 110, 
119, 139. 163, 165, 175, 189, 200. 

Schiffer 68, 71. 

Schmidt-Meilzen 58, 60, 81. 

Schmidt, Robert 99. 

Schnellbacher 154. 

Scholz 31. 

Schoepflin 58, 92. 

Schulz, Heinrich 50, 100, 155, 

Schwartz 58, 60, 81, 86, 96. 

Sender, Toni 226. 

Serati 104. 

Severing 115. 

Simon 57, 58, 60, 81, 86. 

Sindermann 129. 

Sinowjew 223, 224, 225, 226. 

Spahn 84, 85. 

Stadthag-en 26. 31, 45, 54, 55, 58, 60, 

63, 81, 86, 96, 111. 
Stahl 137. 
StampfeT 22, 119. 
Stinnes 38. 

Stoecker 202, 205, 208 211, 219, 221, 

222, 223, 224. 
Stolle 45, 58, 60, 81, 86. 96. 
StrSbel 31, 41, 43, 67, 133, 181, 187. 
Stubbe 81. 
Stumm 38. 
Sudekum 26, 40, 41, 53, 58. 

Thalheimer 67. 
Timm 107, 108, 111. 
Tscheidse 141. 
Tschitscherin 202. 
Turati 222. 

Umbreit 115. 

Vogtherr 26, 58, 60, 81, 86, 96, 124, 
135, 164. 

Wahnschaffe 69, 116. 

Walcher 39. 

Weber 31. 

Wedel-Piesdorf 57, 72. 

Weill 49. 

Wenffels 87, 101, 130, 132, 154. 

Wendel 26, 171. 

Wermuth 31, 



Westarp 59, 70, 72, 175. Wolffheim 32. 

Westmfcyer 30, 58. Wolfstein 145. 

Wildgrube, Dr. 120. Wurm 57, 81, 86, 96, 208, 217. 

Wilhelm II. 11, 29, 35, 42, 55, 122, 124, ' 

137, 155. 163, 172, 178. Zetkin, Clara 30, 67, 82, 154. 

Wilson 138, 175, 198. Zietz, Luise 87, 101, 130, 132, Hi 
Winnig 50, 86, 100, 144. 154, 192, 224. 

WisseU 201. Zubeil 58, 60, 81, 86, 96. 



Gedruckt in der Berliner Druckerei G. m. b. H„ Berlin C. 2, Breite.str. 8/9.. 
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